Leitsatz (amtlich)
Lehnt der Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Grundstückskäufers die Erfüllung des Kaufvertrages ab und sondert der Verkäufer das Grundstück aus, hat der Verwalter Anspruch auf Rückzahlung der vom Schuldner vor der Eröffnung geleisteten Anzahlung auf den Kaufpreis abzgl. des Nichterfüllungsschadens des Verkäufers.
Normenkette
InsO §§ 47, 95 Abs. 1 S. 3, § 103
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.10.2011; Aktenzeichen 8 U 97/11) |
LG Hanau (Entscheidung vom 20.04.2011; Aktenzeichen 1 O 1029/09) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 21.10.2011 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 83.360 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. mbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin kaufte mit notariellem Vertrag vom 17.1.2006 von der Beklagten ein Grundstück zu einem Preis von 103.360 EUR. Zu ihren Gunsten wurde eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Am 7.8.2006 zahlte die Schuldnerin einen Betrag von 83.360 EUR an die Beklagte. Sie bebaute das Grundstück.
Rz. 2
Am 17.3.2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt. Am 20.8.2008 erklärte der Kläger die Ablehnung der Erfüllung des Kaufvertrages. Die Beklagte verkaufte das zwischenzeitlich geteilte Grundstück anderweitig. Gegen Zahlung von insgesamt 24.650 EUR bewilligte der Kläger die Löschung der Auflassungsvormerkungen.
Rz. 3
Der Kläger verlangt Rückzahlung der von der Schuldnerin angezahlten 83.360 EUR sowie Ersatz der durch die Bebauung bewirkten Werterhöhung des Grundstücks abzgl. bereits erhaltener Zahlungen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte, die sich auf Schadensersatzansprüche beruft, antragsgemäß verurteilt. Wegen des Betrages von 83.360 EUR nebst Zinsen hat der Senat die Revision der Beklagten zugelassen. Die Beklagte will insoweit die Zurückweisung der Berufung des Klägers erreichen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat - soweit nach der Teilzulassung noch von Interesse - ausgeführt: Nach Ablehnung der Erfüllung des beiderseits nicht vollständig erfüllten Grundstückskaufvertrages könne der klagende Insolvenzverwalter den von der Schuldnerin teilweise gezahlten Kaufpreis zurückverlangen, weil sein Interesse an der noch ausstehenden Leistung der Beklagten entfallen sei. Soweit der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zustehe, stelle dieser kein Gegenrecht dar, sondern sei zur Tabelle anzumelden.
II.
Rz. 6
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 7
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des vor der Eröffnung teilweise entrichteten Kaufpreises dem Grunde nach bejaht.
Rz. 8
a) Die Abwicklung des Kaufvertrages richtet sich nach § 103 InsO. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war der Grundstückskaufvertrag von keiner Vertragspartei vollständig erfüllt worden. Weder hatte die Schuldnerin den Kaufpreis vollständig gezahlt (§ 433 Abs. 2 BGB), noch hatte die Beklagte der Schuldnerin das Eigentum an dem verkauften Grundstück verschafft (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB). In einem solchen Fall steht dem Insolvenzverwalter das in § 103 InsO geregelte Wahlrecht zu. Er kann anstelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen (§ 103 Abs. 1 InsO), oder er kann die Erfüllung des Vertrages ablehnen (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO). Lehnt der Verwalter - wie hier - die Erfüllung ab, bleibt der Vertrag in der Lage bestehen, in welcher er sich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befand (BGH, Urt. v. 25.4.2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 [359]; MünchKomm/InsO/Kreft, 2. Aufl., § 103 Rz. 15). Der Vertragspartner des Schuldners kann einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO). Sieht er hiervon ab, bleibt ihm der - während der Dauer des Insolvenzverfahrens nicht durchsetzbare - Erfüllungsanspruch erhalten; er kann ihn nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens als solchen gegen den Schuldner geltend machen.
Rz. 9
b) Weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Erfüllungsablehnung des Verwalters lösen danach in aller Regel einen Anspruch auf Rückzahlung der vom Schuldner vor der Eröffnung erbrachten Teilleistungen aus (BGH, Urt. v. 27.5.2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87 [96]). Ein Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Vertrag mit der Ablehnung der Erfüllung in der Lage vom Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehen bleibt (BGH, Urt. v. 19.4.2007 - IX ZR 199/03, NZI 2007, 404 Rz. 15). Ob der Kläger, wie das Berufungsgericht gemeint hat, die Anzahlung wegen fehlenden Interesses an der noch ausstehenden Leistung der Beklagten zurückverlangen kann, ist ebenfalls zweifelhaft. Einen Rückzahlungsanspruch wegen Wegfalls des Interesses des Verwalters an der Durchführung des beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrages hat der Senat lediglich im Sonderfall der beiderseits teilbaren Leistungen der Vertragsparteien erwogen, um dem Verwalter die Erfüllungsablehnung auch des insolvenzrechtlich grundsätzlich selbständig zu behandelnden vollständig erfüllten Vertragsteils zu ermöglichen (vgl. BGH, Urt. v. 27.5.2003, a.a.O., S. 96 f.; v. 26.10.2000 - IX ZR 227/99, NZI 2001, 85 ff. zur Rechtslage nach der KO; Brandes in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 95 Rz. 14; MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 34 mit Fn. 105; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 17 Rz. 82; zweifelnd Uhlenbruck/Wegener, InsO, 13. Aufl., § 103 Rz. 186). Der Grundstückskaufvertrag vom 17.1.2006 hatte jedoch keine teilbaren Leistungen in diesem Sinne zum Gegenstand. Das verkaufte Grundstück ist zwar später geteilt und die Teilgrundstücke sind einzeln weiterverkauft worden. Die Anzahlung von 83.360 EUR lässt sich jedoch nicht einem der später entstandenen Teilgrundstücke zuordnen; sie bezog sich auf das Grundstück insgesamt, für das ein einheitlicher Kaufpreis vereinbart worden war.
