Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufspflichten der Steuerbevollmächtigten

 

Leitsatz (amtlich)

Veruntreuungen, die eine Beschuldigte nicht in ihrer Eigenschaft als Helferin in Steuersachen, sondern als mit Buchführung und Kassenverwaltung beauftragte kaufmännische Angestellte begangen hat, fallen nicht unter StBerG § 114 Abs. 1.

 

Normenkette

StBerG § 114 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Die Beschuldigte ist durch Verfügung des Finanzamts N. vom 19. Juni 1954 als Helferin in Steuersachen für den Bezirk dieses Finanzamts zugelassen. Von Ende 1955 ab übte sie eine selbständige Praxis aus. Seit Januar 1957 war sie außerdem als Buchhalterin bei dem Verlag in H. tätig. Ihr festes monatliches Gehalt betrug etwas über 500 DM. Zu ihren Aufgaben als Angestellte gehörten:

Die Erledigung der laufenden Buchungen, Lohn- und Gehaltsabrechnung, Abführung von Steuern und Sozialabgaben, Erledigung des Zahlungswesens, Führung der Kasse, Mahnwesen, sowie schließlich die Vorbereitung des Jahresabschlusses, die Beschuldigte hatte Gesamtbank- und Postscheckvollmacht.

Am 13. Mai 1959 wurde sie fristlos entlassen, weil sie Firmengelder unterschlagen und veruntreut hatte. Die Firma erwirkte daraufhin ein von der Beschuldigten nicht angegriffenes Versäumnisurteil auf Zahlung von … DM. Durch Urteil vom 4. April 1962 wurde die Beschuldigte wegen fortgesetzter Untreue in Tateinheit mit Unterschlagung unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten und einer Geldstrafe von 50 DM verurteilt. Im Urteil, das rechtskräftig geworden ist, hat das Schöffengericht die genaue Summe der unterschlagenen oder veruntreuten Gelder nicht festgestellt, wohl aber eine Mindestsumme.

Nach dem Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes stellte die Beschwerdeführerin verspätet den Antrag auf Eintragung in das Berufsregister gemäß § 109 Abs. 2 StBerG. Die Oberfinanzdirektion in Hannover verlängerte am 22. August 1962 gemäß § 109 Abs. 3 Satz 2 StBerG die Antragsfrist. Inzwischen ist die Beschuldigte in das Berufsregister eingetragen.

Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen erkannte am 18. September 1963 die Beschuldigte einer Standesverfehlung für schuldig und bestrafte sie mit der Ausschließung aus dem Beruf. Ihre dagegen rechtzeitig eingelegte Berufung wurde durch Urteil des Senats für Steuerbevollmächtigte beim Oberlandesgericht vom 10. Dezember 1963 auf ihre Kosten verworfen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beschuldigten mit der Sachbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) und begründet.

Der Senat teilt nicht die Auffassung des angefochtenen Urteils, daß die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 StBerG für die Ausschließung der Beschuldigten aus dem Beruf erfüllt seien. Nach dieser Bestimmung kann auch dann auf Ausschließung aus dem Beruf erkannt werden, wenn die Beschuldigte vor dem 1. November 1961, dem Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes, ihre Pflichten bei der Ausübung ihres Berufes als Helferin in Steuersachen schuldhaft verletzt hat (§ 114 Abs. 1 in Verb. mit den §§ 46, 47 Abs. 1 Nr. 4, 109 StBerG).

Gegen die Gültigkeit des § 114 Abs. 1 StBerG sind Bedenken erhoben worden, weil er sich rückwirkende Kraft beilege und deshalb nicht mit Art. 103 Abs.2 GG vereinbar sei. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob infolgedessen die Anwendbarkeit der Vorschrift ganz oder zum Teil, etwa nur hinsichtlich gewisser Strafen oder nur für einzelne Länder, ausgeschlossen ist, weil die Tat zur Zeit ihrer Begehung nicht mit einer berufsgerichtlichen Strafe bedroht war und Art. 103 Abs. 2 GG auch für solche Strafen gilt. Ist die Bestimmung ungültig, darf die Beschuldigte im Ergebnis nicht ausgeschlossen werden. Aber auch wenn die Bedenken gegen die Gültigkeit, von der im folgenden ausgegangen wird, nicht durchgreifen, ist der Ausschluß der Beschuldigten aus dem Beruf wegen der ihr zur Last fallenden Verfehlung nicht zulässig.

Zwar ist die Beschwerdeführerin, obwohl sie die Frist für den Antrag auf Eintragung ins Berufsregister nicht rechtzeitig gemäß § 109 Abs. 2 StBerG gestellt hatte, doch als Steuerbevollmächtigte anzusehen, da die Oberfinanzdirektion ihr Verlängerung der Antragsfrist gewährt und sie inzwischen sogar ins Berufsregister eingetragen hat (vgl. BGHSt 19, 334).

Indessen hat die Beschuldigte ihre Verfehlungen n i c h t bei der Berufsausübung begangen. Während ein Steuerbevollmächtigter für jede Standeswidrigkeit, die er nach dem 1. November 1961 begeht, berufsgerichtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, auch soweit die Standeswidrigkeit eine außerberufliche Tätigkeit betrifft (§§ 22 Abs. 2, 46, 47 StBerG), ist dies für vor dem Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes liegende Taten nur möglich, wenn der damalige Helfer in Steuersachen seine Pflichten bei der Berufsausübung schuldhaft verletzt hat (§ 114 Abs. 1 StBerG).

Wie die Übergangsvorschrift zu verstehen ist, kann nach Ansicht des Senats nicht zweifelhaft sein. Maßgebend für die Auslegung ist der im Gesetz zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut, dem Sinnzusammenhang sowie dem erkennbaren Zweck der Vorschrift ergibt (BGHSt 17, 21, 23). Der Wortlaut des § 114 Abs. 1 ist eindeutig. Ihm muß entnommen werden, daß nur solche Pflichtverletzungen erfaßt sind, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der tatsächlichen Ausübung des Berufes begangen wurden. Das entspricht auch dem Zweck der Vorschrift. Einerseits sollte verhindert werden, daß gegen Pflichtverletzungen aus früherer Zeit nach Wegfall der bisherigen Vorschriften überhaupt nicht mehr eingeschritten werden kann, weil es früher noch keine Berufsgerichtsbarkeit im Sinne des § 46 Abs. 2 StBerG gegeben hat (Bühring, StBerG § 114 Anm. 1). Andererseits sollte und mußte Vorsorge getroffen werden, daß dem Beschuldigten nicht strengere Strafen angedroht werden, als nach den früheren Bestimmungen zulässig waren (Bühring aa0 und Rechtsausschuß des Bundesrats in seiner Sitzung vom 5. Juli 1961). Daraus ergab sich die weitere Konsequenz, nicht alle, sondern nur bestimmte, frühere Verfehlungen zu ahnden. Über den Unterschied im Wortlaut gegenüber § 22 StBerG kann deshalb nicht zuungunsten des Beschuldigten hinweggegangen werden. Der Senat ist sich bewußt, daß mit dieser Auslegung insofern eine Lücke im Gesetz anerkannt wird, als ein Steuerbevollmächtigter selbst dann, wenn er sich vor Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes schwer verfehlt hat, dies aber nicht bei der Berufsausübung geschehen ist, nicht mehr ausgeschlossen werden kann, möglicherweise auch die Zurücknahme der Bestellung gemäß § 14 StBerG nicht zulässig ist. Diese Lücke auszufüllen, ist der Senat indessen nicht befugt.

Das angefochtene Urteil ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Beschuldigten die unselbständige buchhalterische Tätigkeit bei der Firma R. ihrem Beruf als Helferin in Steuersachen deshalb zugerechnet werden müsse, weil es sich hierbei um Hilfeleistung bei Erfüllung der steuergesetzlichen Buchführungspflichten und deshalb um „Hilfeleistung in Steuersachen” gehandelt habe. Gegen diese „Zurechnung” bestehen indessen durchgreifende Bedenken, weil es allein darauf ankommen kann, ob die Beschuldigte buchhalterisch in ihrer Eigenschaft als Helferin in Steuersachen tätig geworden ist. Andernfalls ist das Merkmal der „Pflichtverletzung b e i der Berufsausübung” nicht erfüllt.

Bei der Firma R. wirkte die Beschuldigte als Angestellte in unselbständiger Stellung gegen ein monatliches Gehalt. Spricht schon der Umstand, daß ein Steuerbevollmächtigter in der Regel nicht als Arbeitnehmer tätig sein darf (§ 22 Abs. 4 Nr. 2 StBerG), dagegen, daß unter Berufsausübung im Sinne des § 114 Abs. 1 StBerG überhaupt eine unselbständige Tätigkeit fallen kann, so hat hier die Beschuldigte gerade nicht speziell steuerliche, sondern Aufgaben gehabt, die allgemein übliche eines angestellten Buchhalters und Kassenverwalters sind. Das ergibt sich eindeutig aus dem Inhalt der im Urteil festgestellten Bescheinigung der Firma R. vom 27. September 1962. Ob die Beschuldigte etwa deswegen eingestellt worden ist, weil sie eine besondere Ausbildung besaß, die zu ihrer Zulassung als Helferin in Steuersachen geführt hatte, ist demgegenüber ohne Belang.

 

Fundstellen

BGHSt, 104

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