Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersunterhaltsanspruch des altersbedingt nicht mehr Erwerbstätigen. Kompensation ehebedingter Nachteile durch mit der Ehe verbundene Vorteile. Nacheheliche Solidarität
Leitsatz (amtlich)
a) Ist ein Unterhaltsberechtigter altersbedingt nicht mehr erwerbstätig, richtet sich sein Unterhalt für den durch die Rente nicht gedeckten Bedarf allein nach § 1571 BGB (Altersunterhalt - in Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 3.2.1999 - XII ZR 146/97, FamRZ 1999, 708, 709).
b) Kann der Unterhaltsberechtigte in der Zeit nach der Zustellung des Scheidungsantrags ehebedingt nicht das Einkommen erzielen, was er ohne Ehe hätte erzielen können, sind die daraus folgenden Rentennachteile im Rahmen des § 1578b BGB grundsätzlich als ehebedingte Nachteile zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt aber, wenn sie durch andere mit der Ehe verbundene Vorteile kompensiert werden (im Anschluss an BGH, Urt. v. 8.6.2011 - XII ZR 17/09, FamRZ 2011, 1381 Rz. 33).
c) Die Frage, ob der Unterhaltsberechtigte ehebedingt auf eine berufliche Karriere verzichtet hat, ist im Rahmen des § 1578b BGB allein unter dem Gesichtspunkt des ehebedingten Nachteils von Bedeutung. Die nacheheliche Solidarität erfasst demgegenüber andere Umstände, die unabhängig von ehebedingten Nachteilen Auswirkungen auf den konkreten Unterhaltsanspruch haben.
Normenkette
BGB §§ 313, 1571, 1573 Abs. 2, §§ 1578, 1578b; EGZPO § 36 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Braunschweig (Urteil vom 04.08.2009; Aktenzeichen 2 UF 24/09) |
AG Braunschweig (Entscheidung vom 23.12.2008; Aktenzeichen 247 F 108/08) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Senats für Familiensachen des OLG Braunschweig vom 4.8.2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger begehrt mit seiner Abänderungsklage den Wegfall des in einem Prozessvergleich von 1995 geregelten Ehegattenunterhalts.
Rz. 2
Der 1940 geborene Kläger und die 1944 geborene Beklagte schlossen im November 1967 die Ehe. Der Kläger war damals Student, die Beklagte angestellte Sport- und Gymnastiklehrerin. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes im Juli 1971 setzte die Beklagte ihre Tätigkeit für drei Jahre aus und nahm sie anschließend als Teilzeitkraft wieder auf. Die Parteien trennten sich erstmals im Jahr 1974 und endgültig zum Jahreswechsel 1978/1979. Auf den im Dezember 1980 zugestellten Scheidungsantrag wurde die Ehe der Parteien im März 1982 geschieden. Seit 1987 arbeitete die Beklagte bis zum Renteneintritt annähernd in Vollzeit.
Rz. 3
Im Juli 1995 schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich, wonach sich der Kläger u.a. verpflichtete, an die Beklagte Aufstockungsunterhalt i.H.v. 1.100 DM = 562,42 EUR monatlich zu zahlen. Seit Oktober 2005 ist der - inzwischen wiederverheiratete - Kläger pensioniert. Die Beklagte trat zum August 2007 in den Ruhestand.
Rz. 4
Das AG hat der Abänderungsklage, mit der der Kläger den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung ab August 2007 begehrt, teilweise stattgegeben und den Kläger u.a. verurteilt, an die Beklagte nachehelichen Unterhalt von 396 EUR ab Juli 2008 zu zahlen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das amtsgerichtliche Urteil teilweise dahin abgeändert, dass der Kläger ab Januar 2009 einen nachehelichen Unterhalt i.H.v. monatlich 200 EUR zu zahlen hat. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
I.
Rz. 6
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Abänderung des gerichtlichen Vergleichs. Mit dem Eintritt der Beklagten in den Ruhestand und den damit einhergehenden Auswirkungen des Versorgungsausgleichs hätten sich die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert. Das Renteneinkommen des Klägers habe sich um monatlich 362,26 EUR vermindert und die Beklagte erziele nunmehr Renteneinkünfte, die über ihrem bis dahin erzielten Erwerbseinkommen lägen. Darüber hinaus habe sich seit dem Abschluss des Vergleichs die Rechtsprechung des BGH u.a. zur Begrenzung und Befristung des - hier im Streit stehenden - Aufstockungsunterhalts geändert, und es gelte ab Januar 2008 die Neuregelung des § 1578b BGB.
