Leitsatz (amtlich)
Zieht der Schuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine Forderung ein, die zur Masse gehörte, unterliegt der Erlös der Nachtragsverteilung.
Normenkette
InsO § 203 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Potsdam (Beschluss vom 27.04.2010; Aktenzeichen 5 T 156/10) |
AG Potsdam (Beschluss vom 30.12.2009; Aktenzeichen 35 IK 381/03) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Potsdam vom 27.4.2010 wird auf Kosten des Schuldners mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Nachtragsverteilung hinsichtlich der an den Schuldner zurückerstatteten Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1.5.2003 bis 29.11.2005i.H.v. 13.074,81 EUR angeordnet wird.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 13.074,81 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Das am 2.4.2004 eröffnete Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des J. (im Folgenden: Schuldner), in dem der weitere Beteiligte als Treuhänder bestellt war, ist nach Durchführung des Schlusstermins am 29.11.2005 aufgehoben worden.
Rz. 2
Der Schuldner ist seit 1.5.1991 von der Rentenversicherungspflicht befreit. In der Zeit vom 1.5.2003 bis 31.12.2006 führte jedoch der Arbeitgeber des Schuldners Rentenversicherungsbeiträge an die Rentenversicherung ab.
Rz. 3
Mit Schreiben vom 14.8.2006 teilte der Schuldnervertreter dem Treuhänder mit, dass unter Umständen Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten seien. Ob diese einer Nachtragsverteilung unterfielen, wurde in der Folge streitig erörtert. Die Identität des Rentenversicherungsträgers teilte der Schuldnervertreter dem Treuhänder erst nach mehrfacher Aufforderung mit Schreiben vom 24.10.2007 mit. Am 27.2.2008 erklärte die Rentenversicherung dem Treuhänder, dass die Rentenversicherungsbeiträge des Schuldners für die Zeit vom 1.5.2003 bis 31.12.2006 bereits am 28.2.2007 an diesen erstattet worden seien.
Rz. 4
Am 12.12.2009 beantragte der Treuhänder hinsichtlich der anteilig für die Zeit vom 1.5.2003 bis 29.11.2005 erstatteten Rentenversicherungsbeiträge i.H.v. 13.074,81 EUR die Nachtragsverteilung anzuordnen. Mit Beschluss vom 30.12.2009 hat das AG antragsgemäß entschieden. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Ablehnung der beantragten Nachtragsverteilung.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 7, 204 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. Art. 103 f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 574 Abs. 2, 575 ZPO). Sie ist jedoch unbegründet. Wie die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, kann auch nach Aufhebung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens eine Nachtragsverteilung angeordnet werden, jedenfalls wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Schlusstermin stattgefunden hat (BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 Rz. 5 ff; v. 2.12.2010 - IX ZB 184/09, ZIP 2011, 135 Rz. 5).
Rz. 6
Die von der Rechtsbeschwerde gegen die angeordnete Nachtragsverteilung erhobenen Rügen greifen nicht durch:
Rz. 7
1. In dem amtsgerichtlichen Beschluss ist der Tag seines Erlasses angegeben, nicht aber die Stunde der Anordnung. Es mag zweckmäßig sein, im Hinblick auf die Beschlagnahmewirkung der Anordnung in dem Beschluss die Uhrzeit des Erlasses anzugeben (vgl. HmbKomm-InsO/Preß/Henningsmeier, 3. Aufl., § 203 Rz. 11; MünchKomm/InsO/Hintzen, 2. Aufl., § 203 Rz. 21). Zwingend vorgeschrieben ist dies in § 203 InsO, anders als in § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO, nicht. Deshalb ist die Rechtsmäßigkeit des Anordnungsbeschlusses nicht von der Angabe der Stunde der Anordnung abhängig. Gegebenenfalls kann § 27 Abs. 3 InsO analog angewandt werden.
Rz. 8
2. Zwar nennt der amtsgerichtliche Beschluss den Anfangstermin für die zu Unrecht abgeführten Beiträge im Tenor nicht. In der Begründung wird aber zutreffend auf den Zeitraum 1.5.2003 bis 29.11.2005 abgestellt, ebenso in der landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung.
Rz. 9
Gegenstand der Nachtragsverteilung ist der an den Schuldner für den angegebenen Zeitraum zurückerstattete Betrag. Dieser wird zwar im amtsgerichtlichen Beschluss nicht beziffert. Er ergibt sich aber aus dem in Bezug genommenen Antrag des Treuhänders und wird in der Beschwerdeentscheidung ausdrücklich angeführt. Die Anordnung der Nachtragsverteilung genügt jedenfalls in der Form der Beschwerdeentscheidung dem Bestimmtheitserfordernis.
