Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht Prozeßkostenhilfe zu gewähren und seine Prozeßbevollmächtigten beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger Versorgung wegen der gesundheitlichen Folgen einer 1950 durch explodierende Fundmunition erlittenen Verletzung zu gewähren. Gegen das Urteil hat der Beklagte – die vom LSG zugelassene – Revision eingelegt. Der Kläger hat Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozeßbevollmächtigten beantragt und auf Anfrage des Senats mitgeteilt, er wolle sich – anders als in einer anderen Rechtsangelegenheit – im Revisionsverfahren nicht durch einen Rechtsschutzsekretär seiner Gewerkschaft vertreten lassen, weil er vom Deutschen Gewerkschaftsbund enttäuscht sei. In jener anderen Rechtsangelegenheit habe er trotz mehrerer Nachfragen keine Auskunft über den Sachstand erhalten. Es sei in jener Sache auch nicht genug getan worden.
Prozeßkostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil der Kläger nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozeßführung aus seinem Vermögen aufzubringen (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm §§ 114, 115 Abs 2 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Zum Vermögen eines Antragstellers gehören Ansprüche gegen eine Rechtsschutzversicherung (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 73a Rz 6a) und ebenso ein satzungsmäßiger Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch eine Gewerkschaft oder einen Verband (Hennig/Danckwerts/König, SGG, Stand 1993, § 73a Anm 5.3). Da Prozeßkostenhilfe eine besondere Art der Sozialhilfe auf dem Gebiet gerichtlichen Rechtsschutzes ist (BVerfGE 9, 256, 258; 35, 348, 355), ist ein Antragsteller wegen des für Sozialhilfe und Prozeßkostenhilfe gleichermaßen geltenden Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozeßkostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten. Ein Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied muß deshalb zunächst seine satzungsmäßigen Rechte auf kostenlose Prozeßvertretung ausschöpfen und erwirbt einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe erst, wenn die Gewerkschaft oder der Verband keinen Rechtsschutz gewährt. Die Lage eines solchen Mitgliedes ist nicht anders als die eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, dem Prozeßkostenhilfe erst gewährt wird, wenn er seinen Anspruch gegen die Rechtsschutzversicherung evtl bis zu einem Stichentscheid nach § 17 Abs 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) vergeblich verfolgt hat (BGH, Betriebsberater 1987, 1845; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 53. Aufl 1995, § 114 Rz 67; Rohwer/Kahlmann, SGG, Stand 1995, § 73a Rz 3).
Die Lage eines Verbands- oder Gewerkschaftsmitgliedes unterscheidet sich allerdings von der eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, wenn die jeweilige Organisation Rechtsschutz im Einzelfall gewährt: Der Versicherungsnehmer kann dann einen Rechtsanwalt seines Vertrauens wählen, dessen Kosten die Versicherung übernimmt. Der Verband oder die Gewerkschaft dagegen gewährt Rechtsschutz durch einen ihrer Angestellten als “Sachleistung”. Hat der Antragsteller zu dem ihm vom Verband oder der Gewerkschaft gestellten Vertreter kein Vertrauen, so kann es ihm unzumutbar sein, sich bei der Prozeßführung durch diesen Angestellten vertreten zu lassen. Dafür reicht allerdings die bloße Behauptung fehlenden oder – im Laufe der Vertretung – gestörten Vertrauens nicht aus. Ebenso wie beim Wechsel eines frei gewählten und im Rahmen der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwaltes sind berechtigte sachliche oder persönliche Gründe erforderlich (vgl dazu Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, 1988, Rz 569; LSG Nordrhein-Westfalen, ZAP EN-Nr 154/92; zu § 167 SGG aF: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 252r; Dapprich, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1959, 209; BSG, Ausschuß für Verfahrensfragen, Niederschrift vom 6. Februar 1957, Punkt 1 – unveröffentlicht –). Solche triftigen Gründe hat der Kläger nicht vorgebracht. Die von ihm geschilderten Eindrücke und Erfahrungen aus einem anderen Rechtsstreit, in dem er von einem Rechtsschutzsekretär seiner Gewerkschaft vertreten war, lassen zwar seine Unzufriedenheit mit dessen Tätigkeit erkennen, reichen nach Art und Gewicht aber nicht aus, um das Vertrauensverhältnis als allgemein und damit auch für diesen Fall als gestört anzusehen. Das gilt um so mehr, als der Kläger im Revisionsverfahren voraussichtlich von einem Mitglied der bisher nicht eingeschalteten Bundesrechtsstelle seiner Gewerkschaft vertreten werden würde.
