Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfordernis der Urteilsunterschriften durch die ehrenamtlichen Richter in berufsgerichtlichen Verfahren gegen Steuerberater. Anforderungen an Ausschließung aus dem Beruf
Leitsatz (amtlich)
1. In berufsgerichtlichen Verfahren nach dem Steuerberatungsgesetz ist bei Urteilen die Unterschrift der ehrenamtlichen Richter nicht erforderlich.
2. Eine Ausschließung des Steuerberaters aus dem Beruf setzt eine Gefahr für die Rechtspflege voraus. Es genügt, daß aufgrund einer schweren Pflichtverletzung das für jede Rechtsberatung unabdingbare Vertrauen zwischen dem Berater und seinem Mandanten sowie die für eine sachgerechte Rechtsberatung notwendige innere Unabhängigkeit des Beraters beeinträchtigt ist.
Normenkette
StBerG § 90 Abs. 1 Nr. 4, § 102 Abs. 1, §§ 103, 153 Abs. 1; StPO § 275 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 03.09.1992; Aktenzeichen StO 1/9) |
LG Düsseldorf (Urteil vom 13.03.1992; Aktenzeichen 45 StL 38/90) |
Tatbestand
A.
I.
Der Steuerberater übernahm ab 1972 mit einer Ausnahmegenehmigung des Finanzministers Nordrhein-Westfalen die Geschäftsführung der Steuerberatungsgesellschaft Dr. G. und Dr. N. GmbH. 1975 wurde er als Rechtsanwalt beim Landgericht Duisburg zugelassen. Am 9. Mai 1975 legte er die Prüfung zum Steuerbevollmächtigten ab. Am selben Tag wurde er als Steuerbevollmächtigter bestellt. 1978 ließ er sich als Rechtsanwalt in Düsseldorf nieder, wo er am 14. Juni 1978 die Übergangsprüfung zum Steuerberater bestand und als solcher bestellt wurde.
Der Steuerberater ist durch Urteil des Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf vom 18. Dezember 1991 aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
II.
Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Landgericht Düsseldorf hat den Steuerberater durch Urteil vom 13. März 1992 wegen Berufspflichtverletzung aus dem Beruf ausgeschlossen. Die in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht mit Zustimmung des Vertreters der Generalstaatsanwaltschaft auf den Maßnahmenausspruch beschränkte Berufung des Steuerberaters gegen dieses Urteil hat der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Oberlandesgericht Düsseldorf durch Urteil vom 3. September 1992 als unbegründet verworfen. Der Entscheidung des Berufungsgerichts liegen folgende Feststellungen zugrunde.
1. Ab Ende 1979/Anfang 1980 veranlaßte der Steuerberater, teils zusammen mit einer anderen Steuerberaterin, die Mandanten M. und D., sich an zwei finanziell maroden Firmen zu beteiligen und Beteiligungen zum Zweck unberechtigter Verlustzuweisungen rückzudatieren. In gleicher Weise beteiligte sich auch der Steuerberater selbst an einer dieser Firmen und datierte die Beteiligung zurück. Deswegen ist er am 11. Dezember 1989 durch das Landgericht Düsseldorf (28 Js 13/85 StA Düsseldorf) wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung, Anstiftung zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen und Anstiftung zur versuchten Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 250 DM verurteilt worden.
2. In der Zeit zwischen dem 18. Februar 1988 und dem 26. September 1989 mußten gegen den Steuerberater wegen titulierter Forderungen gegen ihn und die von ihm als Geschäftsführer vertretene Steuerberatungsgesellschaft Dr. G. und Dr. N. GmbH Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden.
3. Der Steuerberater kam in mehreren Jahren – zuletzt im März 1990 – seinen eigenen steuerlichen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nach.
4. Als Geschäftsführer der Steuerberatungsgesellschaft Dr. G. und Dr. N. GmbH sorgte der Steuerberater erst mit erheblicher Verspätung für die ordnungsgemäße Vertretung der im Jahre 1988 von R. nach K. verlegten Niederlassung der GmbH durch einen Steuerberater. Die Sitzverlegung wurde am 13. Januar 1989 in das Handelsregister eingetragen. Erst im November 1990 wurde einem Steuerberater Prokura für diese Niederlassung erteilt.
