Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergleichende Mitgliederwerbung einer Gewerkschaft. Parteifähigkeit. Haftung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gewerkschaft, die sich mit der Unterlassungsklage und Schadensersatzklage gegen die Propaganda einer rivalisierenden Gewerkschaft wendet, um eine Beeinträchtigung ihres Bestandes und ihrer Betätigung abzuwehren, ist vor den Zivilgerichten insoweit aktiv parteifähig.
2. Bei der Mitgliederwerbung einer Gewerkschaft ist eine vergleichende Gegenüberstellung der von ihr und einer rivalisierende Gewerkschaft den Mitgliedern vermittelten Unterstützungsleistungen grundsätzlich erlaubt. Der Vergleich darf aber keine falschen Vorstellungen über die in Aussicht gestellten Vorteile vermitteln.
3. Zur Haftung einer Gewerkschaft für die Folgen einer die Leistungen einer anderen Gewerkschaft herabsetzenden Werbung.
Tatbestand
Die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) macht gegen die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend, um behaupteten Übergriffen bei der Mitgliederwerbung entgegenzutreten.
Die ÖTV hat zunächst als nicht rechtsfähiger Verein, vertreten durch die Mitglieder des geschäftsführenden Hauptvorstandes, geklagt (Klägerin zu 1). Dann sind die unter dem Namen der ÖTV handelnden Mitglieder der Gewerkschaft in ihrer Gesamtheit, vertreten durch den Vorstand der ÖTV, als Kläger aufgetreten (Kläger zu 2). Endlich haben die Mitglieder des geschäftsführenden Hauptvorstandes der ÖTV persönlich zugunsten der Gewerkschaft die Klage erhoben (Kläger zu 3).
Die beklagte Gewerkschaft hat geltend gemacht, die ÖTV könne in keiner der zur Auswahl gestellten Formen den beantragten Rechtsschutz im Zivilprozeß erreichen. Sie ist den Klageanträgen auch sachlich entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Oberlandesgericht hat der Klage der Kläger zu 2) teilweise stattgegeben und die Klage im übrigen abgewiesen.
Auf die Revision ist der Klage der Klägerin zu 1) im sachlichen Umfang des Berufungsurteils stattgegeben worden. Im übrigen wurden die Revisionen der Parteien zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Gewerkschaft ÖTV ist ein nicht rechtsfähiger Verein und als solcher nach herrschender Auffassung im Zivilprozeß nur passiv, aber nicht aktiv parteifähig (vgl § 50 ZPO). Während bei kleineren nicht rechtsfähigen Vereinen der Mangel der aktiven Parteifähigkeit den Rechtsschutz im Zivilprozeß nicht zu schmälern braucht, da sämtliche Vereinsmitglieder im Klagerubrum namentlich aufgeführt werden können, ist diese Möglichkeit bei den Gewerkschaften und den politischen Parteien praktisch meist nicht gegeben, weil die Mitgliederzahl zu groß ist (bei der ÖTV rund 950.000 Personen). Es kommt hinzu, daß der Mitgliederbestand dieser Massenorganisationen einem ständigen Wechsel unterworfen ist, so daß ein zuverlässiges Verzeichnis der Namen der Mitglieder für einen bestimmten Zeitpunkt, etwa den der Klageerhebung oder den der letzten mündlichen Verhandlung, durchweg nicht vorgelegt werden kann. Nun ist zwar die Auffassung vorherrschend, daß diese Schwierigkeiten es nicht rechtfertigen, den Gewerkschaften und den politischen Parteien den Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu versagen, sondern daß ein Weg gefunden werden muß, um die Durchsetzung von Ansprüchen dieser Korporationen unbeschadet ihrer Organisationsform möglich zu machen (aM OLG München MDR 1955, 33). Allerdings ist es im wesentlichen aus der geschichtlichen Entwicklung, nämlich der Besorgnis einer staatlichen Überwachung und Einmischung zu erklären, daß die Gewerkschaften es ablehnen, die Rechtsfähigkeit druch Eintragung ins Vereinsregister zu erwerben. Wenn die Gründe für eine solche Besorgnis weggefallen sind, so lassen sich doch auch heute noch beachtliche Gesichtspunkte dafür anführen, daß die Gewerkschaften – ähnlich die politischen Parteien – bei der überkommenen Organisationsform bleiben, solange ihr besonderer Status nicht gesetzlich geregelt ist. Denn die für den rechtsfähigen Verein geltenden Rechtsnormen des Bürgerlichen Gesetzbuches werden jedenfalls nicht allen Bedürfnissen gerecht, die sich aus den öffentlichen Funktionen und den besonderen Organisationsproblemen dieser Korporationen ergeben. Angesichts der sozialen Wirklichkeit geht es nicht an, die Versagung des zivilprozessualen Rechtsschutzes mit der Erwägung zu rechtfertigen, Gewerkschaften und politische Parteien müßten die Auswirkungen tragen, die sich aus dem Beharren auf der hergebrachten Organisationsform des nicht rechtsfähigen Idealvereins ergeben.