Rz. 7
Der Beklagten seien ehebedingte Nachteile in Form von Rentennachteilen entstanden, weil sie nach der Zustellung des Scheidungsantrages bis Ende 1986 wegen der Kindesbetreuung nicht voll erwerbstätig gewesen sei. Diese Nachteile dürften sich ausweislich des Versicherungsverlaufs für die Beklagte in einer geschätzten Größenordnung von 50 EUR bis 60 EUR monatlich belaufen. Die vorübergehende Erwerbslosigkeit der Beklagten in Zeiten der Schwangerschaft, des Mutterschutzes und der Kinderbetreuung (von Juni 1971 bis Januar 1974) und die nur eingeschränkte Tätigkeit in der Zeit von Februar 1974 bis zur Zustellung des Scheidungsantrages im Dezember 1980, habe ersichtlich zu keinen ehebedingten Nachteilen geführt, da die Nachteile in der Versorgungsbilanz durch den Versorgungsausgleich ausgeglichen worden seien. Aus dem Gesichtspunkt einer nicht stattgefundenen Karriereentwicklung lägen ehebedingte Nachteile eher fern. Die Beklagte habe seit 1974 ohne Unterbrechung bis zu ihrem Renteneintritt wieder in ihrem erlernten und vor der Ehe ausgeübten Beruf gearbeitet, wobei ihre Ausbildung als bloße Gymnastiklehrerin keine besonderen Karrieresprünge habe erwarten lassen. Soweit die Beklagte behaupte, dass sie ein verkürztes Studium an der pädagogischen Hochschule hätte absolvieren können, um anschließend als "richtige" Lehrerin mit besserem Einkommen und Chancen auf eine Verbeamtung eingestellt zu werden, lasse sich darüber im Nachhinein nur noch spekulieren. Nach den vorgelegten Zeugnissen erscheine es nicht zwingend anzunehmen, dass die Beklagte ohne Heirat und Kindererziehung tatsächlich ein Zusatzstudium in Angriff genommen, erfolgreich abgeschlossen und als Lehrerin für Grund- und Hauptschulen eine Anstellung gefunden oder gar Beamtenstatus erreicht hätte.
Rz. 8
Auch wenn danach konkrete ehebedingte Nachteile nur in einer Größenordnung von 50 EUR bis 60 EUR monatlich feststellbar seien, rechtfertige dies keine vollständige Herabsetzung oder Befristung des Unterhaltsanspruchs. § 1578b BGB beschränke sich nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtige auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Dieser Umstand könne insb. bei Altehen, bei denen die Ehepartner sich bereits im Rentenalter befinden, an Bedeutung gewinnen. Die Parteien hätten bis zum Abschluss des Studiums des Klägers Ende 1968 das Einkommen der Beklagten zur Erlangung eines angemessenen Lebensstandards benötigt. Die Erbschaft der Beklagten sei zumindest in die Ausstattung eines angemessenen Haushalts geflossen. Es habe dem übereinstimmenden Willen beider Parteien entsprochen, dass die Beklagte nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes zunächst (zumindest für drei Jahre) nicht habe arbeiten sollen. Mit ihrer mehrjährigen überobligationsmäßigen Erwerbstätigkeit habe die Beklagte den Kläger in Bezug auf den damals geschuldeten Betreuungsunterhalt entlastet. Gerade durch den früheren Wiedereinstieg in den erlernten Beruf und den Verzicht auf eine Zusatzausbildung habe sie die ehebedingten Nachteile gering gehalten. Die Erwerbsbiografie der Beklagten zeige, dass mit der Entscheidung für ein Kind und mit der Geburt des Kindes die Chance für eine Zusatzausbildung praktisch vertan gewesen sei. Zudem habe sich die Beklagte seit der Scheidung bis zu ihrer Verrentung auf einen dauerhaften Unterhaltsanspruch eingerichtet und einrichten dürfen. Daneben habe sich die Beklagte auch die Unterhaltsansprüche der neuen Ehefrau entgegenhalten lassen müssen, was bereits zu einer Reduzierung des Unterhalts geführt habe. Die Kontrollberechnung ergebe insoweit, dass der Kläger der Beklagten (ohne Berücksichtigung der zweiten Ehefrau) einen monatlichen Unterhalt i.H.v. 448,74 EUR ab Juli 2008 geschuldet hätte. Die Beklagte habe außerdem keinerlei Chancen mehr, den Unterhaltsausfall durch eigene berufliche Disposition abzufangen.
