Leitsatz (amtlich)
a) Hat der Erblasser ein Grundstück unter Nießbrauchsvorbehalt weggeschenkt, dann ist für den maßgebenden Stichtag gemäß § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Vergleichsrechnung nötig. Dabei sind gegenüberzustellen der Grundstückswert zur Zeit der Schenkung (umgerechnet unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes auf den Erbfall) und derjenige zur Zeit des Erbfalls; der Nießbrauch bleibt hier zunächst unberücksichtigt.
b) Ist danach die Zeit der Schenkung als Bewertungsstichtag maßgebend, dann ist im Grundsatz die Differenz zwischen Grundstücks- und Nießbrauchswert zu bilden und nach dem Kaufkraftschwund auf den Todestag umzurechnen.
Normenkette
BGB § 2325 Abs. 2 S. 2, § 2311
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 16.10.1990) |
LG Nürnberg-Fürth |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 16. Oktober 1990 aufgehoben, soweit es die Beklagte zur Zahlung von mehr als 36.836,86 DM nebst Zinsen hinaus verurteilt und über die Kosten des Rechtsstreits entschieden hat. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Die weitergehenden Rechtsmittel der Beklagten werden zurückgewiesen.
Es tragen von den Kosten
des ersten Rechtszuges die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3
des zweiten Rechtszuges die Klägerin 17/30 und die Beklagte 13/30, sowie
des dritten Rechtszuges die Klägerin 12/25 und die Beklagte 13/25.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist die nichteheliche Tochter des am 22. Februar 1987 verstorbenen Ingenieurs M. (Erblasser) und dessen einziger Abkömmling. Dieser hatte mit seiner Ehefrau am 10. November 1967 einen Erbvertrag geschlossen, durch den sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben und die Beklagte zur Alleinerbin des überlebenden Ehegatten beriefen. Die Beklagte ist eine nichteheliche Tochter der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers. Die Vaterschaft hat der ehemalige Verlobte anerkannt, der während des Krieges gefallen ist.
Mit der Klage beansprucht die Klägerin ihren Pflichtteil sowie Pflichtteilsergänzung. Sie hat vor dem Landgericht zuletzt Zahlung von 100.000 DM nebst Zinsen begehrt. Den Pflichtteilsergänzungsanspruch stützt die Klägerin darauf, daß der Erblasser und dessen Ehefrau aufgrund Vertrages vom 1. Februar 1978 ihr Hausgrundstück der Beklagten geschenkt hätten. Hier sei der Wert des hälftigen Miteigentumsanteils des Erblassers von 147.500 DM beim Erbfall anzusetzen.
Das Landgericht hat den Wert des Nachlasses beim Erbfall mit 52.873,83 DM zugrunde gelegt, hat der Klägerin einen Pflichtteilsanspruch von 26.436,92 DM zugebilligt und einen Pflichtteilsergänzungsanspruch verneint. Es hat die Beklagte nach Abzug einer Zahlung von 11.29 5,09 DM zu einer weiteren Zahlung von 15.141,43 DM nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht dieser zusätzlich einen. Pflichtteilsergänzungsanspruch von (112.648,35 DM: 2 =) 56.324,17 DM zugebilligt und der Klage unter Berücksichtigung unstreitiger weiterer Zahlungen von insgesamt 21.295,09 DM mit einem Betrag von insgesamt 61.466 DM nebst Zinsen stattgegeben. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat der Senat nur wegen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs angenommen; die Annahme der Anschlußrevision der Klägerin ist in vollem Umfang abgelehnt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Teilaufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer eigenen Sachentscheidung des Senats.
1. Das Berufungsgericht sieht die Übertragung des Hälfteanteils des Erblassers an dem Hausgrundstück an die Beklagte aufgrund des Übergabevertrages vom 1. Februar 1978 als Schenkung an. Es bewertet diesen für die Zeit der Schenkung (ohne Rücksicht auf den Nießbrauch) mit 85.000 DM und rechnet diesen Betrag unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes bis zum Erbfall um auf 112.648,35 DM. Dieser Betrag sei maßgebend, da der Hälfteanteil beim Erbfall mehr wert gewesen sei.
