Leitsatz (amtlich)
Übernimmt jemand eine Bürgschaft, nachdem er es abgelehnt hat, zur Absicherung der Forderung eine Grundschuld an seinem Grundstück als seinem einzigen nennenswerten Vermögensgegenstand zu bestellen, so ist der Gläubiger, wenn für ihn erkennbar der Bürge nicht weiß, daß die Bürgschaft im wirtschaftlichen Ergebnis den Zugriff auf das Grundstück ebenso ermöglicht wie eine dingliche Belastung, verpflichtet, ihn hierauf hinzuweisen.
Normenkette
BGB §§ 276, 765 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Aktenzeichen 5 U 2325/97) |
LG Weiden i.d.OPf. (Aktenzeichen 2 O 644/96) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. Februar 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 8. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Bank gewährte dem Sohn der Beklagten und dessen Ehefrau aufgrund eines Vertrages vom 21. Juni 1993 einen Kredit von 150.000 DM. Als Verwendungszweck war angegeben: „Umschuldung für Geschäft”. Den umzuschuldenden Kredit hatte die Klägerin am 2. Juni 1993 gekündigt. Im Kreditvertrag vom 21. Juni 1993 war als Sicherheit neben der Sicherungsübereignung eines PKW, der Abtretung der Ansprüche aus einem Bausparvertrag sowie der Lohnansprüche sowohl des Sohnes der Beklagten als auch seiner Ehefrau eine Bürgschaft der Beklagten über 100.000 DM vorgesehen. Eine solche Bürgschaft (zuzüglich Zinsen und Kosten) übernahm die Beklagte am 1. Juli 1993. Mit Schreiben vom 28. Juli 1995 erklärte die Klägerin den Hauptschuldnern, wegen nicht ausreichender Kreditrückführung trete „die Kreditkündigung vom 02.06.1993 wieder in Kraft”.
Die Klägerin nimmt mit der Behauptung, der Schuldsaldo aus dem Umschuldungskredit betrage 136.215,61 DM, die Beklagte als Bürgin auf Zahlung von 100.000 DM nebst Zinsen in Anspruch. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht ist stillschweigend von einer noch mindestens im Umfang des Bürgschaftshöchstbetrages bestehenden Restschuld aus dem Kredit vom 21. Juni 1993 ausgegangen. Die Revision beanstandet das unter Hinweis darauf, daß die Beklagte in einem erstinstanzlichen Schriftsatz den von der Klägerin behaupteten Schuldsaldo bestritten habe. Diese Rüge muß schon deswegen ohne Erfolg bleiben, weil die Beklagte mit ihrer Berufung das Urteil des Landgerichts, in dem ohne nähere Erörterung eine die Bürgschaftssumme erreichende restliche Kreditschuld zugrunde gelegt worden ist, in diesem Punkt nicht angegriffen hat. In der gesamten Berufungsinstanz ist die Höhe der Kreditschuld nicht angesprochen worden. Unter diesen Umständen bestand für das Berufungsgericht trotz der am Schluß der schriftlichen Berufungsbegründung enthaltenen allgemeinen Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen kein Anlaß, sich mit der Frage, in welcher Höhe der verbürgte Kredit noch offenstand, zu befassen.
II.
