Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 11
Nicht unter § 94 fallen, obwohl häufig und so auch hier an dieser Stelle mitbehandelt, "vorgreifliche Verrechnungsvereinbarungen", also Verträge, durch die nur die einseitige Aufrechnungserklärung im Voraus ersetzt, aber nicht (auch) die Aufrechnungsberechtigung erweitert wird. Sie betreffen nicht, wie die in § 94 gemeinten Vereinbarungen, die Begründung des Aufrechnungsrechts, sondern nur die Art und Weise seiner Ausübung. Ein weites Anwendungsgebiet haben solche Vereinbarungen insbesondere als Kontokorrentabreden im Bereich der Girokonten. Oft und kontrovers wird die Frage erörtert, ob eine solche vorweggenommene Verrechnungsvereinbarung schon mit Erlass eines Verfügungsverbots im Insolvenzeröffnungsverfahren (§ 21 Abs. 2 Nr. 2) ihre Wirkung verliert, so dass spätere Zahlungseingänge auf einem debitorischen Girokonto nicht kraft dieser Vereinbarung mit dem Debetsaldo des Kunden verrechnet werden. Die Frage dürfte zu bejahen sein, da hierbei auch der spätere Insolvenzschuldner, gegen den sich das Verfügungsverbot richtet, über seine Forderung verfügt. Sie büßt aber beträchtlich an Bedeutung ein, wenn auch nach Unwirksamkeit einer Verrechnungsvereinbarung noch die einseitige Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger, in der Praxis meist eine Bank gegenüber ihrem Girokunden, zulässig ist. Die Zulässigkeit einer solchen Aufrechnung wird, obwohl das Verfügungsverbot ja nur Verfügungen des späteren Insolvenzschuldners, nicht aber Rechtshandlungen des Gläubigers betrifft, verschiedentlich unter Berufung auf § 394 Satz 1 BGB, § 772 ZPO (Gleichstellung von Aufrechnung mit Vollstreckung) und auf eine Analogie zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 (früher § 55 Nr. 1 KO) verneint. Sie ist aber nach richtiger Ansicht zu bejahen (s. auch § 96 Rn. 2), da § 394 BGB einen hier nicht tangierten sozialpolitischen Schutzzweck hat, da ferner die InsO Aufrechnung und Zwangsvollstreckung gerade nicht stets gleichstellt (vgl. §§ 94 ff. einerseits, § 89 Abs. 1 andererseits) und da schließlich § 96 Abs. 1 Nr. 3 eine flexible, auch die Interessen des möglicherweise gutgläubigen Gläubigers berücksichtigende und daher als abschließend zu verstehende Einschränkung des Aufrechnungsrechts bei vor Verfahrenseröffnung entstandenen Aufrechnungslagen bereitstellt. Eine Bank kann also wirksam auch gegen Ansprüche ihres Kunden aufrechnen, es sei denn, im Zeitpunkt des Zahlungseingangs hätten die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung (§§ 130, 131, 133) vorgelegen.