Rn 24
Um die Pflicht aus § 15a Abs. 1 erfüllen zu können, ist jeder Geschäftsleiter schon im Vorfeld verpflichtet, sich einen Überblick über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu verschaffen und die Solvenz derselben beständig zu überprüfen. Die Anforderungen an die Pflicht zur beständigen Selbstkontrolle sind teilweise in den § 41 i. V. m. §§ 238 ff. HGB gesetzlich geregelt, steigern sich aber beim ersten Auftreten von Krisenanzeichen. Sobald eine Pflicht zur Verlustanzeige nach § 49 Abs. 3 GmbHG bzw. nach § 92 Abs. 1 AktG besteht, spätestens aber, wenn ein "nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" nach § 268 Abs. 3 HGB ausgewiesen werden muss, haben die Geschäftsleiter die Insolvenzauslösetatbestände, insbesondere die Überschuldung, beständig zu prüfen (Pflicht zur Solvenzprognose). Gleiches gilt, wenn das Leitungsorgan erkennt, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen. Zu diesem Zweck muss sich das Leitungsorgan rechtzeitig die erforderlichen Informationen und Kenntnisse verschaffen, die es für die Prüfung benötigt.
Zu diesem Zweck müssen sich die Geschäftsleiter u. U. durch Aufstellung einer Zwischenbilanz oder eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand verschaffen. Darüber hinaus haben sie durch Aufstellen eines Finanzstatus und Finanzplans die Zahlungsfähigkeit zu prüfen. Um diese Überwachungs- und Beobachtungspflicht erfüllen zu können, bedarf es einer entsprechenden unternehmensinternen Organisation. Die Ausgestaltung derselben steht im pflichtgemäßen Ermessen der Geschäftsleitung und hängt von Art, Größe und Komplexität des Unternehmens sowie dessen wirtschaftlicher Lage ab. In der AG gilt insoweit § 91 Abs. 2 AktG. Unterlässt die Geschäftsleitung eine risikoadäquate Organisation der Überwachungs- und Beobachtungspflicht und steuert sie die Gesellschaft quasi "blind" in die Krise, entbindet dies keinesfalls von der Beachtung der Pflicht in § 15a Abs. 1.
Rn 25
In einem Kollegialorgan kann die Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstkontrolle Gegenstand einer Geschäftsverteilung sein. Die Geschäftsleiter haben dann aber für eine wechselseitige Kontrolle und Überwachung des für die Ressortgeschäftsführung verantwortlichen Geschäftsleiters zu sorgen. Besteht der Verdacht, dass sich die Gesellschaft in der Krise befindet, muss auch der nicht für das Ressort Finanzen zuständige Geschäftsleiter alle nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Maßnahmen treffen. Die Pflicht des Geschäftsleiters, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, entfällt nicht schon dann, wenn er keine Möglichkeit hat, sich innerhalb des Kollegialorgans rechtlich oder faktisch durchzusetzen.
Rn 26
Verfügen die Geschäftsleiter nicht über die notwendige Expertise, müssen sie sich extern beraten lassen. Die schlichte Anfrage bei einer von dem Geschäftsleiter für fachkundig gehaltenen Person reicht nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die Geschäftsleitung unter umfassender Darstellung der Gesellschaftsverhältnisse und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen und fachlich spezialisierten Berufsträger beraten lässt. Auf dessen Ausführungen kann sich die Geschäftsleitung zudem nicht blind verlassen; vielmehr hat sie den Berufsträger sorgsam auszuwählen und zu überwachen. Zudem muss sie den erteilten Rat einer Plausibilitätskontrolle unterziehen. Aus dem Sinn und Zweck des § 15a ("ohne schuldhaftes Zögern") folgt auch, dass eine solche Prüfung durch einen sachkundigen Dritten unverzüglich vorzunehmen ist und dass sich das Leitungsorgan nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen darf, sondern auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken muss.