In der Rechtsprechung und in der Lehre haben zwei Versuche, den Gewerkschaften und politischen Parteien den Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu sichern, ohne daß sie selbst als Kläger auftreten, besondere Beachtung gefunden.
A) Soweit das Vermögen dieser Massenorganisationen von natürlichen Personen als Treuhändern verwaltet wird oder handelsrechtlichen Kapitalgesellschaften übertragen ist, können die Treuhänder oder die Gesellschaften selbstverständlich die Ansprüche geltend machen, die aus den ihnen übertragenen Vermögensrechten hergeleitet werden. An dieses Vorbild anknüpfend wird für die Geltendmachung persönlicher Ansprüche, die sich etwa aus einem Namensmißbrauch oder einer Ehrkränkung ergeben, ebenfalls vorgeschlagen, daß vor dem Gericht Treuhänder dieser Organisationen auftreten sollen, die deren Ansprüche im eigenen Namen zugunsten der Organisation einklagen. Zu einer solchen Geltendmachung könne man die Vorstandsmitglieder wohl durchweg als stillschweigend ermächtigt ansehen, zum mindestens aber ließe sich eine solche Ermächtigung in die Satzung aufnehmen R (Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl, I. Bd, § 116, IV 8; OLG Frankfurt NJW 1952, 792 mit ablehnender Anmerkung Lent).
Die Bedenken gegen diesen Vorschlag ergeben sich vor allem daraus, daß es rechtlich sehr zweifelhaft ist, ob bei nicht übertragbaren Ansprüchen eine Ermächtigung an einen anderen möglich ist, den Anspruch im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Sodann fehlt durchweg das eigene, nicht aus der Stellung in der Korporation abgeleitete schutzwürdige Interesse des Ermächtigten, das durchweg für die Zuverlässigkeit der gewillkürten Prozeßermächtigung vorausgesetzt wird (vgl BGH LM BGB § 847 Nr 3 und 13; ZPO § 50 Nr 6). Ohne besondere gewichtige Gründe wird man es auch dem Prozeßgegner nicht zumuten dürfen, daß er sich in eine gerichtliche Auseinandersetzung über solche Ansprüche mit Personen einlassen muß, denen keine Vermögenswerte der Korporation übertragen sind. Außerdem werden in der Regel, so auch im vorliegenden Fall, Zweifel bestehen, ob die in der Satzung im einzelnen umschriebenen Befugnisse des Vorstands so weit reichen, daß die Vorstandsmitglieder persönlich im eigenen Namen Ansprüche der Organisation geltend machen dürfen. Mit Recht ist im Schrifttum darauf hingewiesen worden, daß diese Auffassung das Institut der gewillkürten Prozeßermächtigung unter Ausdehnung des Anwendungsbereichs für Zwecke nutzbar machen will, für die es nicht bestimmt und wenig geeignet ist (Walper, NJW 1961, 439).
Um persönliche Ansprüche, die den aus der Verletzung des Namensrechts folgenden ähnlich sind, handelt es sich aber auch insoweit, als eine Gewerkschaft mit dem Antrag auf ein gerichtliches Unterlassungsverbot Rechtsschutz gegen unzulässige Werbeaktionen einer rivalisierenden Gewerkschaft begehrt. Die gerichtliche Geltendmachung solcher Ansprüche kann nicht durch die Vorstandsmitglieder im eigenen Namen erfolgen.
