Entscheidungsstichwort (Thema)
Titulierungsinteresse bei regelmäßiger freiwilliger Zahlung des vollen Unterhalts
Leitsatz (amtlich)
a) Der Unterhaltsgläubiger hat grundsätzlich auch dann ein Rechtsschutzinteresse an – voller – Titulierung seines Unterhaltsanspruchs, wenn der Schuldner den Unterhalt bisher regelmäßig und rechtzeitig gezahlt hat.
b) Wird dem Unterhaltsbegehren auch für zurückliegende Zeiträume stattgegeben, dann müssen bereits freiwillig geleistete Unterhaltszahlungen des Schuldners im Urteilsausspruch berücksichtigt werden.
Normenkette
BGB § 1601 ff.; ZPO § 258; BGB § 1601
Verfahrensgang
OLG Dresden (Urteil vom 17.09.1997) |
AG Chemnitz |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Dresden vom 17. September 1997 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Durch Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Chemnitz vom 14. Mai 1997 wurde der Beklagte – unter Klageabweisung im übrigen – zu Unterhaltszahlungen für seine minderjährigen ehelichen Kinder zu Händen der sorgeberechtigten Mutter verurteilt und zwar,
für den Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis 31. Januar 1997
- an die Klägerin zu 1. in Höhe von monatlich 264 DM und
- an den Kläger zu 2. in Höhe von monatlich 183,81 DM sowie
ab Februar 1997
- an die Klägerin zu 1. in Höhe von monatlich 365 DM und
- an den Kläger zu 2. in Höhe von monatlich 255 DM.
Nach dem Tatbestand des Urteils zahlte der Beklagte seit September 1995 für die beiden Kinder monatlichen Unterhalt in Höhe von zusammen 445 DM. In den Entscheidungsgründen führte das Amtsgericht hierzu aus: Obwohl der Beklagte derzeit Unterhaltsleistungen von monatlich 445 DM erbringe, sei das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage zu bejahen. Denn es bestehe bisher kein vollstreckbarer Titel. Außerdem erfolgten die monatlichen Unterhaltsleistungen des Beklagten unbestimmt. Der genaue, einem jeden der beiden Kläger zufließende Unterhaltsbetrag lasse sich aus der pauschalen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 445 DM nicht bestimmen.
Mit der Berufung beantragte der Beklagte
das amtsgerichtliche Urteil unter Ziff. 1 a und Ziff. 1 b aufzuheben und die Klage abzuweisen,
sowie
- das Urteil unter Ziff. 2 b dahin abzuändern, daß an den Kläger zu 2. ab Februar 1997 nur monatlich 222 DM Unterhalt zu zahlen seien.
Das Oberlandesgericht verwarf die Berufung als unzulässig, da der Beschwerdewert des § 511 a ZPO nicht erreicht sei. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Berufungssumme ist entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts erreicht, § 511 a ZPO.
1. Das Berufungsgericht hat zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. September 1997 niedergelegt, die Parteien seien „mit dem Senat der Auffassung, daß das angefochtene Urteil, richtig verstanden, für die Zeit vom 1.10.1996 bis 31.1.1997 monatlich insgesamt für beide Kinder 2,81 DM dem Beklagten zur Zahlung auferlegt”. Gestützt hierauf hat das Gericht die Beschwer des Beklagten in dem angefochtenen Urteil für den Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Januar 1997 mit 11,24 DM (4 × 2,81 DM) angenommen, da das amtsgerichtliche Urteil dahin zu verstehen sei, daß es über die unstreitig gezahlten Summen hinaus lediglich monatlich 2,81 DM für beide Kinder ausurteile. Im übrigen hat das Oberlandesgericht ausgeführt: Hinsichtlich des Zeitraums ab Februar 1997 sei das Urteil wegen eines Monatsbetrages von 33 DM für den Sohn Erik angefochten. Insoweit ergebe sich gemäß § 9 ZPO eine Beschwer in Höhe von 1.386 DM. Beides zusammen erreiche nicht die Erwachsenheitssumme.
2. Gegen die vorstehenden Ausführungen bezüglich des Zeitraums von Oktober 1996 bis einschließlich Januar 1997 erhebt die Revision zu Recht Bedenken.
