Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von an Versicherungsvertreter gezahlter Provisionsvorschüssen. Art und Umfang der dem Versicherungsunternehmen obliegenden Nachbearbeitung Not leidender Versicherungsverträge. Übermittlung von Stornogefahrmitteilungen nach Beendigung des Versicherungsvertreterverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
Art und Umfang der einem Versicherungsunternehmen gem. § 87a Abs. 3 S. 2 HGB obliegenden Nachbearbeitung Not leidender Versicherungsverträge bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Versicherungsunternehmen kann entweder eigene geeignete Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den Not leidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten (Bestätigung von BGH, Urt. v. 19.11.1982 - I ZR 125/80, MDR 1983, 728 = VersR 1983, 371; Urt. v. 12.11.1987 - I ZR 3/86, MDR 1988, 555 = NJW-RR 1988, 546).
Normenkette
HGB § 87a
Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 01.09.2004; Aktenzeichen 1 S 311/03) |
AG Bremen |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Bremen v. 1.9.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen. Die Klägerin ist ein Versicherungsunternehmen. Der Beklagte war von Dezember 1998 bis Januar 2000 für die Klägerin als Versicherungsvertreter tätig. Er erhielt für von ihm vermittelte Versicherungsverträge jeweils einen Vorschuss i.H.v. 80 % der Vermittlungsprovision; die restlichen 20 % behielt die Klägerin als sog. Stornoreserve ein. Die Klägerin verlangt die Rückzahlung von Provisionsvorschüssen für insgesamt 18 Versicherungsverträge mit der Begründung, diese Vertragsverhältnisse seien nach Beendigung des Versicherungsvertretervertrages storniert worden, ohne dass die Prämienzahlungen die jeweils für das endgültige Entstehen des Provisionsanspruchs erforderliche Höhe erreicht hätten. Stornogefahrmitteilungen hatte sie dem Beklagten nach dessen Ausscheiden aus ihren Diensten nicht mehr zukommen lassen. Eigene Stornoabwehrmaßnahmen sind nach Darstellung der Klägerin erfolglos geblieben.
Insgesamt macht die Klägerin Rückzahlungsansprüche i.H.v. 2.699,96 EUR geltend, die sie mit einem Guthaben des Beklagten i.H.v. 1.087,17 EUR verrechnet. Die auf Zahlung des Differenzbetrages von 1.612,79 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin könne die an den Beklagten geleisteten Provisionsvorschüsse nicht zurückfordern, weil sie nicht dargelegt habe, dass die Stornierung der betreffenden Versicherungsverträge von ihr nicht zu vertreten sei. Auch nach Beendigung des Versicherungsvertretervertrages habe es ihr oblegen, dem Beklagten Stornogefahrmitteilungen zuzusenden, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Not leidenden Verträge selbst zu retten. Eine solche Verpflichtung bestehe jedenfalls dann, wenn eigene Stornobekämpfungsmaßnahmen des Versicherungsunternehmens - wie im vorliegenden Fall - erfolglos geblieben seien.
II.
Diese Beurteilung greift die Revision mit Erfolg an. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert das Provisionsrückzahlungsbegehren der Klägerin nicht daran, dass die Klägerin dem Beklagten nach der Beendigung des Versicherungsvertreterverhältnisses keine Stornogefahrmitteilungen mehr hat zukommen lassen.
1. Gemäß § 92 Abs. 4 HGB hat der Versicherungsvertreter - abweichend von § 87a Abs. 1 HGB - erst dann Anspruch auf Provision, wenn der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Versicherungsvertretervertrag berechnet. Nach der Vorschrift des § 87a Abs. 3 HGB, die auch für den Versicherungsvertreter gilt (BGH, Urt. v. 19.11.1982 - I ZR 125/80, MDR 1983, 728 = VersR 1983, 371, unter I 2a; Urt. v. 21.3.2001 - VIII ZR 149/99, MDR 2001, 823 = BGHReport 2001, 503 = VersR 2001, 760, unter II 2c; von Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 92 Rz. 25 m.w.N.), besteht allerdings auch dann Anspruch auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist; der Anspruch auf Provision entfällt im Falle der Nichtausführung aber, wenn und soweit diese auf Umständen beruht, die der Unternehmer nicht zu vertreten hat (BGH, Urt. v. 21.3.2001 - VIII ZR 149/99, MDR 2001, 823 = BGHReport 2001, 503 = VersR 2001, 760, m.N.).