B) Eine andere Auffassung läßt es zu, daß die Gesamtheit der unter dem Vereinsnamen (Gewerkschaftsnamen) zusammengefaßten Mitglieder klagt. Sie sieht die Anführung des Vereinsnamens und der vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder als hinreichendes Individualisierungsmittel für die Bestimmung der klagenden Partei an, so daß es der namentlichen Aufführung aller Mitglieder im Klagerubrum nicht bedürfe R (Stoll in „Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben”, 2. Bd S 49 (76ff); Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, Zweites Buch, zweite Abteilung, S 184ff; Habscheid, AcP Bd 155 S 375ff (415); LG Essen NJW 1953, 1716; LG Bonn NJW 1957, 1883; LG Köln MDR 1962, 61). Dieser Auffassung hat sich auch das Berufungsgericht in der vorliegenden Sache angeschlossen. Die Zulassung einer solchen Klage bedeutet jedoch einen bedenklichen Eingriff in das Verfahrensrecht, das aus guten Gründen eine Klarstellung darüber verlangt, welche individuelle Person als Kläger am Prozeßverhältnis beteiligt ist (vgl §§ 130 Nr 1, 253 Abs 2 Nr 1 ZPO). Davon hängt es im besonderen ab, ob jemand als Zeuge vernommen werden kann oder nicht, und gegen wen bei einer Abweisung der Klage die Kostenforderung des siegreichen Beklagten beigetrieben werden kann (vgl Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl, § 42 II 2a, § 79 IV 5). Das auf Klarheit drängende Prozeßrecht kann es nicht zulassen, daß erst aus umfangreichen Mitgliederlisten ermittelt werden muß, welche Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu den Klägern gehören. Eine Rechtsprechung, die die „jeweiligen” Mitglieder in ihrem korporativen Zusammenschluß und in der Vertretung durch den Vorstand der Korporation in die Parteirolle der Kläger einweist, die weiter bei einem klageabweisenden Urteil die Vollstreckung der Kostenforderung des Beklagten nur in das Vereinsvermögen für zulässig erklärt, hat in der Sache die aktive Parteifähigkeit der von dem Mitgliederwechsel unabhängigen Korporation als einer rechtlich verselbständigten Trägerin von Ansprüchen anerkannt (vgl auch Walper aaO; Brecher, Festschrift für Hueck 1959, S 233 (243); Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit 1963, S 17ff; Stein/Jonas/Pohle, ZPO, 19. Aufl, § 50 IV 6). Diese Lösung ist nur durch eine recht künstliche und zu verfahrensrechtlichen Unklarheiten führende Konstruktionen verschleiert.
C) Nach Ansicht des Senats bedarf es solcher Umwege nicht. Vielmehr ist die Parteifähigkeit der Gewerkschaften im Zivilprozeß wenigstens auf einem Teilgebiet anzuerkennen.
a) Allerdings setzt sich diese Lösung dem Einwand aus, sie achte nicht den Willen des Gesetzgebers, der in folgerichtiger Durchführung seiner grundsätzlichen Auffassung über die rechtliche Natur des nicht rechtsfähigen Vereins (§ 54 BGB) diesem die aktive Parteifähigkeit bewußt versagt habe (§ 50 ZPO). Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß die gesetzliche Regelung des Rechts der nicht rechtsfähigen Vereine, die allseits als unbefriedigend angesehen wird, wesentlich darauf beruht, daß der Gesetzgeber die Bildung von Korporationen mit politischer, sozialpolitischer oder religiöser Zwecksetzung erschweren oder doch unter staatliche Kontrolle bringen wollte. Die Wahrung vereinspolizeilicher Interessen erschien dem Gesetzgeber gerade gegenüber den Gewerkschaften am Platze, deren wachsende Einflußnahme er mit Mißtrauen verfolge (vgl hierzu Stoll aaO S 50ff mit Nachweisen aus den Materialien; Habscheid aaO S 379; Enneccerus/Nipperdey aaO § 116 Anm 1). Indem der Gesetzgeber die nicht rechtsfähigen Vereine, auch solche mit idealer Zielsetzung, dem für diese unpassenden Gesellschaftsrecht unterstellte und ihnen den prozessualen Rechtsschutz erschwerte, wollte er einen Druck auf die Korporation ausüben, daß sie sich ins Vereinsregister eintragen ließen und damit eine staatliche Beobachtung möglich machten. Die Erwartungen des Gesetzgebers, er könne so auf die soziale Wirklichkeit Einfluß nehmen, haben sich nicht erfüllt. Vielmehr ging die Entwicklung gegenläufig, indem Rechtsprechung und Lehre mit dem Abbau obrigkeitsstaatlicher Auffassungen über das Verhältnis des Staates zu den Korporationen den der Natur der Sache entsprechenden körperschaftlichen Charakter des nicht rechtsfähigen Vereins