Das Berufungsgericht hat gemeint, der Vortrag der Beklagten reiche nicht aus, die von ihr übernommene Bürgschaft als sittenwidrig anzusehen. Ob das richtig ist, kann offenbleiben. Nach dem Sachverhalt, der der Revisionsentscheidung zugrunde zu legen ist, steht der Beklagten ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß zu, der ihre Verpflichtung aus der Bürgschaftserklärung entfallen läßt.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe seinerzeit zum Ausdruck gebracht, daß sie keinesfalls bereit sei, ihr Hausgrundstück zur Begleichung der Schulden ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter zur Verfügung zu stellen; das sei der Klägerin jedenfalls bekannt gewesen. Das Berufungsgericht hat zwar diesen Vortrag auf der Grundlage der Aussage des in erster Instanz als Zeugen vernommenen Sachbearbeiters der Klägerin, E., als nicht bewiesen angesehen. Das beruht aber, wie die Revision zu Recht rügt, auf Verfahrensfehlern. Die Beklagte hat vorgetragen, ihr Sohn habe dem Sachbearbeiter der Klägerin wiederholt gesagt, daß sie den Zugriff auf ihr Haus nicht wünsche; hierzu hat sie den Sohn als Zeugen benannt. Diesen Beweis hat das Berufungsgericht bisher nicht erhoben. Es hat außerdem in seine Beweiswürdigung den Umstand nicht miteinbezogen, daß die Beklagte, wie der schriftliche Bürgschaftsvertrag erkennen läßt, nicht bereit war, die in erster Linie als Sicherheit geforderte Grundschuld von 80.000 DM eintragen zu lassen. Wenn die Beklagte schließlich statt dessen eine Bürgschaft in Höhe von 100.000 DM übernahm, so lag es für die Klägerin nahe, daß das auf mangelnder Erfahrung und Unkenntnis der rechtlichen Zusammenhänge beruhte. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die Darlegungen des Zeugen E. festgestellt, daß im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse der Beklagten eine Bürgschaft „ohne das Grundstück als Haftungsgegenstand” für die Klägerin „annähernd wertlos” gewesen wäre. Daß dies tatsächlich so war, hat der Zeuge E. bestätigt; es liegt nach den Einkommensverhältnissen der Beklagten auch auf der Hand. Die damaligen monatlichen Einkünfte der Beklagten – sie ist Witwe und im Jahre 1925 geboren – bestanden aus zwei Renten von zusammen 887,44 DM und Mieteinnahmen von 400 DM aus dem Haus, in dem sie auch selbst wohnte. Das Berufungsgericht hat zwar – auch insoweit dem Zeugen E. folgend – den Umstand, daß die Bürgschaft ohne die Möglichkeit des Zugriffs auf das Grundstück nichts wert war, als Indiz dafür gewertet, daß die Darstellung der Beklagten nicht stimmen könne, weil sich dann die Klägerin mit der Bürgschaft nicht zufrieden gegeben hätte. Diese Erwägung räumt jedoch die Möglichkeit nicht aus, daß die Beklagte sich nicht darüber im Klaren war, daß die Bürgschaft ihre Haftung mit dem Grundstück letztlich ebenso bewirkte wie eine Grundschuldbestellung, ohne daß dies in der Bürgschaftsurkunde zum Ausdruck kam. Für die Revisionsprüfung ist nach alledem davon auszugehen, daß die Beklagte die Auswirkung der Bürgschaft auf die Haftung mit dem Grundstück nicht erkannt hat.
Auf dieser tatsächlichen Grundlage war die Klägerin verpflichtet, die Beklagte darüber aufzuklären, daß die Übernahme der Bürgschaft im wirtschaftlichen Ergebnis den Zugriff auf das Grundstück ebenso ermöglichte wie die Bestellung einer Grundschuld. Dieser Hinweispflicht ist sie schuldhaft nicht nachgekommen; für sie war die Aufklärungsbedürftigkeit der Beklagten nach dem revisionsrechtlich zu Grunde zu legenden Sachverhalt erkennbar. Da die Beklagte nach ihrem Vorbringen eine Haftung mit dem Grundstück ablehnte, ist ferner davon auszugehen, daß sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Bürgschaftsverpflichtung nicht eingegangen wäre. Der sich daraus ergebende Schadensersatzanspruch der Beklagten führt dazu, daß sie aus der Bürgschaft nicht in Anspruch genommen werden kann.
III.