Diese Vergleichsrechnung stimmt mit dem Niederstwertprinzip des § 2325 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB überein, weil der Nießbrauch bei der Feststellung des maßgebenden Niederstwertes zunächst unberücksichtigt bleiben muß. Denn der Vorteil beim Beschenkten, der darin liegt, daß der Nießbrauch mit dem Tode des Erblassers endet, beruht auf einem substantiellen Zuwachs des Geschenks. Er fällt damit nicht unter diejenigen Wertsteigerungen, die § 2325 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB dem Erben vorbehalten will und die dem Pflichtteilsberechtigten daher nicht zugute kommen.
Soweit das Berufungsgericht aber den Wert des Nießbrauchs an dem Grundstück, den die Beklagte dem Erblasser und dessen Ehefrau gleichzeitig eingeräumt hatte, gänzlich außer acht lassen will, stimmt sein Urteil, wie die Revision mit Recht rügt, mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht überein.
Nach der Rechtsprechung des Senats sind im Rahmen der Pflichtteilsergänzung gemäß §§ 2325, 2329 BGB Schenkungen, bei denen dem Schenker die Nutzungen des verschenkten Gegenstandes verbleiben, lediglich in dem Umfang in Ansatz zu bringen, in dem der Wert des weggeschenkten Gegenstandes den Wert der kapitalisierten verbliebenen Nutzungen überstieg. Das gilt unabhängig davon, ob der Schenker sich Nießbrauch vorbehält oder ob dieser wie eine Gegenleistung des Beschenkten oder eine Auflage an ihn formuliert ist. Der Senat hat diese Praxis zuletzt in dem Urteil vom 30. Mai 1990 (IV ZR. 254/88 – WM 1990, 1637, 1638 = BGER BGB § 2325 Abs. 2 Satz 2 „Nießbrauchsvorbehalt 1”) einer erneuten Prüfung unterzogen mit dem Ergebnis, daß an ihr festgehalten werden muß.
2. Der vorliegende Fall bildet keinen Grund, von ihr abzugehen.
Die beiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 14. März 1990 (BGHZ 111, 8) und vom 30.5.1990 (XII ZR 75/89 – NJW 1990, 3018; ebenso Urteil vom 27.6.1990 – XII ZR 95/89 – WM 1990, 1763, 1765), auf, die das Berufungsgericht sich stützen will, sind nicht einschlägig. Sie betreffen die Berechnung des Zugewinnausgleiches nach Beendigung des gesetzlichen Güterstandes und tragen dem Sinn und Zweck des § 1374 Abs. 2 BGB Rechnung. Diese Vorschrift und ihre Grundgedanken haben jedoch im Rahmen der Pflichtteilsergänzung keine Bedeutung.
3. Die Kritik, die „Reiff” (FamRZ 1991, 553) inzwischen an der angeführten Rechtsprechung des Senats geübt hat, ist nicht berechtigt.
Reiff übersieht, daß auch der Senat den „Substanzzuwachs”, den das Geschenk für den Beschenkten zwischen der Übereignung an ihn und dem Ende des Nießbrauchs infolge der fortschreitenden Abnahme der Lebenserwartung des Berechtigten stetig erfährt, berücksichtigt. Er bezieht in die Bewertung des Geschenkes nicht nur das sogenannte nackte Eigentum, sondern auch die künftige Nutzungsbefugnis des Beschenkten ein.
