Rn 126
Die echte Freigabe erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit dinglicher Wirkung, die gegenüber dem Schuldner bzw. dessen gesetzlichem Vertreter abzugeben ist. Wie jede Willenserklärung kann auch die Freigabe durch schlüssige Handlung vorgenommen werden. Kümmert sich der Verwalter nicht um einen Massegegenstand, weil er davon ausgeht, dieser gehört einem Dritten, reicht dies jedoch für eine konkludente Freigabe nicht aus. Ebenso wenig ist ein unverbindliches in Aussicht Stellen eines Verzichts schon als Freigabe zu werten. Beruft sich der Verwalter auf die Rechtsfolgen der Freigabe, trägt er die Beweislast für das Vorliegen und den Zugang der Erklärung.
Rn 127
Die echte Freigabe, die vom Gesetz in § 32 Abs. 3 Satz 1 und § 35 Abs. 2 vorausgesetzt wird, hat der Insolvenzverwalter nach pflichtgemäßem Ermessen durchzuführen, wobei er sich in schwierigen Fällen die Zustimmung der Gläubiger sichern sollte, um eine Haftung nach § 60 zu vermeiden. Umgekehrt kann der Verwalter auch zur Freigabe verpflichtet sein, wenn der Masse ansonsten nutzlose Aufwendungen zur Last fallen. Allerdings besteht auf eine Freigabe kein Anspruch eines Gläubigers oder des Insolvenzschuldners. Eine Freigabe kommt vor allem für unverwertbare, mit hohem Prozessrisiko behaftete oder über ihren Wert hinaus belastete Gegenstände in Frage.
Rn 128
Verstößt die Freigabe offensichtlich gegen den Insolvenzzweck der gleichmäßigen und größtmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger, ist sie unwirksam. Die Erteilung einer Freigabe ist aus Gründen der Rechtssicherheit bedingungsfeindlich und weder widerruflich noch wegen Irrtums anfechtbar, wenn der Verwalter die freigegebene Sache für nicht zur Masse gehörig, überbelastet oder unverwertbar hielt. Eine Insolvenzanfechtung scheidet aus, wenn die Freigabe durch einen (u. U. sogar einen anderen) vorläufigen Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erfolgt ist. Im Übrigen bleibt eine Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB möglich (z. B. Verwalter verwechselt die Sache – Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1, 2. Fall BGB). Ebenso nicht ausgeschlossen ist die Anfechtung einer Freigabeerklärung nach § 123 BGB.
Rn 129
Rechtsfolge der Freigabe ist, dass die vom Verwalter freigegebenen Gegenstände mit Wirkung ex nunc nicht mehr zur Insolvenzmasse gehören. Es bleibt beim Eigentum des Schuldners, der die volle Verfügungsbefugnis zurückerlangt. Der Gegenstand wird insolvenzfreies Vermögen und fällt nicht etwa als Neuerwerb des Insolvenzschuldners wieder in die Insolvenzmasse zurück. Prozessual wird der Schuldner nicht Rechtsnachfolger des Verwalters. Die echte Freigabe löst keine Umsatzsteuer aus.
Rn 130
Bei der Freigabe eines Grundstücks verbleibt eine an diesem bestehende Eigentümergrundschuld in der Masse. Ebenso werden nicht automatisch mit dem Grundstück auch die bereits angefallenen Früchte (z. B. rückständige Mieten) freigegeben.
Rn 131
Gegen eine Freigabemöglichkeit von Gegenständen aus dem Vermögen insolventer Gesellschaften wurden in der Literatur Bedenken geäußert, weil die gesellschaftsrechtliche Liquidation mit der insolvenzrechtlichen Abwicklung zusammenfallen soll. Nicht erklären konnte diese Auffassung allerdings, dass die InsO in § 32 Abs. 3 Satz 1 die frühere Regelung des § 114 KO übernommen hat, in der ausdrücklich von einer Freigabe von Gegenständen aus der Insolvenzmasse ausgegangen und nicht zwischen der Insolvenz über das Vermögen einer natürlichen Person und derjenigen einer Personenvereinigung unterschieden wird. Des Weiteren spricht auch § 85 Abs. 2 – ein Sonderfall der Freigabe (freizugebender Gegenstand ist hier der Aktivprozess) – für die Zulässigkeit einer Freigabe bei Gesellschaften, da auch hier bezüglich der Freigabe keinerlei Einschränkungen nach der Person des Schuldners bestehen. Auch ergeben sich praktisch gesehen keine Schwierigkeiten, der Freigabe an die Gesellschaft bei deren Liquidation sogleich eine (gesellschaftsrechtliche) Verteilung durch den Verwalter an die Gesellschafter folgen zu lassen, wohingegen der Verwalter nach der Gegenansicht entgegen dem Verfahrenszweck die Masse mit Kosten für die Fürsorge für Gegenstände belasten müsste, deren Verwertung ohnehin nicht möglich ist oder für die Masse nichts einbringt. Daher ist auch bei Gesellschaften eine Freigabe zulässig (zum Sonderfall der Freigabe altlastgeschädigter Grundstücke vgl. § 55 Rn. 26 f.).
Rn 132
Ansprüche nach § 82 SachenRBerG hindern die Freigabe nicht, sondern sind Insolvenzforderungen oder, wenn der Insolvenzverwalter durch eigene Handlung oder Unterlassung selbst den Anspruch begründet hat, Masseverbindlichkeiten.