Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrigkeit einer von den Eltern veranlaßten, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des bürgenden Kindes auf Dauer übersteigenden Bürgschaft bei zurechenbarer Kenntnis des Kreditinstituts
Leitsatz (amtlich)
a) Veranlassen Eltern im eigenen Interesse ihre erwachsenen, finanziell aber noch von ihnen abhängigen Kinder, eine deren voraussichtliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit weit übersteigende Bürgschaft zu erteilen, so verletzen die Eltern in der Regel ihre familienrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme; darauf, ob sie besonderen Druck ausgeübt haben, kommt es nicht an.
b) Hat die Bank die finanzielle Abhängigkeit des bürgenden Kindes von den Eltern sowie dessen voraussichtliche wirtschaftliche Überforderung gekannt – oder wären diese Umstände bei Überprüfung der Bonität des Bürgen deutlich geworden –, so spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Bank das rechtlich mißbilligenswerte Verhalten der Eltern gekannt oder sich dieser Erkenntnis bewußt verschlossen hat; eine entsprechende Bürgschaft ist regelmäßig sittenwidrig (Ergänzung zu BGHZ 125, 206).
Normenkette
BGB §§ 765, 138 Abs. 1, § 1618a
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 15.11.1995) |
LG Kleve |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. November 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte ist einer von vier Söhnen des Kaufmanns R. W. (nachfolgend: Hauptschuldner). Dieser war Inhaber eines Unternehmens, das Maschinen und Materialien für den Kanal- und Stollenbau herstellte und vertrieb. Außerdem war er mit mehr als 50 % an einer Aktiengesellschaft in Nordafrika beteiligt, die sich in demselben Produktionszweig betätigte.
Im Herbst 1988 gewährte die klagende Bank, dem Hauptschuldner einen Investitionskredit über 1,4 Mio DM, den er dazu benötigte, eine entsprechende Entnahme aus seinem deutschen Unternehmen zur Tilgung von Verbindlichkeiten der nordafrikanischen Gesellschaft wieder auszugleichen. Zur Absicherung dieses Darlehens sowie aller bestehenden und künftigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung der Klägerin mit dem Hauptschuldner übernahmen dessen Ehefrau sowie alle vier Söhne am 2./4. November 1988 je eine Höchstbetragsbürgschaft bis zum Betrag von 1,4 Mio DM zuzüglich Zinsen, Provisionen und Kosten, die auf den Höchstbetrag anfallen. Zeitgleich schloß der Hauptschuldner mit seinen Söhnen eine Vereinbarung, in der es heißt:
Die Bürgen haben bei Liquiditätsproblemen sowie bei Zahlungsunfähigkeit der Firma B. und R. W. erstrangigen Zugriff auf das gesamte Anlagevermögen der B. und R. W. sowie des Herrn R. W. einschließlich aller Forderungen und Anrechte auf Übernahme der laufenden Baumaßnahmen und die Abwicklung dieser in eigener Regie.
Maschinen und Geräte, die Eigentum der Finanzierungsbanken sind, können durch Übernahme der laufenden Verpflichtungen durch die Bürgen einzeln oder gemeinsam übernommen werden.
Der zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alte Beklagte studierte damals Bauingenieurwesen und erhielt von seinem Vater eine monatliche Ausbildungsunterstützung von 850 DM. Weiteres Einkommen oder Vermögen besaß er nach seiner Behauptung nicht. Es war vorgesehen, daß er nach Abschluß der Diplomprüfung, ebenso wie seine beiden älteren Brüder, in das väterliche Unternehmen eintrat.