anerkannten und diesem in der sachlichrechtlichen Behandlung Rechnung trugen (vgl Enneccerus/Nipperdey aaO § 116). Das führte ua dazu, daß man dem nicht rechtsfähigen Idealverein ein eigenes Namensrechts zusprach, daß man eine Bindung des Vereinsvermögens an die vom Wechsel der Mitglieder unabhängige Korporation als solche bejahte und daß man dem Verein die Handlungen seiner Organe und Hilfspersonen haftungsrechtlich zuordnete. Die Verweisung auf das Gesellschaftsrecht wurde praktisch nicht mehr beachtet. Hat sich aber die rechtliche Ausgestaltung des nicht rechtsfähigen Vereins völlig von der Konzeption des historischen Gesetzgebers gelöst, so kann sich ernstlich die Frage stellen, ob diese Wandlung im materiellen Recht nicht auch zu Folgerungen im Verfahrensrecht führen muß und ob eine Beschränkung der Rechtsverfolgung nocht gilt, die nur aus einer durch die Rechtsentwicklung überholten Auffassung über den nicht rechtsfähigen Verein und aus einer obrigkeitsstaatlichen Abwehrtendenz verständlich ist (vgl hierzu Fabricius aaO S 186ff).
b) Aus Anlaß des vorliegenden Falles bedarf es keiner grundsätzlichen Entscheidung der Frage, ob nicht rechtsfähigen Vereinen die unbeschränkte Parteifähigkeit im Zivilprozeß zuzusprechen ist (so Fabricius und Walper aaO, ferner Denecke in BGB-RGRK, 11. Aufl, § 54 Anm 13). Denn jedenfalls muß nach Auffassung des Senats den in der Form nicht rechtsfähiger Idealvereine organisierten Gewerkschaften die Möglichkeit gegeben werden, bei den Zivilgerichten Rechtsschutz gegen eine rechtswidrige Beeinträchtigung ihrer Tätigkeit durch Privatpersonen und konkurrierende Organisationen zu finden. Das Grundgesetz hat im Art 9 Abs 3 das korporative Daseins- und Betätigungsrecht der zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gebildeten Vereinigungen unter den Schutz der Verfassung gestellt (vgl BVerfGE 4, 96) und damit die besondere Bedeutung dieser Koalitionen in unserer Sozialordnung anerkannt. Der verfassungsrechtliche Schutz des Art 9 Abs 3 GG greift nicht nur bei einer Beeinträchtigung der Koalition durch den Staat ein, vielmehr sichert diese Verfassungsbestimmung die Koalition auch gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen ihres Bestandes und ihres Wirkens durch private Mächte und konkurrierende Organisationen (Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl, II. Bd S 96, 111; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl, II. Bd S 76).
Diesem vom Grundgesetz geforderten Schutz darf sich das Verfahrensrecht nicht versagen. Es muß den Gewerkschaften die Möglichkeit eröffnen, die Gerichte zum Schutz gegen zivilrechtlich unerlaubte Störungen ihrer Organisation und ihrer Tätigkeit anzurufen.
Die aktive Parteifähigkeit der Gewerkschaften im Zivilprozeß ist daher jedenfalls insoweit anzuerkennen, als aus solchen Störungen und Beeinträchtigungen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche hergeleitet werden L (im Ergebnis ähnlich LG Hamburg NJW 1959, 1927; Stein/Jonas/Pohle aaO). Sollten die Gewerkschaften hierdurch gegenüber anderen nicht rechtsfähigen Idealvereinen bevorzugt werden, so wäre zur Rechtfertigung dieser Bevorzugung anzuführen, daß die Gewerkschaften Träger zahlreicher öffentlicher Funktionen sind und eben wegen dieser Funktionen eine Sonderstellung einnehmen, die sie über die sonstigen privaten Vereine hinaushebt (vgl Nikisch aaO S 71; Hueck/Nipperdey aaO S 143). Wenn das Arbeitsgerichtsgesetz im § 10 die Parteifähigkeit der Gewerkschaften im Verfahren vor den Arbeitsgerichten anerkannt hat, so ist damit der Sonderstellung der Gewerkschaften auf einem Gebiet Rechnung getragen worden, auf dem das Bedürfnis am dringlichsten hervortrat. Aus dieser Regelung des § 10 ArbGG darf aber nicht die Folgerung gezogen werden, die Zivilgerichte müßten den Gewerkschaften als Klägern den Rechtsschutz versagen. Daß schutzwürdige Interessen der Prozeßgegner nicht gefährdet werden, ergibt sich schon daraus, daß sich in anderen Zweigen der Gerichtsbarkeit ersichtlich aus der Anerkennung der Parteifähigkeit der Gewerkschaften keine Schwierigkeiten ergeben haben. Nach Auffassung des Senats ist gerade dem Prozeßgegner mit der Anerkennung der Parteifähigkeit der Gewerkschaften besser gedient als mit einer Praxis, die zu den vorgeschlagenen Notlösungen Zuflucht nimmt.
