Leitsatz (amtlich)
a) Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Abfindungsklausel nichtig ist, die für den Fall der Ausschließung ohne wichtigen Grund eine verhältnismäßig geringe Buchwertabfindung festlegt.
b) Zum Begriff der Buchwertabfindung.
Normenkette
BGB §§ 738, 138; HGB §§ 138, 109
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 16.03.1977) |
LG Stuttgart |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. März 1977 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin war Kommanditistin der Beklagten zu 1. Sie ist aufgrund einer im Gesellschaftsvertrag zugelassenen, ohne wichtigen Grund erfolgten Kündigung der beiden persönlich haftenden Gesellschafter am 31. Dezember 1976 ausgeschieden. Mit der Klage verlangt sie von der Beklagten zu 1 und den beiden persönlich haftenden Gesellschaftern, den Beklagten zu 2 und 3, über ihren gesellschaftsvertraglich festgelegten festen Kapitalanteil von nominal 200.000 DM (= 8 % des Gesamtkapitals der Gesellschaft) hinaus die Zahlung eines „angemessenen” Betrages, wenigstens jedoch 564.000 DM. Diesen Anspruch stützt sie auf die §§ 16, 6 des Gesellschaftsvertrages, die, soweit es hier interessiert, folgenden Wortlaut haben:
„§ 16
Für die Auseinandersetzung mit ausscheidenden Gesellschaftern ist in jedem Falle die nach den Grundsätzen des § 6 aufzustellende Bilanz des Ausscheidungsstichtages maßgebend. Das Guthaben des Ausscheidenden entspricht seinem in dieser Bilanz ausgewiesenen Kapitalanteil.
§ 6
Innerhalb der ersten 6 Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres ist nach den bisher bei der Firma üblichen Bewertungsgrundsätzen die Jahresbilanz aufzustellen und den Gesellschaftern zusammen mit dem Prüfungsbericht eines öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfers zuzustellen, wobei folgende Mindestmaßstäbe für die Abschreibung auf Anlagewerte einzuhalten sind:
Bei den Gebäudekonten |
2 % |
bei den Konten Maschinen und maschinelle Einrichtung, je nach Art |
10–15 % |
bei den Konten Betriebsausstattung |
15–20 % |
… |
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bei Kraftfahrzeugen |
20–25 % |
jeweils vom Anschaffungswert. Die Abschreibungssätze sind höher als nach vorstehenden Sätzen zu bemessen, soweit es die steuerlichen Vorschriften zulassen oder die Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung es erfordern.”
In jedem Falle habe sie – so meint sie weiter – deshalb eine angemessene Abfindung – unter Zugrundelegung der wahren Werte der Gesellschaft – zu beanspruchen, weil sie von den persönlich haftenden Gesellschaftern „hinausgekündigt” worden sei und keinen begründeten Anlaß zu einer solchen Kündigung gegeben habe.
Landgericht und Oberlandesgericht haben den Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, über den Buchwert des Kapitalanteils der Klägerin von 200.000 DM hinaus einen weiteren angemessenen, vom Gericht festzusetzenden Betrag, mindestens jedoch weitere 564.000 DM als Abfindung an die Klägerin zu zahlen, abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin diesen Antrag weiter. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. 1. Das Berufungsgericht hält den Klageanspruch für unbegründet, weil die Klägerin nach dem Gesellschaftsvertrag nur eine Abfindung zu „Buchwerten” zu beanspruchen habe.
Das angefochtene Urteil kann mit dieser Begründung schon deshalb nicht bestehenbleiben, weil sich daraus nicht ergibt, daß der Klägerin nur ein Anspruch auf ihre Kommanditeinlage zum Nominalbetrag von 200.000 DM zusteht. Eine die gesetzliche Regelung abändernde gesellschaftsvertragliche Klausel, wonach das Abfindungsguthaben aufgrund der „Buchwerte” zu errechnen ist, kann im allgemeinen nicht dahin verstanden werden, daß neben dem Gewinn für das laufende Geschäftsjahr nur der auf dem Kapitalkonto verbuchte Betrag der Festeinlage auszuzahlen ist. Die Revision weist insoweit zutreffend darauf hin, daß es in einem solchen Falle nahe läge zu bestimmen, der Abfindungsanspruch beschränke sich auf diesen Nominalbetrag. Im Regelfalle – sofern keine abweichenden Anhaltspunkte gegeben sind – ist, wenn der Gesellschaftsvertrag auf die „buchmäßigen” Kapitalanteile abstellt, davon auszugehen, daß – wie auch das Berufungsgericht in anderem Zusammenhange ausführt – (nur) die stillen Reserven und der Firmenwert nicht erfaßt werden sollen, wohl aber die offenen Rücklagen wie überhaupt alle in der Bilanz ausgewiesenen Posten mit Rücklagencharakter (vgl. Sudhoff, ZGR 1972, 157, 169).