Rz. 9
Danach entspreche eine Herabsetzung des Unterhalts auf monatlich 200 EUR ab Januar 2009 der Billigkeit. Der Kläger verfüge immer noch über Renteneinkünfte, die mit 2.890 EUR wesentlich über den Renteneinkünften der Beklagten mit monatlich 1.656 EUR lägen. Auch bei fortdauernder Zahlung von monatlich 200 EUR sei der Kläger immer noch finanziell wesentlich besser gestellt als die Beklagte, wobei seine derzeitige Ehefrau über nahezu gleich hohe Renteneinkünfte wie die Beklagte verfüge. Die zeitlich unbefristete Zahlung erscheine auch im Hinblick darauf nicht unangemessen.
Rz. 10
Entgegen der Ansicht des Klägers könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte auf den Unterhalt für die Zeit ab Renteneintritt verzichtet habe. Ihr Unterhaltsanspruch sei schließlich auch nicht gem. § 1579 Nr. 2 BGB verwirkt.
II.
Rz. 11
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 12
Für das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist. Die Abänderung des Prozessvergleichs richtet sich somit nach § 323 ZPO a.F. (vgl. nunmehr §§ 238, 239 FamFG - BGH BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rz. 10; v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 197 Rz. 13).
Rz. 13
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Abänderungsklage zulässig ist. Allerdings findet entgegen seiner Ansicht die Präklusionsvorschrift des § 323 Abs. 2 ZPO a.F. auf Vergleiche keine Anwendung. Die Abänderung eines Prozessvergleiches richtet sich allein nach materiell-rechtlichen Kriterien (BGH BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rz. 12 f. m.w.N.; v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 107 Rz. 15).
Rz. 14
2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Abänderung des Vergleichs gem. §§ 323 Abs. 4 a.F., 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 313 BGB vorliegen.
Rz. 15
a) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderungen vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrages verlangt werden, soweit ein Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insb. der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, § 313 Abs. 1 BGB.
Rz. 16
b) Gemessen hieran ist eine Abänderung des im Streit stehenden Vergleichs eröffnet.
Rz. 17
Zum einen hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien vor allem durch ihren Eintritt in den Ruhestand wesentlich verändert haben. Zudem haben sich nach Abschluss des Vergleichs die rechtlichen Verhältnisse bezogen auf die Möglichkeit, den nachehelichen Unterhalt zu begrenzen, geändert.
Rz. 18
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Unterhaltsanspruch hinsichtlich des im Streit stehenden Abänderungszeitraumes ab August 2007 allerdings nicht als Aufstockungsunterhaltsanspruch i.S.v. § 1573 Abs. 2 BGB, sondern als Altersunterhaltsanspruch nach § 1571 BGB zu qualifizieren. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte bereits im Alter von 63 Jahren in den Ruhestand getreten ist, anstatt - wie zu diesem Zeitpunkt noch üblich - mit 65 Jahren (vgl. dazu BGH, Urt. v. 3.2.1999 - XII ZR 146/97, FamRZ 1999, 708, 709; Palandt/Brudermüller BGB, 71. Aufl., § 1571 Rz. 3). Dass die, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu 50 % schwerbehinderte Beklagte noch einer Erwerbsobliegenheit unterlegen hätte, ist nicht festgestellt, von der Revision nicht eingewandt und im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Rz. 19
Ist ein Unterhaltsberechtigter - wie hier - altersbedingt nicht mehr erwerbstätig, richtet sich sein Unterhalt für den durch die Rente nicht gedeckten Bedarf allein nach § 1571 BGB (Altersunterhalt). Demgegenüber setzt der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt aus § 1573 Abs. 2 BGB voraus, dass der Unterhaltsberechtigte (altersbedingt) eine - zumindest teilweise - Erwerbstätigkeit ausübt (vgl. BGH, Urt. v. 3.2.1999 - XII ZR 146/97, FamRZ 1999, 708, 709).