Rz. 10
c) Der Kläger kann jedoch deshalb dem Grunde nach die Rückzahlung des angezahlten Kaufpreises verlangen, weil die Beklagte ihrerseits den Kaufgegenstand nach § 47 InsO ausgesondert hat. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die Beklagte Eigentümerin der durch die Teilung des verkauften Grundstücks entstandenen Teilgrundstücke (fortan nur: Grundstück). Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens stand dem Herausgabeanspruch der Beklagten aus § 985 BGB der Anspruch auf Übereignung gem. § 433 Abs. 1 BGB entgegen (§ 986 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 2.3.1984 - V ZR 102/83, BGHZ 90, 269 [270]). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens änderte daran zunächst nichts. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu einem Erlöschen der beiderseitigen Ansprüche aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag. Die Ansprüche beider Vertragsparteien auf Leistung und Gegenleistung bleiben vielmehr bestehen. Sie verlieren lediglich vorläufig, nämlich bis zu einem Erfüllungsverlangen des Verwalters, ihre Durchsetzbarkeit (BGH, Urt. v. 25.4.2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 [359]; v. 27.5.2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87 [96]; v. 17.11.2005 - IX ZR 162/04, NJW 2006, 915 Rz. 22; v. 1.3.2007 - IX ZR 81/05, NZI 2007, 335 Rz. 11). Lehnt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages ab, kann der Eigentümer aussondern (BGH, Urt. v. 19.12.2007 - XII ZR 61/05, NJW-RR 2008, 818 Rz. 43; Jaeger/Henckel, InsO, § 47 Rz. 46; Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 47 Rz. 72; MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 33; MünchKomm/InsO/Huber, a.a.O., § 103 Rz. 177; Uhlenbruck/Wegener, a.a.O., § 103 Rz. 183 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rz. 20.31; vgl. auch BGH, Urt. v. 1.3.2007 - IX ZR 81/05, NZI 2007, 335 Rz. 12). Von diesem Recht hat die Beklagte Gebrauch gemacht. Sie hat die Löschung der zugunsten der Schuldnerin eingetragenen Vormerkung verlangt und das Grundstück anderweitig veräußert.
Rz. 11
d) Sondert der Verkäufer in der Insolvenz des Käufers die Kaufsache aufgrund des bei ihm verbliebenen Eigentums aus, kann der Verwalter seinerseits die Rückgewähr der bereits erbrachten Teilleistungen des Schuldners verlangen (Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 47 Rz. 72; Huber, NZI 2004, 57 [62]).
Rz. 12
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Anspruch des Verwalters auf Rückzahlung der Kaufpreisanzahlung jedoch mit dem Anspruch des Verkäufers wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO zu verrechnen (vgl. BGH, Urt. v. 5.5.1977 - VII ZR 85/76, BGHZ 68, 379 [382]; v. 26.10.2000 - IX ZR 227/99, NZI 2001, 85 [86]; MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 35; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 17 Rz. 81; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 36 Rz. 21; Häsemeyer, a.a.O., Rz. 20.25; G. Fischer, NZI 2001, 281 [283]; Huber, NZI 2004, 57 [62]; Tintelnot, KTS 2004, 339, 344; Piegsa, RNotZ 2010, 433, 439; a.A. Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 47 Rz. 72). Ob die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO erfüllt sind oder nicht, ist nicht von Belang (MünchKomm/InsO/Kreft, a.a.O., § 103 Rz. 35). Gegenseitige Ansprüche aus dem nämlichen Vertragsverhältnis bedürfen keiner Aufrechnung; sie sind Rechnungsposten bei der Ermittlung des Ersatzanspruchs (so im Ergebnis - mit unterschiedlicher rechtlicher Begründung - BGH, Urt. v. 5.5.1977 - VII ZR 85/76, BGHZ 68, 379 [380]; Brandes in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 95 Rz. 17; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2002, § 95 Rz. 29; vgl. auch Jaeger/Windel, InsO, § 95 Rz. 28, 26). Dieser aus der synallagmatischen Verbundenheit der Ansprüche (§§ 320 ff. BGB) folgende Grundsatz gilt - vom hier nicht einschlägigen Sonderfall der Teilbarkeit der beiderseitigen Leistungen mit der möglichen Folge einer Vertragsspaltung einmal abgesehen - auch nach der Erfüllungsablehnung fort (vgl. BGH, Urt. v. 19.4.2007 - IX ZR 199/03, NZI 2007, 404 Rz. 15; a.A. wohl HmbKomm-InsO/Jacoby, 4. Aufl., § 95 Rz. 17). Der Kläger kann den Kaufpreis daher nur insoweit zurückverlangen, als dieser den Nichterfüllungsschaden der Beklagten übersteigt.
III.
Rz. 13
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe dem Kläger unter Berücksichtigung der synallagmatischen Gegenansprüche der Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung der Kaufpreisanzahlung zusteht. Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die Beklagte.
Fundstellen
Haufe-Index 3627932 |
BGHZ 2013, 160 |
BB 2013, 577 |
DB 2013, 512 |
DB 2013, 8 |
DStR 2013, 13 |