II.
Daher war auf die Klage der Gewerkschaft ÖTV (Klägerin zu 1) in die Sachprüfung einzutreten. Zwar hat das Berufungsgericht die Klageanträge auf die Klage der unter dem Namen der ÖTV zusammengefaßten Gewerkschaftsmitglieder sachlich geprüft. Doch besteht deshalb kein Hinderungsgrund, daß das Revisionsgericht die Erwägungen des Berufungsgerichts daraufhin rechtlich nachprüft, ob die getroffenen Entscheidungen für und gegen die in dem Verfahren vertretene Gewerkschaft ÖTV aufrecht erhalten werden können.
Die Prüfung führt zu dem Ergebnis, daß die von den Revisionen vorgetragenen Angriffe insoweit unbegründet sind.
1. a) Der Senat stimmt dem Oberlandesgericht zu, daß es sich bei der öffentlichen Auseinandersetzung zweier Gewerkschaften darüber, wer eine umworbene Berufsgruppe in sozialpolitischer Hinsicht besser betreut, nicht um einen Wettbewerb im geschäftlichen Verkehr iS des § 1 UWG handelt. Der Begriff des „geschäftlichen Verkehrs” wird zwar durchweg weit ausgelegt. Trotzdem wäre es verfehlt, die zum hergebrachten Aufgabenbereich der Gewerkschaft gehörende soziale Betreuung der Mitglieder dem geschäftlichen Verkehr zuzurechnen und damit die auf diese Betreuung bezugnehmende Mitgliederwerbung Wettbewerbsregeln zu unterstellen, die auf die Konkurrenz von Gewerbetreibenden zugeschnitten sind. Das ist bereits vom Reichsgericht zutreffend abgelehnt worden (RG JW 1933, 1254).
b) Daher ist es auch nicht möglich, die in der Rechtsprechung zu § 1 UWG entwickelten Grundsätze über die engen Grenzen anzuwenden, innerhalb derer bei der Werbung ein Vergleich gewerblicher Leistungen zulässig ist (vgl hierzu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 9. Aufl, Bd 1 Anm 25ff zu § 1 UWG). Die umworbenen Arbeitnehmer und Bediensteten haben ein berechtigtes Interesse an der Aufklärung darüber, bei welcher der konkurrierenden Gewerkschaften die Interessen ihrer Berufsgruppe besser betreut werden. Da es sich bei dem Problem sinnvoller sozialer Organisation im Arbeitsleben zudem um eine Frage von allgemeiner Bedeutung handelt, darf auch eine Gewerkschaft bei der Mitgliederwerbung auf dieses Thema in der Auseinandersetzung eingehen und hierbei vergleichende Gegenüberstellungen sozialpolitischer Unterstützungsleistungen und vermittelter Versicherungsleistungen bringen.