Rz. 20
bb) Die vom Kläger begehrte Befristung des - somit ab Renteneintritt der Beklagten als Altersunterhalt zu qualifizierenden - Anspruchs ist erstmals durch § 1578b BGB, also mit dem zum 1.1.2008 in Kraft getretenen Unterhaltsänderungsgesetz ermöglicht worden.
Rz. 21
Allerdings hätte auch eine - gem. § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. schon vor der Unterhaltsrechtsreform mögliche - Herabsetzung des nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf im Ergebnis einer Befristung gleichstehen können, nämlich dann, wenn der Unterhaltsberechtigte Letzteren selbst erwirtschaften kann (vgl. zu § 1578b BGB BGH, Urt. v. 20.10.2010 - XII ZR 53/09, FamRZ 2010, 2059 Rz. 22). Aber auch insoweit ist nach dem Vergleichsabschluss eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse eingetreten, und zwar durch die Änderung der Senatsrechtsprechung zu §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. (beginnend mit BGH, Urt. v. 12.4.2006 - XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006). Danach ist nunmehr für die Begrenzung des Unterhalts vorrangig auf das Vorliegen ehebedingter Nachteile und nicht mehr allein auf die Ehedauer abzustellen; Letztere hätte bis zu jener Rechtsprechungsänderung nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung der Zeit der Kindesbetreuung (§ 1578 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F.) einer Begrenzung entgegengestanden. Von daher ist der Kläger mit einer entsprechenden Herabsetzung für die Zeit vor Inkrafttreten des Unterhaltsänderungsgesetzes (hier zweites Halbjahr 2007) gem. § 313 BGB nicht ausgeschlossen.
Rz. 22
3. Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht - vor einer Begrenzung des Unterhalts nach § 1578b BGB - zunächst den Unterhaltsbedarf nach § 1578 BGB ermittelt. Dabei ist es - dem AG folgend - von der Rechtsprechung des Senats zur Dreiteilung ausgegangen, so dass der Unterhalt der Beklagten im Hinblick auf die zweite Ehefrau des Klägers zu reduzieren war. Ohne diese Kürzung (auf 396 EUR für die Zeit ab Juli 2008) beliefe sich der Unterhaltsanspruch der Beklagten nach der vom Berufungsgericht angestellten Kontrollberechnung (s. dazu BGH, Urt. v. 14.4.2010 - XII ZR 89/08 - FamRZ 2010, 869 Rz. 32 f.) auf rund 449 EUR.
Rz. 23
Wie der Senat aber nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, hält er an der Dreiteilungsmethode im Rahmen der Bedarfsermittlung nicht mehr fest. Nach seiner geänderten Rechtsprechung hat der Unterhaltsanspruch der nachfolgenden Ehefrau keine Auswirkungen auf den Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau nach § 1578 BGB; dieser Anspruch ist allein im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach § 1581 BGB zu berücksichtigen, wobei es maßgeblich auf die Rangverhältnisse ankommt (BGH, Urt. v. 7.12.2011 - XII ZR 151/09, FamRZ 2012, 281Rz. 37 ff. und XII ZR 159/09, FamRZ 2012, 288 Rz. 34). Danach hat das Berufungsgericht den Bedarf der Beklagten rechtsfehlerhaft ermittelt.
Rz. 24
4. Die im Rahmen des § 1578b BGB vom Berufungsgericht durchgeführte Billigkeitserwägung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 25
a) Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578b Abs. 1 Satz 1 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Nach § 1578b Abs. 2 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist bei der Billigkeitsabwägung insb. zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben. Ein ehebedingter Nachteil äußerst sich in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne die Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde (BGH, Urt. v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 197 Rz. 25 m.w.N.).
Rz. 26
b) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nicht gerecht.
Rz. 27
Die Abwägung aller für die Billigkeitsentscheidung in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist Aufgabe des Tatrichters. Sie kann vom Revisionsgericht allerdings daraufhin überprüft werden, ob dieser die im Rahmen der Billigkeitsprüfung maßgebenden Rechtsbegriffe verkannt oder für die Einordnung unter diese Begriffe wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (BGH, Urt. v. 29.6.2011 - XII ZR 157/09, FamRZ 2011, 1721 Rz. 21 m.w.N.). Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt insb., ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 29.6.2011 - XII ZR 157/09, FamRZ 2011, 1721 Rz. 21 m.w.N.).