2. Die Revision rügt weiterhin, das Berufungsgericht habe nicht davon ausgehen dürfen, daß nach der Abfindungsklausel des Gesellschaftsvertrages eine Abfindung zu Buchwerten festgelegt worden sei.
Entgegen ihrer Auffassung könnten die §§ 16, 6 des Gesellschaftsvertrages jedoch den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß rechtfertigen. Wenn es in § 16 heißt, für die Auseinandersetzung sei die nach den Grundsätzen des § 6 aufzustellende Bilanz des Ausscheidensstichtags maßgebend, so spricht dies dafür, daß der Wert der einzelnen Posten der Abfindungsbilanz nach den gleichen Grundsätzen zu bestimmen ist wie die der Jahresbilanz. Das würde bedeuten, daß insbesondere auch die in § 6 genannten Bewertungsgrundsätze mit den dort festgelegten Abschreibungssätzen anzuwenden wären. Daraus folgte weiter, daß weder ein Firmenwert angesetzt noch die stillen Reserven aufgelöst werden könnten, soweit die Ansätze und Abschreibungen mit § 6 des Gesellschaftsvertrages in Einklang stehen. In die im vorliegenden Falle aufzustellende Abfindungsbilanz wären insofern allein die aus den Vorbilanzen entsprechend fortgeführten (Buch-)Werte der Jahresbilanz 1976 zu übernehmen, da deren Stichtag mit dem Ausscheidenstag der Klägerin zusammenfällt. Dementsprechend könnten im wesentlichen nur noch die über § 6 des Gesellschaftsvertrages hinausgehenden Sonderabschreibungen und – in gleicher Weise wie oben dargelegt – die offen ausgewiesenen Posten mit Rücklagencharakter zur Berechnung des Abfindungsanspruchs aufgelöst werden.
Es kann sich deshalb in diesem Zusammenhang nur die Frage erheben, ob die Revision zu Recht beanstandet, das Berufungsgericht habe den unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin übergangen, unter den Vertragschließenden habe Einigkeit darüber bestanden, daß eine etwaige Abfindung stets zum Verkehrswert erfolgen solle (Schrifts. v. 1.3.77 – GA 142); es habe diese Behauptung nicht mit der Begründung als unerheblich ansehen dürfen, eine solche Art der Abfindung sei nicht in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen worden. Ob dieser Angriff begründet ist, kann hier aber dahingestellt bleiben, weil der Abfindungsanspruch der Klägerin schon aus den nachstehenden Gründen (zu II) auf der Grundlage der wahren Werte des Gesellschaftsunternehmens zu berechnen ist.
II. Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, soweit es eine – verhältnismäßig geringe – Buchwertabfindung der Klägerin unter den hier gegebenen besonderen Umständen – „Hinauskündigung” der Klägerin ohne wichtigen Grund – als rechtlich zulässig ansieht.
1. Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Klägerin mit der Kündigung durch die persönlich haftenden Gesellschafter gemäß § 9 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages rechtswirksam aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, ob diese Klausel, soweit sie den persönlich haftenden Gesellschaftern das Recht zur „Hinauskündigung” ohne wichtigen Grund einräumt, im Sinne der Entscheidung des erkennenden Senats vom 20. Januar 1977 (BGHZ 68, 212) wegen außergewöhnlicher Umstände sachlich gerechtfertigt ist. Für den vorliegenden Fall ist von ihrer Rechtswirksamkeit auszugehen und nur zu prüfen, ob unter diesen Umständen rechtliche Bedenken gegen die Abfindungsregelung bestehen.
