Leitsatz (amtlich)
Der vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bestellte Abwickler war auch schon vor der Einführung des § 37 Abs. 2 KWG durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz (BGBl. I 2002, S. 2010) zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des unerlaubte Bankgeschäfte betreibenden Unternehmens befugt. Dies gilt selbst dann, wenn das Unternehmen neben den unerlaubten Bankgeschäften auch Geschäfte betreibt, auf die sich der Aufgabenbereich des Abwicklers nicht erstreckt.
Normenkette
KWG § 37 (i. d. F. v. 9. 9. 1998); InsO § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin |
AG Berlin-Charlottenburg |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 81 des LG Berlin v. 13.12.2002 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
Wert der Beschwerde: bis 260.000 Euro
Gründe
I.
Die Schuldnerin, eine GmbH, befasst sich mit der Erarbeitung und Vermarktung von Konzepten zur Vermögensentwicklung, der Vermögensbetreuung und der Erbringung von Finanzdienstleistungen. Ihren Kunden bot sie u. a. ein Anlagemodell an, bei dem diese einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: Stille GbR) beitraten, die ihrerseits als stille Gesellschafterin an der Schuldnerin beteiligt ist. Die Kunden erklärten bei Vertragsschluss einen Rangrücktritt; danach sollte die Einlage aus den nach Abzug sonstiger Verbindlichkeiten verbleibenden Überschüssen der Schuldnerin zurückgewährt werden (Ziff. 8 des Beteiligungsvertrages der stillen GbR mit der Schuldnerin).
Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (im Folgenden: Bundesaufsichtsamt) sah darin ein gewerbsmäßig betriebenes Einlagengeschäft i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG. Gemäß § 37 KWG untersagte es das weitere Betreiben dieses Einlagengeschäfts und ordnete es die unverzügliche Rückzahlung sämtlicher Einlagen an. Die sonstige geschäftliche Tätigkeit der Schuldnerin wurde nicht beanstandet. Der gegen den Bescheid eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Über die hernach eingereichte Klage ist noch nicht entschieden.
Die Schuldnerin schloss, um ihre Verpflichtung zur Rückzahlung der angelegten Gelder zu erfüllen, mit der überwiegenden Anzahl der Anleger eine Vereinbarung, wonach u. a. der zurückzuzahlende Betrag dazu dient, eine neue Beteiligung einzugehen. Daraufhin setzte das Bundesaufsichtsamt mit Bescheid v. 20.11.2000 nach § 37 S. 2 KWG a. F. einen Abwickler ein. Dieser stellte mit ausdrücklicher Ermächtigung des Bundesaufsichtsamts am 11.12.2000 Insolvenzantrag. Nach Einholung eines Insolvenzgutachtens wurde das Insolvenzverfahren am 17.4.2001 eröffnet. Dagegen hat die Schuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Gegen deren Zurückweisung durch Beschl. v. 13.12.2002 wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO i. V. m. §§ 7, 34 Abs. 2 InsO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO), weil die Rechtssache in mehrfacher Hinsicht Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft; darüber hinaus ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat indes keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zutreffend und ohne durchgreifenden Verfahrensfehler die Voraussetzungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bejaht.
1. Der Abwickler war gem. § 37 KWG befugt, den Insolvenzantrag zu stellen.
a) Das Antragsrecht des Abwicklers ist nunmehr in § 37 Abs. 2 KWG ausdrücklich geregelt. Diese Vorschrift, die erst durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz v. 21.6.2002 (BGBl. I, S. 2010) eingefügt wurde, ist auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbar.
b) Für das hier maßgebliche frühere Recht ist die Antragsbefugnis des Abwicklers den § 15 Abs. 1 InsO, § 37 KWG a. F. im Wege der Auslegung zu entnehmen.
aa) Dafür spricht zunächst die Gesetzgebungsgeschichte. Mit der Einführung der Möglichkeit, einen Abwickler zu bestellen (Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften v. 22.10.1997, BGBl. I, S. 2518, 2548) wollte der Gesetzgeber bewirken, dass der Geschäftsbetrieb darauf überprüft werden kann, ob er gemäß den Anordnungen des Bundesaufsichtsamtes abgewickelt wird, und widrigenfalls ein Abwickler "mit den Kompetenzen eines Geschäftsführers" die notwendigen Abwicklungshandlungen durchführen kann (RegE BR-Drucks. 963/96, 91). Zu den Kompetenzen eines Geschäftsführers gehört im Allgemeinen auch die Stellung eines Insolvenzantrags (vgl. § 64 Abs. 1 GmbHG, § 15 InsO).
