Rn 70
Für das Verbraucherinsolvenzverfahren gelten zunächst die Vorschriften der §§ 1 bis 303, sofern im Neunten Teil der Insolvenzordnung keine anderweitigen Bestimmungen getroffen sind (§ 304 Abs. 1). Die §§ 304 ff. enthalten in den §§ 305–310 erhebliche Abweichungen vom Regelinsolvenzverfahren, die zunächst zur Entlastung der Insolvenzgerichte dem gerichtlichen Verfahren einen obligatorischen außergerichtlichen Einigungsversuch mit Unterstützung von Schuldnerberatern voranstellen und erst nach dessen Scheitern die Anrufung des Insolvenzgerichts erforderlich machen.
Rn 71
Mit der Abschaffung des vereinfachten Insolvenzverfahrens durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013 (s. o. Rdn. 17) sind die §§ 312–314 weggefallen, damit haben sich die Unterschiede zwischen Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren verringert: So wurde nach altem Recht nach einer Verfahrenseröffnung abweichend vom normalen Insolvenzverfahren nur ein Prüfungstermin bestimmt, es fand kein Berichtstermin statt (§ 312 Abs. 1 Satz 2 a. F.). Nun besteht allgemein die Möglichkeit, das Verfahren schriftlich durchzuführen (§ 5 Abs. 2 n. F.).
Rn 72
Anders als in § 312 a. F., in dem die Verfahrensvereinfachungen für die im Anwendungsbereich des § 304 fallenden Verfahren zwingend vorgeschrieben waren, kann nunmehr das Gericht entscheiden, ob es im konkreten Fall von den Verfahrensvereinfachungen Gebrauch machen will, wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 vorliegen. Der Gesetzgeber wollte damit der Forderung der Justiz nach flexibleren Handlungsmöglichkeiten Rechnung tragen. Nach § 29 Abs. 2 n. F. können die Termine aber verbunden werden. Auf den Berichtstermin kann ganz verzichtet werden, wenn die Vermögensverhältnisse des Schuldners überschaubar sind und die Zahl der Gläubiger oder die Höhe der Verbindlichkeiten gering ist (§ 29 Abs. 2 Satz 2 n. F.).
Rn 73
Waren im vereinfachten Verfahren die Bestimmungen der Insolvenzordnung über den Insolvenzplan nicht anwendbar (§ 312 Abs. 3 a. F.), ist nunmehr die Vorlage eines Insolvenzplans auch im Verbraucherinsolvenzverfahren gestattet. Berechtigten Bedenken, die Erstellung eines Insolvenzplans sei zu aufwendig und kompliziert, kann durch die Verwendung standardisierter Pläne begegnet werden.
Rn 74
Darüber hinaus hat der Reformgesetzgeber weitere hergebrachte Differenzierungen zwischen Verbraucher- und Regelinsolvenzverfahren aufgegeben:
- Nach altem Recht wurde bei der Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens kein Insolvenzverwalter, sondern ein Treuhänder eingesetzt (§ 313 Abs. 1 a. F.).
- Zur Anfechtung von Rechtshandlungen nach §§ 129–147 war nicht der Treuhänder, sondern jeder Insolvenzgläubiger berechtigt (§ 313 Abs. 2 Satz 1 a. F.). Mit der Anfechtung konnte aber die Gläubigerversammlung einen Gläubiger oder den Treuhänder beauftragen (§ 313 Abs. 2 Satz 2 a. F.). Für den nach dem 01.07.2014 ernannten Insolvenzverwalter bestehen die Einschränkungen durch Aufhebung des § 313 Abs. 2 a. F. nicht mehr.
- Die Verwertung von Gegenständen, die Pfand- oder Absonderungsrechten unterliegen, erfolgte durch die berechtigten Gläubiger selbst (§ 313 Abs. 3 Satz 1 u. 2 a. F.). Ein Verwertungsrecht des Treuhänders ermöglichte nach Ablauf einer auf Antrag des Treuhänders durch das Insolvenzgericht gesetzten Frist eine entsprechende Anwendung von § 173 Abs. 2 Satz 2 (§ 313 Abs. 3 Satz 3 a. F.). Unter bestimmten Voraussetzungen konnte von der Verwertung einer Insolvenzmasse ganz oder teilweise abgesehen werden (§ 314 a. F.). Für den nach dem 01.07.2014 ernannten Insolvenzverwalter bestehen die Einschränkungen durch Aufhebung des § 313 Abs. 3 a. F. nicht mehr.
Rn 75
Im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren ist dem Verbraucherinsolvenzverfahrens ein obligatorischer Versuch der außergerichtlichen Schuldenbereinigung vorgeschaltet (§ 305 Abs. 1 Nr. 1). Die Hoffnung des Gesetzgebers, eine Vielzahl gerichtlicher Verfahren durch eine außergerichtliche Einigung zu vermeiden, hat sich jedoch nicht erfüllt.
Ebenfalls dem Verbraucherinsolvenzverfahren vorbehalten, bleibt die Möglichkeit, ein gerichtliches Schuldenbereinigungsplanverfahren durchzuführen, bei dem auch die Ersetzung der Zustimmung ablehnender Gläubiger möglich ist (§§ 307–309). Hierzu kann das Gericht das Ruhen des Insolvenzeröffnungsverfahrens anordnen (§ 306). Leider hat auch dieses Instrument in der Praxis nur eine geringe Resonanz erfahren. Hier mag sich die unzureichende personelle Ausstattung der Schuldnerberatungsstellen negativ auswirken.
Rn 76
Bei Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens verlängert sich die sog. "Rückschlagsperre" (§ 88) gegenüber dem Regelverfahren von einem auf drei Monate (§ 312 Abs. 1 Satz 3 a. F. – jetzt: § 88 Abs. 2 n. F.). Ferner kommt keine Eigenverwaltung in einem Verbraucherinsolvenzverfahren in Betracht (§ 270 Abs. 1 Satz 3).