Im Jahre 1990 fiel der Hauptschuldner in Konkurs. Die Klägerin kündigte das Kreditverhältnis und meldete Forderungen von 1,1 Mio DM aus dem Tilgungsdarlehen sowie von 81.034,59 DM aus laufender Rechnung an. Sie hat den Beklagten wegen eines Teilbetrages von 200.000 DM aus dem Kredit als Bürge in Anspruch genommen. Der Beklagte verdient heute etwa 5.600 DM netto monatlich, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er macht geltend, die Bürgschaft sei nach dem AGB-Gesetz sowie gemäß § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat den Bürgschaftsvertrag als wirksam angesehen und zur Begründung ausgeführt:
Der Vertrag verstoße nicht schon wegen des Umfangs der Verpflichtung gegen die guten Sitten. Bei Erteilung der Bürgschaft sei damit zu rechnen gewesen, daß der Beklagte nach absehbarer Zeit im Betrieb seines Vaters oder einem anderen Unternehmen eine seiner Ausbildung entsprechende Anstellung erhalten werde, nach gewisser Zeit möglicherweise in eine Führungsposition gelange und dann in der Lage sei, eine Verbindlichkeit von 200.000 bis 500.000 DM abzutragen. Außerdem sei zu beachten, daß der Beklagte nicht allein, sondern zusammen mit vier weiteren Bürgen hafte und der Hauptschuldner ihm und seinen Brüdern am Tage des Bürgschaftsvertrages den erstrangigen Zugriff auf das gesamte Anlagevermögen seines Unternehmens eingeräumt habe.
Besondere Umstände, die eine Bewertung des Geschäfts als sittenwidrig rechtfertigten, seien nicht gegeben. Der Hauptschuldner und dessen Unternehmen seien damals kreditwürdig gewesen. Der Beklagte habe aufgrund seines Alters und seiner Ausbildung genügend Geschäftserfahrung besessen, um das Risiko zu erkennen, das er mit seiner Verpflichtung eingegangen sei. Er habe auch nicht substantiiert behauptet, von seinem Vater unter Druck gesetzt worden zu sein. Dieser habe nicht gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Kinder verstoßen; denn die Kreditaufnahme habe den Interessen des Familienunternehmens gedient, in das der Beklagte nach Abschluß des Studiums habe eintreten wollen. Die Klägerin habe davon ausgehen dürfen, daß das Bürgschaftsrisiko zuvor sachgerecht innerhalb der Familie besprochen worden sei. Sie habe auch deshalb ein berechtigtes Interesse an der Mithaftung des Beklagten, weil sie sich auf diese Weise vor Vermögensverschiebungen vom Kreditnehmer auf die Söhne geschützt habe.
Die Revision wendet sich gegen diese Erwägungen mit Erfolg; denn sie vermögen die Wirksamkeit einer Bürgschaft in Höhe von 1,4 Mio DM nicht zu rechtfertigen.
II.
Die Haftung aus der Formularbürgschaft scheitert nicht schon an §§ 3, 9 AGBG; denn der Beklagte ist seine Verpflichtung aus Anlaß der Begründung des Darlehens eingegangen, für dessen Rückforderung er nunmehr in Anspruch genommen wird. Daß der Kreditvertrag erst einige Tage nach Erteilung der Bürgschaft zustande gekommen ist, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juni 1996 – IX ZR 229/95, WM 1996, 1391, 1392).
III.
Das Berufungsgericht hat die Behauptung des Beklagten als wahr unterstellt, er habe im Zeitpunkt der Erteilung der Bürgschaft über die ihm gezahlte Ausbildungsunterstützung hinaus kein weiteres Einkommen und Vermögen besessen. Für die revisionsrechtliche Beurteilung ist daher davon auszugehen, daß ihm damals lediglich 850 DM monatlich zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung standen. Unter diesen Voraussetzungen ist der Bürgschaftsvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
1. Die Haftung, die der Beklagte übernommen hat, übersteigt seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei weitem. Zwar durfte die Klägerin davon ausgehen, er werde schon in wenigen Jahren aufgrund seiner Ausbildung ein überdurchschnittliches monatliches Einkommen erzielen. Jedoch war offensichtlich, daß er selbst dann eine Verbindlichkeit nie würde tilgen können, die trotz der vom Hauptschuldner ausgehandelten äußerst günstigen Konditionen Zinslasten von mindestens 87.500 DM, nach Verzugseintritt sogar von über 150.000 DM, jährlich entstehen ließ.
2. Verpflichtet sich der Bürge in einem Umfang, der seine gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, ist ein solcher Vertrag nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Senats sittenwidrig und nichtig, wenn der Bürge durch zusätzliche dem Gläubiger zurechenbare Umstände in seiner Entscheidungsfreiheit durch ein rechtlich oder sittlich zu beanstandendes Verhalten beeinträchtigt worden und so ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern entstanden ist (Senatsurt. v. 25. April 1996 – IX ZR 177/95, WM 1996, 1124, 1125 mit Nachweisen zur bisherigen Rechtsprechung). Solche besonderen Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, daß Eltern unter Verletzung ihrer familienrechtlichen Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 1618 a BGB) von ihren noch in der Ausbildung oder am Anfang ihrer beruflichen Tätigkeit stehenden Kindern solche Bürgschaften verlangen. Das hat der Senat in seinen Urteilen vom 24. Februar 1994 (IX ZR 93/93, BGHZ 125, 206, 213 ff; IX ZR 227/93, WM 1994, 680, 682 f) ausführlich begründet. Ein Kreditinstitut, das eine solche durch rechtlich mißbilligtes Verhalten des Hauptschuldners für den Bürgen entstandene, klar zutage getretene Konfliktlage zum eigenen Vorteil ausnutzt oder für eigene Zwecke verwertet, handelt selbst sittenwidrig.
3. Der Vater des Beklagten hat dadurch, daß er der Klägerin von sich aus die Bürgschaft angeboten und seinen Sohn veranlaßt hat, die Haftung in dem hier maßgeblichen Umfang zu übernehmen, seiner aus § 1618 a BGB folgenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange seines Sohnes zuwidergehandelt.
a) Treten Eltern an ihre zwar schon erwachsenen, finanziell aber noch unterstützungsbedürftigen Kinder mit dem Ansinnen heran, für sie eine Bürgschaft zu übernehmen, sind diese in aller Regel schwerlich in der Lage, nüchtern abzuwägen, welche rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen damit für sie verbunden sind, sowie frei und unabhängig darüber zu entscheiden, ob sie ein solches Risiko eingehen wollen. Im allgemeinen werden junge, noch nicht geschäftserfahrene Erwachsene in einer solchen Situation geneigt sein, aus Vertrauen zu den Eltern oder auch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit der an sie herangetragenen Bitte ohne große Überlegung zu entsprechen. Handelt es sich, wie im Streitfall, um eine Verpflichtung, die bei Eintritt des Risikos zur Folge haben kann, daß auf unabsehbare Zeit an den Gläubiger hohe, den eigenen wirtschaftlichen Spielraum völlig ausschöpfende Leistungen zu erbringen sind, so setzt eine solche, nicht uneingeschränkt frei getroffene Entscheidung die Möglichkeit zur eigenständigen Lebensgestaltung aufs Spiel.
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts kommt es in diesen Fällen nicht darauf an, ob die Eltern Druck auf das Kind ausgeübt haben; denn schon der ernsthaft und bestimmt geäußerte Wunsch nach einer entsprechenden Haftung ist geeignet, das Kind in eine Lage zu bringen, die eine sachgerechte und unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen und eine hinreichende Beachtung des mit der Bürgschaft verbundenen Risikos zumindest erheblich erschwert. Ein entsprechendes Ansinnen der Eltern verstößt nicht nur dann gegen die ihnen von § 1618 a BGB auferlegten Pflichten, wenn ihnen ohne weiteres zumutbar ist, auf das Projekt, für das sie Kredit benötigen, ganz zu verzichten (vgl. BGHZ 125, 206, 215). Ausreichend ist vielmehr, daß bei vernünftiger Abwägung zwischen dem vom Kreditnehmer erstrebten Vorteil und den Gefahren, die seinen Kindern infolge der Haftung drohen, deren Belastung in dem von den Eltern gewünschten Umfang nicht vertretbar erscheint.
b) Der Vater des Beklagten begehrte das Darlehen zur wirtschaftlichen Stärkung des von ihm geführten Familienbetriebs. Es war vorgesehen, den Beklagten nach Abschluß seines Studiums beruflich in das Unternehmen einzubinden, so daß dieses in absehbarer Zeit auch für ihn die Grundlage seines Erwerbseinkommens bilden sollte. Im Hinblick darauf hatte der Bürge schon damals ein gewisses eigenes Interesse an der Investition, auf die sich seine Haftung bezieht.
Auch ist davon auszugehen, daß der Vater des Beklagten im Herbst 1988 zu Recht als kreditwürdig angesehen wurde. Dies besagt jedoch nicht – und wird von der Klägerin auch nicht behauptet –, daß das mit der Bürgschaft zu übernehmende Risiko aus damaliger Sicht als besonders gering einzustufen war. Wie die Erfahrung zeigt, können konjunkturelle oder technische Entwicklungen innerhalb kurzer Zeit ein Unternehmen in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Das gilt in besonderem Maße, wenn sich dessen Tätigkeit auf Länder erstreckt, deren politische und wirtschaftliche Verhältnisse nur schwer einzuschätzen sind. Der Beklagte hatte zudem, als er die Bürgschaft erteilte, keinerlei Einblick in die wirtschaftlichen Zusammenhänge des Unternehmens, an dem er weder berufsmäßig noch wirtschaftlich beteiligt war. Er verfügte noch nicht über geschäftliche Erfahrungen und hatte demzufolge an der Investitionsentscheidung nicht mitgewirkt. In das von seinem Vater verantwortete Projekt war er daher nicht in einer Weise einbezogen, die es schon für sich genommen rechtfertigen könnte, ihn wie einen Dritten zu behandeln, der ein unmittelbares Interesse an der Gewährung des Darlehens hat (vgl. dazu BGHZ 125, 206, 216 f sowie den bei Ganter WM 1996, 1705, 1711 f mitgeteilten Fall, der durch Nichtannahmebeschl. des Senats v. 8. Februar 1996 – IX ZR 211/95, erledigt wurde). Gleichwohl sollte der Beklagte schon als Student – unabhängig davon, ob er tatsächlich in den Betrieb eintrat und welche Stellung er dort erhielt – das volle Risiko des Kreditgeschäfts, das in keiner Weise für ihn überschaubar war, mittragen. Eine solche, alle Aussicht auf eine freie, selbstbestimmte Lebensgestaltung gefährdende Belastung durfte der Vater nicht fordern. Ob sein Handeln anders zu beurteilen wäre, wenn er ohne die volle Mithaftung des Beklagten den gewünschten Kredit auch von keiner anderen Bank erhalten hätte und dadurch der Erhalt des Familienbetriebs in Gefahr geraten wäre, kann dahingestellt bleiben; denn entsprechende Voraussetzungen hat die Klägerin nicht einmal behauptet.
c) Das Handeln des Vaters verdient schließlich nicht deshalb eine günstigere Beurteilung, weil er mit seinen Söhnen zeitgleich zur Erteilung der Bürgschaft die im Tatbestand zitierte Sicherungsvereinbarung geschlossen hat. Sie enthält schon deshalb keine wirksame Sicherungsübereignung von Betriebsinventar, weil es an der notwendigen Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses (§ 930 BGB) fehlt. Im übrigen würde eine solche, auf den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit bezogene Sicherungsvereinbarung der Anfechtung durch den Konkursverwalter nach § 31 Nr. 1 KO unterliegen (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1993 – IX ZR 129/92, ZIP 1993, 521) und wäre daher auch aus diesem Grunde wertlos.
4. Die Klägerin hat das zu mißbilligende Handeln des Hauptschuldners zum eigenen Vorteil ausgenutzt.
a) Der Klägerin waren die das Verhalten des Vaters kennzeichnenden Umstände bekannt, oder sie hat sie grob fahrlässig außer acht gelassen. Sie wußte aus dessen Angaben, daß der Beklagte noch studierte, also über kein Einkommen aus eigener Berufstätigkeit verfügte. Hat sie im übrigen davon abgesehen, sich nach seinen finanziellen Verhältnissen zu erkundigen, so hat sie im Widerspruch zur banküblichen Gepflogenheit gehandelt, eine angebotene Sicherheit auf deren Werthaltigkeit zu überprüfen. Dies läßt nur den Schluß zu, daß sie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten kannte oder sich diesem Wissen bewußt verschlossen hat (vgl. BGHZ 125, 206, 212 f). Die Klägerin hatte keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte in den Entscheidungsprozeß über die von seinem Vater für notwendig gehaltene Investition einbezogen war oder sich aus Gründen, die nicht auf seiner persönlichen Abhängigkeit vom Vater, sondern auf einer vernünftigen Abwägung der in Betracht zu ziehenden Vor- und Nachteile beruhten, dazu entschlossen hatte, die persönliche Haftung für eine Verbindlichkeit in Höhe von weit mehr als 1 Mio DM einzugehen. Daraus allein, daß der Vater die Bürgschaften selbst angeboten hatte, konnte die Klägerin nichts entnehmen, was auf eine in genügender Weise selbst verantwortete Entscheidung hindeutete. Zwar darf eine Bank im Verhältnis der Ehegatten untereinander grundsätzlich davon ausgehen, daß die Entscheidung für einen den Familienbetrieb betreffenden, objektiv vertretbar erscheinenden Kredit von beiden Partnern in freier Selbstbestimmung getroffen wurde (BGHZ 128, 230, 233; BGH, Urt. v. 25. April 1996 – IX ZR 177/95, WM 1996, 1124, 1125). Diese Regel gilt jedoch nicht in der Beziehung zwischen Eltern und deren noch nicht geschäftserfahrenen Kindern, weil sie häufig nicht in derselben Weise durch ein gleichgerichtetes Interesse verbunden sind, dort vielmehr die Gefahr besteht, daß junge Erwachsene aus emotionaler oder finanzieller Abhängigkeit ihr persönliches Interesse an einer unabhängigen Lebensgestaltung rein wirtschaftlich bestimmten Wünschen ihrer Eltern in bedenklicher Weise unterordnen. Entsprechende Tatsachen lagen hier für die Klägerin auf der Hand; denn aufgrund der mit dem Hauptschuldner geführten Verhandlungen deutete nichts darauf hin, daß jener das aus der grundgesetzlich geschützten Privatautonomie abzuleitende Bedürfnis des Beklagten, frei und unabhängig zu entscheiden, ob er ein solches Risiko eingehen wollte, hinreichend gewahrt hatte. Aus den im Streitfall für die Klägerin ersichtlichen Umständen sprach daher eine tatsächliche Vermutung dafür, daß der Beklagte eine hinreichend unbeeinflußte und selbständige Entscheidung nicht hatte treffen können, als er dem Wunsch des Vaters entsprach. Tatsachen, die geeignet wären, diesen Anschein zu entkräften, hat die Klägerin nicht vorgetragen, auch nicht im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Urkunden in ihren Geschäftsräumen.
b) Es sind keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, den Bürgschaftsvertrag trotz des der Klägerin als bekannt zuzurechnenden Einflusses des Hauptschuldners auf die Entscheidungsfreiheit des Beklagten ausnahmsweise als rechtlich hinnehmbar zu beurteilen. Selbst das beschriebene mittelbare Interesse des Beklagten an der Darlehensgewährung sowie der im Grundsatz anzuerkennende Schutz des Kreditgebers vor Vermögensverlagerungen durch den Hauptschuldner liefern keinen berechtigten Grund für eine Bürgschaft in der hier vereinbarten Höhe.
Die Klägerin behauptet selbst nicht, sie habe befürchten müssen, daß der Hauptschuldner das Darlehen eventuell nicht bestimmungsgemäß verwenden werde. Allerdings kommt es nicht selten vor, daß Inhaber eines Unternehmens beizeiten ihr Vermögen auf die Familienmitglieder verteilen. Diesem Risiko durfte die Klägerin bei Auswahl und Umfang der vom Darlehensnehmer zu stellenden Sicherheiten in angemessenem Umfang Rechnung tragen. Infolgedessen war es im Ansatz nicht zu beanstanden, auch den Beklagten, der zudem in absehbarer Zeit in den väterlichen Betrieb eintreten sollte und aufgrund seiner Ausbildung einen guten Verdienst erwarten durfte, in die Haftung zu nehmen. Da der Beklagte indessen weder maßgeblich am Unternehmen beteiligt noch in die kaufmännische Verantwortung für die vorgesehene Investition einbezogen war, hätte sich die Bürgschaft auf einen Betrag beschränken müssen, den der Sohn mit einem beruflichen Verdienst, wie ihn seine Ausbildung erwarten ließ, in absehbarer Zeit voraussichtlich aufbringen könnte. Das Interesse der Klägerin, auch vor Vermögensverschiebungen auf den Beklagten geschützt zu sein, die über den Umfang einer solchen Verpflichtung hinausgehen, hätte durch eine dieses spezifische Risiko betreffende vertragliche Regelung ausreichend gesichert werden können. Eine Übernahme der Haftung für den Gesamtkredit war dazu nicht erforderlich.
