Leitsatz (amtlich)
Der für Personenhandelsgesellschaften entwickelte Grundsatz, daß eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, daß die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag auch mit Wirkung für die Zukunft abgeändert haben, wenn sie vorbehalt- und widerspruchslos eine von dem Gesellschaftsvertrag abweichende Praxis längere Zeit hingenommen haben, läßt sich auf eine Publikumsgesellschaft nicht übertragen. Wird der schriftlich vorliegende Gesellschaftsvertrag nicht abgeändert, so liegt ein gewichtiges Indiz dafür vor, daß sich die Gesellschafter für die Zukunft nicht binden, sondern den Vertrag nur im konkreten Einzelfall „durchbrechen” wollten.
Normenkette
HGB § 230; BGB § 705
Verfahrensgang
LG Düsseldorf |
OLG Düsseldorf |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. März 1989 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, soweit darüber nicht schon befunden ist, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger haben sich neben einer Reihe weiterer Mitgesellschafter in der Form einer atypischen stillen Gesellschaft an dem Unternehmen der Beklagten, einer GmbH, beteiligt. Gegenstand des Unternehmens der Beklagten ist deren Beteiligung als Kommanditistin an der Partnership „P. …”, die in New York das 1981 eröffnete „P. Hotel” betreibt. Die stillen Gesellschafter bilden untereinander eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Zweck die gemeinsame Wahrnehmung der Rechte aus dem Gesellschaftsvertrag gegenüber der Beklagten ist. Die Beklagte hat gemäß § 10 Nr. 1 und 2 des Gesellschaftsvertrages mindestens einmal jährlich eine Gesellschafterversammlung einzuberufen; die Einladungsfrist beträgt 14 Tage. Eine außerordentliche Gesellschafterversammlung kann auch von dem Beirat, der aus drei aus der Mitte der stillen Gesellschafter gewählten Mitgliedern besteht, unmittelbar einberufen werden. Gemäß § 8 des Gesellschaftsvertrages führt die Beklagte die Geschäfte der stillen Gesellschafter allein und in eigener Verantwortung, soweit über die Verwaltung und Verwendung der aus der Beteiligung fließenden Erträge nicht die Gesellschafterversammlung zu beschließen hat. Nach § 14 des Gesellschaftsvertrages können Entnahmen nach Erstellung der Bilanz auf der Grundlage der Ergebnisverteilung der Kommanditgesellschaft (Partnership) durch Beschluß der Gesellschafterversammlung getätigt werden; Entnahmen aufgrund von Ausschüttungen auf die Kommanditbeteiligung können auch dann getätigt werden, wenn die stillen Einlagen durch Verlust unter den Betrag der Einlage vermindert sind, d. h. ein negatives Kapitalkonto ausgewiesen ist. Gemäß § 16 des Gesellschaftsvertrages ist der Jahresabschluß der stillen Gesellschaft von der Beklagten spätestens sechs Monate nach Abschluß des Geschäftsjahres der Kommanditgesellschaft aufzustellen und der Gesellschafterversammlung zur Beschlußfassung vorzulegen. Das Geschäftsjahr der Kommanditgesellschaft läuft vom 1. Juli eines jeden Jahres bis zum 30. Juni des darauffolgenden Jahres.
Die Kläger nehmen die Beklagte auf Ausschüttung bestimmter Beträge in Anspruch und berufen sich auf die in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 18. Februar 1987 gefaßten Beschlüsse, für das Geschäftsjahr 1985/86 eine Ausschüttung in Höhe von 12 Prozent und für das Geschäftsjahr 1986/87 eine Vorabausschüttung von sechs Prozent vorzunehmen. Diese Beschlüsse wurden in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 17. Oktober 1987 und in der ordentlichen Gesellschafterversammlung am 9. Dezember 1987 bestätigt. Die Beklagte hält sämtliche Beschlüsse für unwirksam. Das Landgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hält die in den außerordentlichen Gesellschafterversammlungen vom 18. Februar und 17. Oktober 1987 gefaßten Beschlüsse aus formellen Gründen für unwirksam. Es geht davon aus, daß der in der ordentlichen Gesellschafterversammlung am 9. Dezember 1987 bestätigte Beschluß über die Vorabausschüttung für das Geschäftsjahr 1986/87 unwirksam sei, weil die nach § 14 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrages erforderliche Bilanz für 1986/87 noch nicht vorgelegen habe. Den in dieser Gesellschafterversammlung bestätigten Ausschüttungsbeschluß für das Geschäftsjahr 1985/86 hält das Berufungsgericht für unwirksam, weil die Beklagte berechtigt sei, die Ausschüttungen der „P.” nicht an die stillen Gesellschafter weiterzuleiten. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.