Rz. 28
aa) Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Beklagte ehebedingte Nachteile erlitten habe, soweit sie in der Zeit von der Zustellung des Scheidungsantrags bis Ende 1986 nicht voll erwerbstätig gewesen sei und infolge dessen Einbußen bei der Rente zu beklagen habe, sind nicht frei von Rechtsfehlern.
Rz. 29
Zwar wird der hier in Rede stehende Nachteil in der Altersversorgung, den das OLG auf 50 EUR bis 60 EUR geschätzt hat, nicht unmittelbar von dem Versorgungsausgleich erfasst (s. hierzu BGH, Urt. v. 29.6.2011 - XII ZR 157/09, FamRZ 2011, 1721 Rz. 29 m.w.N.), weil er nicht mehr in die Ehezeit fällt. Jedoch hat das Berufungsgericht verkannt, dass diese Einbuße auch anderweit kompensiert werden kann.
Rz. 30
Ob ehebedingte Nachteile entstanden sind, ist zu ermitteln, indem die Lage, wie sie sich ohne Eheschließung und die gewählte Rollenverteilung ergeben hätte, und die tatsächlich bestehende Lage gegenüber gestellt werden. Dabei können zunächst entstandene Nachteile durch andere mit der Ehe verbundene Vorteile - auch nach der Ehescheidung - kompensiert worden sein (BGH, Urt. v. 8.6.2011 - XII ZR 17/09, FamRZ 2011, 1381 Rz. 33).
Rz. 31
Der Kläger hat der Beklagten ausweislich des Unterhaltsvergleichs keinen Altersvorsorgeunterhalt geschuldet, weshalb der Nachteil nicht auf diese Weise kompensiert worden ist (s. dazu BGH, Urt. v. 8.6.2011 - XII ZR 17/09, FamRZ 2011, 1381 Rz. 33). Jedoch erzielt die Beklagte ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts infolge des Versorgungsausgleichs Renteneinkünfte, die über ihrem bis dahin erzielten Erwerbseinkommen liegen. Danach drängt sich der Schluss auf, dass die Beklagte wegen des Versorgungsausgleichs eine höhere Rente erzielt, als sie dies ohne Heirat bei durchgehender Erwerbstätigkeit getan hätte. Damit wären die vom OLG angenommenen Rentennachteile zumindest kompensiert.
Rz. 32
Soweit das Berufungsgericht ehebedingte Nachteile aus dem Gesichtspunkt einer "nicht stattgefundenen Karriereentwicklung" unberücksichtigt gelassen hat, ist der Kläger hierdurch nicht beschwert.
Rz. 33
bb) Ebenso wenig hält die unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität durchgeführte Billigkeitsabwägung einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 34
(1) § 1578b BGB beschränkt sich nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Bei der insoweit gebotenen Billigkeitsabwägung hat das FamG das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen, wobei vor allem die in § 1578b Abs. 1 Satz 3 BGB aufgeführten Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die Ehedauer gewinnt im Rahmen dieser Billigkeitsabwägung durch eine wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, die insb. durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung eintritt (BGH, Urt. v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10 - FamRZ 2012, 197 Rz. 31 m.w.N.).
Rz. 35
(2) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Rz. 36
(a) Nicht zu beanstanden ist jedoch, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner Abwägung zugunsten der Beklagten berücksichtigt hat, dass diese den Kläger am Anfang der Ehe durch ihr eigenes Erwerbseinkommen sowie mit ihrer Erbschaft unterstützt hat und dass sie sich um die Kindesbetreuung gekümmert hat.
Rz. 37
Ebenso wenig ist etwas dagegen zu erinnern, dass das Berufungsgericht das Vertrauen der Beklagten auf einen dauerhaften Unterhaltsanspruch und den Umstand, dass die Beklagte keinerlei Chancen mehr habe, den Unterhaltsausfall durch eigene berufliche Disposition abzufangen, zu ihren Gunsten gewürdigt hat. Bereits bei der Überprüfung der Unbilligkeit nach § 1578b BGB ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltsanspruch durch Vereinbarung festgelegt ist. Wie das Gesetz in § 36 Nr. 1 EGZPO klarstellt, gilt dies bei Unterhaltstiteln oder -vereinbarungen nach der bis Dezember 2007 bestehenden Rechtslage in noch stärkerem Maße. Dass dieser Gesichtspunkt in § 36 Nr. 1 EGZPO gesondert geregelt ist, hindert seine Heranziehung im Rahmen des § 1578b BGB nicht. Weil die Beurteilung der Begrenzung hiernach vielmehr auf einer umfassenden Interessenabwägung beruhen muss, ist die Berücksichtigung der Titulierung im Rahmen des § 1578b BGB sogar geboten (BGH, Urt. v. 30.6.2010 - XII ZR 9/09, FamRZ 2010, 1414 Rz. 32).
