Leitsatz (amtlich)
a) Ein im Gesellschaftsvertrag selbständig praktizierender Tierärzte vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot, nach dem der ausscheidende Gesellschafter „im Umkreis von 30 km vom Sitz der Praxis keinerlei tierärztliche Tätigkeit ausüben” darf, ist sittenwidrig und nichtig, weil es in zeitlicher, räumlicher und gegenständlicher Hinsicht das notwendige Maß überschreitet.
b) Ein derart die Berufsausübungsfreiheit einschränkendes Wettbewerbsverbot kann nicht in entsprechender Anwendung des § 139 BGB in der Weise aufrechterhalten werden, daß das Gericht an Stelle der Betroffenen festlegt, mit welchen zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Grenzen das Verbot gilt.
Normenkette
BGB §§ 138-139
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 19.07.1996) |
LG Ellwangen (Urteil vom 08.03.1996) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. Juli 1996 insoweit aufgehoben, als dem Unterlassungsbegehren der Kläger entsprochen worden ist (Ziff. I.1. des Urteilstenors). Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen vom 8. März 1996 zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits 1. und 2. Instanz haben die Kläger 6/7 und der Beklagte 1/7 zu tragen, die Kosten des Revisionsverfahrens fallen den Klägern zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind Tierärzte. Nachdem der Kläger zu 1 und der Beklagte bereits früher ihren Beruf in einer Gemeinschaftspraxis in E. ausgeübt hatten, haben sie mit Wirkung vom 2. Januar 1992 den Kläger zu 2 in diese Praxis aufgenommen. Im Laufe des Frühjahrs 1994 kam es zu Unstimmigkeiten, die den Beklagten veranlaßt haben, das Gesellschaftsverhältnis zu kündigen. Zwischen den Parteien besteht jetzt Einigkeit, daß der Beklagte zum 31. Dezember 1996 aus der von den Klägern fortgesetzten Gesellschaft ausgeschieden ist. In der Revisionsinstanz besteht nur noch Streit darum, ob der Beklagte ab 1. Januar 1997 einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterliegt. In § 16 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages vom 13. Februar 1992 ist bestimmt:
„Der scheidende Partner verpflichtet sich, im Umkreis von 30 km vom Sitz der Gemeinschaftspraxis keinerlei tierärztliche Tätigkeit auszuüben.”
Die Kläger haben unter Berufung auf diese Bestimmung den Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung auf Beachtung dieses Wettbewerbsverbots in Anspruch genommen. Das Oberlandesgericht hat dem Begehren nur für die Zeit bis zum Ausscheiden des Beklagten (31. Dezember 1996) entsprochen. In dem vorliegenden Rechtsstreit haben die Kläger – neben anderen inzwischen rechtskräftig erledigten Ansprüchen – von dem Beklagten Unterlassung tierärztlicher Tätigkeit für die Dauer von drei Jahren ab 1. Januar 1997 in einem Umkreis von 10 km – hilfsweise 6,5 km – vom Sitz der Gemeinschaftspraxis verlangt. Vor dem Landgericht hatten sie keinen Erfolg; das Berufungsgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, für die Dauer von zwei Jahren ab 1. Januar 1997 als Tierarzt selbständig oder unselbständig in einem näher beschriebenen Umkreis von 6,5 km um die Ortsmitte von E. zu praktizieren. Hiergegen richtet sich die – zugelassene – Revision des Beklagten, der insoweit die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des den Unterlassungsanspruch abweisenden Urteils des Landgerichts.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, das in § 16 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages niedergelegte Wettbewerbsverbot sei nach § 138 BGB sittenwidrig. Damit befindet es sich in Übereinstimmung mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Diese läßt mit Rücksicht auf die vor allem bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu beachtenden Wertentscheidungen der Verfassung – hier des Art. 12 Abs. 1 GG – Wettbewerbsbeschränkungen nur zu, wenn sie örtlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreiten. Ihre Rechtfertigung findet die wettbewerbsbeschränkende Abrede allein in dem anerkennenswerten Bestreben des von ihr begünstigten Teils, sich davor zu schützen, daß der andere Teil die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung mißbräuchlich zunutze macht; soweit dieses Interesse nicht betroffen ist, beschränken derartige Abreden die Freiheit der Berufsausübung unangemessen und sind sittenwidrig (vgl. BGHZ 91, 1, 5 f.; Sen. Urt. v. 9. Mai 1968 – II ZR 158/66, NJW 1968, 1717; BGH, Urt. v. 13. März 1979 – KZR 23/77, NJW 1978, 1605 – Frischbeton; Sen. Urt. v. 28. April 1986 – II ZR 254/85, NJW 1986, 2944 = WM 1986, 1251; BGH, Urt. v. 15. März 1989 – VIII ZR 62/88, JR 1990, 20; Sen. Urt. v. 29. Oktober 1990 – II ZR 241/89, WM 1990, 2121; BGH, Urt. v. 19. Oktober 1993 – KZR 3/92, NJW 1994, 384 – Ausscheidender Gesellschafter; Sen. Urt. v. 29. Januar 1996 – II ZR 286/94, NJW-RR 1996, 741).
2. Das von den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot hält der nach diesen Maßstäben anzustellenden Prüfung schon deswegen nicht stand, weil es zeitlich keinerlei Einschränkungen enthält und damit für den Beklagten ein lebenslanges Verbot enthält, in einem Radius von 30 km um den Sitz der Gemeinschaftspraxis seinen Beruf als Tierarzt auszuüben. Obendrein ist – wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkannt hat – das Gebiet, auf das sich dieses Verbot tierärztlicher Berufsausübung erstreckt, unangemessen weit ausgedehnt. Beide Regelungen zusammen sind geprägt von dem Willen, den ausgeschiedenen Gesellschafter für immer als Konkurrenten auszuschalten und ihn zu zwingen, das Gebiet zu verlassen, in dem er seinen beruflichen und persönlichen Lebensmittelpunkt hatte, sofern er weiterhin in seinem Beruf tätig bleiben will. Dieser nachhaltige Eingriff in die grundgesetzlich verbürgte Freiheit der Berufsausübung des Beklagten ist auch unter Berücksichtigung der besonderen Struktur einer ländlichen Tierarztpraxis nicht gerechtfertigt, zumal sich das Wettbewerbsverbot nicht allein auf die bereits vorhandenen Kunden der Gemeinschaftspraxis, sondern auch auf alle weiteren Personen in dem genannten Raum erstreckt, die zu irgendeinem Zeitpunkt tierärztliche Hilfe für ihre Groß- oder Kleintiere benötigen.
3. a) Das Berufungsgericht hat allerdings gemeint, die von ihm zutreffend für sittenwidrig gehaltene Wettbewerbsregelung des Gesellschaftsvertrages sei nicht nach § 138 BGB nichtig, sondern könne bei Herabsetzung der zeitlichen und Verringerung ihrer räumlichen Geltung in entsprechender Anwendung von § 139 BGB aufrechterhalten werden. Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht. Der Senat hat allerdings in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur überlangen Dauer von Bierbezugsverträgen (vgl. BGH, Urt. v. 14. Juni 1972 – VIII ZR 14/71, NJW 1972, 1459; weitere Nachweise bei Paulusch, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Brauerei- und Gaststättenrecht, 9. Aufl. 1996, Rdnr. 143 ff.) wiederholt ausgesprochen (vgl. Sen.Urt. v. 29. Oktober 1990 – II ZR 241/89, WM 1990, 2121, 2222 f.; Sen. Urt. v. 29. Januar 1996 – II ZR 286/94, NJW-RR 1996, 741, 742; vgl. ferner BGH, Urt. v. 19. Oktober 1993 – KZR 3/92, NJW 1994, 384, 386; Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl., Vor § 22 Rdnr. 35; Staudinger/Sack, BGB [1996] § 138 Rdnr. 109 ff., 312 m.w.N.; Canaris, FS Steindorff S. 519 ff., 536 ff.; kritisch Lammel AcP 189 [1989], 244 ff. 259 f., 285 f.; Hirte ZHR 154 [1990] 443, 459 f.), eine zeitlich unbegrenzte Wettbewerbsbeschränkung könne im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf das noch zu billigende Maß zurückgeführt werden. Dabei ist die Vorstellung bestimmend, die auf Dauer angelegte Beziehung sei derart in Teilabschnitte zu zerlegen, daß sie sich als Teile eines ganzen Vertrages i.S.d. § 139 BGB darstellen – mit der Folge, daß sie bei einem entsprechenden Parteiwillen mit einer kürzeren, nicht zu beanstandenden Laufzeit aufrechterhalten bleiben (vgl. Sen. Urt. v. 29. Oktober 1990 – II ZR 241/89, WM 1990, 2121, 2123 m.w.N.). Ähnlich wie bei der zeitlichen Überdehnung des Wettbewerbsverbots soll nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Hirte ZHR aaO S. 459 f.; Melullis WRP 1994, 686, 691 f.; Traub WRP 1994, 802, 806) bei der zu weitgehenden räumlichen Erstreckung der Beschränkung die lediglich quantitative Überschreitung in Teilabschnitte zerlegbar sein, so daß auch eine wegen Mißachtung der räumlichen Grenzen sittenwidrige Wettbewerbsbeschränkung nicht nichtig, sondern verkürzt auf das angemessene Maß aufrechterhalten werden kann.
b) Ob dieser auch dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Auffassung gefolgt werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn es geht nicht allein um die Korrektur quantitativer Überschreitungen der anzuerkennenden Grenzen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, was sich schon daraus ergibt, daß sich das Berufungsgericht nicht nur auf eine Verkleinerung des für das Wettbewerbsverbot maßgeblichen Radius beschränkt, sondern aufgrund einer Wertung den derart verkleinerten räumlichen Bereich weiter korrigiert hat.
In der bisherigen, eine nur quantitativ wirkende Nichtigkeit anerkennenden Rechtsprechung der verschiedenen Senate des Bundesgerichtshofs ist stets ausgesprochen worden, daß die genannte geltungserhaltende Reduktion ihre Grenze dort findet, wo die Sittenwidrigkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Regelung nicht allein in der zeitlichen Ausdehnung liegt, sondern weitere zur Anwendbarkeit des § 138 BGB führende Gründe hinzutreten (vgl. z. B. Sen. Urt. v. 28. April 1986 – II ZR 254/85, NJW 1986, 2944, 2945; Sen. Urt. v. 29. Oktober 1990 – II ZR 241/89, WM 1990, 2121, 2123; BGH, Urt. v. 17. Oktober 1973 – VIII ZR 91/72, LM BGB § 138 (Bb) Nr. 35; ferner Paulusch aaO Rdnr. 148 ff. m.w.N.). Dann nämlich geht es nicht mehr lediglich darum, eine bloß quantitativ zu weitgehende, im übrigen aber von dem anzuerkennenden Willen der Parteien getragene Regelung auf das zulässige Maß zurückzuführen. Vielmehr müßte bei einer nicht bloß aus der quantitativen Überschreitung der zulässigen Grenzen hergeleiteten Sittenwidrigkeit das Gericht auf den übrigen Inhalt des sittenwidrigen Geschäfts rechtsgestaltend einwirken, um den Einklang mit der Rechtsordnung herzustellen. Das überschreitet nicht nur den den Gerichten eingeräumten Gestaltungsspielraum (vgl. Flume, Allg. Teil des BGB, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. § 18, 9 Fn. 78 S. 389 und § 32, 6 S. 582; ferner Lammel aaO S. 256 ff., 286), weil – wie die gerichtliche Praxis zeigt – die unterschiedlichsten Regelungen denkbar sind, um z. B. einen sachgerechten, die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen berücksichtigenden Interessenausgleich zwischen dem aus einer Freiberuflersozietät ausscheidenden und den verbleibenden Gesellschaftern herbeizuführen. Es widerspricht auch dem mit § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko zuzuweisen, daß eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung sittenwidrig und nichtig ist (vgl. BGHZ 68, 204, 206 f.; Sen. Urt. v. 28. April 1986 – II ZR 254/86, NJW 1986, 2944, 2945).
c) Ein solcher Fall liegt hier vor. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist das Wettbewerbsverbot des § 16 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages nicht nur wegen Überschreitung der zeitlichen und räumlichen Grenzen, sondern auch deswegen sittenwidrig, weil es dem Gegenstand nach das zulässige Maß weit überschreitet. Dem ausscheidenden Sozius wird nämlich entgegen der Meinung der Kläger nicht lediglich eine konkurrierende Tätigkeit zu der Gemeinschaftspraxis verboten, vielmehr umfaßt die Regelung nach ihrem zweifelsfreien Wortlaut jede Ausübung des Tierarztberufes. Dementsprechend haben die Kläger von dem Beklagten verlangt, jegliche tierärztliche Tätigkeit in den von ihnen im Laufe der beiden Rechtsstreitigkeiten eingeschränkten zeitlichen und räumlichen Umfang zu unterlassen. Danach dürfte der Beklagte nicht im staatlichen oder kommunalen Veterinärwesen – z. B. bei einem Veterinäramt oder einem Schlachthof – tätig sein oder in einem abhängigen Dienstverhältnis, etwa für einen Tierzüchter, einen Pferdesportverein bzw. – verband oder eine Fachklinik tierärztliche Leistungen erbringen. Diese Einschränkung wirkt dabei umso einschneidender, als sich das Verbot – wie bereits bemerkt – nicht nur auf die tierärztliche Betreuung von bisherigen Kunden der Kläger erstreckt, sondern jeden potentiellen Klienten betrifft. Auch in dieser Überschreitung der gegenständlichen Grenzen eines Wettbewerbsverbots kommt das von § 16 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages verfolgte Ziel zum Ausdruck, den ausscheidenden Gesellschafter als Konkurrenten auszuschalten und ihm die Perspektive für eine tierärztliche Tätigkeit im Großraum E. außerhalb der Gemeinschaftspraxis zu nehmen. Diese Zielsetzung ist von dem berechtigten Anliegen der verbleibenden Gesellschafter, sich auf Zeit vor illoyaler Ausnutzung der in der Gemeinschaftspraxis erworbenen Kenntnisse und Verbindungen zu schützen, nicht gedeckt und begegnet obendrein Bedenken im Hinblick auf § 723 Abs. 3 BGB, weil diese Gestaltung des Wettbewerbsverbots geeignet wäre, ein Mitglied der Sozietät von der Ausübung seines Kündigungsrechts der gesetzlichen Regelung zuwider abzuhalten.
4. Da nach alledem das vereinbarte Wettbewerbsverbot in mehrfacher Hinsicht sittenwidrig ist und jeder Anhaltspunkt fehlt, welche Regelung im Falle der Unwirksamkeit des § 16 Abs. 6 des Gesellschaftsvertrages gelten soll (vgl. Staub/Hüffer aaO vor § 22 Rdnr. 37), ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, welches nicht nur die zeitlichen und räumlichen Grenzen des Wettbewerbsverbots, sondern auch seinen Gegenstand abweichend vom Vertrag bestimmt hat, für eine teilweise Aufrechterhaltung der sittenwidrigen Klausel kein Raum. Weitere tatsächliche Feststellungen kommen nicht in Betracht, der Senat kann deswegen in der Sache selbst entscheiden.
Unterschriften
Röhricht, Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Dr. Goette, Kraemer
Fundstellen
NJW 1997, 3089 |
Nachschlagewerk BGH |
WuB 1998, 811 |
DNotZ 1998, 905 |
MDR 1997, 953 |
NotBZ 1997, 207 |
AusR 1998, 26 |
AusR 1998, 9 |
ZauR 1998, 13 |