Leitsatz (amtlich)
Verkauft der spätere Schuldner ohne vorherige Verpflichtung im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag an einen Insolvenzgläubiger (Käufer) Gegenstände, die er einem anderen Gläubiger zur Sicherheit übereignet hatte und die dieser zur Veräußerung nur an diesen Käufer "freigibt", so werden die Insolvenzgläubiger im Allgemeinen durch die dadurch zu Gunsten des Käufers hergestellte Aufrechnungslage benachteiligt; die Aufrechnung des Käufers gegen die Kaufpreisforderung ist dann gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO i.V. mit § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 16.01.2003) |
LG Koblenz |
Nachgehend
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Koblenz v. 16.1.2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am 26.5.2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin), die eine Bauunternehmung mit zwei Arbeitnehmern betrieb.
Die Schuldnerin verkaufte der Beklagten am 16.3.2000 Teile ihrer Geschäftsausstattung und Waren, die sie zuvor der ... bank (im Folgenden: Bank) zur Sicherung bestehender Forderungen von mehreren 100.000 DM sicherungsübereignet hatte, zu einem Preis von 66.000 DM. Die Bank, die an der Beklagten als Gesellschafterin beteiligt war, hatte das Sicherungsgut "freigegeben" mit der Maßgabe, dass es an die über bessere Verwertungsmöglichkeiten verfügende Beklagte veräußert werde. Die Beklagte rechnete mit eigenen Forderungen gegen die Kaufpreisforderung der Schuldnerin auf.
Am 4.4.2000 stellte die Schuldnerin den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Der Kläger hält die Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 130 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO für unzulässig und verlangt Zahlung des Kaufpreises. LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger könne die Unzulässigkeit der Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend machen, ohne dass er gleichzeitig die Anfechtung des zu Grunde liegenden Rechtsgeschäftes, hier des Kaufvertrages zwischen der Beklagten und der Schuldnerin, erklären müsse. Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO seien vorliegend erfüllt. Die Beklagte habe die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Die Gläubigerbenachteiligung i. S. v. § 129 InsO liege darin, dass die Beklagte durch die Aufrechnung Befriedigung eines Anspruchs i. H. v. 66.000 DM erlangt habe, bezüglich dessen sie sich ansonsten auf eine geringere Insolvenzquote hätte verweisen lassen müssen. Dass die der Beklagten verkauften Gegenstände im Sicherungseigentum der Bank gestanden hätten, ändere daran nichts. Denn die Vereitelung der durch die §§ 166 ff. InsO begründeten Rechte des Insolvenzverwalters führe zu einer jedenfalls mittelbaren Gläubigerbenachteiligung.
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.
1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht gehindert ist, lediglich die Unzulässigkeit der Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend zu machen, ohne gleichzeitig die Anfechtung des die Aufrechnungslage begründenden Rechtsgeschäfts (hier: des Kaufvertrages) zu erklären. Der Senat hat bereits zur Rechtslage nach der Konkursordnung und nach der Gesamtvollstreckungsordnung entschieden, dass die Herstellung einer Aufrechnungslage einen selbständigen Anfechtungstatbestand darstellt. Die "Rückgewähr" der Aufrechnungslage erfolgt in der Durchsetzung der Kaufpreisforderung unabhängig von der Gegenforderung; diese kann nicht im Wege der Aufrechnung zur Erfüllung der Schuld aus § 433 Abs. 2 BGB verwendet werden (BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [235 f.] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486; Urt. v. 4.10.2001 - IX ZR 207/00, MDR 2002, 355 = BGHReport 2002, 42 = ZIP 2001, 2055 [2056 f.]). Wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt, kann für die Bestimmung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nichts Anderes gelten, weil nach dieser Vorschrift die Unzulässigkeit der Aufrechnung kraft Gesetzes eintritt, sofern die Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO stellt allein darauf ab, dass "die Möglichkeit der Aufrechnung", also die Herstellung der Aufrechnungslage, durch die anfechtbare Rechtshandlung erlangt wurde (vgl. Brandes in MünchKomm/InsO, § 96 Rz. 38; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 96 Rz. 24).
2. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO im Ergebnis zu Recht als erfüllt angesehen.
a) § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst auch den Fall, dass die Aufrechnung - wie hier - vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt worden ist. Die Aufrechnungserklärung wird, wenn die Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen, mit der Eröffnung rückwirkend unwirksam (BT-Drucks. 12/2443, 141; Brandes in MünchKomm/InsO, § 96 Rz. 37; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 96 Rz. 24).
b) Die Beklagte hat die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt. Die Aufrechnungslage wurde in inkongruenter Weise hergestellt, weil die Beklagte darauf keinen Anspruch hatte (vgl. BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [240] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486). Eine Verpflichtung der Schuldnerin, mit der Beklagten den Kaufvertrag über die Teile ihrer Geschäftsausstattung und über die verkauften Waren abzuschließen, bestand nicht. Der Kaufvertrag wurde am 16.3.2000 geschlossen; die Aufrechnungslage wurde also im letzten Monat vor dem am 4.4.2000 gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet.
