Leitsatz (amtlich)
Hat der Anwalt ein allein für Zahlungen Dritter an seinen Auftraggeber bestimmtes Anderkonto eingerichtet und darf er über das dort vorhandene Guthaben im Innenverhältnis nur nach den Weisungen seines Mandanten verfügen, kann dieser Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern des Anwalts in das Konto auch dann widersprechen, wenn er dem Anwalt im Einzelfall gestattet hat, auf dem Konto eingegangene Gelder in Höhe ihm zustehender Honorarforderungen zur Tilgung eigener Schulden zu verwenden.
Normenkette
ZPO § 771
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. März 1995 und das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Heidelberg vom 6. Oktober 1993 aufgehoben.
Die vom beklagten Land aus der Pfändungsverfügung vom 8. Oktober 1992 gegen den Vollstreckungsschuldner Rechtsanwalt H. B. S. betriebene Vollstreckung in die Anderkonten Nr. 1088700000 und 1086391000 bei der Bank …, H., wird für unzulässig erklärt. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist ein Inkassounternehmen. Blieben ihre an die Schuldner gerichteten Mahnungen erfolglos, beauftragte sie mit der Einziehung der Forderungen Rechtsanwalt S. Dieser richtete im Jahre 1988 für die eingehenden Zahlungen bei einer Bank ein „Anderkontokorrentkonto für Rechtsanwälte” (Nr. 1086391000) ein. Im August 1991 eröffnete er ein weiteres entsprechendes Konto (Nr. 1088700000) zu demselben Zweck. Rechtsanwalt S. forderte die Schuldner jeweils auf, die Ansprüche der Klägerin einschließlich der für ihn nach der BRAGO erwachsenen Gebühren durch Zahlung auf eines der genannten Konten zu begleichen.
Mit Zustimmung der Klägerin wurden bis zum Jahre 1992 von dem Konto Nr. 1086391000 mehrfach Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Anwalts an das Finanzamt abgeführt. Rechtsanwalt S. standen in diesen Fällen jeweils Honoraransprüche in Höhe der geleisteten Beträge gegen die Klägerin zu.
Mit Verfügung vom 8. Oktober 1992 pfändete das beklagte Land wegen rückständiger Steuerschulden des Rechtsanwalts in Höhe von über 1, 2 Mio. DM die Guthaben auf den genannten Konten. Dagegen richtet sich die Drittwiderspruchsklage der Klägerin, die geltend macht, der Beklagte habe in zu ihren Gunsten angelegte Treuhandkonten vollstreckt. Die dort vorhandenen Guthaben gehörten zu ihrem Vermögen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Diese verfolgt mit der Revision ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg; die Klage aus § 771 ZPO ist begründet.
I.
Legt ein Anwalt zugunsten seines Auftraggebers ein Treuhandkonto an, so ist derjenige, zu dessen Gunsten das Konto eingerichtet worden ist, nach § 771 ZPO widerspruchsberechtigt, wenn Gläubiger des Treuhänders die Zwangsvollstreckung in das Konto betreiben (BGH, Urt. v. 7. April 1959 – VIII ZR 219/57, NJW 1959, 1223, 1224; v. 16. Dezember 1970 – VIII ZR 36/69, NJW 1971, 559, 560; BGHZ 61, 72, 79). Das gilt auch hinsichtlich der Beträge, die Dritte bestimmungsgemäß auf dieses Konto einbezahlt haben (BGH, Urt. v. 7. April 1959, a.a.O. S. 1225; Canaris in Großkommentar HGB 4. Aufl. Bankvertragsrecht Rdnr. 280). Darauf, ob die treuhänderische Bindung nach außen offengelegt wurde, kommt es nicht an. Die Publizität des Treuhandkontos ist für das Widerspruchsrecht des Treugebers keine notwendige Voraussetzung (BGHZ 61, 72, 79; BGH, Urt. v. 1. Juli 1993 – IX ZR 251/92, NJW 1993, 2622). Schon wegen der auf dem Treuhandvertrag beruhenden Beschränkung der Rechtsmacht des Verwaltungstreuhänders im Innenverhältnis ist die von ihm gehaltene Forderung dem Vermögen des Treugebers zuzuordnen.
Hat der Rechtsanwalt dagegen für das aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrages eingezogenen Geld ein eigenes Geschäfts- oder Privatkonto verwendet, das nicht allein der Aufnahme von Fremdgeldern dient, so kann der Auftraggeber einer Pfändung in dieses Konto nicht widersprechen. In einem solchen Falle gehört die Guthabenforderung gegen die Bank noch zum Vermögen des Anwalts; dem Mandanten steht lediglich ein schuldrechtlicher Verschaffungsanspruch aus § 667 BGB zu (BGH, Urt. v. 16. Dezember 1970, a.a.O.; vgl. auch BGH, Urt. v. 19. November 1992 – IX ZR 45/92, ZIP 1993, 213, 214). Ein Treuhandverhältnis, aufgrund dessen das Guthaben dem Vermögen des Auftraggebers zuzurechnen ist, kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Einzahlungen auf ein ausschließlich zur Verwaltung von Fremdgeldern eingerichtetes und benutztes Sonderkonto erfolgt sind.
II.
Von diesen Grundsätzen geht auch das Berufungsgericht aus. Es hat der Klage jedoch den Erfolg versagt, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß es sich bei den streitbefangenen Konten um Treuhandkonten zu ihren Gunsten handele. Rechtsanwalt S. habe ausweislich der von der Klägerin selbst dargestellten Einziehungsvorgänge auf den genannten Konten auch Rechtsanwaltsgebühren vereinnahmt. Die Klägerin habe Rechtsanwalt S. diese Gebühren nicht schon vorher bezahlt. Vielmehr sei es so gehandhabt worden, daß die ihm zustehenden Honorare auf den Anderkonten verblieben und von dort direkt seine Steuerschulden bezahlt worden seien. Ein Teil der Beträge auf dem Konto Nr. 1086391000 sei somit nicht für die Klägerin, sondern für den Kontoinhaber Rechtsanwalt S. verwendet worden. Zwar habe man sich auf diese Weise lediglich den Umweg über die Konten der Klägerin erspart; dies ändere aber nichts daran, daß die eingezahlten Gelder, soweit sie Rechtsanwaltsgebühren enthielten, wirtschaftlich nicht der Klägerin zugestanden hätten. Die Zahlungen der Steuerschulden seien allerdings nur zu Lasten des bereits im Jahre 1988 eingerichteten Anderkontos erfolgt. Die Klägerin habe aber nicht einmal behauptet, daß dies so vereinbart gewesen und nicht lediglich zufällig erfolgt sei. Diese Erwägungen sind nicht geeignet, die Einrichtung und Verwaltung von Treuhandkonten zugunsten der Klägerin in Zweifel zu ziehen. Im Gegenteil folgt aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, daß die Klägerin der Pfändung zu Recht widerspricht.
1. Die Kontoverträge sind ausdrücklich als solche für Anderkonten bezeichnet. Diese Konten sind nicht dafür bestimmt, eigenen Zwecken des Kontoinhabers zu dienen, welcher gleichwohl der Bank gegenüber allein berechtigt und verpflichtet ist. Demgemäß darf der Kontoinhaber für eigene Zwecke vorgesehene Werte nicht dem Anderkonto zuführen oder dort belassen (vgl. den Text des von Rechtsanwalt S. unterzeichneten Kontovertragsformulars sowie Ziffer 1 und 4 der Bedingungen der Geschäftsbanken für Anderkonten von Rechtsanwälten, abgedruckt bei Canaris, a.a.O. Rdnr. 296). Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, daß auf den von Rechtsanwalt S. eingerichteten Konten nur Zahlungen von Schuldnern der Klägerin auf Forderungen eingingen, deren Beitreibung dem Anwalt übertragen worden war. Einrichtung und Handhabung der Konten beruhte auf einer Absprache der Klägerin mit dem Kontoinhaber und diente auch uneingeschränkt ihrem Interesse.
