Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für Ausschließung aus dem Beruf des Steuerberaters nach Strafverurteilung wegen Steuerhinterziehungen und Beihilfe hierzu

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Ausschließung aus dem Beruf des Steuerberaters ist die schwerste berufsgerichtliche Maßnahme, die den Betroffenen zur Beendigung seiner Berufstätigkeit zwingt und kommt nach Art. 12 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn sie bei schweren Pflichtverletzungen (hier: Steuerhinterziehungen und Beihilfe hierzu) zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes, nämlich des Interesses der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtssuchenden in die Integrität des Berufsstandes geeignet und erforderlich ist.

2. Bei der Gesamtabwägung ist zu prüfen, ob mildere Mittel ausreichen, wobei eine inzwischen eingetretene Konsolidierung der beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerberaters sowie der zeitliche Ablauf (einschließlich des Umstandes, daß die Verfehlungen über vier Jahre zurückliegen) neben dem gegenwärtigen Verhalten und den Erklärungen des Steuerberaters zu berücksichtigen sind.

3. Nach strafrechtlicher Verurteilung des Steuerberaters wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe hierzu ist auch die indizielle Bedeutung des Gewichts der Straftaten für die von dem Steuerberater ausgehende künftige Gefährdung der Rechtspflege von Bedeutung.

 

Normenkette

StBerG § 90 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 12 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Münster (Urteil vom 12.12.1996; Aktenzeichen 3 StV 155/95)

 

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Senats für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Oberlandesgericht Düsseldorf vom 18. April 1997 wird verworfen.

Die Steuerberaterkammer trägt die Kosten des Verfahrens und die dadurch dem Steuerberater entstandenen notwendigen Auslagen.

– Von Rechts wegen –

 

Gründe

Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Münster (Westfalen) hat dem Steuerberater durch Urteil vom 12. Dezember 1996 wegen Berufspflichtverletzung einen Verweis erteilt und ihn zu der Geldbuße von zehntausend DM verurteilt. Die auf den Maßnahmenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 18. April 1997 als unbegründet verworfen. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge; sie erstrebt einen Ausschluß aus dem Beruf nach § 90 Abs. 1 Nr. 4 StBerG. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Für die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Berufspflichtverletzungen (§ 57 Abs. 1 und 2 StBerG) ist folgender Sachverhalt bindend festgestellt:

Der Steuerberater hatte Betreiber von Imbißstuben steuerlich beraten, die – wie er wußte – einen erheblichen Teil ihrer Einkäufe „schwarz”, das heißt ohne ordnungsgemäße Rechnungen, tätigten und auch keine Kassenaufzeichnungen führten. Er erstellte in Abstimmung mit seinen Mandanten für die von ihm vorbereiteten Steuererklärungen fingierte niedrigere monatliche Umsatzzahlen und Kassenaufzeichnungen, wonach die Einnahmen gerade so hoch waren, daß sie die Kosten deckten. Aufgrund der vom Steuerberater eingereichten falschen Steuererklärungen wurden in den Jahren 1985 bis 1992 Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuern in Höhe von 589.644 DM verkürzt.

Deswegen wurde der Steuerberater vom Landgericht Bochum mit Urteil vom 22. Januar 1996 wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren (mit Einzelstrafen zwischen zwei und acht Monaten) verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

2. Bei der Begründung des Maßnahmenausspruchs und der Nichtverhängung der Ausschließung aus dem Beruf hat sich das Berufungsgericht auf die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Berufsausschluß (vgl. BGHSt 39, 281 m.w.N.) bezogen und im Rahmen seiner Gesamtwürdigung insbesondere erwogen:

Die Gesamtheit der Straftaten des Steuerberaters stelle zwar nach Zeitspanne und Schadenshöhe eine besonders schwere Berufspflichtverletzung dar. Andererseits habe er den überwiegenden Teil des Schadens durch Zahlung von 400.000 DM wiedergutgemacht. Er sei bislang unbestraft und berufsaufsichtlich und berufsgerichtlich nicht vorbelastet. Er sei durch das Strafverfahren stark beeindruckt worden. So habe er sich von Mandanten getrennt, bei denen eine ordnungsgemäße Steuerermittlung nicht möglich war, und arbeite seit über vier Jahren beanstandungsfrei. Nach dem persönlichen Eindruck, den er in der Hauptverhandlung hinterlassen habe, sei er aufgrund der Geschehnisse nachhaltig entschlossen, seinen Beruf korrekt auszuüben. Von ihm gehe daher im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gefahr für die Rechtspflege aus, deshalb sei er als Steuerberater nicht (mehr) untragbar.

3. Der Maßnahmenausspruch hält im Ergebnis rechtlicher Prüfung noch stand.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHSt 39, 281 m.w.N.; Urteile vom 25. April 1994 – StbSt (R) 1/94 –, Information StW 1994, 542 und vom 29. November 1993 – StbSt (R) 2/93 –) kommt entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht und dem Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs für die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft nach § 114 Abs. 1 BRAO entwickelten Grundsätzen die Ausschließung aus dem Beruf des Steuerberaters nach § 90 Abs. 1 Nr. 4 StBerG als schwerste berufsgerichtliche Maßnahme, die den Betroffenen zur Beendigung seiner Berufstätigkeit zwingt, nach Art. 12 Abs. 1 GG nur in Betracht, wenn sie bei schweren Pflichtverletzungen zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes, nämlich des Interesses der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und der Wahrung des Vertrauens der Rechtsuchenden in die Integrität des Berufsstandes – soweit dies über bloße berufsständische Belange hinaus im Interesse der Rechtspflege liegt – geeignet und erforderlich ist. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist zu prüfen, ob mildere Mittel ausreichen. Deshalb genügt die Feststellung, der Steuerberater habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, für sich allein nicht. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Eingriffe in die Berufsfreiheit ist vielmehr eine Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit und Gesamtverhalten anzustellen; nur wenn diese nach dem Erkenntnisstand des Tatrichters zu der Prognose führt, der Betroffene sei weiterhin als Steuerberater untragbar, weil von ihm noch eine Gefährdung der Rechtspflege ausgeht, darf auf die Ausschließung aus dem Beruf erkannt werden. Es ist nicht notwendig, daß die Gefahr besteht, der Steuerberater selbst werde künftig berufsrechtliche oder gar strafrechtliche Verfehlungen begehen. Eine ungünstige Prognose kann damit begründet werden, daß aufgrund der schweren Pflichtverletzungen das für jede Rechtsberatung unabdingbare Vertrauen zwischen dem Berater und seinen Mandanten sowie die für eine sachgerechte Rechtsberatung notwendige innere Unabhängigkeit des Beraters beeinträchtigt ist.

b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht vollständig beachtet.

Es hat die Berufspflichtverletzung durch (täterschaftliche) Steuerhinterziehung in erheblichen Umfang (vgl. Senat, Information StW 1994, 542) zu Recht als besonders schwer eingestuft. Insbesondere hat das Berufungsgericht auch die verfassungsrechtliche Bedeutung des Ausschlusses aus dem Beruf beachtet und eine Gesamtabwägung vorgenommen, in die auch die inzwischen eingetretene Konsolidierung der beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerberaters sowie der zeitliche Ablauf – einschließlich des Umstandes, daß die Verfehlungen über vier Jahre zurückliegen – einbezogen worden sind.

Das Berufungsgericht hat allerdings, was bedenklich ist, die Prognose zu stark auf das individuelle Verhalten gestützt: Dabei ist es insoweit ohne Rechtsfehler zu der Prognose gelangt, daß von dem Betroffenen selbst, aufgrund seines eigenen Verhaltens, keine Gefährdung der Rechtspflege mehr ausgehe. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, daß der Steuerberater seine Einstellung zur Berufspflichtverletzung nachhaltig gewandelt und dies durch objektive Fakten bewiesen habe, etwa dadurch, daß er die Steuerschuld beglichen, sich von steuerunehrlichen Mandanten getrennt habe und seit vier Jahren beanstandungsfrei arbeite (vgl. BGHSt 28, 333, 555). Es stellt allerdings einen Erörterungsmangel dar, daß das Berufungsgericht bei seiner Prognose zu stark auf das gegenwärtige Verhalten und auf die Erklärungen des Steuerberaters abgestellt hat, und demgegenüber die indizielle Bedeutung des Gewichts der Straftat, die auch durch die Höhe der verhängten Strafe zum Ausdruck kommt (vgl. BGH BRAO § 114 Abs. 1 Ausschluß 2), für eine von dem Steuerberater ausgehende künftige Gefährdung der Rechtspflege verkannt haben könnte. Bei einer Straftat der vorliegenden Art genügt es nämlich, daß – wenn auch nur für einige Zeit – eine Gefahr für die Rechtspflege darin liegt, daß aufgrund der schweren Pflichtverletzungen das für jede Rechtsberatung unabdingbare Vertrauen zwischen dem Berater und seinem Mandanten sowie die für eine sachgerechte Rechtsberatung notwendige innere Unabhängigkeit des Beraters beeinträchtigt ist (BGHSt 39, 281, 287).

Im Hinblick auf den bisherigen, ungewöhnlich langen, Zeitablauf und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Verfahrensdauer bei einer Aufhebung erneut verlängert würde, sieht der Senat von einer Aufhebung ab, weil auch bei schweren Pflichtverletzungen die Prognosegrundlage nach Ablauf längerer Zeit anders ausfallen kann (BVerfGE 66, 337; 72, 51). Hier schließt der Senat aus, daß ein neuer Tatrichter noch zu einer dem Beschwerdeführer ungünstigen Entscheidung kommen könnte.

 

Fundstellen

HFR 1998, 1025

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