Entscheidungsstichwort (Thema)
Kürzung der Entgeltpunkte. Fremdrentenrecht. Spätaussiedler. grundsätzliche Bedeutung. wiederholte erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde. Vorlagepflicht an den EuGH. Europarecht
Orientierungssatz
1. Wenn nach diversen früheren (erfolglosen) Nichtzulassungsbeschwerden weiterhin die Auffassung vertreten wird, dass die Kürzung der Entgeltpunkte für FRG-Berechtigte nach § 22 Abs 4 FRG zu Unrecht erfolge, reicht es zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und die hierfür darzustellende (erneute) Klärungsbedürftigkeit nicht aus, lediglich ein weiteres Mal die eigene Rechtsmeinung auszubreiten. Vielmehr ist zumindest eine substanzielle Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BVerfG und des BSG zu § 22 Abs 4 FRG unter Kenntnisnahme des dortigen Inhalts erforderlich.
2. Eine Vorlageverpflichtung nach Art 267 Abs 3 AEUV besteht auch dann nicht, wenn die Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts zur Anfechtung von Entscheidungen eines nationalen Gerichts nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht geprüft werden können (vgl EuGH vom 4.6.2002 - C-99/00 = juris RdNr 16).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; FRG § 22 Abs. 4; FANG Art. 6 § 4c Abs. 2 Fassung: 2007-04-20; GG Art. 14 Abs. 1, Art. 3; AEUV Art. 267
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.08.2012; Aktenzeichen L 9 R 152/09) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 18.11.2008; Aktenzeichen S 8 R 2939/08) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. August 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 7.8.2012 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Altersrente ohne Kürzung der auf dem FRG beruhenden Entgeltpunkte (EP) auf 60 vH ihres Wertes (vgl § 22 Abs 4 FRG) verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die von ihrem Prozessbevollmächtigten vorgelegte, durchaus umfangreiche, Begründung genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Grundsätzlich bedeutsam iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine derartige Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) und (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) aufzeigen (vgl zum Ganzen BSG vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
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Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin trägt vor: |
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"a) Es muss grundsätzlich geklärt werden, ob die Rentenanwartschaften, die sowohl auf Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz auf Ersatzzeiten nach § 250 SGB VI und auf Inlandsbeitragszeiten nach SGB VI beruhen, die von einer Person in Anspruch genommen werden, welche als Deutsche gegen ihren Willen ausserhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Verfolgung durch den Nationalsozialismus, Verschleppung, Vertreibung, Kriegsgefangenschaft oder Flucht bis zur ihrer Heimschaffung tätig sein musste und nach der Rückkehr/Einreise nach Deutschland weiter Beiträge zur Sozialversicherung geleistet hat, soweit sie auf Auslandsbeiträgen beruhen, für einen Teil des betroffenen Personenkreises wesentlich verkürzt werden dürfen. |
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b) Des Weiteren muss dann die Frage geklärt werden, ob die Anwartschaften, die auf einer Versicherungsbiographie eines Menschen im oben definierten Sinne beruhen, Teil des Solidarsystems der Bundesrepublik Deutschland sind und ob sie, wenn sie Teil des Solidarsystems sind, soweit es sich um Zeiten nach dem FRG handelt, um den Faktor 0,6 verkürzt werden dürfen. |
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c) Es ist auch die im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht offen gelassene Frage, ob derartige Zeiten (durch das Fremdrentengesetz begründete Rentenanwartschaften) dem Schutz des Art. 14 GG und dem Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 1 EMRK unterliegen zu klären." |