2. Kennzeichnend für einen Treuhandvertrag zwischen Mandant und Anwalt ist, daß letzterer im Innenverhältnis über die auf dem Anderkonto entstandenen Guthaben nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers verfügen darf (BGH, Urt. v. 16. Dezember 1970, a.a.O. S. 560). Das Berufungsgericht meint, hieran fehle es im Streitfall, weil die Schuldner auch die von ihnen geforderten Anwaltsgebühren auf das Konto überwiesen hätten und die Honoraranteile für Rechtsanwalt S. verwendet worden seien. Diese Auffassung ist rechtlich nicht haltbar.
a) Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß einem Anwalt bei außergerichtlicher Tätigkeit für seinen Mandanten kein unmittelbarer Honoraranspruch gegen den Schuldner zusteht. Der Auftraggeber selbst kann die Anwaltskosten unter den Voraussetzungen der §§ 284 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB jedoch als Verzugsschaden geltend machen. Das ist hier in den von Rechtsanwalt S. verfaßten Mahnschreiben geschehen. Die eingehenden Zahlungen gehörten daher auch, soweit sie Anwaltshonorar umfaßten, zum Vermögen der Klägerin. Das Berufungsgericht nimmt selbst nicht an, die Klägerin habe ihre Forderungen, soweit sie Honoraranteile enthielten, schon vorweg an den Anwalt abgetreten oder mit ihm vereinbart, daß er generell in dieser Höhe Entnahmen aus den Konten tätigen durfte. Das Vorbringen der Parteien liefert auch für eine solche Abrede keinerlei Anhaltspunkte. Die gegenteilige Auffassung der Revisionserwiderung beachtet nicht die für den Revisionsrechtszug bindenden tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils. Danach einigte sich Rechtsanwalt S. jeweils im Einzelfall mit der Klägerin darüber, ob und in welchem Umfang er Geld vom Anderkonto zur Tilgung seiner Steuerschulden entnehmen durfte. Auf diese Weise sollte lediglich der Umweg über ein anderes Konto der Klägerin vermieden werden. Demzufolge kommt es nicht darauf an, ob in der Praxis häufig andere rechtliche Gestaltungen vereinbart werden.
Der Senat kann daher offenlassen, ob durch eine Abtretungsvereinbarung der Treuhandcharakter des Anderkontos aufgehoben würde (verneinend Canaris, a.a.O. Rdnr. 280). Nach der Darstellung der Komplementärin der Klägerin, die das Berufungsgericht seiner Würdigung zugrunde legt, erhielt der Anwalt zudem von ihr nicht ein Entgelt für den einzelnen Auftrag, sondern ein festes Jahreshonorar. Folglich stand das Gesamtguthaben im Innenverhältnis uneingeschränkt der Klägerin zu. Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist daher mit den Fällen, in denen die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher die Voraussetzungen eines Treuhandkontos verneint hat, nicht zu vergleichen. Dort ging es darum, daß der Anwalt die Zahlungen des Schuldners auf ein eigenes Geschäfts- und Privatkonto eingezahlt hatte (vgl. BGH, Urt. v. 16. Dezember 1970, a.a.O.), die den Zahlungen zugrunde liegenden Forderungen in der Person des Treuhänders entstanden waren (vgl. BGH, Urt. v. 19. November 1992 IX ZR 45/92, ZIP 1993, 213, 214) oder nicht feststand, für wen die auf dem Konto eingegangenen Zahlungen bestimmt waren (vgl. BGH, Urt. v. 1. Juli 1993 – IX ZR 251/92, NJW 1993, 2622).
