Rn 1
§ 38 wird häufig missverstanden und nur verkürzt zitiert. Die Vorschrift trifft zwei Aussagen. Vordergründig legt sie den Zweck der Insolvenzmasse fest, die haftungsrechtliche Zuweisung der Massegegenstände an die Insolvenzgläubiger, und ist insoweit Auslegungshilfe für § 36.
Hintergründig enthält sie eine Legaldefinition des Insolvenzgläubigers. Durch diese Legaldefinition erhält die Norm ihre herausragende Bedeutung im Gefüge der InsO und die häufige Zitierung.
Rn 2
Die Einordnung einer Forderung als Insolvenzforderung hat weitreichende Konsequenzen für ihre Durchsetzbarkeit; die Forderungen können gemäß § 87 nur nach den Vorschriften der InsO, namentlich durch Anmeldung beim Insolvenzverwalter nach § 174 verfolgt werden.
Rn 3
"Einfache", also ungesicherte Insolvenzforderungen nach § 38 sind abzugrenzen von Forderungen nach § 47 (Aussonderung), die ohne die besonderen Vorschriften der InsO verfolgt werden, von dinglichen Sicherheiten nach §§ 49 ff. (Absonderung) und schließlich von Verbindlichkeiten nach § 53 unmittelbar gegen die Insolvenzmasse (Masseverbindlichkeiten). Aufgrund des Ausnahmecharakters von § 53 gilt eine Verbindlichkeit im Zweifel als Insolvenzforderung. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass alle Arten von insolvenzrechtlichen Forderungen abweichende und teilweise überschneidende Tatbestandsmerkmale haben und § 38 nur aufgrund der Weite seiner Tatbestandsmerkmale im Zweifel Anwendung findet; es handelt sich damit nicht um einen echten Auffangtatbestand. Eine volle tatbestandliche Überschneidung gibt es nur bei § 39, so dass § 38 hier echter Auffangtatbestand ist.
Rn 4
Nach dem Wortlaut des § 38 differenzieren sich Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen nach dem Entstehungszeitpunkt. Insolvenzforderungen sind Vermögensansprüche, die "zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung begründet" sind. Masseverbindlichkeiten dagegen können begriffsnotwendig erst mit Entstehung der Insolvenzmasse, also erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, entstehen. Ausnahmen zu dieser Systematik bilden namentlich Verbindlichkeiten unter Einbeziehung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 55 Abs. 2 und Abs. 4.
Rn 5
§ 38 wird häufig verkürzt zitiert als Legaldefinition der ungesicherten und nicht nachrangigen, also der "einfachen" Insolvenzforderungen. Nach der Legaldefinition erfasst § 38 jedoch alle Vermögensansprüche gegen den Schuldner, die bis zur Verfahrenseröffnung begründet waren. Damit sind auch die nachrangigen Insolvenzforderungen nach § 39 vom Wortlaut erfasst. § 38 und § 39 stehen also gerade nicht in einem Exklusivitätsverhältnis wie es die häufige unsaubere Zitierung der Vorschrift nahelegt; § 39 steht in einem Spezialitätsverhältnis zu § 38.
Rn 6
Die amtliche Überschreibung des § 38 mit "[…] Insolvenzgläubiger" ist – wie an verschiedenen anderen Stellen der InsO – zumindest ungenau, da die Vorschrift nach ihrem Regelungsgehalt unterschiedliche Forderungen differenziert und nicht die Forderungsinhaber. Die Abstellung auf die Forderungsinhaber ("Gläubiger") ist missverständlich, da derselbe Gläubiger durch die Inhaberschaft von unterschiedlichen Forderungen sowohl Insolvenzgläubiger nach § 38 als auch Massegläubiger nach §§ 53 ff. oder Gläubiger mit einer Sicherheit nach § 51 sein kann. Die einzelne Forderung dagegen kann – soweit sie am Verfahren teilnimmt – nur entweder Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit sein. Der Gläubiger kann Inhaber von Forderungen unterschiedlicher Qualität und Rangstufe sein.