Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Frist. Versäumung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Anwaltsverschulden. Sorgfaltspflicht. Ausgangskontrolle. Telefax. Einzelnachweis. Sendevorgang
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen; dazu gehört eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet sein muss, dass fristwahrende Schriftsätze unter normalen Umständen rechtzeitig bei Gericht eingehen.
2. Grundsätzlich muss der Rechtsanwalt seinen Mitarbeitern die allgemeine Weisung erteilen, bei der Übermittlung fristwahrender Schriftstücke per Telefax einen Einzelnachweis über den Sendevorgang auszudrucken und diesen zu prüfen.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1, § 2 S. 2, § 160a Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Oktober 2002 – L 1 AL 53/01 – wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerdeschrift des Klägers gegen das am 3. Dezember 2001 zugestellte Urteil ist vollständig – mit Wiedergabe der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten – erst am 4. Januar 2002, mithin nach Ablauf der Frist des § 160a Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), beim Bundessozialgericht eingegangen. Der Antrag des Klägers, ihm wegen Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, ist nicht begründet. Der Kläger war nicht ohne Verschulden verhindert, die Beschwerdefrist einzuhalten (§ 67 Abs 1 SGG).
Ohne Verschulden iS des § 67 Abs 1 SGG ist eine Frist nur versäumt, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist; ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem des Beteiligten gleich (vgl ua BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 10, 13, 18 und 19, jeweils mwN; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 67 RdNr 3b, 8b ff). Nach den vorliegenden Umständen ist nicht glaubhaft gemacht (vgl § 67 Abs 2 Satz 2 SGG) und auch sonst nicht ersichtlich, dass den Prozessbevollmächtigten des Klägers kein Verschulden an der Fristversäumung trifft.
In seinem Wiedereinsetzungsantrag trägt der Prozessbevollmächtigte vor, die von ihm sorgfältig ausgewählte und mit der Bedienung des Telefaxgerätes vertraute Mitarbeiterin P. … habe entsprechend seiner Anweisung drei Nichtzulassungsbeschwerden in einem Stapel auf das Gerät aufgelegt, die Anzahl der zu übertragenden Seiten mit dem Sendeprotokoll verglichen, keine Abweichung festgestellt und schließlich die dem Gerät entnommenen Unterlagen abgeheftet. In der dem Antrag beigefügten eidesstattlichen Versicherung erklärt Frau P. …, sie sei mit der Telefaxübermittlung von drei Schriftsätzen nebst Anlagen (Urteilen) beauftragt gewesen, habe die Schriftsätze in einem Stapel auf das Telefaxgerät aufgelegt, die Seiten seien einzeln eingezogen worden und das Gerät habe eine Bestätigung ausgedruckt; sie habe 35 Seiten gezählt, die auch der Sendebericht ausgewiesen habe. Aufgrund dieser Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers und seiner Mitarbeiterin ist davon auszugehen, dass die Anforderungen, die die Rechtsprechung bei der Telefaxübermittlung fristwahrender Schriftsätze an eine wirksame Ausgangskontrolle stellt, nicht erfüllt sind.
Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen; dazu gehört eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet sein muss, dass fristwahrende Schriftsätze unter normalen Umständen rechtzeitig bei Gericht eingehen (vgl BGH MDR 1996, 966; BGH VersR 1999, 996). Grundsätzlich muss der Rechtsanwalt seinen Mitarbeitern die allgemeine Weisung erteilen, bei der Übermittlung fristwahrender Schriftstücke per Telefax einen Einzelnachweis über den Sendevorgang auszudrucken und diesen zu prüfen (BGH, NJW 1998, 907 und VersR 1999, 643; BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr 235; BGH NJW-RR 2002, 60 mwN). Eine solche allgemeine Anweisung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers seiner Mitarbeiterin jedoch nicht erteilt. Dem Vorbringen des Wiedereinsetzungsgesuches ist vielmehr zu entnehmen, dass mehrere Schriftsätze mit umfangreichen Anlagen gleichzeitig in das Telefaxgerät eingelegt wurden und lediglich ein Sendebericht über die insgesamt übermittelten – zahlreichen – Seiten erstellt wurde, nicht dagegen ein auf den konkreten Einzelvorgang bezogener Nachweis. Die der Anweisung des Prozessbevollmächtigten entsprechende Vorgehensweise der Mitarbeiterin hat sich aber, wie ihre Erklärung zeigt, als Fehlerquelle erwiesen: denn während Frau P. … versehentlich von 35 zu übermittelnden Seiten ausgeht, mussten in den drei Verfahren des Klägers insgesamt 36 Seiten (dreimal zwei Seiten Beschwerdeschrift und dreimal zehn Seiten Urteil) übermittelt werden. Dies macht deutlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit der erteilten Weisung, mehrere umfangreiche Sendungen in einem Sendevorgang zu übermitteln, seiner Verpflichtung, Fehlerquellen in größtmöglichem Umfang auszuschließen, nicht genügt hat.
Da der Kläger die Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt hat und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, ist die Beschwerde entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen