Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 14.12.2012) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über das Absehen von der Verfallsanordnung nach § 111i Abs. 2 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 23 Fällen und versuchten Betruges in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass dem Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.193.056,40 Euro die Ansprüche der Verletzten entgegenstehen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Senat bereits durch Beschluss vom 17. September 2013 (NStZ 2014, 32) hinsichtlich des angefochtenen Schuld- und Strafausspruchs nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht auf die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten aufgehoben, weil sie ihn in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt habe (BVerfG, NJW 2014, 3504). Auch die neuerliche Prüfung des angefochtenen Urteils auf die Revision des Angeklagten, die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt ist, führt lediglich zur Aufhebung der Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO (vgl. insoweit Senat aaO).
Rz. 2
Der Erörterung bedarf allein die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge wegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Der Angeklagte macht geltend, die Strafkammervorsitzende habe in der Hauptverhandlung entgegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht bekanntgegeben, ob vor der Hauptverhandlung Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Diese Rüge ist jedenfalls unbegründet:
Rz. 3
1. Soweit die Revision vorträgt, der mit dem Verfahren befasste Staatsanwalt habe während des Ermittlungsverfahrens mit den beiden Verteidigern des Angeklagten und des (ehemals) Mitangeklagten mehrere Gespräche geführt, in denen er bei geständigen Einlassungen als Verfahrensergebnis (jeweils) eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren und eine Entlassung aus der Untersuchungshaft als angemessen bezeichnet und angekündigt habe, sich beim Gericht durch entsprechende Anträge dafür stark zu machen, handelt es sich um ein Geschehen vor der Anklageerhebung. Schon deshalb werden solche der Regelung des § 160b StPO unterfallende Erörterungen von der Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht erfasst, die lediglich „Erörterungen nach §§ 202a, 212” StPO betrifft.
Rz. 4
Dass zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung nach Anklageerhebung noch weitere auf eine Verständigung abzielende Gespräche stattgefunden haben, von denen das Gericht auch nur beiläufig Kenntnis erlangt hat, teilt weder die Revision mit, noch ergibt sich dies aus den eingeholten dienstlichen Äußerungen. Es kommt mithin nicht auf die eher zu verneinende Frage an, ob bei Gesprächen über Strafvorstellungen, die vor Beginn der Hauptverhandlung von der Staatsanwaltschaft mit der Verteidigung – anders als es die §§ 202a, 212 StPO vorsehen – ohne Beteiligung des Gerichts geführt werden, eine Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO allein durch eine Kenntniserlangung des Gerichts begründet werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 1 StR 523/13, NStZ-RR 2014, 115; siehe auch Urteil vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11, NStZ 2012, 347, 348; ablehnend KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 243 Rn. 36).
Rz. 5
2. Ebenfalls nicht als mitteilungspflichtige Erörterung einzuordnen ist ein Gespräch des Verteidigers des Mitangeklagten mit dem beisitzenden Richter vor Beginn der Hauptverhandlung. Nach den Darlegungen der Revision hat der Verteidiger angefragt, ob seitens der Strafkammer Interesse an einer Verfahrensabsprache bestehe, und über den Inhalt der Gespräche mit dem Staatsanwalt informiert. Hierzu habe der Richter abweisend reagiert. Dies ist durch die vom Senat im Freibeweisverfahren eingeholte dienstliche Erklärung des beisitzenden Richters im Wesentlichen bestätigt und weiter konkretisiert worden. Danach ist die Anfrage des Verteidigers am Rande eines Telefonats zur organisatorischen Abwicklung einer Aktenrückgabe erfolgt und hat sich auf eine generelle Aufgeschlossenheit der Strafkammer gegenüber Verständigungen nach § 257c StPO bezogen. Er habe sich „nicht bemüßigt gesehen, Erklärungen namens der Kammer abzugeben”, und für seine Person lediglich erklärt, „dem Rechtsinstitut einer Verständigung nach § 257c StPO wenig abgewinnen” zu können. Er habe auf die Mitteilung des Verteidigers über eine vom Staatsanwalt in Aussicht gestellte Antragstellung im Rahmen seines Schlussvortrags vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Strafkammer an Anträge der Staatsanwaltschaft zur Höhe etwaiger Strafen nicht gebunden sei.