5. Ende 1988/Anfang 1989 führte der Steuerberater für eine damalige Angestellte der GmbH vermögenswirksame Leistungen erst mit erheblicher Verspätung ab und erteilte ihr ebenfalls erst mit Verzögerung auf Klage der Angestellten ein Zeugnis.
6. Im März und April 1989 kam der Steuerberater seiner Verpflichtung zur Äußerung gegenüber der Steuerberaterkammer mehrfach nicht nach.
7. Im März 1986 ließ der Steuerberater in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt einen für seine Mandantin S. empfangenen Scheck von 550.000 DM nicht auftragsgemäß dem Konto der Mandantin, sondern dem der Steuerberatungsgesellschaft Dr. G. und Dr. N. GmbH gutschreiben und investierte das Geld in den Kauf einer Firmenbeteiligung und eines Hauses. Er wurde deshalb am 25. Oktober 1990 durch das Landgericht Düsseldorf (810 Js 1152/88 StA Düsseldorf) wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
III.
Das Urteil des Senats für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat der Steuerberater mit der Revision angefochten. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
B.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
I.
Einer Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs im ehrengerichtlichen Verfahren über den Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft bedarf es nicht. Der Senat hat den Ausschluß des Steuerberaters aus dem Beruf selbständig zu prüfen (vgl. § 110 StBerG).
II.
Verfahrenshindernisse bestehen nicht.
1. Die Behauptung des Beschwerdeführers, es seien keine Anschuldigungsschriften eingereicht worden und es gebe keinen Eröffnungsbeschluß, trifft nicht zu. Für alle der Verurteilung zugrundeliegenden Pflichtverletzungen sind ordnungsgemäße Anschuldigungsschriften bei Gericht eingereicht und dem Steuerberater zugestellt worden. Der Tatvorwurf unter II. 1. ist in der Anschuldigungsschrift vom 3. August 1990 – 3 StV 107/85 – enthalten, die dem Beschwerdeführer am 31. August 1990 zugestellt worden ist. Hinsichtlich der Tatvorwürfe II. 2. und 3. ist die Anschuldigungsschrift vom 13. August 1990 – 3 StV 131/89 – bei Gericht eingegangen, die dem Beschwerdeführer am 13. September 1990 zugestellt worden ist. Die Tatvorwürfe unter II. 4. bis 6. waren Gegenstand der Anschuldigungsschrift vom 24. September 1990 – 3 StV 118/89 –, dem Beschwerdeführer zugestellt am 12. Oktober 1990. Der Tatvorwurf unter II. 7. wurde schließlich in der Anschuldigungsschrift vom 12. Februar 1991 – 3 StV 112/89 – erfaßt, welche dem Beschwerdeführer am 8. März 1991 zugestellt wurde. Alle Anschuldigungsschriften wurden durch Beschluß vom 6. August 1991, dem Beschwerdeführer zugestellt am 21. August 1991, zur Hauptverhandlung zugelassen (§ 118 Abs. 1 StBerG).
2. Die Frage, ob § 93 StBerG hinsichtlich des Nichteintretens der Verjährung bei Berufspflichtverletzungen, die zum Ausschluß aus dem Beruf führen können, verfassungsgemäß ist, kann letztlich dahingestellt bleiben. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wäre Verjährung auch bei Zugrundelegung der fünfjährigen Verjährungsfrist nicht eingetreten. Einen Anspruch auf Beantwortung von Rechtsfragen, auf die es für die Entscheidung im konkreten Fall nicht ankommt, hat der Beschwerdeführer nicht.
III.
Auch die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
1. Etwaige Verfahrensfehler im erstinstanzlichen Verfahren können mit der Revision gegen das Berufungsurteil nicht mehr geltend gemacht werden (RGSt 59, 299, 300; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 336 Rdnr. 9). Im Berufungsverfahren werden die Feststellungen aufgrund eines eigenständigen neuen Verfahrens getroffen, so daß sich Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht mehr auswirken. Daß dem Berufungsurteil hier die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zum Schuldspruch zugrundeliegen, ist darauf zurückzuführen, daß der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel auf den Maßnahmenausspruch beschränkt hat.