Das Berufungsurteil kann danach mit der bisherigen Begründung nicht bestehenbleiben; es ist aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen; dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch. Das Berufungsgericht wird zunächst die nach den Ausführungen unter II erforderlichen tatsächlichen Feststellungen unter umfassender Würdigung der konkreten Umstände zu treffen haben. Wenn sich dabei das Vorbringen der Beklagten zur Frage der Haftung mit dem Hausgrundstück nicht als zutreffend erweisen sollte, müßte geprüft werden, ob eine Aufklärungspflichtverletzung der Klägerin unter folgenden Gesichtspunkten in Betracht kommt:
Das Risiko, das durch die Bürgschaft abgesichert werden sollte, hatte sich bereits verwirklicht; denn der ursprünglich den Hauptschuldnern gewährte Kredit war, soweit sich das dem Prozeßstoff entnehmen läßt, deswegen gekündigt worden, weil er notleidend geworden war. Für die Beklagte konnte die nachträgliche Übernahme einer Bürgschaft nur dann einen Sinn haben, wenn dadurch ihrem Sohn und dessen Ehefrau wirklich „geholfen” wurde. Nach dem Vortrag der Klägerin wollte die Beklagte ihrem Sohn die Inanspruchnahme „eines weiteren Kredites bei der Klägerin zur Führung seines Geschäfts ermöglichen”. Dies setzte voraus, daß den Schuldnern neue Geldmittel zur Verfügung gestellt wurden. Die Klägerin ermöglichte ihnen jedoch lediglich eine Umschuldung. Das Berufungsgericht hat dazu bemerkt, der Beklagten sei dies bekannt gewesen; das ergebe sich „insbesondere” aus der Zeugenaussage der Schwiegertochter der Beklagten. Auf welcher Grundlage diese Ausführungen beruhen, läßt sich indessen nicht erkennen. Das Protokoll über die Vernehmung der Zeugin enthält darüber nichts. Es sind ferner keine sicheren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß mit der Bürgschaft eine sonst drohende Zwangsvollstreckung gegen die Hauptschuldner hätte abgewendet werden sollen. Es deutet vielmehr einiges darauf hin, daß die Klägerin ihre Rückzahlungsforderung ohnehin nicht hätte verwirklichen können. Das Berufungsgericht hat zwar Anhaltspunkte dafür vermißt, daß für die Klägerin ein „Scheitern der wirtschaftlichen Bemühungen der Hauptschuldner” – worum es sich dabei handelte, ist nicht festgestellt – von vornherein erkennbar gewesen wäre; gegen eine solche Annahme spreche schon der Umstand, daß „die Darlehensverpflichtung ca. 2 Jahre bedient worden” sei. Diese „Bedienung” bestand aber nach der Zeugenaussage des Sachbearbeiters der Klägerin darin, daß „die Darlehensraten vom Girokonto aus bezahlt wurden, ohne daß entsprechende Beträge wieder auf das Girokonto flossen”. Schließlich soll, wie der Zeuge E. ausgesagt hat, für die Bürgschaftsübernahme durch die Beklagte, die erst nach einigem Zögern die Bürgschaftserklärung unterzeichnete, ausschlaggebend gewesen sein, „daß damit dem Sohn günstigere Zinsen zugebilligt werden konnten”. Es fehlt indessen eine Feststellung dazu, wie groß dieser Zinsvorteil war und ob der Beklagten darüber etwas gesagt worden ist.
Sollte sich bei einer erneuten tatrichterlichen Würdigung ergeben, daß die Beklagte – für die Klägerin erkennbar – von dem unter Umständen beschränkten Umfang des Interesses der Hauptschuldner an der Absicherung des Umschuldungskredits keine Vorstellung hatte, dann wäre die Klägerin aufgrund ihres Informationsvorsprungs verpflichtet gewesen, die Beklagte auch in diesem Zusammenhang über die für ihre Entschließung maßgeblichen Umstände aufzuklären.
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 01.07.1999 durch Preuß Justizangestelle als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1999, 1895 |
DB 1999, 1801 |
DStR 1999, 2082 |
NJW 1999, 2814 |
EBE/BGH 1999, 250 |
EWiR 2000, 321 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1614 |
WuB 2000, 11 |
ZAP 1999, 859 |
ZIP 1999, 1345 |
MDR 1999, 1338 |
VuR 1999, 357 |
RdW 1999, 593 |
ZBB 1999, 309 |