Rn 62
Abweichend von der früheren h. M. unterscheidet der BGH seit dem Urteil vom 6.6.1994 für die Höhe des Schadensersatzanspruchs zwischen den sogenannten Neu- und Altgläubigern. Für Altgläubiger besteht der nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1, 2 zu ersetzende Schaden im sogenannten Quotenschaden, d. h. in dem Betrag, um den sich die Insolvenzquote des Gläubigers durch Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Eingehung neuer Verbindlichkeiten, gemindert hat. Neugläubiger haben dagegen Anspruch auf Ersatz des Schadens, den sie durch das Unterlassen des Eröffnungsantrages erlitten haben, d. h. des negativen Interesses. Diese Differenzierung ist gerechtfertigt und folgt unmittelbar aus dem Schutzzweck der Antragspflicht. Letztere verfolgt nämlich einen doppelten Zweck, zum einen, das Vermögen zugunsten der im Zeitpunkt der Insolvenzreife vorhandenen Gläubiger zu erhalten, und zum anderen, der eingetretenen Insolvenz zugunsten des Geschäftsverkehrs nach außen Geltung zu verschaffen.
8.1.1.3.1 Die Abgrenzung der Neu- und Altgläubiger
Rn 63
Da die Insolvenzantragspflicht (neben der Erhaltung der Masse) nur dem Schutz des Geschäftsverkehrs dient (siehe Rn. 62, 59), können Neugläubiger nur solche sein, die mit der Gesellschaft vertraglich in Kontakt treten. Delikts- und bereicherungsrechtliche Gläubiger, Steuergläubiger und Sozialversicherungsträger oder sonstige Gläubiger, die ihren Anspruch kraft Gesetzes erwerben (z. B. Arbeitnehmer bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall), sind daher von vornherein keine Neugläubiger. Diese sind vielmehr – unabhängig davon, wann sie ihren Anspruch vor Insolvenzeröffnung erworben haben – stets wie (vertragliche) Altgläubiger zu behandeln. Hiergegen wird mitunter die angebliche Schutzbedürftigkeit gerade der gesetzlichen Gläubiger ins Feld geführt. Eine solche Argumentation übersieht aber, dass beispielsweise dem deliktischen Gläubiger – anders als dem vertraglichen Gläubiger – ohnehin im Regelfall zwei Schuldner haften, nämlich zum einen der "Täter" und – über §§ 31, 831 BGB – auch die Gesellschaft. Dem Umstand, dass diese Gläubiger sich nicht autonom vor den Insolvenzgefahren des Schuldners schützen können, ist hier also vielfach bereits anderweitig, nämlich durch eine "Haftungsverdopplung", Rechnung getragen, womit das Argument der "besonderen Schutzbedürftigkeit" viel an Überzeugungskraft verliert.
8.1.1.3.1 Die Abgrenzung der Neu- und Altgläubiger
Rn 64
(Vertragliche) Neugläubiger sind alle, die erst nach Eintritt der Insolvenzreife ihre (vertragliche) Forderung gegen die Gesellschaft erworben haben. Wer vor Insolvenzreife mit der Gesellschaft in Geschäftsbeziehung getreten ist, ist grundsätzlich Altgläubiger, kann aber hinsichtlich einzelner Forderungen auch (vertraglicher) Neugläubiger sein. Letzteres trifft zu, wenn der Gläubiger der Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife Kredit gewährt hat; denn soweit § 15a Abs. 1, 2 dem Schutz des Geschäftsverkehrs dient, soll der potenzielle Neugläubiger nicht nur vor Eingehung des Rechtsgeschäfts mit der insolvenzreifen Gesellschaft geschützt werden, sondern vor allem davor, einer solchen Gesellschaft einen Sach- oder Geldkredit zu gewähren bzw. in Vorleistung zu treten. Wenn z.B. zwischen dem Gläubiger und der Gesellschaft bei Eintritt der Insolvenzreife ein Kontokorrentverhältnis besteht, die Forderungen gegen die Gesellschaft aber erst danach entstehen (z. B. durch tatsächliche Gewährung zusätzlichen Kredits bzw. dessen Inanspruchnahme durch die Gesellschaft), dann ist auch dieser Gläub...