c) Entgegen der Auffassung der Revision hat die Herstellung der Aufrechnungslage die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligt (§ 129 Abs. 1 InsO). Die Beklagte hätte ohne die Aufrechnungslage auf ihre ungesicherten Forderungen gegen die Schuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens allenfalls eine Quote des Nennwerts erhalten. Den Kaufpreis für die an sie veräußerten Gegenstände schuldete sie dagegen in voller Höhe. Wird die vollwertige Kaufpreisschuld durch Aufrechnung mit einem entsprechenden Teil der (minderwertigen) Forderungen der Beklagten erfüllt, so entgeht der Insolvenzmasse der Unterschied zwischen dem Nennwert der Kaufpreisschuld der Beklagten und der bloßen Quote auf deren Gegenforderungen. Da auf die übrigen Insolvenzgläubiger dann rechnerisch eine entsprechend verringerte Insolvenzquote entfällt, sind diese insgesamt geschädigt (vgl. BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [238] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486).
d) An einer Gläubigerbenachteiligung fehlt es nicht deshalb, weil die von der Schuldnerin an die Beklagte verkauften Gegenstände zuvor an die Bank zur Sicherheit übereignet waren, die mit der Beklagten wirtschaftlich verbundene Bank das Sicherungsgut zur Veräußerung an die Beklagte "freigegeben" hatte und sich die Befriedigung der Beklagten durch Aufrechnung daher, wie die Revision meint, bei einer Gesamtbetrachtung als ein wirtschaftlich neutraler Vorgang darstellt.
aa) Rechtlich zutreffend ist das Berufungsgericht von dem Grundsatz ausgegangen, dass mehrere Rechtshandlungen selbst dann anfechtungsrechtlich selbständig zu erfassen sind, wenn sie gleichzeitig vorgenommen werden oder sich wirtschaftlich ergänzen (BGH, Urt. v. 7.2.2002 - IX ZR 115/99, BGHReport 2002, 524 = ZIP 2002, 489 [490]). Für die Beurteilung, ob die Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO), ist deshalb nur auf diejenigen Rechtshandlungen im Verhältnis zwischen der Beklagten und der Schuldnerin abzustellen, durch die die Aufrechnungslage begründet wurde. Besondere Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise die Berücksichtigung der "Freigabeerklärung" der Bank im Rahmen einer sie umfassenden einheitlichen Rechtshandlung in Betracht kommen könnte, sind hier nicht gegeben. Dazu genügt es weder, dass die Bank an der Beklagten beteiligt ist, noch reicht es aus, dass sie auf das ihr nach Insolvenzeröffnung zustehende Absonderungsrecht an den verkauften Gegenständen durch deren "Freigabe" zur Veräußerung an die Beklagte verzichtet hat. Nach dem Vortrag der Beklagten ist die Bank nur eine ihrer Gesellschafterinnen. Die Frage, ob Rechtshandlungen verschiedener Gläubiger ausnahmsweise anfechtungsrechtlich einheitlich zu beurteilen sein könnten, wenn zwischen ihnen rechtliche oder wirtschaftliche Identität besteht, stellt sich hier daher nicht.
bb) Das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung kann nicht deshalb verneint werden, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an den von der Schuldnerin an die Beklagte verkauften und übereigneten Gegenständen zuvor Sicherungseigentum der Bank bestanden hat. Das Sicherungseigentum gewährte der Bank, der selbst Forderungen i. H. v. mehreren 100.000 DM gegen die Schuldnerin zustanden, zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 51 Nr. 1 i. V. m. § 50 Abs. 1 InsO ein Recht zur abgesonderten Befriedigung nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO. Nach § 170 Abs. 1 S. 1 und 2 InsO hat der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger nicht bloß einen Anspruch auf die Insolvenzquote, sondern er ist nach Abzug der Kosten der Feststellung und der Verwertung aus dem verbleibenden Erlös aus der Verwertung des Gegenstandes der abgesonderten Befriedigung bis zur vollen Höhe seines Anspruchs zu befriedigen (vgl. Ganter in MünchKomm/InsO, vor §§ 49 bis 52 Rz. 1). Entgegen der Auffassung der Revision folgt daraus aber nicht, dass sich die Veräußerung der sicherungsübereigneten Gegenstände an die Beklagte im Einverständnis mit der Bank für die Insolvenzmasse im Ergebnis als ein wirtschaftlich neutraler Vorgang darstellt. Denn die sicherungsübereigneten Gegenstände stellten bei Begründung der Aufrechnungslage trotz des Absonderungsrechts der Bank für die Insolvenzmasse einen selbständigen, im Kern geschützten Vermögenswert dar (vgl. BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [239] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486). Dieser Vermögenswert ist den Insolvenzgläubigern durch die Veräußerung an die Beklagte entzogen worden. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass dieser der Insolvenzmasse verbleibende Vermögenswert in dem durch § 166 Abs. 1 InsO begründeten Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zum Ausdruck kommt, das im Interesse aller Insolvenzgläubiger besteht.
