Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Anwendbarkeit des § 56 HGB auf Einzelhandelsgeschäfte eines Großhandelsunternehmens.
Normenkette
HGB § 56
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 13.02.1974) |
LG Düsseldorf |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1974 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist ein Großhandelsunternehmen für elektrotechnische Geräte. Ihr inzwischen fristlos entlassener Angestellter Di. veräußerte in mehreren Fällen Waren an verschiedene Abnehmer und behielt den Erlös für sich. In mehreren Prozessen geht die Klägerin gegen die einzelnen Käufer vor und verlangt Herausgabe der Geräte, Zahlung des Kaufpreises oder Schadensersatz.
Im vorliegenden Falle hatte der Beklagten den Zeugen Di. in einer Gaststätte kennengelernt und von ihm erfahren, aufgrund seiner Stellung bei der Klägerin sei er in der Lage, seinen Bekannten günstige Preise beim Einkauf von elektrotechnischen Geräten zu vermitteln. Am 10. Februar und am 30. März 1971 kam es in den Geschäftsräumen der Klägerin in Düsseldorf, M. straße, zu zwei Abschlüssen:
- Im Februar kaufte der Beklagte durch Di. eine Miele-Waschmaschine Typ 416 S für 400 DM. Den Kaufpreis zahlte er bar an Di.. Eine Quittung oder Rechnung erhielt der Beklagte nicht, wohl aber stellte Di. einen Lieferschein auf die damalige Arbeitgeberin des Beklagten aus, worin es heißt: „Auszuliefern an (Beklagten), Krefeld, S. straße …, erste Etage”. Die Waschmaschine wurde dem Beklagten alsbald durch ein Firmenfahrzeug der Klägerin überbracht.
- Im März kaufte der Beklagte einen AEG-Grillapparat für 70 DM, wobei ihm Dinges das Gerät gegen Zahlung des Kaufpreises in den Geschäftsräumen der Klägerin aushändigte. Vis beim früheren Kauf erhielt der Beklagte weder Rechnung noch Quittung, wohl aber wiederum einen von Dinges auf die Arbeitgeberfirma des Beklagten ausgestellten Lieferschein.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte sei beim Kauf und Erwerb der beiden Geräte bösgläubig gewesen, denn angesichts der gesamten Umstände der Verkaufsvorgänge, zumal wegen der niedrigen Preise, hätte der Beklagte das widerrechtliche Vorgehen von Di. erkennen müssen.
Dem ist der Beklagte entgegengetreten: Er habe nur angenommen, Di. könne aufgrund seiner Stellung bei der Klägerin ihm einen günstigen Einkauf vermitteln. Beim Kauf der Waschmaschine habe ihm Di. erklärt, er könne keine Rechnung ausstellen, weil die Angelegenheit als Personalkauf gelten müsse. Bedenken wegen des Preises der Waschmaschine seien ihm nicht gekommen, zumal man die Verhandlungen in Gegenwart des Lagermeisters geführt habe und die Maschine nicht mehr ganz neu gewesen sei. Waschmaschine wie später auch Grillgerät seien in Gegenwart der Telefonistin bezahlt worden; Di. habe das Geld zur Kasse gebracht und beim Kauf des Grillgerätes ihm sogar das Wechselgeld wieder zurückgegeben.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Herausgabe der beiden Gerate verurteilt, das Oberlandesgericht hat die – in der Berufungsinstanz primär auf Zahlung des Kaufpreises von 470 DM, nur noch hilfsweise auf Herausgabe der Geräte oder auf Leistung von Schadensersatz gerichtete – Klage abgewiesen. Hit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, um deren Zurückweisung der Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin ihr Verlangen auf Kaufpreiszahlung, hilfsweise auf Herausgabe der Geräte weiter.
In der Revisionsverhandlung hat die Klägerin erklärt, daß sie Kollusion des Beklagten mit dem Zeugen Di. nicht mehr behauptet und daß sie Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung nicht mehr geltend macht.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Freilich ist entgegen der Wertung des Berufungsgerichtes die Vorschrift des § 56 HGB hier nicht nur entsprechend sondern unmittelbar anwendbar.
I. In tatsächlicher Hinsicht und von der Revision nicht angegriffen stellt das Berufungsgericht (BU S. 9) fest:
„Bis zum Frühjahr 1972 hatte die Klägerin ihre Verkaufsräume in der G. straße in Düsseldorf. Verwaltung und Hauptlager befinden sich in der M. straße. Der Zeuge Di. war als Sachbearbeiter für den Verkauf im Großhandel tätig. Sein Arbeitsplatz befand sich im Büro im ersten Obergeschoß in der M. straße. Im Erdgeschoß befinden sich ein kleiner Verkaufsraum und die Lagerräume. Nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Di. und Se. wurden dort auch Verkäufe an Privatkunden vorgenommen. Diese Geschäfte wurden über die Zeugin Zi. oder, falls diese verhindert war, über den Zeugen Di. abgewickelt. Das geschah in der Regel so, daß auf den von den Zeugen Di. oder Zi. ausgestellten Lieferschein ein Vermerk für den Barverkauf angebracht wurde, und der Kunde mit diesem Lieferschein zur Kasse ging und bezahlte. Anschließend erhielt er im Verkaufsraum das ausgesuchte Gerät. Abweichend von diesem normalen Verlauf hat der Zeuge Di.. ohne Inkassovollmacht zu besitzen, in einigen wenigen Fällen Geld von Kunden entgegengenommen und an der Kasse abgeliefert.”
II. Ein in der vorgenannten Weise aufgezogener und tatsächlich laufend praktizierter Geschäftsbetrieb ist entgegen den von der Revision geäußerten, nachstehend noch zu erörterndes Bedenken als die Unterhaltung eines „Ladens” im Sinne des § 56 HGB zu werten. Demnach gelten die in einem solchen „Laden” angestellten Personen als ermächtigt „zu Verkaufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden … gewöhnlich geschehen” (§ 56 HGB). Dies muß die Klägerin gegen sich gelten lassen. Der Hinweis der Revision, Di. sei nur Besitzdiener der Klägerin und sei deshalb verpflichtet gewesen, den auf die Sache sich beziehenden Weisungen der Klägerin Folge zu leisten (§ 855 BGB), geht im Verhältnis der Klägerin zum Beklagten schon deshalb ins Leere, weil die Vermutung einer Ermächtigung des Angestellten, für den Ladeninhaber nach § 56 HGB zu handeln, selbst dann Platz greift, wenn der im Laden Angestellte nicht einmal Besitzdiener ist, etwa weil er nach der konkretes Gestaltung der Verhältnisse nicht die tatsächliche Gewalt über die im Laden befindlichen Sachen auszuüben vermag, wie es die Besitzdienerschaft nach § 855 BGB voraussetzt.
1. Entscheidend für die Einordnung der Geschäftsräume im Erdgeschoß des Hauses M. straße als „Laden” ist die Tatsache, daß sich dort unstreitig ein – wenn auch kleiner – Verkaufsraum befand, wo auch Verkäufe an Privatkunden durch Personal der Klägerin und mit deren Einverständnis abgewickelt wurden. Der Umstand, daß sich im ersten Obergeschoß dieses Hauses ein Büro der Klägerin befand, wo die Verkäufe im Großhandel abgewickelt wurden, ist demgegenüber nicht von rechtlicher Erheblichkeit. Dabei ist – entgegen der Auffassung der Revision – ganz ohne Belang, ob die den Verkaufsraum im Erdgeschoß aufsuchenden Kaufinteressenten zufällig und unaufgefordert oder aber aufgrund persönlicher Bekanntschaft mit einem in diesem Laden Angestellten in Kaufverhandlungen eintraten: § 56 HGB schützt nicht nur den Fremdbesucher sondern auch den Kunden, der den Laden, seine Verhältnisse, seinen Inhaber und dessen Personal bereits kann. Sinn der Vorschrift ist es ganz allgemein, den Besucher des Ladens von Nachforschungspflichten freizustellen, ob und in welchem Umfang den im Laden angestellten Personen eine Ermächtigung zum Abschluß von Geschäften zukommt, die dort „gewöhnlich geschehen”.
2. Aus dem Schutzzweck des § 56 HGB haben Schrifttum und Rechtsprechung schon seit jeher gefolgert, daß als im Laden „angestellt” jeder mit Wissen und Willen des Ladeninhabers im Laden Tätige zu gelten hat, der dort die in § 56 HGB genannten Verrichtungen ausübt, ganz unabhängig davon, was im übrigen sein Aufgaben- und Pflichtenkreis im Unternehmen des Ladeninhabers sein mag. Bei engerer Auslegung würde in der Tat der durch § 56 HGB angestrebte Kundenschutz ausgehöhlt. Es ist deshalb rechtlich ohne Bedeutung, daß der Hauptaufgabenkreis des Zeugen Di. darin bestand, in dem Büro des ersten Obergeschosses Großhandelsgeschäfte für die Klägerin anzubahnen und abzuwickeln.
3. Schließlich kann die Revision die Wirksamkeit der von Dinges für die Klägerin vorgenommenen Handlungen nicht mit dem Hinweis in Abrede stellen, es sei eine Barkasse vorhanden gewesen, gleichwohl aber habe der Beklagten den Kaufpreis nicht dort bezahlt sondern an Di. ausgehändigt. Zwar trifft es zu, daß bei Vorhandensein einer Barkasse der äußeren Stellung des beim Warenverkauf tätigen Angestellten, an die sich die gesetzliche Vermutung das § 56 HGB anknüpft, die Bedeutung einer Vollmachterteilung genommen werden kann. Dies setzt jedoch eine entsprechend eindeutige, an die Kundschaft gerichtete Mitteilung voraus. Davon kann hier schon nach der eigenen Schilderung der Klägerin über die örtlichen Verhältnisse nicht die Rede sein. Wie nämlich das Berufungsgericht (BU S. 11) festgestellt hat, sind der Barkasse noch die Telefonzentrale und ein Esspfangsraum vorgelagert; ferner fehlt es an eines klaren Hinweis, daß nur an der Barkasse gezahlt werden dürfe. Auch in wenigstens drei anderen Fällen hat Di. Geld von Kunden angenommen und zur Kasse gebracht, und in einem weiteren, dem Berufungsgericht bekannten Fall hat der Käufer eine Maschine sogar durch bloße Scheckhingabe an den Angestellten der Klägerin (dort nicht Di.) bezahlt. Die Klägerin muß diese von ihr geduldete lockere Art in der Anbahnung und Abwicklung der Geschäfte, soweit der Umfang und die Ermächtigung ihrer Angestellten nach § 56 HGB zur Klärung steht, gegen sich gelten lassen. Dabei kann auf sich beruhen, ob die wenig förmliche, fast lautlose Abwicklung der Geschäfte nur in dem Nebeneinander von Groß- und Kleinhandel ihren Grund hatte oder zusätzlich vielleicht auch darin, daß ein Teil der Kundschaft Beziehungsgeschäfte und Vorzugspreise erwartete und schon deshalb nach Bezahlung und Erhalt der Ware auf Ausstellung einer Rechnung und Quittung keinen Wert legte.
III. Nach allem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels fallen gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin zur Last.
Unterschriften
Dr. Haidinger, Claßen, Hoffmann, Wolf, Merz
Fundstellen
Haufe-Index 1134380 |
Nachschlagewerk BGH |