b) Die auf den Anderkonten befindlichen Guthaben verloren ihre Eigenschaft als Treugut nicht dadurch, daß mit dem dort eingegangenen Geld Steuerschulden des Anwalts bezahlt wurden. Die oben beschriebene Bindung des Kontoinhabers an die Weisungen der Klägerin bestand nach den Feststellungen des Berufungsgerichts uneingeschränkt; sie wurde auch nicht durch die tatsächliche Handhabung aufgelöst. Zur Tilgung von Steuerschulden des Anwalts wurden Gelder ausschließlich nach Maßgabe von im Einzelfall getroffenen Vereinbarungen entnommen, und dies lediglich in einem Umfang, der nicht über den Betrag hinausging, der dem Kontoinhaber aufgrund der über die Anderkonten abgewickelten Vorgänge als Honorar zustand. Die Verfügungsbefugnis der Klägerin über die Guthaben auf den Anderkonten war im Innenverhältnis auch insoweit nicht eingeschränkt. Es blieb ihr überlassen, ob und in welchem Umfang sie aus den dort eingegangenen Zahlungen die Honoraransprüche des Anwalts befriedigte. Die im Einvernehmen mit der Klägerin von dem Anderkonto an das Finanzamt getätigten Überweisungen stellten nichts anderes dar als Teilzahlungen der Klägerin auf die Honorarforderungen des Treuhänders. Daß sie das wirtschaftlich ihr zustehende Vermögen auf den Anderkonten teilweise dazu nutzte, Gegenansprüche des Treuhänders zu befriedigen, beeinflußt den Charakter der dort angesammelten Guthaben als Treugut nicht; denn eine solche Abwicklung ist durch die Treuhandabrede gedeckt.
Zudem darf der Anwalt in der Regel gegenüber dem Herausgabeanspruch des Treugebers mit Forderungen aus dem Treuhandverhältnis aufrechnen und sich insoweit aus dem Treuhandkonto befriedigen (vgl. BGHZ 71, 380, 383; BGH, Urt. v. 4. März 1993 – IX ZR 151/92, ZIP 1993, 602, 604; v. 23. Februar 1995 – IX ZR 29/94, WM 1995, 1064, 1065). Dann kann der Treuhandcharakter eines Anderkontos nicht deshalb verneint werden, weil der Auftraggeber aufgrund individueller Einzelabsprachen zuläßt, daß der Anwalt als Kontoinhaber daraus Honorar entnimmt, welches ihm für die Einziehung von Forderungen zusteht, die durch Überweisung auf das Anderkonto getilgt wurden.
3. Der Umstand, daß der Vollstreckungsschuldner am 1. Oktober 1987 seine Honoraransprüche – auch diejenigen gegenüber der Klägerin – an die Komplementärin der Klägerin sicherungshalber abgetreten hat, hat keinen Einfluß auf die Beurteilung des ihm erteilten Geschäftsbesorgungsvertrages und berührt daher die sich aus der Errichtung und Verwaltung der Anderkonten ergebenden Rechtsbeziehungen nicht.
4. Hat das Berufungsgericht somit schon den Treuhandcharakter des Kontos, von dem die Zahlungen auf die Steuerschulden des Anwalts erfolgten, zu Unrecht verneint, gilt dies erst recht für die Guthaben auf dem Konto Nr. 1088700000, die der Klägerin bisher vollständig zugeflossen sind.
5. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Tatsachen, soweit möglich, aufgeklärt und dabei die Einwendungen des Beklagten vollständig berücksichtigt. Weiteren Streitstoff, der noch der Aufklärung bedarf, gibt es nicht. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die die Parteien nicht angegriffen haben, ist der Klage aus § 771 ZPO daher, unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen, stattzugeben.
Fundstellen
Haufe-Index 609757 |
BB 1996, 873 |
NJW 1996, 1543 |
JuS 1996, 1036 |
ZBB 1996, 143 |