Dagegen ist eine die Gläubiger benachteiligende Wirkung i. S. d. § 129 InsO entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 20 [21]; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 21.20, 13.49; Henckel, Insolvenzrecht, S. 819 Rz. 14) nicht schon darin zu sehen, dass bei Weggabe des Absonderungsgutes vor Verfahrenseröffnung für die Insolvenzmasse nicht die Kostenpauschale nach den §§ 170, 171 InsO erlangt werden kann (wie hier Eckardt, Insolvenzrecht, S. 1739 f.; Obermüller, DZWIR 2000, 10 [12]; Weis in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 129 Rz. 67a; vgl. auch Kreft, HK-InsO, 2. Aufl., § 129 Rz. 58). Mit den §§ 170, 171 InsO soll lediglich die Mehrvergütung ausgeglichen werden, die durch die Bearbeitung von Absonderungsrechten innerhalb des Insolvenzverfahrens anfällt (BGH, Urt. v. 20.2.2003 - IX ZR 81/02, BGHReport 2003, 569 = ZIP 2003, 632 [635]). Soweit solche Mehrkosten nicht entstehen, soll der Masse folglich auch kein Anspruch auf einen Kostenbeitrag zukommen; nach § 170 Abs. 2 InsO entfällt daher beispielsweise der Anspruch auf Abführung einer Verwertungskostenpauschale, wenn der Verwalter dem Gläubiger die Verwertung überlässt. Sind Absonderungsrechte schon vor Verfahrenseröffnung weggefallen, entsteht weder ein Anspruch auf Ausgleich von Feststellungskosten noch ein solcher auf Ausgleich von Verwertungskosten. Soweit der Insolvenzverwalter auch den rechtlichen Bestand vor Insolvenzeröffnung weggefallener Sicherungsrechte zu prüfen hat, gehört dies zu seinen allgemeinen Verwaltungsaufgaben, für deren Erfüllung keine besondere Leistung an die Insolvenzmasse vorgesehen ist (BGH, Urt. v. 20.2.2003 - IX ZR 81/02, BGHReport 2003, 569 = ZIP 2003, 632 [635]). Die Masse hat keinen Anspruch darauf, dass Absonderungsrechte (nur) bestehen bleiben, damit deren Feststellung und Verwertung im Insolvenzverfahren Kosten verursachen, die durch Zahlung einer Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale nach den §§ 170, 171 InsO ausgeglichen werden müssen.
cc) Im vorliegenden Fall steht der Annahme eines wirtschaftlich neutralen Geschehens ferner entgegen, dass nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts das Besitzrecht der Schuldnerin zur Zeit der fraglichen Rechtshandlung noch nicht beendet, der Sicherungsfall noch nicht eingetreten war und infolge des Verkaufs der Gegenstände, die die durch Sicherungsübereignung gesicherte Bank "freigegeben" hatte, ungesicherte Forderungen der Beklagten befriedigt worden sind. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, es habe nur eine für die Insolvenzmasse neutrale Verschiebung auf der Gläubigerseite stattgefunden. Da die Bank das Sicherungsgut nicht für sich selbst verwertet hat, braucht nicht geprüft zu werden, ob eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger dann zu verneinen wäre, weil sich die Bank nur im Umfang ihres Absonderungsrechts aus den Gegenständen der Insolvenzmasse selbst befriedigt hätte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.3.2000 - IX ZR 138/99, MDR 2000, 783 = ZIP 2000, 898; Urt. v. 16.3.1995 - IX ZR 72/94, MDR 1996, 61 = ZIP 1995, 630 [634]; Urt. v. 11.7.1991 - IX ZR 230/90, MDR 1991, 962 = ZIP 1991, 1014 [1017]; ferner Kirchhof in MünchKomm/InsO, § 129 Rz. 109).
Fundstellen
BB 2003, 2707 |
DB 2004, 484 |
BGHR 2004, 343 |
BauR 2004, 323 |
NJW-RR 2004, 846 |
EWiR 2004, 241 |
JurBüro 2004, 396 |
KTS 2004, 114 |
StuB 2004, 383 |
WM 2003, 2458 |
ZIP 2003, 2370 |
DZWir 2004, 78 |
InVo 2004, 226 |
MDR 2004, 353 |
NZI 2004, 82 |
ZInsO 2003, 1101 |
ZBB 2004, 58 |
ZVI 2004, 25 |