Verfahrensgang
SG Heilbronn (Entscheidung vom 08.08.2017; Aktenzeichen S 4 R 2500/15) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.04.2019; Aktenzeichen L 4 R 3633/17) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. April 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 12.4.2019 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich ausdrücklich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II
Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
1. Ausdrücklich macht der Kläger geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf Verfahrensmängeln, weil das LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verstoßen und bestimmte Gutachten in fehlerhafter Weise gewürdigt und zur Urteilsgrundlage gemacht habe.
Soweit er Einwände gegen die Sachverständigenauswahl und Beweiswürdigung des SG vorbringt, kann sich die Nichtzulassungsbeschwerde hierauf von vornherein nicht stützen. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7), weswegen prozessuale Mängel in der ersten Instanz regelmäßig nicht rügefähig sind.
Die Ausführungen des Klägers zu Mängeln im Verfahren vor dem LSG genügen ebenfalls nicht den formellen Anforderungen an die Beschwerdebegründung. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN).
a) Einen Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht aus § 103 SGG sieht der Kläger insbesondere darin, dass es das LSG - wie zuvor das SG - unterlassen habe, seinen behandelnden Psychiater und Psychotherapeuten Dr. H. als sachverständigen Zeugen zu vernehmen. Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann jedoch - wie soeben dargelegt - nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Dass er einen solchen Beweisantrag auf Vernehmung des Dr. H. im Berufungsverfahren gestellt hätte, hat der Kläger mit der Beschwerdebegründung nicht vorgebracht.
b) Ebenfalls einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Amtsermittlungspflicht sieht der Kläger in der unterlassenen weiteren Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen. Diese habe er bereits in der Berufungsbegründung beantragt und einen solchen Antrag in der mündlichen Verhandlung wiederholt. Jedoch versäumt es der Kläger, den Inhalt dieses Beweisantrags näher zu benennen. Nur aufgrund der Wiedergabe des Inhalts des Beweisantrags bzw dessen Formulierung kann das Beschwerdegericht überprüfen, ob es sich um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 403 ZPO handelt. Denn ein zu einer Zulassung der Revision führender Beweisantrag kann grundsätzlich nur ein solcher sein, der in prozessordnungsgerechter Weise formuliert ist, das Beweisthema möglichst konkret angibt und insoweit wenigstens umreißt, was die Beweisaufnahme ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18a mwN). Entsprechende Angaben fehlen in der Beschwerdebegründung.
c) Ein Verfahrensmangel wird auch nicht formgerecht bezeichnet, wenn sich der Kläger darüber hinaus unter mehreren Gesichtspunkten gegen die Beweiswürdigung des LSG wendet, zB weil nicht logisch begründbar sei, dass nur das Gutachten Dr. A. nicht verwertbar sein solle, oder weil das LSG nicht den sachverständigen Zeugen W. und - insoweit im Widerspruch zum Vorbringen an anderer Stelle - Dr. H. gefolgt sei, denen zufolge bereits vor dem nach Ansicht des LSG maßgeblichen Zeitpunkt 31.1.2015 ein deutlich unter sechs Stunden reduziertes Leistungsvermögen vorgelegen habe. Damit wendet sich der Kläger gegen die freie Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) durch das LSG. Hierauf kann aber die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich nicht gestützt werden. Dass der Kläger - wie in diesem Zusammenhang deutlich zum Ausdruck kommt - das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann gleichfalls nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
2. Schließlich ist die Beschwerde auch unzulässig, soweit sich der Kläger zumindest sinngemäß auch auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits beruft (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger äußert die Auffassung, dass auf die Aussagen der sachverständigen Zeugen zurückzugreifen sei und diese dem Urteil zugrunde zu legen seien, wenn das Gericht der Meinung sei, dass die in erster Instanz eingeholten Gutachten nicht verwertbar seien, weil sie seinen Zustand im Januar 2015 rückwirkend nicht angemessen beurteilten. Die Handhabung einer solchen Verfahrenssituation habe über den konkreten Rechtsstreit hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit und die entsprechende Breitenwirkung.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in seinen Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret benannt hat, oder ob er vielmehr im Kern eine Frage zur Rechtsanwendung im Einzelfall gestellt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit bzw Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt. Insofern versäumt es der Kläger, die umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung zum Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit daraufhin zu untersuchen, ob nicht die aufgeworfene Frage bereits auf deren Grundlage zu beantworten ist. Dies ist aber für die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Frage unerlässlich. Denn als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). Im Übrigen gilt, dass die Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG oder des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG - worauf die vom Kläger aufgeworfene Frage im Kern abzielt - auch nicht durch die Berufung auf andere Zulassungsgründe umgangen werden können (vgl BSG Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 10).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14113948 |