Rn 12
Historisch – antike Vorbilder der Restschuldbefreiung können z.B. die drei Jahre dauernde Schuldknechtschaft aus § 117 des Codex Hammurapi (ca. 1760 v. Chr.) oder das Erlassjahr nach sieben Jahren Schuldknechtschaft im Deuteronomium (5. Buch Mose, 15) gewesen sein. Auffällig ist hier, dass nach der ersten Fassung der Insolvenzordnung in § 287 der Abtretungszeitraum ebenfalls auf sieben Jahre festgelegt wurde. In Deutschland war die Entschuldung erstmals vor ca. 250 Jahren in der Hamburger Failliten-Ordnung von 1753 vorgesehen. In der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im 3. Reich wurde für Landwirte und auch für Nichtlandwirte eine sogenannte Vertragshilfe zur Bereinigung alter Schulden kodifiziert. Gesetze zur richterlichen Vertragshilfe gab es auch in der Nachkriegszeit.
Rn 13
Eine Restschuldbefreiung war nach der Konkursordnung nicht vorgesehen. Für die Gläubiger bestand nach Abschluss des Insolvenzverfahrens auf die Dauer von 30 Jahren (§ 218 Abs. 1 BGB a. F. i. V. m. § 145 Abs. 2 KO) das Recht der unbeschränkten Nachforderung (§ 164 Abs. 1 KO) und damit die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung mit der auszugsweisen Ausfertigung der Konkurstabelle als Vollstreckungstitel. Die Vergleichsordnung befreite bei Annahme, Bestätigung und Erfüllung einer Mindestquote von 35 % den Schuldner von seinen Verbindlichkeiten (§ 82 Abs. 2 VglO). Durch § 197 Abs. 1 Nr. 5, § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB (geltende Fassung) hat sich im Übrigen an der Verjährung seit Geltung der Insolvenzordnung nichts geändert. Entsprechend der bisherigen Regelung des § 164 Abs. 1 KO sieht auch die Insolvenzordnung grundsätzlich ein unbeschränktes Nachforderungsrecht der Insolvenzgläubiger hinsichtlich der nach Abschluss des Insolvenzverfahrens unbefriedigt gebliebenen Forderungen vor (§ 201 Abs. 1). Die Insolvenzgläubiger können nach Verfahrensabschluss gegenüber dem Schuldner die Einzelzwangsvollstreckung durchführen, wobei nun Vollstreckungstitel regelmäßig ein vollstreckbarer Auszug aus der Insolvenztabelle ist (§ 201).
Rn 14
In der Praxis hat dies in der Vergangenheit dazu geführt, dass Schuldner, die natürliche Personen sind, lebenslang für ihre Verbindlichkeiten haften mussten und so praktisch keine Möglichkeit mehr hatten, eine neue wirtschaftliche Existenz aufzubauen ("moderner Schuldturm" oder "Schuldenkarussell"). Regelmäßige Begleiterscheinungen bzw. Konsequenz dieser Systematik sind Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft und allgemein das Bestreben der betroffenen Schuldner, jedenfalls offiziell kein Einkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenzen mehr zu erzielen.
Rn 15
Als besonders unbefriedigend wurde die frühere gesetzliche Regelung auch deshalb empfunden, weil juristische Personen nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen regelmäßig faktisch von den nach Verfahrensabschluss verbliebenen Verbindlichkeiten befreit werden, da sie in Konsequenz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst und in der Folgezeit registerrechtlich gelöscht werden.
Rn 16
Lediglich die Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) vom 6.6.1990 sah in § 18 Abs. 2 Satz 3 GesO erstmals im deutschen Recht im Ansatz die Regelung einer Restschuldbefreiung vor. Die redlichen Schuldner erlangten zwar keine endgültige Befreiung von ihren Verbindlichkeiten, aber einen weitgehenden Vollstreckungsschutz.
Rn 17
Die Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der damit verbundenen Möglichkeit der Restschuldbefreiung in der neuen Insolvenzordnung von 1994/1999 wurde und wird als Ausweg aus der ständig wachsenden Überschuldung der Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland gesehen. Waren es 1994 noch 2 Millionen überschuldete Haushalte, wurden es 1999 2,7 Millionen und 2002 3,1 Millionen. Das waren zuletzt 8,1 % der Haushalte. Als Hauptursache der Überschuldung werden mehrere Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Trennung oder Scheidung, Tod des Partners, Krankheit, gescheiterte Selbständigkeit, unwirtschaftliche Haushaltführung und gescheiterte Immobilienfinanzierung angesehen.
Rn 18
Wegen dieser wachsenden Überschuldung der natürlichen Personen ist der Gesetzgeber einer Entwicklung gefolgt, die in nahezu allen Industrienationen vollzogen worden ist.