Dass der Gesetzgeber mittlerweile die Antragsbefugnis des Abwicklers ausdrücklich geregelt hat (vgl. oben a), spricht - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht dafür, diese Befugnis für das frühere Recht zu verneinen. Der Gesetzgeber wollte mit der Novellierung ersichtlich zur Klarstellung beitragen (vgl. RegE zum Vierten Finanzmarktförderungsgesetz BR-Drucks. 936/01, 356 f.).
bb) Für die Antragsbefugnis des Abwicklers sprechen insbesondere Sinn und Zweck der Abwicklung.
Mit dieser soll - wie sich aus dem Wortlaut des § 37 KWG a. F. ergibt - die "sofortige Einstellung des (verbotenen) Geschäftsbetriebs" und die "unverzügliche Abwicklung dieser (verbotenen) Geschäfte" erreicht werden. Im vorliegenden Fall war der Schuldnerin die Hereinnahme von Anlagegeldern verboten worden. Damit gehörte zur Abwicklung dieser Geschäfte die Rückzahlung der Gelder an die Anleger.
Bevor ein Abwickler mit einer derartigen Aufgabe beginnt, muss er prüfen, ob das Vermögen des Geschäftsbetriebs ausreicht, um sämtliche Einlagen zurückzuzahlen. Ist dies nicht der Fall, hat er jede Rückzahlung zu unterlassen. Denn dann muss er davon ausgehen, dass der Geschäftsbetrieb überschuldet ist und somit ein Insolvenzgrund vorliegt. Die Rückzahlung an einzelne Anleger würde unter diesen Umständen dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger widersprechen. Ein Abwickler, der davon ausgehen muss, dass der Geschäftsbetrieb insolvenzreif ist, hat nicht nur jede Auszahlung zu unterlassen, sondern er ist zumindest befugt - wenn nicht gar verpflichtet -, Insolvenzantrag zu stellen. Ohne eigenes Antragsrecht des Abwicklers wäre die mit der Vorschrift des § 37 KWG a. F. bezweckte wirkungsvolle Unterbindung unerlaubter Bankgeschäfte wesentlich erschwert. Er könnte zwar den Betreiber auffordern, seiner Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags zu genügen. Dass jener dieser Aufforderung nachkommt, ist jedoch nicht gewährleistet, nachdem er bereits die vorausgegangenen Weisungen des Bundesaufsichtsamts nicht befolgt hat. Der Betreiber hätte auf unabsehbare Zeit die Möglichkeit, zivilrechtlich wirksam das unerlaubte Einlagengeschäft weiter zu betreiben (vgl. Samm in Beck/Samm, KWG, § 32 Rz. 75, § 37 Rz. 70; Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 32 Rz. 12, § 37 Rz. 10), und zwar sogar dann, wenn zu befürchten ist, dass sich seine wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert. Der Abwickler könnte lediglich durch Benachrichtigung der Kunden (vgl. § 37 S. 2 KWG a. F.) versuchen, einen Gläubigerantrag herbeizuführen. Das wird aber vielfach wenig bewirken, weil die Kunden dem Finanzdienstleister oft ein besonderes Vertrauen entgegenbringen; wenn sie die Gefahr der Insolvenz erkennen, kann sie die Furcht vor finanziellen Verlusten davon abhalten, den Antrag zu stellen.