Rz. 6
Damit hatte das Telefonat – auch ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Erörterung des „Gerichts” handelte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 – 1 StR 400/10, NStZ 2011, 592, 593) – keinen verständigungsbezogenen Gesprächsinhalt, der eine Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hätte auslösen können (vgl. Schneider, NStZ 2014, 192, 198). Der beisitzende Richter hat keinen Standpunkt zu einem möglichen Ergebnis des Verfahrens vertreten und kein Verhalten gezeigt, das als Vorbereitung von Verständigungsgesprächen oder gar als Eintritt in ein solches hätte (miss)verstanden werden können. Vielmehr hat er sich für seine Person vorbehaltlos Gesprächen mit dem Ziel einer Verständigung nach § 257c StPO abgeneigt gezeigt und ist auf ein diesbezügliches Ansinnen des Verteidigers, wollte man es in der aus Sicht der Revision „vorfühlenden” Anfrage überhaupt erkennen, jedenfalls nicht eingegangen.
Rz. 7
3. a) Zwar erfordert § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO eine so genannte Negativmitteilung, wenn keine auf eine Verständigung abzielenden Gespräche stattgefunden haben (BVerfG, NJW 2014, 3504 f.; anders noch Senat, Beschluss vom 17. September 2013 im Anschluss an BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13, BGHSt 58, 315). Ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler liegt aber nur vor, wenn das Urteil auf der fehlenden Mitteilung beruht. Dies kann auszuschließen sein, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, „in denen die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand” (BVerfGE 133, 168, 223 Rn. 98; BVerfG, NJW 2014, 3504, 3506; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 121/13, NStZ 2013, 541, vom 3. September 2013 – 1 StR 237/13, BGH NStZ 2013, 724, vom 29. Januar 2014 – 1 StR 523/13, NStZ-RR 2014, 115 und vom 25. November 2014 – 2 StR 171/14, NJW 2015, 266, 267).
Rz. 8
So verhält es sich hier. Der Senat hat freibeweislich dienstliche Erklärungen von der Vorsitzenden Richterin und dem Berichterstatter sowie dem staatsanwaltschaftlichen Sitzungsvertreter eingeholt. Danach hat es über den dargestellten Kontakt zwischen dem beisitzenden Richter und dem Verteidiger des Mitangeklagten keine Gespräche gegeben, die eine Verständigung zum Gegenstand gehabt hatten. Der Wahrheitsgehalt dieser dienstlichen Erklärungen steht für den Senat außer Zweifel, zumal auch die Revision keinerlei Anhaltspunkte für weitere im Vorfeld der Hauptverhandlung geführte und die Frage einer Verständigung berührende Erörterungen vorgetragen hat. Mithin schließt der Senat sicher aus, dass das angefochtene Urteil auf dem Verstoß gegen die Negativmitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beruht.
Rz. 9
b) Ein Beruhen lässt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht damit begründen, dass der Beschwerdeführer sich in dem Glauben befunden habe, es hätten Verständigungsgespräche stattgefunden, und ihn eine Negativmitteilung möglicherweise von der Abgabe seines Geständnisses abgehalten hätte. Den Angeklagten vor dem behaupteten Irrtum zu bewahren, dass eine von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren in den Raum gestellte Straferwartung mit dem Gericht abgestimmt worden sei, unterfällt – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, NJW 2014, 3504, 3506) – nicht dem Schutzzweck des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO sichert über das Transparenzgebot neben der Kontrolle eines Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 2055/14) auch den Informationsgleichstand sämtlicher Verfahrensbeteiligter über Erörterungen in den nicht öffentlich geführten Verfahrensstadien des Zwischen- und des Hauptverfahrens vor Beginn der Hauptverhandlung. Insoweit hat der Gesetzgeber mit der in der öffentlichen Hauptverhandlung zu erfüllenden Mitteilungspflicht die Konsequenz aus der in §§ 202a, 212 StPO zugelassenen Möglichkeit von Vorgesprächen über eine Verständigung gezogen (siehe BT-Drucks. 16/12310 S. 12), jedoch keine weitergehende Informationspflicht jenseits der von diesen Regelungen erfassten Erörterungen begründet (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 – 32 Ss 87/11, NStZ 2012, 285, 286).
Rz. 10
Der Schriftsatz vom 23. Februar 2015 hat dem Senat vorgelegen.
Unterschriften
Sander, Dölp, König, Berger, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 7674145 |
NJW 2015, 1546 |
NStZ 2015, 232 |
NStZ 2015, 417 |
wistra 2015, 238 |
AO-StB 2016, 16 |
StRR 2015, 140 |