c) Der Umfang der vereinbarten Bürgschaft ist schließlich nicht deshalb rechtlich vertretbar, weil neben dem Beklagten dessen Mutter sowie die drei Brüder dieselbe Verpflichtung eingegangen sind, die Klägerin also insgesamt fünf Bürgen erhielt. Anders als bei Ehegatten ist die finanzielle Leistungsfähigkeit bürgender Kinder grundsätzlich isoliert zu betrachten, weil sie weder mit dem Hauptschuldner noch mit den übrigen Familienmitgliedern eine dauerhafte Wirtschaftsgemeinschaft unterhalten (Senatsurt. v. 24. Februar 1994 – IX ZR 227/93, WM 1994, 660, 662; v. 18. Januar 1996 – IX ZR 171/95, WM 1996, 519, 522).
5. Verstößt danach die Bürgschaft für einen Kredit in Höhe von 1,4 Mio DM gegen die guten Sitten, ist der gesamte Vertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig; denn die Vorschrift gestattet es nicht, in einem solchen Falle die Verpflichtung auf den gerade noch zulässigen Umfang herabzusetzen. Der Senat braucht sich daher nicht mit der Frage zu befassen, ob die Tatsache, daß das Bürgschaftsformular die Schutzrechte des Bürgen in außerordentlich hohem Maße beschneidet, ebenfalls Bedeutung für die nach § 138 Abs. 1 BGB zu treffende Gesamtwürdigung gewinnen kann.
IV.
Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend.
1. Der Beklagte hat nach Eintritt des Bürgschaftsfalles der Klägerin am 3. Januar 1991 gemeinsam mit seinen Brüdern geschrieben, sie würden ab 15. April 1991 zusammen monatlich 8.000 DM zahlen. Weiter hat die als Auffanggesellschaft gegründete b. GmbH, an der auch der Beklagte beteiligt war, am 23. Mai 1991 der Klägerin mitgeteilt, die Zahlungen könnten erst am 14. Juni 1991 aufgenommen werden. Die Revisionserwiderung sieht darin ein Schuldanerkenntnis oder eine Bestätigung des nichtigen Vertrages.
2. Diese Auffassung ist indessen rechtlich nicht haltbar.
Ein auch als „deklaratorisches Schuldanerkenntnis” bezeichneter kausaler Anerkenntnisvertrag hat eine Regelung zum Ziel, die das Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Punkten dem Streit oder der Ungewißheit der Parteien entziehen soll. Von einem Vertrag mit so weitgehenden Rechtswirkungen kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur unter strengen Voraussetzungen ausgegangen werden. Insbesondere muß sich aus dem Inhalt der Erklärung und dem mit ihr erkennbar verfolgten Zweck ergeben, daß die Vereinbarung solcher Rechtsfolgen dem übereinstimmenden Parteiwillen entsprach (BGH, Urt. v. 27. Januar 1988 – IVb ZR 82/86, WM 1988, 794, 795; v. 1. Dezember 1994 – VII ZR 215/93, NJW 1995, 960, 961). Davon kann hier keine Rede sein; denn die Klägerin hat nicht einmal behauptet, daß einer der Beteiligten die Wirksamkeit der Bürgschaft damals in Frage stellte und die Schreiben dazu dienten, eventuelle Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. Anhaltspunkte dafür, daß die Parteien damals das Rechtsgeschäft im Sinne des § 141 BGB bestätigt haben, sind dem von der Revision angesprochenen Verhalten erst recht nicht zu entnehmen.
V.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil das Berufungsgericht die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten zu dem Zeitpunkt, als er die Verpflichtung übernahm, nicht geklärt hat. Die Klägerin hat dessen Darstellung bestritten und insbesondere behauptet, er habe stille Beteiligungen besessen. Eventuelle sonstige Vermögenswerte und Einkünfte des Beklagten sind rechtlich nur bedeutsam, sofern sie ihm unabhängig von einer Insolvenz des Hauptschuldners verblieben und einen – auch im Verhältnis zur übernommenen Bürgschaft – beträchtlichen Wert darstellten. Da dem Beklagten indessen der Nachweis der finanziellen Überforderung obliegt, wird das Berufungsgericht nunmehr die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben.
Unterschriften
Brandes, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Fundstellen
Haufe-Index 542296 |
BB 1996, 2485 |
NJW 1997, 52 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1996, 1977 |
MDR 1997, 154 |
ZBB 1997, 69 |