1. Dabei kann es auf sich beruhen, ob den Ausführungen des Berufungsgerichts zur formellen Unwirksamkeit der in den außerordentlichen Gesellschafterversammlungen vom 18. Februar und 17. Oktober 1987 gefaßten Beschlüsse gefolgt werden könnte, da die Klage schon dann begründet ist, wenn die in der ordentlichen Gesellschafterversammlung vom 9. Dezember 1987 getroffene Bestätigung dieser Beschlüsse wirksam zustandegekommen ist.
2. Soweit es um das Geschäftsjahr 1986/87 geht, haben die Kläger vorgetragen, auch wenn insoweit noch keine Bilanz vorgelegen habe, sei der Beschluß wirksam, weil die ständige Praxis der Beklagten in der Weitergabe von Vorabausschüttungen der „P.” an die stillen Gesellschafter auch ohne Vorliegen einer Bilanz bestanden und die Beklagte, auch wenn noch keine Bilanz erstellt war, Entnahmebeschlüssen der Gesellschafter nicht widersprochen habe. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, der Beschluß sei verfrüht gefaßt worden, da eine Bilanz für das Geschäftsjahr 1986/87 noch nicht vorgelegen habe und auch nicht vorzuliegen brauchte. Eine stillschweigende Änderung des Gesellschaftsvertrages scheide aus, weil der Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft nur geändert werden könne, wenn dieser Vertrag Regelungen über seine Änderung enthalte; solche Bestimmungen fehlten im vorliegenden Fall. Dem kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
Der Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft kann wie der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft, die dem gesetzlichen Leitbild entspricht, auch dann geändert werden, wenn er keine Regelungen über seine Änderung enthält. In diesem Fall bedarf die Vertragsänderung allerdings grundsätzlich (vgl. BGHZ 76, 160, 165) der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter. Diese läßt sich bei einem großen Kreis von Gesellschaftern, wie er für eine Publikumsgesellschaft typisch ist, allerdings kaum erreichen (vgl. BGHZ 71, 53, 58). Wird sie im Einzelfall dennoch erreicht, so steht der Umstand, daß die Publikumsgesellschaft in der Regel auf den Beitritt einer Vielzahl von Gesellschaftern angelegt ist, der Wirksamkeit der Vertragsänderung nicht entgegen. Damit der geänderte Gesellschaftsvertrag die Grundlage für den Beitritt weiterer Gesellschafter bilden kann, ist die Änderung aber in den schriftlich vorliegenden Gesellschaftsvertrag einzuarbeiten. Unterbleibt dies, so liegt ein gewichtiges Indiz dafür vor, daß die Gesellschafter sich nicht für die Zukunft, sondern nur im konkreten Einzelfall binden wollten (vgl. zu dieser Möglichkeit Sen. Urt. v. 7. Februar 1972 – II ZR 169/69, WM 1972, 311, 312). Eine solche „Vertragsdurchbrechung” im Einzelfall ist auch bei Publikumsgesellschaften möglich, weil sie später beitretende Gesellschafter nicht bindet.
Dagegen kommt bei Publikumsgesellschaften eine formlose Änderung des Gesellschaftsvertrages durch eine mehrjährige, vom Vertrag abweichende Übung nur in Ausnahmefällen in Betracht. Zwar besteht bei Personenhandelsgesellschaften, die dem gesetzlichen Leitbild entsprechen, eine tatsächliche Vermutung, daß die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag abgeändert haben, wenn sie vorbehalt- und widerspruchslos eine in einem bestimmten Punkt vom Gesellschaftsvertrag abweichende Praxis lange Zeit hingenommen haben (vgl. Sen. Urt. v. 17. Januar 1966 – II ZR 8/64, WM 1966, 159 = NJW 1966, 826). Dieser Grundsatz läßt sich jedoch auf eine Publikumsgesellschaft nicht übertragen. Wird der schriftlich vorliegende Gesellschaftsvertrag nicht an die mehrjährige abweichende Übung angepaßt, so besteht keine tatsächliche Vermutung dafür, daß der Gesellschaftsvertrag mit Wirkung für die Zukunft abgeändert werden sollte. Vielmehr liegt ein gewichtiges Indiz dafür vor, daß es sich um mehrfach erneuerte Entscheidungen im Einzelfall handelt.
3. Hinsichtlich des in der ordentlichen Gesellschafterversammlung am 9. Dezember 1987 bestätigten Ausschüttungsbeschlusses für das Geschäftsjahr 1985/86 hat das Berufungsgericht offengelassen, ob die entsprechende Bilanz aus allein von der Beklagten zu vertretenden Gründen nicht zum gesellschaftsvertraglich vereinbarten Zeitpunkt vorlag. Daß dies der Fall war, ist daher revisionsrechtlich zugunsten der Kläger zu unterstellen. Das Berufungsgericht hält den Ausschüttungsbeschluß für unwirksam, weil die Beklagte berechtigt sei, die Kapitalrückzahlung durch die „P.” nicht an die stillen Gesellschafter auszuschütten. Dem kann nicht gefolgt werden.