2. Die Besetzungsrüge ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 153 Abs. 1 StBerG). Der Senat kann offenlassen, ob, wie der Generalbundesanwalt meint, die Vorschriften über die Rügepräklusion im berufsgerichtlichen Verfahren nach dem Steuerberatungsgesetz anwendbar sind (dagegen Kleinknecht/ Meyer StPO 40. Aufl. § 222 a Rdnr. 2; Paulus in KMR § 222 a Rdnr. 5; BT-Drucks. 8/976 S. 45).
Wären sie anwendbar, fehlte schon der notwendige Vortrag, ob die Besetzung des Senats für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf dem Beschwerdeführer spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden ist (vgl. BGHSt 29, 162; Pikart in KK 2. Aufl. § 344 Rdnr. 45). Aber auch wenn § 222 a StPO im berufsgerichtlichen Verfahren nach dem Steuerberatungsgesetz nicht anwendbar wäre, wäre die Rüge nicht zulässig. Denn es fehlt die konkrete Bezeichnung desjenigen Richters, der zu Unrecht an der Entscheidungsfindung mitgewirkt hat. Der Richter am Oberlandesgericht Sa., dessen Zugehörigkeit zum Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen die Revision angreift, hat an dem angefochtenen Urteil nicht mitgewirkt. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter K. und B. wendet, hat er verabsäumt mitzuteilen, daß der ehrenamtliche Richter Gr. wegen Krankheit und der ehrenamtliche Richter Sch. wegen eines anderweit von ihm wahrzunehmenden wichtigen Termins von ihrer Aufgabe entbunden worden sind. Daß der Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf die Reihenfolge der Teilnahme der ehrenamtlichen Richter an den Sitzungen des Senats für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen bestimmt hat, entspricht der gesetzlichen Regelung des § 103 StBerG.
3. Daß die ehrenamtlichen Richter des Senats für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen das Berufungsurteil nicht unterschrieben haben, führt nicht zur Unwirksamkeit des Urteils. Ob ehrenamtliche Richter das Urteil zu unterschreiben haben, ist jeweils in den einzelnen Verfahrensordnungen geregelt. Das Steuerberatungsgesetz enthält keine ausdrückliche Bestimmung, daß die ehrenamtlichen Richter das schriftliche Urteil zu unterschreiben haben. Diese Pflicht kann auch nicht aus § 102 Abs. 1 StBerG hergeleitet werden, wonach die Steuerberater und Steuerbevollmächtigten in der Sitzung, zu der sie als ehrenamtliche Richter herangezogen werden, die Stellung eines Berufsrichters haben. Diese Vorschrift dient lediglich der Klarstellung, daß die ehrenamtlichen Richter die Stellung eines Berufsrichters nur in der Sitzung haben, zu der sie herangezogen worden sind und nicht außerhalb derselben (vgl. Gehre, Steuerberatungsgesetz 2. Aufl. § 102 Rdnr. 2). Da das Steuerberatungsgesetz keine ausdrückliche Regelung enthält, sind nach § 153 Abs. 1 StBerG die Vorschriften der StPO ergänzend sinngemäß anzuwenden. Nach § 275 Abs. 2 Satz 3 StPO bedarf es der Unterschrift der Schöffen unter das Strafurteil nicht. Danach brauchen auch die ehrenamtlichen Richter im Verfahren wegen Berufspflichtverletzung nach dem Steuerberatungsgesetz das Urteil nicht zu unterschreiben.
Eine andere Handhabung im berufsgerichtlichen Verfahren als im Strafprozeß kann auch nicht aus der unterschiedlichen Bezeichnung der nicht berufsrichterlichen Beisitzer als Schöffen bzw. als ehrenamtliche Richter abgeleitet werden. Insofern handelt es sich lediglich um eine Frage der Terminologie (§ 45 a DRiG). Auch die Schöffen üben in der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang aus (§ 30 Abs. 1 GVG).