Rz. 10
Allerdings ist dem LG (ebenso wie der Rechtsbeschwerde) ein Schreibfehler unterlaufen (13.674,81 EUR statt 13.074,81 EUR). Ein solcher Fehler kann gem. § 319 Abs. 1 ZPO auch vom Rechtsmittelgericht berichtigt werden (BGH, Beschl. v. 9.2.1989 - V ZB 25/88, BGHZ 106, 370, 373; Urt. v. 3.7.1996 - VIII ZR 221/95, BGHZ 133, 184, 191; Urt. v. 8.12.2011 - IX ZR 33/11, z.V.b. Rz. 52). Zur Klarstellung hat deshalb der Senat den Ausspruch der Anordnung für die Nachtragsverteilung neu gefasst und präzisiert.
Rz. 11
3. Der Beitragserstattungsanspruch des Schuldners gehörte sowohl für die Beitragszahlungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 35 Abs. 1 Fall 1 InsO) als auch für die Beitragszahlungen während des Laufs des Insolvenzverfahrens (§ 35 Abs. 1 Fall 2 InsO) zur Masse. Ob die Zahlungen in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar gewesen wären, ist unerheblich, weil dies am Rückerstattungsanspruch des Schuldners nichts ändert.
Rz. 12
4. Die geleisteten Beträge waren nicht gem. § 36 Abs. 1 InsO i.V.m. § 850e Nr. 1 ZPO pfändungsfrei, denn eine gesetzliche Beitragspflicht zur Rentenversicherung wurde nicht erfüllt. Sie bestand unstreitig nicht.
Rz. 13
5. Das Insolvenzgericht hat zwar mit Beschluss vom 8.8.2008 dem Schuldner in der Wohlverhaltensperiode gem. § 850 f ZPO von den pfändbaren Bezügen einen monatlichen Betrag von 250 EUR für den Aufbau einer privaten Altersversicherung zusätzlich belassen. Ob dies gerechtfertigt war, kann dahinstehen. Rückwirkungen auf das zuvor durchgeführte und aufgehobene Insolvenzverfahren und die Massezugehörigkeit von Gegenständen hatte diese Entscheidung jedenfalls nicht, weil ein derartiger Beschluss einen Antrag voraussetzt und für die Zukunft wirkt.
Rz. 14
6. Aus § 851c Abs. 2 ZPO ergab sich kein Pfändungsschutz. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich der Pfändungsschutz nur auf das Deckungskapital und die nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erbringenden Leistungen, nicht jedoch auf die zur Einzahlung erforderlichen Mittel (BGH, Beschl. v. 12.5.2011 - IX ZB 181/10, ZIP 2011, 1235 Rz. 6 ff.).
Rz. 15
7. Die Anordnung der Nachtragsverteilung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Schuldner den nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens als Massegegenstand ermittelten Erstattungsanspruch realisiert und die Zahlung des Rentenversicherungsträgers entgegengenommen hat.
Rz. 16
Mit der vorbehaltlosen Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 29.11.2005 war allerdings der Insolvenzbeschlag erloschen. Eine Nachtragsverteilung war nicht vorbehalten worden. Ein erneuter Insolvenzbeschlag trat erst mit der Anordnung der Nachtragsverteilung hinsichtlich des zu verteilenden (Teil-)Betrages ein (MünchKomm/InsO/Hintzen, a.a.O., § 203 Rz. 21).
Rz. 17
Wird ein Gegenstand der Insolvenzmasse nachträglich ermittelt, kann allerdings die Nachtragsverteilung hinsichtlich dieses Gegenstandes nicht mehr angeordnet werden, wenn über ihn vom Schuldner in beschlagfreier Zeit so verfügt worden ist, dass der durch die Anordnung der Nachtragsverteilung erneut bestellte Treuhänder (Verwalter) den Rechtserwerb nicht mehr verhindern kann (BGH, Beschl. v. 6.12.2007 - IX ZB 229/06, ZIP 2008, 322 Rz. 8 ff.).
Rz. 18
8. Hier ist jedoch nicht die Nachtragsverteilung hinsichtlich des Erstattungsanspruches angeordnet worden, sondern hinsichtlich des an den Schuldner bereits erstatteten (anteiligen) Betrages. Ob der ausgezahlte Betrag für Zwecke der Nachtragsverteilung an die Stelle des Anspruchs auf Auszahlung tritt, also seinerseits der Nachtragsverteilung unterliegt, ist streitig aber zu bejahen.