Diese Ausführungen gelten auch dann, wenn neben den verbotenen Bankgeschäften noch andere, nicht verbotene Geschäfte betrieben werden. In diesem Fall verhindert die Insolvenzeröffnung auch die Fortsetzung der erlaubten Geschäfte, obwohl diese von der Anordnung der Abwicklung nicht betroffen waren. Diese Folge ist jedoch zum einen unvermeidbar, weil bei einem einheitlichen Geschäftsbetrieb eine Aufspaltung der Vermögensmasse entsprechend der Anzahl der Betriebsbereiche nicht möglich ist, und zum anderen gerechtfertigt, weil der Abwickler, der insolvenztypische Maßnahmen allein auf den Bereich der unerlaubten Bankgeschäfte konzentrieren würde, dadurch unter Umständen die Gläubiger aus dem anderen, erlaubten Bereich benachteiligen könnte.
2. Zu Recht haben die Vorinstanzen den Insolvenzgrund der Überschuldung bejaht.
a) Im Vermögensstatus der Schuldnerin waren sämtliche über die stille GbR erfolgten Einlagen als Passiva zu berücksichtigen.
aa) Durch die Anordnung des Bundesaufsichtsamts zur unverzüglichen Rückzahlung der Einlagen entstanden entsprechende Verbindlichkeiten der Schuldnerin, die - ungeachtet ihrer Begründung durch Hoheitsakt - ihre Vermögenslage unmittelbar berührten. Bei öffentlichrechtlichen Verbindlichkeiten hat das Insolvenzgericht von der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Bescheids auszugehen, so lange dieser nicht aufgehoben ist. Dies ist bisher nicht geschehen.
bb) Die zivilrechtlichen Vereinbarungen, welche die Einleger mit der Schuldnerin bzw. der stillen GbR getroffen haben, rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.
Die Schuldnerin hat durch eine entsprechende Aufforderung (Schreiben v. 13.11.2000) viele Anleger veranlasst, den zurückzuzahlenden Betrag "stehen zu lassen", um damit eine neue "Beteiligung" einzugehen. Dabei hatten die Anleger zu erklären, sie wüssten, dass gemäß Ziff. 8 des Gesellschaftsvertrages eine Rangrücktrittsregelung besteht, wodurch die Einlage einen Eigenkapitalcharakter erhält. Den betreffenden Anlegern versprach der Geschäftsführer der Schuldnerin, die Beteiligung mit erheblichem Aufschlag am 1.4.2004 zu erwerben und für die Auszahlung des Kaufpreises persönlich zu haften.
Diese Vereinbarungen und einseitigen Erklärungen haben die Verpflichtung zur Rückzahlung der Einlagen unberührt gelassen. Es wurden nicht etwa Einlagen zurückgezahlt und neu angelegt, sondern das vom Bundesaufsichtsamt verbotene Einlagengeschäft wurde rechtsgeschäftlich bestätigt, wobei alle Beteiligten wussten, dass eine zeitnahe Rückzahlung der ursprünglichen Einlagen unmöglich gewesen wäre. Der bestätigende Charakter der Abmachungen zeigt sich bereits daran, dass über die aus der Sicht der Schuldnerin zurückgezahlte Ersteinlage keinerlei Abrechnung erteilt, die Laufzeit der Ersteinlage angerechnet und hinsichtlich sämtlicher Regelungsdetails stillschweigend auf den Erstbeitritt verwiesen wurde. Der Schuldnerin ging es allein darum, durch Vermeidung der Rückzahlungsverpflichtung die Insolvenz abzuwenden.
Der Fälligkeit der Rückzahlungsverpflichtungen steht die Rangrücktrittserklärung, die in Ziff. 8 des Beteiligungsvertrages der stillen GbR enthalten ist und aufgrund des Schreibens der Schuldnerin v. 13.11.2000 von zahlreichen Anlegern erneut abgeben wurde, nicht entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob die Rangrücktrittserklärung - wie das Bundesaufsichtsamt angenommen hat - etwa wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 9 AGBG, jetzt § 307 BGB) unwirksam ist.