Das amtsgerichtliche Urteil beschwert den Beklagten mit der Verurteilung gemäß dem Tenor unter 1 a und 1 b entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht nur in Höhe von monatlich 2,81 DM, sondern in Höhe von monatlich zusammen 447,81 DM (264 DM für Janine und 183,81 DM für Erik). In dieser Höhe ist der Beklagte durch das Familiengericht zur Unterhaltszahlung an die Kläger verurteilt worden, ohne daß dem Tenor eine Beschränkung in Form eines Hinweises auf bereits erbrachte Teilzahlungen oder ein Hinweis auf eine entsprechende Anrechnung schon geleisteter Beträge zu entnehmen ist (vgl. hierzu Senatsurteil vom 8. Februar 1984 – IVb ZR 54/82 = FamRZ 1984, 561, 563 unter 3. c). Da der Urteilsausspruch des Familiengerichts für die Zeit von Oktober 1996 bis Januar 1997 hiernach eindeutig monatliche Zahlungen von jeweils – zusammen – 447,81 DM zum Gegenstand hat, kann er entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder anders „verstanden” noch anders ausgelegt werden. Auch ein mit der Vollstreckung aus dem Urteil beauftragter Gerichtsvollzieher (§§ 754, 724 ZPO) müßte die Vollstreckung in Höhe von monatlich insgesamt 447,81 DM durchführen und hätte keinen Anlaß, sie auf monatlich je 2,81 DM zu beschränken. Das gilt abgesehen von der insoweit unmißverständlichen Fassung des Tenors auch deshalb, weil das Amtsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich das Rechtsschutzinteresse der Kläger für das volle Klagebegehren bejaht hat.
Das Amtsgericht konnte sich hierbei auf die inzwischen herrschende – auch vom Senat geteilte – Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung beziehen, nach der das Rechtsschutzinteresse für eine Unterhaltsklage grundsätzlich auch dann zu bejahen ist, wenn der Verpflichtete den Unterhalt regelmäßig, pünktlich und in vollem Umfang bezahlt, zumal der Schuldner die freiwilligen Zahlungen jederzeit einstellen kann und der Gläubiger für diesen Fall einen Titel über den vollen Unterhalt benötigt (vgl. etwa van Els in Göppinger/Wax Unterhaltsrecht 6. Aufl. Rdn. 2036; BGB-RGRK/Mutschler 12. Aufl. vor § 1601 Rdn. 33; Soergel-Häberle BGB 12. Aufl. vor § 1601 Rdn. 12; auch MünchKomm/Köhler BGB 3. Aufl. § 1602 Rdn. 46; Zöller/Herget ZPO 20. Aufl. § 9 Rdn. 5; OLG Karlsruhe FamRZ 1979, 630 und FamRZ 1991, 468; OLG München FamRZ 1990, 778; OLG Düsseldorf FamRZ 1991, 1207; OLG Hamm FamRZ 1992, 831).
Das Amtsgericht hat allerdings übersehen, daß sich die genannte Auffassung auf das Rechtsschutzinteresse einer Unterhaltsklage für die Zukunft bezieht, während die Verurteilung für die Zeit von Oktober 1996 bis Januar 1997 im vorliegenden Fall bei Erlaß des amtsgerichtlichen Urteils am 14. Mai 1997 einen bereits in der Vergangenheit liegenden Zeitraum betraf. In diesem Fall mußten bereits freiwillig geleistete Unterhaltszahlungen bei der Fassung des Urteilstenors berücksichtigt werden, da der Beklagte die ausgeurteilten Beträge nur einmal schuldete (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 1984 aaO; Wendl/Thalmann, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 4. Aufl.; § 8 Rdn. 182).
Der damit in dem Urteil des Familiengerichts enthaltene Rechtsfehler war im Berufungsverfahren zu korrigieren. Mit einer Vollstreckungsgegenklage konnte der Beklagte die Berücksichtigung seiner bereits geleisteten Unterhaltszahlungen im Hinblick auf § 767 Abs. 2 ZPO nicht erreichen, so daß er insoweit auf das Erkenntnisverfahren angewiesen war.
Da schon das Begehren des Beklagten, die in der Verurteilung für die vier Monate von Oktober 1996 bis einschließlich Januar 1997 liegende Beschwer von jeweils 447,81 DM zu beseitigen, mit (4 × 447,81 DM =) 1.791,24 DM die Berufungssumme des § 511 a ZPO erreicht, bestehen gegen die Zulässigkeit der Berufung unabhängig von dem Wert des weiteren Berufungsantrags zu 2 keine rechtlichen Bedenken.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Gerber
Fundstellen
Haufe-Index 1130431 |
NJW 1998, 3116 |
FamRZ 1998, 1165 |
FuR 1998, 418 |
NJWE-FER 1998, 259 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1998, 1167 |
NJ 1998, 541 |
ZfJ 1999, 33 |
Kind-Prax 1998, 194 |