2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Vereinbarungen, die von der Vorschrift des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB abweichen – insbesondere Klauseln, die dem ausscheidenden Gesellschafter den Firmenwert und die stillen Reserven vorenthalten –, grundsätzlich als zulässig anzusehen. Dies kann jedoch nicht ohne weiteres für den Fall gelten, daß ein Gesellschafter ohne wichtigen Grund – nach freiem Ermessen – der Gesellschaftermehrheit oder gar eines einzelnen Gesellschafters (durch „Kündigung”) ausgeschlossen wird. Insoweit sind an gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln strengere Anforderungen zu stellen. Ein rechtlich vertretbarer Interessenausgleich zwischen dem Ausscheidenden und den in der Gesellschaft Verbleibenden kann unter solchen Umständen im Regelfalle nur dann als gegeben angesehen werden, wenn dem ausscheidenden Gesellschafter eine – wie die Klägerin beantragt – „angemessene” Abfindung zugebilligt wird.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Abfindungsklausel als „angemessen” anzusehen ist, kann nicht allgemein beantwortet werden. Den Gesellschaftern wird bei der vertraglichen Gestaltung möglicherweise dann ein größerer Spielraum einzuräumen sein, wenn die Art des Anteilserwerbs oder die besondere Situation der Gesellschaft eine stärkere Beschränkung des Abfindungsanspruchs rechtfertigen, wenn beispielsweise die zur Ausschließung ohne wichtigen Grund berechtigten Gesellschafter wegen besonderer Fähigkeiten und Begabungen das Gesellschaftsunternehmen tragen mit der Folge, daß dessen Bedeutung und Geltung und der innere Wert entscheidend von der Tätigkeit und dem Einsatz dieser Gesellschafter abhängen. Liegen keine besonderen Umstände vor, so wird eine Abfindungsklausel grundsätzlich nur dann als angemessen angesehen werden können, wenn die Abfindungsregelung so gestaltet ist, daß sie im Kern der gesetzlichen Regelung entspricht und im wesentlichen zur Abgeltung des vollen Wertes des Gesellschaftsanteils führt. Regelungen, die von diesen Grundsätzen zum Nachteil der von der Ausschließung ohne wichtigen Grund betroffenen Gesellschafter abweichen, führen zu einer Bereicherung der bevorzugten Gesellschafter und begründen damit einen besonderen Anreiz und die Gefahr, daß die Mehrheit der Gesellschafter oder die persönlich haftenden Gesellschafter von ihren Ausschließungsrechten aus sachfremden Erwägungen und willkürlich Gebrauch machen (vgl. auch SenUrt. v. 23.10.72 – II ZR 31/70, LM HGB § 119 Nr. 9). In den Regelfällen ist deshalb eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs, die zur Folge hat, daß dieser erheblich hinter dem Wert des Anteils zurückbleibt, grundsätzlich als rechtlich unzulässig anzusehen (§ 138 BGB).
3. Im vorliegenden Falle ist nichts dafür ersichtlich, daß die besondere Situation der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter eine Abfindungsklausel rechtfertigen könnte, die nur einen Abfindungsanspruch begründet, der wesentlich vom wirklichen Wert des Anteils abweicht.
Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung an, die Beklagten zu 2 und 3 hätten von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht, um „einer personellen Ausuferung des Gesellschafterkreises entgegenzuwirken und wieder ein Zusammenrücken von Gesellschaftskapital und alleiniger Geschäftsführung zu ermöglichen”. Dieser Gesichtspunkt mag im allgemeinen einen Grund zur Rechtfertigung einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung abgeben, die die Ausschließung eines Gesellschafters ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes für zulässig erklärt. Diese Frage ist hier jedoch, wie dargelegt, nicht zu entscheiden. Keinesfalls ist darin ein besonderer Umstand zu sehen, der eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs in dem dargelegten Sinne rechtfertigen könnte. Das gilt auch für das weitere Argument des Berufungsgerichts, der Klägerin sei die Kommanditbeteiligung im Erbwege zugewendet worden, zumal – soweit ersichtlich – auch alle übrigen gegenwärtigen Gesellschafter die Gesellschafterstellung im Erbwege erlangt haben.
Allerdings mögen auch in den hier infrage stehenden (Regel-)Fällen vertragliche Gestaltungen denkbar sein, die den schützenswerten Interessen beider Seiten Rechnung tragen, indem sie einerseits den Abfindungsanspruch von vornherein so festlegen, daß er als angemessen anzusehen ist, andererseits aber die mit der gesetzlichen Regelung verbundenen Schwierigkeiten bei der Errechnung des Abfindungsguthabens vermeiden und eine einfache und reibungslose Auseinandersetzung ermöglichen. Ob und in welcher Weise dies im Einzelfall geschehen kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Die Bestimmung im Gesellschaftsvertrag der Parteien über die Abfindung zu Buchwerten überschreitet jedenfalls das insoweit möglicherweise Zulässige. Denn sie führt, wie sich nicht zuletzt aus den unter I 2 behandelten Vorschriften über die Abschreibungen und ihre Mindestsätze (§ 16 i.V.m. § 6 des Gesellschaftsvertrages) ergibt, zwangsläufig zu einer erheblichen Beschränkung des Abfindungsanspruchs. Demgemäß ist die Abfindungsregelung nach § 138 BGB als nichtig anzusehen, soweit sie festlegt, daß der Abfindungsanspruch des Gesellschafters, der ohne wichtigen Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen oder „hinausgekündigt” wird, auf der Grundlage der Buchwerte zu berechnen sei.
III. Das angefochtene Urteil kann hiernach keinen Bestand haben, soweit es die Klägerin angefochten hat.
An die Stelle der – nichtigen – vertraglichen Abfindungsregelung treten die gesetzlichen Vorschriften; für eine ergänzende Vertragsauslegung ist bei dem vorliegenden Gesellschaftsvertrag und den vorstehend dargelegten Umständen kein Raum.
Die Klägerin hat danach einen Anspruch darauf, auf der Grundlage der wirklichen Werte des Gesellschaftsunternehmens abgefunden zu werden. Da es insoweit weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Stimpel, Dr. Bauer, Dr. Kellermann, Bundschuh, Dr. Skibbe
Fundstellen
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1979, 41 |