Rz. 19
a) Nach einer Meinung kann auf den vom Schuldner erlangten Gegenwert nicht zurückgegriffen werden, denn das Surrogat unterliege nicht der Nachtragsverteilung. Eine dingliche Surrogation finde nur in den wenigen gesetzlich angeordneten Ausnahmefällen statt, z.B. nach §§ 718 Abs. 2, 1048 Abs. 1 Satz 2, 2111 Abs. 2 BGB (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 203 Rz. 12; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2011, § 203 Rz. 14; FK-InsO/Kießner, 6. Aufl., § 203 Rz. 19; BK-InsO/Breutigam, § 203 Rz. 15; vgl. auch Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 166 KO Anm. 1c).
Rz. 20
Nach anderer Auffassung ist in solchen Fällen von einer dinglichen Surrogation auszugehen. Hinsichtlich des Surrogats könne Nachtragsverteilung angeordnet werden (Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rz. 7.68 unter Bezugnahme auf Rz. 9.28).
Rz. 21
b) Die zuletzt genannte Auffassung ist im Ergebnis zutreffend. Auf die Frage, ob eine dingliche Surrogation vorliegt, kommt es allerdings nicht an.
Rz. 22
§ 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat den Zweck, nachträglich ermittelte Massegegenstände zugunsten der Insolvenzgläubiger zu verwerten. Die Vorschrift ist weit auszulegen. Erfasst werden nicht nur Gegenstände, deren Existenz oder Aufenthaltsort dem Verwalter (Treuhänder) unbekannt geblieben ist, etwa weil sie ihm verheimlicht worden sind. Die Vorschrift erfasst vielmehr auch Gegenstände, die der Verwalter zunächst nicht für verwertbar hielt, für bereits veräußert ansah oder als wertlos betrachtete. Auch wenn der Verwalter schon vor dem Schlusstermin Kenntnis von dem Gegenstand hatte, steht dies einer Nachtragsverteilung nicht entgegen. Ob die Bewertung des Verwalters (Treuhänders) auf einer vorwerfbaren Fehleinschätzung beruhte, ist unerheblich (BGH, Beschl. v. 1.12.2005 - IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 Rz. 6 f.;) v. 6.12.2007 - IX ZB 229/06, ZIP 2008, 322 Rz. 6).
Rz. 23
Zur Masse gehörende, vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht verwertbare Gegenstände sind gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Nachtragsverteilung zuzuführen, selbst wenn die Verwertung aufgrund einer Nachlässigkeit des Verwalters unterblieben ist (BGH, Beschl. v. 6.12.2007, a.a.O., Rz. 6). Ist ein solcher Gegenstand zwischenzeitlich aus dem Vermögen des Schuldners durch dessen wirksame Verfügung ausgeschieden, kann auf ihn zwar nicht mehr zugegriffen werden (BGH, Beschl. v. 6.12.2007, a.a.O., Rz. 8 ff.). Der Zweck des § 203 Abs. 1 Nr. 3 InsO steht jedoch der Annahme entgegen, in einem solchen Fall könne auch nicht auf die in das Vermögen des Schuldners geflossene Gegenleistung zugegriffen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass das in der Masse vorhanden gewesene Vermögen der Verteilung zugeführt werden soll (vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2010 - IX ZB 184/09, ZIP 2011, 135 Rz. 10 a.E.). Die Annahme, dass in Fällen der vorliegenden Art oder etwa im Falle eines während des Insolvenzverfahrens erworbenen Pflichtteilsanspruchs (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 2.12.2010, a.a.O.) die Verwertbarkeit des Anspruchs zugunsten der Gläubiger davon abhängen soll, dass der Schuldner die Forderung noch nicht eingezogen hat, wäre mit der gesetzlichen Wertung des § 203 Abs. 1 InsO unvereinbar. Andernfalls könnte in derartigen Fällen die Nachtragsverteilung leicht vereitelt werden und hinge von reinen Zufälligkeiten ab.
Rz. 24
Ob und in welchem Umfang eine Ausnahme in Fällen zu machen ist, in denen der Schuldner die Gegenleistung verbraucht hat in der Annahme, darüber unbeschränkt verfügen zu können, kann dahinstehen (vgl. den Rechtsgedanken der §§ 818 Abs. 3, 819 BGB). Vorliegend war dem Schuldner lange vor der Auszahlung bekannt, dass der Treuhänder eine Nachtragsverteilung beabsichtigte. Er hat die Ermittlung des Auszahlungsanspruchs durch den Treuhänder durch Auskunftsverweigerung über die Identität des Rentenversicherungsträgers vor der Auszahlung gezielt verhindert. Dies kann nicht die Unverwertbarkeit des Erlöses für die in die Masse gefallene Forderung zur Folge haben.
Fundstellen