c) Allerdings muß bei solchen vergleichenden Gegenüberstellungen einzelner Leistungen mit Sorgfalt verfahren und vermieden werden, daß die Umworbenen falsche Vorstellungen darüber erhalten, welche konkreten materiellen Vorteile sie bei den Gewerkschaften zu erwarten haben, die für sie in Betracht kommen. Solche Fehleinschätzungen können auch dadurch hervorgerufen werden, daß die Werbung wesentliche Punkte verschweigt, die für den Gesamtvergleich ins Gewicht fallen, oder daß durch eine Gegenüberstellung nicht kongruenter Leistungen und ihrer Voraussetzungen ein verzerrtes Gesamtbild entsteht. Eine solche unfaire Werbung beeinträchtigt in rechtlich unzulässiger Weise den Mitgliederbestand und das Wirken der Gewerkschaft, deren sozialpolitische Leistungen herabgesetzt werden (§ 823 Abs 1 BGB iVm Art 9 Abs 3 GG; vgl hierzu Hueck/Nipperdey aaO S 111; Nikisch aaO S 76). Außerdem kann mit Rücksicht auf die mögliche wirtschaftliche Schwächung der in der Werbung bekämpften und herabgesetzten Gewerkschaft (fühlbarer Mitglieder- und Beitragsrückgang) auch der Tatbestand des § 824 BGB gegeben sein. Gerade weil durch solche vergleichende Leistungsgegenüberstellungen der Eindruck vermittelt wird, der Leser erhalte eine absolut objektive Beurteilungsgrundlage, geht es nicht an, gegenüber verzerrenden und irreführenden Vergleichen jene Großzügigkeit walten zu lassen, wie sie gegenüber einer drastischen und übertreibenden politischen Propaganda in der Regel am Platz sein wird.
d) Überzeugend hat das Berufungsgericht dargelegt, daß der in dem Flugblatt der Beklagten „Rechtsschutz statt Propaganda” aufgestellte Leistungsvergleich in mehrfacher Hinsicht den Anforderungen nicht genügt, die an eine solche vergleichende Gegenüberstellung gestellt werden müssen. Bei unkritischen Lesern, an deren Verständnis anzuknüpfen ist, erweckt das Flugblatt unrichtige Vorstellungen über die soziale Betreuung, die von den beiden Gewerkschaften ihren Mitgliedern vermittelt wird. Indem die Gegenüberstellung die verschiedenen Formen der von den Gewerkschaften gewährten oder vermittelten Schutzleistungen vermengt und einige für eine vergleichende Beurteilung entscheidende Gesichtspunkte ausklammert, entsteht das den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechende Bild, die Beklagte gewähre ihren Mitgliedern im Gegensatz zur ÖTV „lückenlose” Unterstützungsleistungen und „lückenlosen” Rechtsschutz, ohne daß es auf ordnungsmäßige Beitragszahlung ankomme. Das Berufungsgericht hat mit rechtlich einwandfreien Erwägungen dargelegt, daß diese Werbung der Beklagten geeignet sei, das Wirken der ÖTV zu beeinträchtigen und ihre Organisation wirtschaftlich zu schwächen. Ebenfalls hat das Berufungsgericht aus zutreffenden Gründen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr bejaht. Dabei kommt insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, daß die Beklagte noch im Prozeß den Standpunkt vertreten hat, sie habe in der geschehenen Form werben dürfen. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht den Unterlassungsanspruch, der sich gegen die vergleichende Werbung der Beklagten wendet, in dem Umfang der Urteilsformel stattgegeben (§§ 823 Abs 1, 824, 1004 BGB).
e) …
f) Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts liegt es nahe, daß der Gewerkschaft ÖTV durch die rechtswidrigen Werbemethoden der Beklagten ein vermögensrechtlicher Schaden entstanden ist oder doch entstehen kann. Ein in Geld meßbarer Schaden braucht allerdings noch nicht in dem Verlust einiger Mitglieder zu liegen, zumal den Gewerkschaften durch die Mitglieder auch hohe soziale Lasten entstehen, auf deren Bedeutung beide Parteien in diesem Verfahren hingewiesen haben. Wohl aber kann eine ins Gewicht fallende wirtschaftliche Schwächung der Organisation und damit ein nach § 287 ZPO zu schätzender Schaden dann gegeben sein, wenn die Übergriffe in der Werbung zu einem fühlbaren Rückgang des Mitgliederbestandes und damit des Beitragsaufkommens geführt haben. Eine Feststellung, ob diese Folge im vorliegenden Falle eingetreten ist, setzt die Klärung voraus, in welchem Umfang die beanstandeten Flugblätter verbreitet worden sind. Dazu bedarf es der Auskunftserteilung der Beklagten, zu der diese nach feststehender Rechtsprechung verpflichtet ist (vlg RGZ 108, 1, 7). Die Klägerin zu 1) hat aber schon jetzt ein berechtigtes Interesse daran, daß die Haftung der Beklagten für den aus der unzulässigen Werbung möglicherweise entstehenden Schaden gerichtlich festgestellt wird (§ 256 ZPO). Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß den für die Werbeaktion verantwortlichen Vertretern der Beklagten zumindest der Vorwurf eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 823 Abs 1, 824 BGB gemacht werden muß. Die heute herrschende Lehre entnimmt aus der entsprechenden Anwendung des § 31 BGB, daß die Gewerkschaft für die Schadensfolgen unerlaubter Handlungen einzustehen hat, die von ihren Vertretern in Ausübung ihrer Funktion begangen worden sind (Schumann, Zur Schadenshaftung des nicht rechtsfähigen Vereins, 1956; Enneccerus/Nipperdey aaO § 116 IV 7; Nikisch aaO S 188; Erman/Westermann, BGB, 3. Aufl, § 54 Anm 6). Einer Vertiefung dieser Frage bedarf es an dieser Stelle nicht, denn jedenfalls würde die Haftung der Beklagten aus § 831 BGB folgen, da sie keinen Entlastungsbeweis für die Personen angetreten hat, die die Flugblätter verfaßt und verbreitet haben.