Ein Anspruch des Klägers auf Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung der von ihm ausgewählten und bevollmächtigten Rechtsanwältin läßt sich (entgegen Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4) auch nicht daraus herleiten, daß § 73a Abs 2 SGG nach seinem Wortlaut die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe verbietet, wenn der Beteiligte durch einen Angestellten seines Verbandes oder seiner Gewerkschaft tatsächlich vertreten ist, nicht schon dann, wenn er sich vertreten lassen kann, wie § 11a Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt. Aus der unterschiedlichen Formulierung der Gesetze läßt sich nicht herleiten, daß das Recht auf Prozeßkostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren weiter geht als im arbeitsgerichtlichen Verfahren (so aber Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4). Für eine unterschiedliche Regelung gibt es keinen sachlichen Grund (so zutreffend Zeihe, SGG, Stand 1994, § 73a Rz 11a). § 73a Abs 2 SGG ist deshalb nur als klarstellendes Verbot zu verstehen, dem mittellosen Beteiligten zusätzlich zu einem bereits bevollmächtigten Verbands- oder Gewerkschaftsvertreter im Wege der Prozeßkostenhilfe noch einen Anwalt beizuordnen. Die Vorschrift besagt jedoch nichts darüber, was gilt, wenn ein Verbandsvertreter noch nicht bevollmächtigt ist, aber in Anspruch genommen werden kann.
Hätte das mittellose Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kostenlosem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten Rechtsanwaltes (so Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, 203), so stände es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur Prozeßführung durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regelmäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es besteht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mitteln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in Anspruch nimmt.
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation anders behandelt wird, als ein mittelloser Antragsteller, der nicht organisiert ist. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) liegt darin nicht. Art 3 Abs 1 GG verlangt iVm dem Rechtsstaatsprinzip lediglich, die Situation Bemittelter und Unbemittelter bei der Realisierung gerichtlichen Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl BVerfGE 81, 347, 356, NJW 1995, 1415). Darum geht es hier nicht. Wer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation hat, ist nicht mittellos. Er ist bereits in jener Lage, in die Prozeßkostenhilfe den Unbemittelten erst versetzen soll: Er kann sein Recht vor Gericht suchen, ohne daran aus wirtschaftlichen Gründen gehindert zu sein. Dafür macht es keinen Unterschied, ob ihn ein Angestellter seiner Organisation oder ein Rechtsanwalt vertritt. Gerichtlicher Rechtsschutz ist auf dem Gebiet des Sozialrechts bereits bei Vertretung durch eine Behörde gewährleistet (BVerfGE 22, 349, 358) und erst recht bei Vertretung durch Verbands- oder Gewerkschaftsangestellte, denen der Gesetzgeber in § 166 Abs 2 SGG Rechtsanwälte gleichgestellt hat. Das Recht, unter letzteren zu wählen (§ 121 Abs 1 ZPO), hat nur, wer überhaupt Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hat.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die prozeßkostenhilferechtliche Sonderstellung mittelloser Gewerkschafts- und Verbandsmitglieder mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gegen ihre Organisation lassen sich auch nicht aus Art 9 Abs 1 und 3 GG herleiten. Durch den regelmäßigen Ausschluß vom Anspruch auf Prozeßkostenhilfe wird weder die kollektive Vereinigungsfreiheit noch die Tätigkeit der Gewerkschaften (vgl BVerfGE 88, 5, 15) noch die Entscheidungsfreiheit des einzelnen, einem Verband oder einer Gewerkschaft beizutreten, ernsthaft beeinträchtigt. Es kann zwar unterstellt werden, daß der einem Organisierten regelmäßig drohende Verlust einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Prozeßkostenhilfe die Entscheidungsfreiheit Mittelloser darüber beeinflußt, einer Gewerkschaft oder einen Verband wegen des dort gebotenen Rechtsschutzes beizutreten. Diese allenfalls geringfügigen Auswirkungen sind aber in Abwägung mit dem Ziel hinzunehmen, Prozeßkostenhilfe nur demjenigen zu gewähren, der sonst aus wirtschaftlichen Gründen gehindert wäre, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
Fundstellen
NZA 1996, 1342 |
AuA 1998, 254 |
Breith. 1997, 75 |