Rz. 38
(b) Im Übrigen ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Billigkeitsabwägung jedoch fehlerhaft.
Rz. 39
(aa) Das Berufungsgericht hat für die Bemessung der nachehelichen Solidarität darauf abgestellt, dass die Beklagte aufgrund des seinerzeit vorherrschenden Rollenverständnisses auf eine eigene berufliche Karriere verzichtet habe. Dabei hat es verkannt, dass dieser Aspekt allein für die Frage von Bedeutung ist, ob die Beklagte einen - insoweit vom Berufungsgericht verneinten - ehebedingten Nachteil erlitten hat. Der Gesetzgeber wollte mit der entsprechenden Regelung des § 1578b BGB einen Ausgleich der Nachteile bewirken, die dadurch entstehen, dass der Unterhaltsberechtigte wegen der Aufgabenverteilung in der Ehe, insb. der Kinderbetreuung, nach der Scheidung nicht oder nicht ausreichend für seinen eigenen Unterhalt sorgen kann (BGH, Urt. v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 197 Rz. 28). Der Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität erfasst demgegenüber andere Umstände, die unabhängig von ehebedingten Nachteilen Auswirkungen auf den konkreten Unterhaltsanspruch haben.
Rz. 40
Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht den Aspekt des Karriereverzichts widersprüchlich gewürdigt hat. Einerseits hat es im Rahmen der Prüfung, ob die Beklagte einen ehebedingten Nachteil erlitten hat, die Aufnahme eines Lehramtsstudiums als Spekulation zurückgewiesen. Andererseits hat es eine solche - hypothetische - Karriere bei der Bemessung der nachehelichen Solidarität zugunsten der Beklagten berücksichtigt. Dazu hat es ausgeführt, dass die Beklagte auf eine Zusatzausbildung verzichtet und damit die ehebedingten Nachteile gering gehalten habe und dass die Erwerbsbiografie der Beklagten zeige, dass mit der Entscheidung für ein Kind die Chance für eine Zusatzausbildung praktisch vertan gewesen sei. Diese Ausführungen sind in sich widersprüchlich. Der Verzicht auf eine Zusatzausbildung bedeutet im Umkehrschluss, dass die Beklagte diese - vom Berufungsgericht noch beim ehebedingten Nachteil als Spekulation verneinte - Option überhaupt gehabt hätte. Überdies ist auch der weitere, vom Berufungsgericht hieraus gezogene Schluss, wonach die Beklagte mit dem Verzicht auf eine solche Zusatzausbildung die ehebedingten Nachteile "gering gehalten" habe, nicht nachvollziehbar. Denn die Aufgabe einer möglichen Karriere lässt die ehebedingten Nachteile erst entstehen.
Rz. 41
(bb) Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht bei seiner Abwägung zudem nicht die vom Kläger geleisteten Unterhaltszahlungen gewürdigt hat. Denn im Rahmen von § 1578b BGB ist die Gesamtbelastung des Unterhaltspflichtigen durch den Unterhalt ebenfalls ein Billigkeitskriterium (BGH, Urt. v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 197 Rz. 37; v. 30.3.2011 - XII ZR 63/09, FamRZ 2011, 875 Rz. 22).
Rz. 42
Den Gründen des Berufungsurteils lässt sich entnehmen, dass der Kläger erstmals 1974 Trennungsunterhalt gezahlt hat. Genaue Feststellungen zu Höhe und Zeitraum vor allem auch der Leistung nachehelichen Unterhalts fehlen indes, obgleich der Kläger im instanzgerichtlichen Verfahren hierzu konkret vorgetragen hat. Aus dem Prozessvergleich vom 21.7.1995 ergibt sich jedenfalls, dass der Kläger eine Unterhaltsnachzahlung von 49.000 DM und seit August 1995 laufenden Unterhalt von monatlich 1.050 DM und ab Januar 1996 von 1.100 DM zu zahlen hatte.
