Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Gesetzestext
(1) 1Sind zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen oder eine von ihnen noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig oder die Forderungen noch nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so kann die Aufrechnung erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. 2Die §§ 41, 45 sind nicht anzuwenden. 3Die Aufrechnung ist ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann.
(2) 1Die Aufrechnung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Forderungen auf unterschiedliche Währungen oder Rechnungseinheiten lauten, wenn diese Währungen oder Rechnungseinheiten am Zahlungsort der Forderung, gegen die aufgerechnet wird, frei getauscht werden können. 2Die Umrechnung erfolgt nach dem Kurswert, der für diesen Ort zur Zeit des Zugangs der Aufrechnungserklärung maßgeblich ist.
Bisherige gesetzliche Regelungen: § 54 KO, § 54 VerglO – § 107 RegE, § 102 RefE
1. Allgemeines
Rn 1
Mit der Vorschrift werden die Aufrechnungsmöglichkeiten für Insolvenzgläubiger gegenüber § 94 im Hinblick auf schutzwürdige Vertrauenstatbestände erweitert. Steht dem Gläubiger bei Verfahrenseröffnung bereits eine noch aufschiebend bedingte, nicht fällige oder noch nicht gleichartige Gegenforderung zu, durfte er zuvor darauf vertrauen, dass die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf die Aufrechnungslage möglich sein werde und er sich seinerseits durch Aufrechnung von der Verbindlichkeit befreien könne. Ein solches schutzwürdiges Vertrauen soll auch durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht enttäuscht werden. Nach den bisher geltenden Regelungen in der KO und VerglO wurde der Gläubiger aber demgegenüber noch weiter bevorzugt. Danach war eine Aufrechnung mit nicht fälligen Gegenforderungen schon vor Eintritt der Fälligkeit möglich; nicht auf Geld gerichtete Forderungen konnten sofort mit Verfahrenseröffnung in Geld umgerechnet und dadurch gegen Geldforderungen des Gemeinschuldners aufgerechnet werden. Auch aufschiebend bedingte Forderungen berechtigten bis zum Bedingungseintritt in aufrechenbarer Höhe zur Sicherstellung. Darin wurde zu Recht eine systemwidrige Vorzugsstellung gesehen, die vor allem dadurch entstanden war, dass die eigentlich nur zur vereinfachten Forderungsanmeldung vorgesehenen Vorschriften der §§ 65, 69, 70 KO, heute §§ 41, 45 und 46 InsO, auch im Bereich der Aufrechnung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung angewandt werden durften. Dadurch sind unerträgliche Wertungswidersprüche entstanden, da der Gläubiger einer Naturalleistung gegen eine Geldforderung der Masse aufrechnen konnte, andererseits der Gläubiger einer Geldforderung gegenüber einem Individualanspruch der Masse weder ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen noch aufrechnen konnte. Erfreulicherweise sind daher für den Bereich der Aufrechnung nunmehr die Vereinfachungsvorschriften für das Forderungsfeststellungsverfahren nicht mehr anwendbar. Dies geht ausdrücklich aus § 95 Abs. 1 Satz 2 hervor.
Nach seiner Grundkonzeption sieht § 95 nunmehr vor, dass Gläubiger der in Abs. 1 genannten Forderungen zunächst im Insolvenzverfahren bis zum Eintritt des jeweiligen Ereignisses nicht aufrechnen können. Darüber hinaus erfolgte eine insolvenzrechtliche Anpassung an den allgemeinen Vertrauensschutztatbestand des § 392 BGB, der die Voraussetzungen regelt, unter denen die Aufrechnung gegen eine beschlagnahmte Forderung möglich ist (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 3).
Rn 2
Des Weiteren wurde im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens § 95 um einen Abs. 2 ergänzt, um über die allgemeinen zivilrechtlichen Voraussetzungen hinaus auch die Aufrechnung wirtschaftlich gleichartiger Forderungen zu ermöglichen, die auf unterschiedliche Währungen gerichtet sind.
2. Künftige Aufrechnungslagen (Abs. 1)
Rn 3
Aus § 95 Abs. 1 ist zunächst der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass bei Verfahrenseröffnung schon begründete Forderungen eines Insolvenzgläubigers auch noch aufgerechnet werden können, wenn ihre Durchsetzbarkeit oder die Gleichartigkeit erst während des Verfahrens eintritt und nicht die massezugehörige Hauptforderung bereits zuvor durchsetzbar war oder wurde (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 3). Mit dieser Anlehnung an den schon in § 392 BGB niedergelegten Grundsatz dürften Aufrechnungslagen zugunsten eines Insolvenzgläubigers nach Eröffnung des Verfahrens nur in wenigen Ausnahmefällen entstehen. Immer wenn der Insolvenzgläubiger damit rechnen musste, dass wegen bereits gegebener Durchsetzbarkeit die massezugehörige Forderung vor Eintritt der Aufrechnungsvoraussetzungen gegen ihn beigetrieben wird, ist sein Vertrauen auf das zukünftige Entstehen der Aufrechnungslage im Falle eines Insolvenzverfahrens nicht schutzwürdig. Dies wird dadurch erreicht, dass nach § 95 Abs. 1 Satz 2 die Erleichterungsvorschriften der §§ 41, 45 im Bereich der Aufrechnung nicht angewandt werden dürfen.