Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 11
Die Änderung des § 99 Abs. 1 Satz 1 durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, die einen Vorschlag der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Insolvenzrecht" aufgreift, soll mit Blick auf den Wegfall des Postmonopols klarstellen, dass auch andere Postdienstleistungsunternehmen als die Deutsche Post AG verpflichtet sind, an der Postsperre mitzuwirken. Eine solche Verpflichtung aller Postdienstleister war von der ganz überwiegenden Literatur schon unter der alten Fassung des § 99 Abs. 1 Satz 1 bejaht worden, die weder im Gesetz einen Hinweis auf die zur "Zuleitung" Verpflichteten enthielt noch deren Benennung im Beschluss über die Postsperre vorsah. Die Verfasser der KO, die sich ebenfalls mit einer Vielzahl von Postunternehmen konfrontiert sahen, reagierten hierauf in § 121 KO mit einer gesetzlich statuierten und allgemein formulierten Verpflichtung ("Die Post- und Telegraphenanstalten sind verpflichtet …"). Eine vergleichbare Regelung auch für § 99 Abs. 1 Satz 1 hätte den (nunmehr entstandenen) Eindruck vermieden, die Mitwirkungspflicht beschränke sich auf die in dem Gerichtsbeschluss aufgeführten Unternehmen; auch ein Postdienstleister, der (z.B. versehentlich) nicht in dem Beschluss genannt worden ist, der aber zufällig von der Insolvenz des Adressaten Kenntnis erlangt hat, sei nicht zur Mitwirkung verpflichtet. Dass der Gesetzgeber diesen nahe liegenden Weg nicht gewählt hat, dürfte mit seinem Bestreben zusammenhängen, den Postsperrebeschluss zum Vollstreckungstitel zu erheben, aus dem der Insolvenzverwalter gegen einen widerspenstigen Postdienstleister (nach § 4 InsO i.V.m. § 888 ZPO) vorgehen kann. Besser wäre es allerdings gewesen, wenn das Gesetz dies – wie in § 148 Abs. 2 Satz 1 – ausdrücklich ausgesprochen hätte. Denn eine Vollstreckbarkeit gegen Postdienstleister nach § 4 InsO i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO versteht sich deshalb nicht von selbst, weil der Gesetzgeber bewusst ein Rechtsmittel der Postdienstleistungsanbieter gegen die Postsperre nicht vorgesehen hat. Die Aufwertung des Anordnungsbeschlusses zu einem Vollstreckungstitel gegen die darin genannten Postdienstleister beschränkt sich auf Insolvenzverfahren, die nach dem 30. Juni 2007 eröffnet worden sind (s.o. Rn. 1).
Die Liberalisierung des Postmarkts und die Vielzahl der dort jetzt und künftig tätigen Anbieter werden den Insolvenzgerichten Schwierigkeiten bereiten und für die Beteiligten erhöhte Kosten verursachen. Da die Insolvenzgericht kaum wissen können, welcher Postdienstleister sich die diversen Absender der an den Insolvenzschuldner gerichteten Post bedienen werden, werden sie im Interesse der Lückenlosigkeit der Postsperre möglichst alle örtlich tätigen Anbieter von Postdienstleistungen in den Anordnungsbeschluss aufnehmen. Dies kann zu nicht ganz unbeträchtlichen Kosten führen, wenn jeder Postdienstleister – wie es bei der Deutschen Post AG üblich ist – für die Beachtung einer Postsperre ein Pauschalentgelt berechnet, unabhängig davon, ob und wie viele Sendungen er dem Insolvenzverwalter zugeleitet hat.
Rn 12
Völlig ungeklärt und, soweit ersichtlich, noch nicht erörtert ist die Frage, ob die schuldhafte Nichterfüllung der Zuleitungspflicht im Falle eines dadurch für die "Insolvenzmasse" entstandenen Schadens zu einer Ersatzpflicht des Postdienstleisters führen kann. Zu erwägen ist eine Ersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 99 Abs. 1 Satz 1 InsO als Schutzgesetz oder aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Pflicht aus einem durch die Anordnung der Postsperre begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter (als Amtswalter für die Gläubigergesamtheit) und dem Postdienstleistungsunternehmen.