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin damit konkrete Rechtsfragen im vorgenannten Sinne hinreichend bezeichnet hat. Jedenfalls hat sie deren Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass die Klägerin bzw ihr Prozessbevollmächtigter erkennen, dass das BVerfG in seinem Senatsbeschluss vom 13.6.2006 (BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5) die Regelung des § 22 Abs 4 FRG grundsätzlich für verfassungsgemäß erachtet hat und lediglich für FRG-Berechtigte, die vor dem 1.1.1991 nach Deutschland gekommen sind und deren Rente nach dem 30.9.1996 beginnt, eine zusätzliche Übergangsregelung gefordert hat. Der Klägerin ist offenbar auch bewusst, dass sie die Voraussetzungen der daraufhin vom Gesetzgeber erlassenen Übergangsregelung des Art 6 § 4c Abs 2 FANG idF vom 20.4.2007 nicht erfüllt. Auch diese Bestimmung hat das BVerfG - wie dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin bekannt ist - verfassungsrechtlich nicht beanstandet (BVerfG ≪Kammer≫ vom 15.7.2010 - 1 BvR 1201/10 - SozR 4-5050 § 22 Nr 11; ebenso Senatsurteile vom 20.10.2010 - B 13 R 90/09 R - veröffentlicht in Juris und vom 25.2.2010 - SozR 4-5050 § 22 Nr 10; BSG vom 20.10.2009 - SozR 4-5050 § 22 Nr 9). Wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dennoch nach wie vor - wie schon die diversen früheren (erfolglosen) Nichtzulassungsbeschwerden zeigen (ua BSG vom 24.8.2011 - B 5 R 218/11 B; Senatsbeschluss vom 19.4.2011 - B 13 R 323/10 B; Senatsbeschluss vom 19.4.2011 - SozR 4-5050 § 22 Nr 12; Senatsbeschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 187/11 B; Senatsbeschluss vom 25.1.2012 - B 13 R 380/11 B) - der Auffassung ist, dass die Kürzung der EP für FRG-Berechtigte nach § 22 Abs 4 FRG zu Unrecht erfolgt sei, reicht es zur Darlegung der (erneuten) Klärungsbedürftigkeit nicht aus, lediglich ein weiteres Mal die eigene Rechtsmeinung auszubreiten. Vielmehr ist zumindest eine substanzielle Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BVerfG und des BSG zu § 22 Abs 4 FRG unter Kenntnisnahme des dortigen Inhalts (insbesondere zum angesprochenen Anwendungsbereich des Art 14 Abs 1 GG und zu Art 3 GG) erforderlich. Hieran fehlt es.
Zudem hat die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht aufgezeigt. Denn aus der Beschwerdebegründung erschließt sich nicht mit hinreichender Klarheit, inwieweit die von ihrem Prozessbevollmächtigten formulierten Fragen nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt für das angestrebte Revisionsverfahren noch entscheidungserheblich sein könnten.
2. Soweit die Klägerin meint, das LSG habe verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es nicht geprüft habe, ob europäische Normen einschlägig seien und ob die Sache dem "Europäischen Gerichtshof" vorzulegen sei, hat sie einen Verfahrensmangel nicht hinreichend aufgezeigt. Insbesondere hat sie einen Verstoß des LSG durch die Nichtvorlage der Sache gegen Art 267 Abs 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht ansatzweise schlüssig dargelegt (vgl zu den Anforderungen bereits BSG vom 22.8.2012 - B 5 R 242/12 B).
Wird eine Frage über die Auslegung der Verträge (Art 267 Abs 1 Buchst a AEUV) oder die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art 267 Abs 1 Buchst b AEUV) in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht gemäß Art 267 Abs 3 AEUV zur Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Union verpflichtet.
Die Klägerin hat bereits nicht dargetan, welche Fragen über die Auslegung bzw die Gültigkeit welcher Norm welchen Unionsrechts sich ausgehend von der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in dem Verfahren vor dem LSG gestellt hätten. Darüber hinaus hat sie nicht schlüssig aufgezeigt, warum Entscheidungen des LSG nicht mit Rechtsmitteln innerstaatlichen Rechts angegriffen werden können. Die Anfechtung von Entscheidungen eines nationalen Gerichts mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts ist auch dann möglich, wenn die Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht geprüft werden kann (EuGH vom 4.6.2002 - C-99/00 - "Lyckeskog" - Juris RdNr 16).
Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG für falsch hält, ist für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblich.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen