Leitsatz (amtlich)
a) Ergibt der Teilwiderspruch gegen einen Mahnbescheid nicht eindeutig, gegen welche Teile des im Mahnbescheid bezeichneten Anspruchs er sich richtet, ist dem Antragsgegner Gelegenheit zur Klarstellung zu geben; bis zur Klarstellung ist der Widerspruch als unbeschränkt eingelegt zu behandeln.
b) Berücksichtigt der Rechtspfleger den unklaren Widerspruch nur hinsichtlich bestimmter Teile des Anspruchs und erläßt er im übrigen Vollstreckungsbescheid, ist insoweit der Widerspruch als Einspruch zu behandeln.
Normenkette
ZPO §§ 694, 700
Verfahrensgang
LG Stuttgart |
OLG Stuttgart |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. September 1981 und das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 28. April 1981 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus der Vermietung eines Baukrans geltend. Der Rechtsstreit geht im gegenwärtigen Stadium darum, ob die Klägerin schon einen rechtskräftigen Vollstreckungstitel gegen die Beklagte erlangt hat. Sie hatte einen Mahnbescheid über 6.361,34 DM nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten beantragt, der am 17. Juli 1980 erlassen und der Beklagten am 18. Juli 1980 zugestellt wurde. Die Beklagte erhob unter Verwendung eines amtlichen Formulars am 30. Juli 1980 Widerspruch, der am 31. Juli 1980 beim Amtsgericht einging. Auf dem Formular sind – jeweils mit einem zum Ankreuzen bestimmten Kästchen – zwei Alternativen vorgesehen, nämlich: „Der Widerspruch richtet sich gegen den Anspruch insgesamt” und: „Der Widerspruch richtet sich gegen den nachfolgend bezeichneten Teil des Anspruchs (bitte Teilbetrag der Hauptforderung/Nebenforderung/Zinsen/Kosten genau bezeichnen).” Die Beklagte kreuzte die letztgenannte Alternative an, gab aber dazu keine Erläuterungen, sondern vermerkte in dem Formular nur noch, daß wegen Betriebsferien eine Begründung in der 33. Woche folgen werde.
Auf Antrag der Klägerin vom 7. August 1980 erließ der Rechtspfleger des Amtsgerichts am 11. August 1980 Vollstreckungsbescheid „wegen Hauptforderung DM 6.361, 34”, der der Beklagten am 27. August 1980 zugestellt wurde. Im übrigen gab das Amtsgericht mit Verfügung vom 22. September 1980 das Verfahren an das Landgericht ab. Die Klägerin hatte mit Schriftsatz vom 17. September 1980 beantragt, die Sache an das Amtsgericht zu verweisen, das zuständig sei, weil es nur noch um 11% Zinsen aus 6.361,34 DM seit 23. Februar 1980 gehe; hinsichtlich der Hauptforderung liege ein rechtskräftiger Vollstreckungstitel vor. Die Beklagte widersprach mit Schriftsatz vom 3. Oktober 1980 dem Verweisungsantrag und beanstandete, daß der Vollstreckungsbescheid ergangen sei, obwohl sie Widerspruch erhoben habe. Mit Schriftsatz vom 22. Januar 1981 hat die Beklagte Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid einlegen lassen, zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Landgericht hat den Einspruch als unzulässig verworfen, das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit ihrer – zugelassenen – Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, den Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision ist das angefochtene Urteil aufzuheben.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat das Landgericht den Einspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid zu Recht als unzulässig verworfen, weil sie ihn verspätet eingelegt habe. Das ist nicht frei von Rechtsirrtum.
1. Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, daß innerhalb der Einspruchsfrist, die durch die Zustellung des Vollstreckungsbescheids an die Beklagte am 27. August 1980 in Lauf gesetzt wurde und am 10. September 1980 ablief (§§ 700 Abs. 1; 338, 339 Abs. 1 ZPO), kein Einspruch der Beklagten beim Amtsgericht eingekommen ist. Im Hinblick auf den Fristablauf am 10. September 1980 kann auch dahingestellt bleiben, ab das Schreiben der Beklagten vom 3. Oktober 1980 als Einspruch angesehen werden könnte, mit dem sie geltend gemacht hat, daß sie gegen den Mahnbescheid rechtzeitig Widerspruch erhoben habe und der Vollstreckungsbescheid deshalb nicht hätte ergehen dürfen.
2. Das Berufungsgericht hat auch geprüft, ob in dem am 31. Juli 1980, also vor Verfügung des Vollstreckungsbescheids, beim Amtsgericht eingegangenen Widerspruch der Beklagten gegen den Mahnbescheid ein wirksamer Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid gesehen werden kann. Dies verneint es, weil weder ein „verspäteter” Widerspruch im Sinn von § 694 Abs. 2 ZPO angenommen werden könne noch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift möglich sei.
a) Daß das Berufungsgericht die unmittelbare Anwendung von § 694 Abs. 2 ZPO verneint, wonach ein verspäteter Widerspruch als Einspruch behandelt wird, ist nicht zu beanstanden. Der Widerspruch ist „verspätet”, wenn er beim Gericht erst eingeht, nachdem der Vollstreckungsbescheid verfügt, d.h. zur Kenntnis von Personen außerhalb des Gerichts hinausgegeben – also vom Geschäftsstellenbeamten in den Geschäftsgang gegeben – worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1981 – III ZR 85/80, NJW 1982, 888 = WM 1982, 601). Im vorliegenden Fall war der Widerspruch schon vor diesem Zeitpunkt beim Gericht eingegangen. Es bestehen allerdings keine Bedenken dagegen, die Vorschrift entsprechend anzuwenden, wenn der Vollstreckungsbescheid erlassen wurde, obgleich schon Widerspruch eingelegt war, der dem Rechtspfleger jedoch nicht vorlag oder von ihm übersehen wurde (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 165 III 5 b; Thomas/Putzo, ZPO, 11. Aufl., § 694 Anm. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, 13. Aufl. § 694 Anm. III). Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Es meint jedoch, die Sache liege hier anders, weil der Rechtspfleger bei Erlaß des Vollstreckungsbescheids das Widerspruchsschreiben gekannt und berücksichtigt, wenn auch möglicherweise falsch gewertet habe. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Akteninhalt im tatsächlichen Ausgangspunkt richtig, steht jedoch der entsprechenden Anwendung von § 694 ZPO und damit einer Behandlung des Widerspruchs als Einspruch nicht entgegen.
b) Die Beklagte hat mit ihrem Widerspruch zu erkennen gegeben, daß sie sich gegen die Inanspruchnahme durch die Klägerin wehren will (vgl. LG Bonn, NJW 1973, 859). Es liegt nahe, daß sie dann, wenn der Widerspruch beim Erlaß des Vollstreckungsbescheids nicht berücksichtigt wurde, ihn als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid aufgefaßt sehen wollte. Eben diese Annahme liegt auch § 694 Abs. 2 ZPO in der Fassung der Vereinfachungsnovelle zugrunde, der nicht als Ausnahmeregelung geschaffen wurde, sondern sich auf die schon nach früherem Recht herrschende Meinung stützt, daß ein verspätet erhobener Widerspruch als Einspruch zu behandeln sei (siehe die Begründung zum Regierungsentwurf der Vereinfachungsnovelle, BT-Drucks. 7/2729 S. 99).
aa) Dann aber muß das vom Berufungsgericht als durchgreifend angesehene Bedenken zurücktreten, daß ein Rechtsbehelf grundsätzlich nicht wirksam vor Erlaß der angegriffenen Entscheidung eingelegt werden könne (vgl. RGZ 110, 169 für den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil). Wird nach der vom Senat für richtig gehaltenen Meinung ein Widerspruch als Einspruch auch in dem Fall behandelt, daß er bei Verfügung des Vollstreckungsbescheids dem Rechtspfleger nicht vorlag oder von ihm übersehen wurde (vgl. oben a), so kann, wenn er – wie hier – zu Unrecht nicht oder nur zum Teil berücksichtigt wird (s. unten c), nichts anderes gelten.