2. Als unbegründet erweisen sich aber auch die Angriffe, die die Revision der ÖTV gegen die teilweise Abweisung der Klage erhebt:
a) Die Beklagte hat in ihrer Propaganda nicht isoliert behauptet, ihre Mitglieder hätten einen – vor den ordentlichen Gerichten durchsetzbaren – Rechtsanspruch auf die in ihrer Rechtsschutzordnung aufgeführten Leistungen. Wenn ein solcher Eindruck entstanden ist, so ist das eine Folge der verzerrten Gegenüberstellungen nicht kongruenter Leistungen. Der Gefahr einer Wiederholung ist durch die unter oben 1d) behandelte Verurteilung Genüge getan.
b) Eine sachliche Berichterstattung über die Unterstützungsleistungen der beiden rivalisierenden Gewerkschaften und der von ihnen durch Rahmenverträge vermittelten Versicherungsleistungen ist auch möglich, ohne daß die entsprechenden Satzungs- und Vertragsbestimmungen wörtlich angeführt und gegenübergestellt werden. Entscheidend ist nur, daß die Gegenüberstellung kein falsches oder verzerrtes Gesamtbild ergibt. Nicht zu beanstanden ist auch, daß die werbende Gewerkschaft die besonderen wirtschaftlichen Vorteile hervorhebt, die nach ihrer Auffassung mit der Mitgliederschaft bei ihr verbunden sind.
c) Ebensowenig ist es ein rechtlich unzulässiger Eingriff in die geschützten Rechte der Klägerin zu 1), daß in der geschehenen Form eine Gerichtsentscheidung mit gewissen Unterstreichungen veröffentlicht wurde.
d) Es bedarf keiner näheren Erörterung, ob schon darin ein rechtswidriger Übergriff der Werbung der Beklagten gegenüber der Klägerin zu 1) zu sehen ist, daß die Behauptung aufgestellt wurde, die Leistungen der GdP könnten von keiner anderen Organisation erreicht werden. Druckschriften, die diese Wendung enthalten, sind vom Landesbezirk Bayern der Beklagten herausgegeben und verbreitet worden. Dieser Landesverband ist nach der Feststellung des Berufungsgerichts ein selbständiger nicht rechtsfähiger Verein mit eigener Verfassung und eigenen, von der Beklagten unabhängigen Organen. Daß die beanstandete Propaganda des Landesverbandes von der Beklagten veranlaßt oder gefördert wurde, ist nicht dargetan worden.
Fundstellen
BGHZ 42, 210-222 (LT1-3) |
BGHZ, 210 |
BB 1964, 1299-1299 (LT1) |
BB 1964, 1423-1423 (LT1) |
DB 1964, 1629 |
DB 1965, 620 |
NJW 1965, 156 |
NJW 1965, 29 |
NJW 1965, 29-34 (LT1-3) |
LM BGB § 823 (Ai) (L1-3), Nr. 25 |
LM ZPO § 50 (L1-3), Nr. 16 |
DRiZ 1965, Beilage, 17 |
RdA 1965, 40 |
AP BGB § 54, Nr. 6 |
AR-Blattei Berufsverbände, Entsch. 6 |
AR-Blattei ES 420, Nr. 6 |
ArbuR 1966, 186 (LT1) |
JZ 1965, 28-30 (LT1-3) |
JuS 1965, 175 |
MDR 1965, 34-35 (LT1) |
WA 1965, 13 |
ZZP 78, 232-237 (LT1) |