2. Mit Rücksicht auf Besonderheiten, die sich aus der Natur des Versicherungsverhältnisses ergeben, ist anerkannt, dass das Versicherungsunternehmen im Regelfall nicht gehalten ist, im Klagewege gegen säumige Versicherungsnehmer vorzugehen, wenn außergerichtliche Maßnahmen erfolglos geblieben sind (von Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 92 Rz. 31; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 92 Rz. 24; Bonvie, VersR 1986, 119 [121], jeweils m.w.N.). Die Nichtausführung (Stornierung) des Vertrages ist vielmehr schon dann von dem Versicherungsunternehmen nicht zu vertreten (§ 87a Abs. 3 S. 2 HGB), wenn es Not leidende Verträge in dem gebotenen Umfang "nachbearbeitet" hat (BGH, Urt. v. 19.11.1982 - I ZR 125/80, MDR 1983, 728 = VersR 1983, 371, unter I 2b; Urt. v. 12.11.1987 - I ZR 3/86, MDR 1988, 555 = NJW-RR 1988, 546, unter II 1; Urt. v. 21.3.2001 - VIII ZR 149/99, MDR 2001, 823 = BGHReport 2001, 503 = VersR 2001, 760; von Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 92 Rz. 28; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 92 Rz. 17, jeweils m.w.N.).
3. Ob zu den Maßnahmen, die das Versicherungsunternehmen hiernach zur Stornoabwehr zu ergreifen hat, in jedem Fall auch Stornogefahrmitteilungen an den Versicherungsvertreter zählen, wird in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum unterschiedlich beurteilt.
Für die Zeit bis zur Beendigung des Versicherungsvertreterverhältnisses werden solche Mitteilungen überwiegend für erforderlich gehalten (OLG Schleswig v. 24.4.1984 - 3 U 114/82, MDR 1984, 760; OLG Frankfurt v. 20.11.1989 - 3 U 4/88, VersR 1991, 1135; OLG Saarbrücken v. 24.3.1999 - 1 U 529/98-96, VersR 2000, 1017 [1018 f.]; Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd. 1, 3. Aufl., Rz. 1230 ff.; von Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 92 Rz. 32; Brüggemann in Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., § 92 Rz. 16; Hopt, Handelsvertreterrecht, 3. Aufl., § 87a HGB Rz. 27). Umstritten ist demgegenüber, ob das Versicherungsunternehmen einem Versicherungsvertreter auch dann Stornogefahrmitteilungen zukommen lassen muss, wenn dieser inzwischen aus seinen Diensten ausgeschieden ist (so LG Mainz v. 8.9.1999 - 9 O 25/99, NJW-RR 2000, 915 [916]; wohl auch OLG Köln NJW 1978, 327 [328]; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 92 Rz. 21; von Hoyningen-Huene in MünchKomm/HGB, § 92 Rz. 32; Hopt, Handelsvertreterrecht, 3. Aufl., § 87a Rz. 27; a.A. OLG Schleswig v. 24.4.1984 - 3 U 114/82, MDR 1984, 760; OLG Frankfurt v. 20.11.1989 - 3 U 4/88, VersR 1991, 1135; OLG Saarbrücken v. 24.3.1999 - 1 U 529/98-96, VersR 2000, 1017 [1018 f.]; OLG Karlsruhe v. 16.5.1984 - 1 U 11/84, VersR 1984, 935 [936]; Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd. 1, 3. Aufl., Rz. 1235 ff.; wohl auch Brüggemann in Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., § 92 Rz. 16).
4. Nach der Rechtsprechung des seinerzeit für das Handelsvertreterrecht zuständigen I. Zivilsenats des BGH bestimmen sich Art und Umfang der dem Versicherungsunternehmen obliegenden Nachbearbeitung Not leidender Versicherungsverträge nach den Umständen des Einzelfalls (BGH, Urt. v. 19.11.1982 - I ZR 125/80, MDR 1983, 728 = VersR 1983, 371, unter I 2b; Urt. v. 12.11.1987 - I ZR 3/86, MDR 1988, 555 = NJW-RR 1988, 546, unter II 1). Nach dieser Auffassung, die der erk. Senat teilt, kann das Versicherungsunternehmen entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen, die dann freilich nach Art und Umfang ausreichend sein müssen, was im Streitfall von ihm darzulegen und zu beweisen ist, oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den Not leidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten (BGH, Urt. v. 12.11.1987 - I ZR 3/86, MDR 1988, 555 = NJW-RR 1988, 546, unter II 1). Sind Stornogefahrmitteilungen somit nur eines von mehreren zur Stornoabwehr in Betracht kommenden Mitteln, unter denen das Versicherungsunternehmen die Wahl hat, und besteht demzufolge auch gegenüber einem noch in den Diensten des Versicherungsunternehmens stehenden Vertreter weder eine Pflicht noch auch nur eine Obliegenheit zu Stornogefahrmitteilungen, kann im Verhältnis zu einem - wie hier - aus den Diensten des Versicherers ausgeschiedenen Vertreter nichts Anderes gelten.
III.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da das Berufungsgericht - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Klägerin nach Art und Umfang ausreichende eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergriffen hat. Damit die hierzu fehlenden Feststellungen nachgeholt werden können, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 1381797 |
DB 2005, 1961 |
BGHR 2005, 1259 |
EBE/BGH 2005, 218 |
NJW-RR 2005, 1196 |
WM 2005, 1487 |
VersR 2005, 1078 |
r+s 2006, 43 |