Der Vergleich mit anderen Verfahrensordnungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Soweit Handelsrichter Urteile, an deren Findung sie beteiligt waren, unterschreiben müssen, ist dies in § 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 105 GVG ausdrücklich geregelt (vgl. BGHZ 42, 163, 175) und folgt nicht etwa aus ihrer Stellung als ehrenamtliche Richter. Für das berufsgerichtliche Verfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung folgt die Pflicht zur Unterschriftsleistung schon aus dem Umstand, daß alle Mitglieder des Ehrengerichts Rechtsanwälte sind (§ 94 BRAO); beim Ehrengerichtshof sind die Mehrzahl der Mitglieder einschließlich des Vorsitzenden Rechtsanwälte (§ 101 Abs. 3 BRAO). Angesichts dessen können die Vorschriften der BRAO keine Auslegungshilfe in dieser Frage sein (vgl. auch BGHSt 38, 177, 179). Zahlreiche andere Verfahrensordnungen bezeichnen dagegen wie die StPO die Unterschrift der ehrenamtlichen Richter unter dem Urteil als nicht erforderlich: Beispielsweise § 134 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 117 Abs. 1 Satz 4 VwGO, § 105 Abs. 1 Satz 4 FGO und § 78 Abs. 2 Bundesdisziplinarordnung. Das Arbeitsgerichtsgesetz wiederum enthält eine nach Instanzenzug differenzierte ausdrückliche Regelung (§§ 60 Abs. 4 Satz 1, 69 Abs. 1 und 75 Abs. 2 ArbGG). Daß die Rechte und Pflichten der ehrenamtlichen Richter in den verschiedenen Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt sein können, ergibt sich auch aus § 45 Abs. 9 DRiG, der hinsichtlich der Rechte und Pflichten der ehrenamtlichen Richter ergänzend auf die für die einzelnen Gerichtszweige geltenden Vorschriften verweist.
Nach alledem ist von Gesetzes wegen die Unterschrift der ehrenamtlichen Richter nicht erforderlich. Da die schriftlichen Urteilsgründe das Beratungsergebnis lediglich beurkunden, steht einer Unterschrift aller an der Entscheidung mitwirkenden Richter aber nichts entgegen. So handhabt es der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Bundesgerichtshof.
IV.
1. Die Einwendungen der Revision gegen die Würdigung einzelner Vorwürfe als Berufspflichtverletzungen können wegen der zulässigen Beschränkung der Berufung keinen Erfolg haben. Rechtsfehler bei der tatrichterlichen Würdigung zeigt die Revision im übrigen nicht auf; der Beschwerdeführer ersetzt lediglich die tatrichterliche Würdigung durch seine eigene. Das ist im Revisionsverfahren unzulässig.
2. Der Maßnahmenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Das Bundesverfassungsgericht und der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs haben entschieden, daß die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft nach § 114 Abs. 1 BRAO als schwerste ehrengerichtliche Maßnahme, die den Betroffenen zur Beendigung seiner Berufstätigkeit zwingt und damit tief in seine Lebensgestaltung eingreift, nach Art. 12 Abs. 1 GG nur in Betracht kommt, wenn sie bei schweren Pflichtverletzungen zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes, nämlich des Interesses der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtsuchenden in die Integrität des Anwaltstandes – soweit dies über bloße berufsständische Belange hinaus im Interesse der Rechtspflege liegt – geeignet und erforderlich ist. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist zu prüfen, ob mildere Maßnahmen nach § 114 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BRAO ausreichen. Deshalb genügt die Feststellung, daß der Rechtsanwalt eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat, für sich allein nicht. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Eingriffe in die Berufsfreiheit ist vielmehr eine Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit und Gesamtverhalten anzustellen; nur wenn diese nach dem Erkenntnisstand des Tatrichters zu der Prognose führt, daß der Betroffene weiterhin als Rechtsanwalt untragbar ist, weil von ihm noch eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeht, darf auf die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft erkannt werden (vgl. BVerfGE 66, 337, 355; BGHR BRAO § 114 Abs. 1 Ausschluß 2 und 1).