Die von dem Berufungsgericht festgestellte Ausschüttung der „P.” in Höhe von 695.000 US-Dollar beruht nach der Darstellung der Kläger darauf, daß nach dem Gesellschaftsvertrag Auszahlungen an die Partner auf der Basis von Netto-Kasseneingängen erfolgen. Maßgebend soll die Höhe der Kasseneingänge, gemindert um laufende Kosten, Erhaltungs- und Neuinvestitionen, Rückstellungen und Managementgebühren sein. Dagegen sollen bilanzielle Abschreibungen namentlich auf Gebäude den Ausschüttungsbetrag nicht mindern. Da das Berufungsgericht gegenteilige Feststellungen nicht getroffen hat, ist dies zugunsten der Kläger im Revisionsverfahren zu unterstellen. Demnach gehen die den Partnern der „P.” zustehenden Ausschüttungen auf einen Teil des Liquiditätsüberschusses und nicht bloß auf den Bilanzgewinn. Da gegenteilige Feststellungen fehlen, ist im Revisionsverfahren weiter zu unterstellen, daß eine solche gesellschaftsvertragliche Regelung nach amerikanischem Recht zulässig ist.
Allerdings hat diese Regelung zur Folge, daß dann, wenn der Liquiditätsüberschuß über dem Bilanzgewinn liegt, die Ausschüttung an die Beklagte im Verhältnis zur „P. …” dazu führt, daß deren Einlage teilweise zurückgewährt wird. Ob im Außenverhältnis zu Gläubigern der „P. …” die Ausschüttung zu Lasten des Kapitalkontos der Beklagten nach amerikanischem Recht zu einem Wiederaufleben der persönlichen Haftung der Beklagten führt, diese also schon deshalb nicht zur Weiterleitung an die Kläger verpflichtet ist, ist zwischen den Parteien umstritten. Da das Berufungsgericht diese Frage offengelassen hat, ist im Revisionsverfahren von dem unter Beweis gestellten Vortrag der Kläger auszugehen, daß dies nicht der Fall sei. Im Verhältnis der Beklagten zur „P.” besteht jedenfalls Einigkeit darüber, daß die Beklagte keine Verpflichtung zur Wiederauffüllung des Kapitalkontos hat.
Für die Frage, ob die Ausschüttungsbeträge, die über dem Bilanzgewinn liegen, an die Kläger weiterzuleiten sind, ist der Gesellschaftsvertrag entscheidend. Die These des Berufungsgerichts, daß die stillen Gesellschafter nach deutschem Gesellschaftsrecht vor Ablauf des Vertrages keinen Anspruch auf Rückgewähr der Einlagen haben, ist zwar richtig, hilft aber nicht weiter. Es geht nicht um die Rückgewähr der Einlagen, sondern darum, ob die stillen Gesellschafter ein Recht darauf haben, daß die Ausschüttungen der „P.” an sie weitergeleitet werden. Ein solches Recht ergibt sich aus § 14 des Gesellschaftsvertrages. Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen einer Publikumsgesellschaft erfolgt nach dem Grundsatz der objektiven, revisiblen Auslegung. Maßgeblich ist allein der schriftliche Gesellschaftsvertrag (vgl. Sen. Urt. v. 30. April 1979 – II ZR 57/78, WM 1979, 672). Die Beklagte hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Aufgabe, die Rechte aus dem Kommanditgesellschaftsvertrag mit der „P. …” wahrzunehmen. Insoweit führt sie die Geschäfte der stillen Gesellschafter allein und in eigener Verantwortung. Eine darüber hinausgehende Tätigkeit ist ihr ohne Zustimmung der stillen Gesellschafter untersagt (§ 8 des Gesellschaftsvertrages). Mit dieser vertraglichen Stellung der Beklagten wäre es unvereinbar, wenn sie aus der Ausschüttung der „P.” stammende Mittel zurückhalten könnte, obwohl ihr eine ihrer vertraglichen Aufgabe entsprechende Verwendung dieser Mittel nicht möglich ist. Es besteht vom Gesellschaftszweck aus gesehen kein sachlicher Grund, daß sie diese nicht benötigten Mittel auf einem Festgeldkonto einfriert und den stillen Gesellschaftern den Zugriff verwehrt. Deshalb ist der in § 14 des Gesellschaftsvertrages verwendete Begriff „Entnahme” so zu verstehen, daß damit auch Ausschüttungen erfaßt werden, die über dem Anteil der Beklagten am Bilanzgewinn der „P.” liegen. Diese Ausschüttungen hat die Beklagte an die stillen Gesellschafter weiterzuleiten, solange deren Einlage dadurch nicht unter den Nominalwert sinkt.
4. Damit die noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Boujong, Brandes, Dr. Hesselberger, Röhricht, Stodolkowitz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 05.02.1990 durch Spengler Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1990, 871 |
NJW 1990, 2684 |
Nachschlagewerk BGH |