Selbst wenn sie für sich genommen wirksam sein sollte, konnte sie die Fälligkeit der öffentlichrechtlichen Rückzahlungsverpflichtung nicht beseitigen. Der Schuldnerin und den Einlegern, welche die Rangrücktrittserklärungen vereinbart haben, fehlte die nötige Dispositionsbefugnis. Ob das Bundesaufsichtsamt die ihm zugewiesenen Aufgaben zum Schutz Privater wahrnimmt, ist umstritten (befürwortend Samm in Beck/Samm, KWG, § 37 Rz. 33 ff.; abl. Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, § 32 Rz. 12 f.; vgl. ferner BGH, Vorlagebeschl. v. 16.5.2002 - III ZR 48/01, BGHReport 2002, 887 = WM 2002, 1266 [1272 f.]). Einigkeit besteht indes insoweit, als die Bankenaufsicht zumindest auch und in erster Linie öffentlichen Interessen dient. Darüber können Private nicht disponieren.
Soweit die Schuldnerin meint, die neuen, auf ihr Schreiben v. 13.11.2000 zurückzuführenden Einlagengeschäfte seien auf Grund der bestätigenden Rangrücktrittserklärungen dem Regelungsbereich der § 1 Abs. 1 S. 2 Ziff. 1, § 32 KWG entzogen worden, ist sie auf den Verwaltungsrechtsweg zu verweisen. Denn insoweit macht sie geltend, es habe sich die Beurteilungsgrundlage eines sofort vollziehbaren Verwaltungsakts geändert.
b) Die Aktiva der Schuldnerin übersteigen - selbst wenn insofern die Angaben der Schuldnerin (474.151,39 DM zzgl. 397.400 DM) zugrunde gelegt werden - nicht die nach dem Vorstehenden zu passivierende Summe der unerlaubten stillen Einlagen (2.830.443,68 DM).
3. Die Rechtsbeschwerde rügt ohne Erfolg eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG).
Soweit das Insolvenzgericht der Schuldnerin allein über die Person des Abwicklers und nicht auch über ihren Geschäftsführer (§ 35 GmbHG) rechtliches Gehör gewährt hat, könnte dies freilich Bedenken wecken, weil der Aufgabenbereich des Abwicklers sich nicht auf alle Geschäftssparten der Schuldnerin bezog. Dem braucht der Senat aber ebenso wenig nachzugehen wie der weiteren Frage, ob ein etwaiger Verstoß im späteren Verfahren geheilt worden ist.
Der als übergangen gerügte Vortrag betrifft die Höhe der Aktiva. Dieser Vortrag war für die Entscheidung des Beschwerdegerichts unerheblich (s. oben 2 b).
Zum andern rügt die Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht sei auf die Rechtsfrage, ob die Rückzahlungsverpflichtung durch die Vereinbarungen mit den Anlegern erfüllt oder jedenfalls insolvenzrechtlich nicht mehr bedeutsam sei, nicht eingegangen. Indes sind die Entscheidungsgründe insoweit ausreichend. Eine gerichtliche Entscheidung muss sich nicht mit jedem tatsächlichen Vorbringen und jedem Rechtsgedanken ausdrücklich befassen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.7.2002 - V ZR 118/02, BGHReport 2002, 941 = MDR 2002, 1389 = WM 2002, 1899 [1900]). Sie muss aber erkennen lassen, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen maßgeblich geworden sind (BGHZ 39, 333 [337]; BGH, Urt. v. 23.6.1999 - VIII ZR 84/98, MDR 1999, 1184 = NJW 1999, 3192). Die Entscheidungsgründe dürfen sich nicht in nichts sagenden Floskeln erschöpfen. Diesen Anforderungen ist im vorliegenden Fall genügt, weil das Beschwerdegericht sich der - im Wesentlichen zutreffenden - Beurteilung durch das Bundesaufsichtsamt angeschlossen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1127279 |
BB 2003, 2145 |
BGHR 2003, 1306 |
EWiR 2004, 719 |
MDR 2004, 174 |
ZInsO 2003, 848 |