Diese Grundsätze gelten auch für die Ausschließung aus dem Beruf des Steuerberaters nach § 90 StBerG. Die Steuerberatung ist bloßer Ausschnitt der Tätigkeit des Rechtsanwalts, dessen Aufgabengebiet allerdings umfassender gestaltet ist. Von einer höheren Pflichtenbindung oder strengeren Berufsauffassung des Rechtsanwalts kann nicht ausgegangen werden. Stellung und Organisation beider Berufsstände gleichen sich, die sie treffenden Berufspflichten und die Voraussetzungen für die Ausschließung aus dem Beruf sind überwiegend parallel geregelt und decken sich weitgehend (vgl. §§ 57 ff, §§ 89, 90 StBerG und §§ 43 ff, §§ 113, 114 BRAO). In beiden Fällen handelt es sich um freie Berufe (zur Vergleichbarkeit der beiden Berufe siehe BVerfGE 80, 269, 280 f).
Im Ergebnis entsprechen diese Grundsätze auch der seitherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, ohne daß bisher freilich auf die Parallelität der Rechtslage zwischen Steuerberater und Rechtsanwalt abgehoben worden wäre (vgl. Urteile vom 26. Oktober 1992 – StbSt(R) 2/92 –, vom 23. März 1992 – StbSt(R) 1/92 –, vom 16. Dezember 1991 – StbSt(R) 2/91 –; mißverständlich BGHSt 32, 305, 309, wo auf den „Schutz des Ansehens des Berufsstands” abgestellt wird).
b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet.
aa) Zutreffend hat es die Veruntreuung von Mandantengeldern in Höhe von 550.000 DM als besonders schwere Pflichtverletzung im Sinne des § 89 Abs. 2 StBerG gewertet (vgl. Senatsurteil vom 23. Oktober 1970 – StbSt(R) 1/70 –). Daß der Steuerberater diese Untreue als Rechtsanwalt begangen hat, mindert angesichts der aufgezeigten Vergleichbarkeit beider Berufe das Gewicht der Pflichtverletzung nicht.
bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, diese schwere Verfehlung erfordere – zusammen mit den zahlreichen weiteren Pflichtverletzungen, zu denen auch Steuerhinterziehung gehört – die Ausschließung des Steuerberaters aus dem Beruf, läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
Das Berufungsgericht hat die verfassungsrechtliche Bedeutung des Ausschlusses aus dem Beruf erkannt und die danach erforderliche Gesamtabwägung vorgenommen (UA S. 8/9). Es hat insbesondere auch gesehen, daß bei dem Steuerberater „eine gewisse Konsolidierung seiner beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten zu sein” scheint und daß diese Konsolidierung durch die Ausschließung gefährdet wird. Gleichwohl hielt es die Ausschließung für erforderlich, wobei entscheidend war, „in welchem Maße durch die Pflichtverletzungen das allgemeine Vertrauen in den Beruf des Steuerberaters und die Achtung des Berufsstands in der Öffentlichkeit beeinträchtigt worden sind” (UA S. 9).
Diese Erwägung ist rechtlich fehlerfrei. Die Ausschließung aus dem Beruf setzt nicht die Gefahr voraus, der Steuerberater werde in Zukunft vergleichbare schwere Pflichtverletzungen begehen (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 1992 – StbSt(R) 2/92 –). Es genügt vielmehr, daß – wenn auch nur für einige Zeit (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 2 StBerG) – eine Gefahr für die Rechtspflege darin liegt, daß aufgrund der schweren Pflichtverletzungen das für jede Rechtsberatung unabdingbare Vertrauen zwischen dem Berater und seinem Mandanten sowie die für eine sachgerechte Rechtsberatung notwendige innere Unabhängigkeit des Beraters beeinträchtigt ist. Die Wahrung bloßer berufsständischer Belange genügt dagegen nicht. Dies hat das Oberlandesgericht nicht verkannt. Wenn es von dem Erfordernis spricht, „den Berufsstand der Steuerberater reinzuhalten und zu verhindern, daß durch die Verfehlungen Einzelner die Gesamtheit der Berufsangehörigen in ein schlechtes Licht gerät”, stellt es auf die Gefährdung der Rechtspflege ab, wie der Zusammenhang der Urteilsgründe zeigt. Auf den zitierten Satz folgt nämlich unmittelbar der Hinweis auf die Notwendigkeit des Vertrauens in den Beruf des Steuerberaters.
Fundstellen
Haufe-Index 1974789 |
NJW 1994, 206 |