Rz. 43
(cc) Überdies hat sich das Berufungsgericht nicht mit der Frage auseinander gesetzt, wie sehr die Parteien wirtschaftlich noch miteinander verflochten sind.
Rz. 44
Durch eine zunehmende Entflechtung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten, die umso gewichtiger wird, je weiter die Scheidung zurückliegt, wird das Maß der geschuldeten nachehelichen Solidarität begrenzt (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2011 - XII ZR 47/10, FamRZ 2012, 197 Rz. 37; v. 29.6.2011 - XII ZR 157/09, FamRZ 2011, 1721 Rz. 23 f.; v. 8.6.2011 - XII ZR 17/09, FamRZ 2011, 1381 Rz. 36).
Rz. 45
Anlass für eine Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes bestand schon deshalb, weil die Beklagte durch die frühe Wiederaufnahme ihrer Erwerbstätigkeit im Jahr 1974 und ihre kontinuierliche Tätigkeit bis zum Renteneintritt im Jahr 2007 an ihre Lebensstellung, die sie bereits vor der Geburt des Kindes innehatte, anknüpfte. Hinzu kommt, dass die Ehe, die bis zur Zustellung des Scheidungsantrages lediglich rund 13 Jahre dauerte, bezogen auf den vom Kläger begehrten Abänderungszeitpunkt (August 2007) bereits seit über 25 Jahren geschieden war.
Rz. 46
(dd) Schließlich hätte das Berufungsgericht bei der Billigkeitsabwägung auch nicht unberücksichtigt lassen dürfen, dass die Beklagte durch den Versorgungsausgleich eine erhebliche Aufbesserung ihrer Rente erfahren hat, die nunmehr deutlich über ihrem angemessenen Lebensbedarf liegt. Dass die Beklagte hinsichtlich ihres Vertrauens auf den Unterhalt Dispositionen getroffen hätte, denen zufolge sie auf den Unterhalt angewiesen wäre, ist demgegenüber nicht festgestellt.
Rz. 47
5. Nicht zu beanstanden - und von der Revision auch nicht gerügt - sind hingegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Beklagte auf den Unterhalt für die Zeit ab Renteneintritt verzichtet habe und ihr Unterhaltsanspruch auch nicht gem. § 1579 Nr. 2 BGB zu versagen sei.
III.
Rz. 48
Nach alledem kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO.
IV.
Rz. 49
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, den Unterhalt der Beklagten nach Maßgabe der geänderten Senatsrechtsprechung (s. dazu BGH, Urt. v. 7.12.2011 - XII ZR 151/09, MDR 2012, 156 Rz. 37 ff. und XII ZR 159/09, MDR 2012, 161 Rz. 34) gem. §§ 1578, 1581 BGB erneut zu bestimmen, bevor es über die Frage der Unterhaltsbegrenzung nach § 1578b BGB entscheidet. Dabei wird es zunächst zu prüfen haben, ob die von ihm angenommenen Rentennachteile durch den Versorgungsausgleich kompensiert worden sind. Daneben wird sich das OLG im Zusammenhang mit der Frage, ob die Beklagte durch die Nichtaufnahme eines Lehramtsstudiums - wie vom AG bejaht - ehebedingte Nachteile erlitten hat, mit der Senatsrechtsprechung zur sekundären Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten auseinanderzusetzen haben, wonach u.a. die hieran zu stellenden Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (BGH, Urt. v. 26.10.2011 - XII ZR 162/09, FamRZ 2012, 93 Rz. 23 f.; v. 20.10.2010 - XII ZR 53/09, FamRZ 2010, 2059 Rz. 32 f.). Ggf. wird das Berufungsgericht der Beklagten Gelegenheit geben müssen, die konkreten Auswirkungen des von ihr geschilderten hypothetischen Lebenslaufs darzulegen und auf die Einwände des Klägers einzugehen, wonach sie selbst bei einer Verbeamtung hinsichtlich der Altersvorsorge keine Nachteile erlitten hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 2961841 |
NJW 2012, 2028 |
EBE/BGH 2012 |
FamRZ 2012, 951 |
FuR 2012, 372 |
JurBüro 2012, 502 |
MittBayNot 2013, 384 |
ZAP 2012, 683 |
MDR 2012, 648 |
FF 2012, 350 |
FamRB 2012, 206 |
NJW-Spezial 2012, 326 |