Allerdings gebietet die Stichtagsregelung des § 2325 Abs. 2 BGB, wenn dessen Satz 2 Halbsatz 2 eingreift, dabei auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der dinglichen Vollziehung der Schenkung abzustellen. Daß dieser Ansatz zutrifft, zeigt sich besonders deutlich, wenn der Schenker den Nießbrauch an dem weggeschenkten Grundstück sich nicht selbst vorbehält, sondern (an eine andere Person) ebenfalls wegschenkt (vgl. den Fall in BGHZ 85, 274, 286, zitiert in WM 1990, 1637, 1638; siehe auch Reiff, Dogmatik der Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt S. 236). In einem solchen Fall sind selbstverständlich beide Schenkungen in die Ergänzungsrechnung einzustellen; erst beide Schenkungsgegenstände zusammengenommen stellen die in mehrere Hände weggegebene Sachsubstanz dar. Demgemäß entspricht die Summe der Werte des Nießbrauchs einerseits und des mit ihm belasteten Grundstücks andererseits dem Gesamtwert des (unbelasteten) Grundstücks. Daß der Wert des belasteten Grundstücks am Stichtag deshalb entsprechend geringer ist als derjenige des vom Nießbrauch entlasteten Grundstücks, liegt auf der Hand. Im Prinzip ändert sich an dieser Erkenntnis aber auch dann nichts, wenn der Erblasser den Nießbrauch nicht wegschenkt, sondern – wie hier – selbst behält. Denn der Pflichtteilsberechtigte ist entgegen der Auffassung von Reiff gerade nicht so zu stellen, als befände sich der weggeschenkte Gegenstand noch im Nachlaß. Er muß vielmehr so stehen, als sei der Gegenstand zur Zeit, der dinglichen Vollziehung der Schenkung in Geld umgesetzt worden; nur der dabei hypothetisch erzielte Erlös (= Wert) ist dem Nachlaß hinzuzurechnen (§ 2325 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB). Einem Erblasser, der den Nießbrauch an seinem weggegebenen Grundstück vorerst noch hat, verbleibt damit vorübergehend noch ein Teil der Grundstückssubstanz. Diese hat auch in seiner Hand einen wirtschaftlichen Wert. Er kann sich im Laufe der Zeit in seinem Vermögen, etwa in Form von angesammelten Miet- oder Pachtzinsen oder von ersparten Aufwendungen für eine sonst erforderliche Mietwohnung, niederschlagen und kommt insofern seinen Erben und auch den Pflichtteilsberechtigten zugute. Wie sich der Nießbrauchsvorbehalt auf den Beginn der Frist des § 2325 Abs. 3 Halbsatz 1 BGB auswirkt, ist hier nicht zu entscheiden.
4. Hiernach ergibt sich, daß der vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zugrundegelegte Wert des an die Beklagte verschenkten Grundstücks von 170.000 DM um den Wert des Nießbrauchs zur Zeit der Schenkung zu vermindern ist. Diesen letzteren Wert hat das Landgericht aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei mit 97.000 DM bewertet. Nach Abzug dieses Betrages ergibt sich ein Schenkungswert von 73.000 DM, von dem die Hälfte, nämlich 36.500 DM, auf die Schenkung des Hälfteanteils des Erblassers entfallen, was unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes bis zum Erbfall nach dem unbedenklichen Umrechnungsfaktor des Berufungsgerichts einem Betrag von 48.372,53 DM entspricht.
Auch in dieser Höhe kann der Klägerin aber Pflichtteilsergänzung nicht zugebilligt werden. Das Berufungsgericht hat nämlich nicht berücksichtigt, daß die Beklagte und ihr Ehemann Aufwendungen auf das Grundstück gemacht haben, und zwar nach den Feststellungen des Landgerichts vor der Übergabe an die Beklagte in Höhe von 33.355 DM. Diese Aufwendungen müssen der Beklagten zugute kommen, da sich der Grundstückswert hier entsprechend erhöht hat, allerdings im Hinblick auf die (nur) hälftige Beteiligung des Erblassers am Grundstück lediglich in Höhe von 16.677,50 DM. Demgegenüber müssen die Aufwendungen für die Zeit nach der Übergabe entgegen der Auffassung der Revision schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil das Berufungsgericht mit Recht auf den Wert zur Zeit der Übergabe abstellt.
Soweit die Revision dem Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerin entgegenhält, bei der Übertragung des Hälfteanteils an dem Hausgrundstück habe es sich um eine Schenkung im Sinne von § 2330 SGB gehandelt, ist sie unbegründet (vgl. dazu auch § 1600 a BGB, Art. 12 § 2 NEG).
Hiernach verbleibt für die Klägerin noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 31.69 5,03 DM nebst Zinsen.
Unterschriften
Bundschuh, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs, Dr. Ritter, Terno
Fundstellen
Haufe-Index 1128827 |
BGHZ |
BGHZ, 49 |
NJW 1992, 2887 |
FamRZ 1992, 1071 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1993, 122 |
JuS 1993, 164 |
MDR 1992, 681 |