bb) Zweifel an der entsprechenden Anwendung des § 694 Abs. 2 ZPO auf den vorliegenden Fall können auch nicht darauf gestützt werden, daß sie unter Umständen die richtig verstandenen Interessen des Antragsgegners beeinträchtigen würde. Dieses Argument ist mit Blick auf die Gefahr eines zweiten Versäumnisurteils vorgebracht worden (vgl. LG Dortmund, NJW 1963, 913). Ihr kann jedoch kein Gewicht mehr beigemessen werden, nachdem in der Rechtsprechung geklärt ist, daß die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil, das den zulässigen Einspruch des Schuldners gegen einen Vollstreckungsbescheid verwirft, auf die verfahrensrechtliche Unzulässigkeit des Vollstreckungsbescheids gestützt werden kann, wenn der Rechtspfleger ihn trotz rechtzeitigen Widerspruchs erlassen hatte (BGHZ 73, 87 – zwar noch zum alten Recht, aber bereits unter Berücksichtigung der Vereinfachungsnovelle; BGH, Urteil vom 19.11.1981 a.a.O.).
c) Die Entscheidung hängt also davon ab, ob der Rechtspfleger trotz rechtzeitigen Widerspruchs zu Unrecht den Vollstreckungsbefehl erlassen hat. Das ist zu bejahen. Allerdings hat die Beklagte im Widerspruchsformular die Alternative angekreuzt, daß sich der Widerspruch nur gegen Teile des Anspruchs richte. Eine Erläuterung, um welche Teile es sich handle, ist jedoch unterblieben. Dies führte zur Unklarheit darüber, in welchem Umfang sich die Beklagte gegen den Mahnbescheid wenden wollte. Gelangte der Rechtspfleger nicht von sich aus zu dem Ergebnis, daß lediglich ein Fehler bei der Ausfüllung des Formblatts vorlag und der Mahnbescheid im ganzen angegriffen werden sollte, mußte er der Beklagten (Antragsgegnerin) Gelegenheit zur Klarstellung geben, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sie den Widerspruch beschränken wollte. Vor dieser Klarstellung war eine nach Sachlage notwendigerweise ganz willkürliche Beschränkung des Widerspruchs auf einen begrenzten Inhalt nicht zulässig. Die mit den erforderlichen Schritten zur Klarstellung verbundene Verzögerung des Mahnverfahrens muß hingenommen werden, zumal der summarisch gehaltene Mahnbescheid dem Antragsgegner oft noch keine ausreichende Beurteilungsgrundlage dafür geben wird, in welchem Umfang er Widerspruch einlegen soll, und der Antragsteller ohnehin damit rechnen muß, daß die rasche Durchsetzung der von ihm im Mahnverfahren geltend gemachten Ansprüche am bloßen Widerspruch des Antragsgegners scheitert.
Es war nach alledem nicht Sache des Rechtspflegers, dem unklaren Widerspruch einen bestimmten, nämlich auf Zinsen und Kosten beschränkten Inhalt zu geben. Dem steht auch nicht die Erwägung entgegen, daß prozessuale Erklärungen der Auslegung zugänglich sind. Hierfür war mangels jeglicher Erläuterungen der Beklagten keinerlei Anhaltspunkt gegeben.
Da somit der Vollstreckungsbescheid entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht rechtskräftig ist, war auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufzuheben. Auf ihre Berufung hat der Senat anstelle des Berufungsgerichts die Sache unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils nach § 538 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO in Verbindung mit § 700 ZPO zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die – vom endgültigen Ausgang des Rechtsstreits abhängige – Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen war.
Auf den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten brauchte der Senat nach Sachlage nicht einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 609709 |
BGHZ 85, 361 |
BGHZ, 361 |
ZIP 1983, 113 |