Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisantrag im berufsgerichtlichen Verfahren. Bindung an strafgerichtliche Feststellungen
Leitsatz (amtlich)
Im berufsgerichtlichen Verfahren ist ein Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 bis 5 StPO oder nach § 245 StPO, der die Überprüfung der tatsächlichen die Verurteilung begründenden Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils bezweckt, nur dann zulässig, wenn die Mitglieder des Berufsgerichts übereinstimmend die Richtigkeit der Feststellungen bezweifeln und deren nochmalige Prüfung beschließen.
Normenkette
StBerG § 62 Abs. 3, § 107; StPO § 244 Abs. 3-5, § 245
Tatbestand
I. Der Beschuldigte war seit dem 29. Januar 1946 als Helfer in Steuersachen zugelassen. Seit dem Inkrafttreten des Steuerberatungsgesetzes ist er Steuerbevollmächtigter. Durch Urteil des Schöffengerichts in B. vom 28. September 1965 wurde er wegen Untreue zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten und zu einer Geldstrafe von 300,- DM und wegen Vergehens nach § 396 AbgO aF zu einer Geldstrafe von 300,- DM verurteilt. Das Schöffengericht in W. erkannte dann am 11. Dezember 1967 wegen Untreue unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 28. September 1965 auf eine Gesamtstrafe von fünf Monaten Gefängnis und eine Geldstrafe von 500,- DM. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Daraufhin wurde gegen den Beschuldigten ein berufsgerichtliches Verfahren eingeleitet. Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Landgericht in Münster bestrafte den Beschwerdeführer wegen Pflichtverletzung nach den „§§ 22 I, 46 I in Verbindung mit § 47 StBerG” mit der Ausschließung aus dem Beruf. Seine Berufung verwarf der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Oberlandesgericht in Düsseldorf durch Urteil vom 12. Dezember 1969. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beschuldigten.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 87 StBerG in Verbindung mit den §§ 344, 345 StPO), aber nicht begründet.
II. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
In der Hauptverhandlung war die ordnungsmäßig geladene Zeugin G. anwesend. Der Beschuldigte beantragte, die Zeugin darüber zu vernehmen, daß sie – den Feststellungen des schöffengerichtlichen Urteils vom 11. Dezember 1967 zuwider – mit der Zuvielzahlung von Steuerbeträgen in den Jahren 1962 bis 1964 ausdrücklich einverstanden gewesen sei und dieses Einverständnis gegenüber dem Beschuldigten erklärt habe. Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil der Senat die Richtigkeit der gegenteiligen Feststellungen des Urteils des Schöffengerichts, auf denen dieses beruht, nicht bezweifelte, so daß diese Feststellungen für ihn bindend waren.
Der Beschwerdeführer ist zu Unrecht der Auffassung, die Ablehnung des Beweisantrags durch das Berufungsgericht sei mit den §§ 244 Abs. 3 und 245 StPO nicht vereinbar. Der Beweisantrag war nämlich unzulässig im Sinne dieser nach § 107 StBerG entsprechend anwendbaren Vorschriften.
1. Mit dem Antrag wollte der Beschwerdeführer eine nochmalige Beweisaufnahme über die Feststellungen des Schöffengerichts herbeiführen, die Grundlage seiner strafgerichtlichen Verurteilung waren. Diese Feststellungen waren jedoch für das Berufungsgericht bindend (§ 62 Abs.3 Satz 1 StBerG). Nur dann, wenn die Richter des Berufungsgerichts übereinstimmend die Feststellungen bezweifelt und deren nochmalige Prüfung beschlossen hätten, wäre erneute Beweiserhebung in dieser Richtung zulässig gewesen (§ 62 Abs. 3 Satz 2 StBerG). Ohne solchen Beschluß bleiben die strafgerichtlichen Feststellungen bindend und das Gesetz schließt eine weitere Beweisaufnahme darüber aus. Das hat der Bundesdisziplinarhof für den auch im Verfahren nach der Bundesdisziplinarordnung entsprechend anwendbaren § 244 StPO bereits ausgesprochen (BDHE 7, 19). Der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs hat gegen die Ablehnung eines Beweisantrages unter Anwendung des § 118 Abs. 3 BRAO in einem solchen Falle für das ehrengerichtliche Verfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ebenfalls keine rechtlichen Bedenken erhoben (Urt. vom 11. November 1963 – AnwSt [R] 5/63 = Ehrenger. Entsch. VIII 45; 47).
Die abweichende Auffassung der Revision würde dazu führen, daß das Gericht durch Stellung eines Beweisantrags in jedem Falle zu nochmaliger Beweisaufnahme verpflichtet werden könnte, sofern der Beweisantrag nicht aus einem der in § 244 Abs. 3 bis 5 angegebenen Gründe abgelehnt werden darf. Damit würde im berufsgerichtlichen Verfahren die Bindung an die Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils tatsächlich entfallen und die gesetzliche Regelung in § 62 Abs. 3 Satz 1 StBerG außer Kraft gesetzt. Da das Berufungsgericht keinen Beschluß nach § 62 Abs. 3 Satz 2 StBerG gefaßt hat, war der Beweisantrag unzulässig.
2. Auch die Berufung auf § 245 StPO kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der in BDHE 6, 19 veröffentlichten Entscheidung soll § 245 StPO auf die Hauptverhandlung im Disziplinarverfahren überhaupt nicht anwendbar sein, weil die Vorschrift auf der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme beruhe, die das Disziplinarverfahren nicht kenne. Gegen diese Ansicht bestehen allerdings insofern Bedenken, als damit auch solche im Sinne des § 245 StPO präsenten Beweismittel ausgeschaltet würden, die der Feststellung zusätzlicher Tatsachen oder der Klärung von im Urteil nicht sicher festgestellten Tatsachen dienen sollen (vgl. dazu unter 3.). Die Frage kann jedoch auf sich beruhen. Denn jedenfalls ergibt sich auch für § 245 StPO die Unzulässigkeit der Beweiserhebung aus den vorstehend zu 1. dargelegten Erwägungen. Zieht das Berufsgericht die Feststellung im strafgerichtlichen Urteil nicht in Zweifel, so ist eine weitere Beweiserhebung über die Richtigkeit dieser Feststellungen unzulässig. Damit fehlt es an einer der Voraussetzungen, die das Gericht nach § 245 StPO zur Benutzung präsenter Beweismittel zwingen.
3. Nur wenn die Beweiserhebung zusätzlichen nicht im Strafurteil festgestellten Tatsachen gilt oder Widersprüche in den Feststellungen des Strafgerichts klären soll, dann sind die Vorschriften der §§ 244, 245 StPO ohne Einschränkung auch im berufsgerichtlichen Verfahren anwendbar (vgl. BDHE 2, 8, 11; 4, 28; Amelung in Behnke BDO 2. Auflage, § 18 Anm. 14, Kalsbach BRAO, § 118 Anm. III 2). Insoweit kann verständlicherweise keine Bindung des Berufsgerichts bestehen.
Nun meint der Beschwerdeführer, die Feststellungen im Urteil des Schöffengerichts W. vom 11. Dezember 1967 seien widersprüchlich, Das ist jedoch nicht richtig. Jenem Urteil ist nur zu entnehmen, daß die Zeugin G. ihre Aussage zum Teil geändert und das Schöffengericht die geänderte Aussage seinen Feststellungen zugrunde gelegt hat. Da die Zeugin auch nur zu einer Tatsache aussagen sollte, deren Gegenteil im Urteil vom 11. Dezember 1967 festgestellt worden ist, ist auch aus diesem Grunde die Ablehnung des Beweisantrages nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 1974815 |
JZ 1971, 731 |