Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. befristeter Zuschlag nach Arbeitslosengeldbezug. Berechnung des Unterschiedsbetrages. Grundsatz der Unveränderlichkeit. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berechnung der Höhe des befristeten Zuschlags, indem das vom einzelnen Leistungsberechtigten zuletzt bezogene Arbeitslosengeld (§ 24 Abs 2 Nr 1 SGB 2 aF) den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der gesamten Bedarfsgemeinschaft (§ 24 Abs 2 Nr 2 SGB 2 aF) gegenüber gestellt wird. Der erkennende Senat folgt dem 14. Senat des BSG, der diese Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 31.7.2007 (Anschluss an BSG vom 31.7.2007 - B 14/11b AS 5/07 R = BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1) ausführlich dargelegt hat (vgl dazu auch BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R und vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R = BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5).
2. Die Regelung des § 24 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGB 2 aF verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 GG wegen einer Benachteiligung von Eheleuten gegenüber Alleinstehenden oder Bewohnern einer Wohngemeinschaft.
Normenkette
SGB 2 § 24 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 2003-12-24, Nr. 2 Fassung: 2003-12-24, Nr. 2 Fassung: 2006-12-02; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Im Streit steht die Höhe der der Klägerin zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines befristeten Zuschlags nach § 24 SGB II aF (aufgehoben mit Wirkung zum 1.1.2011 durch das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe und Änderung des SGB II und SGB XII vom 24.3.2011, BGBl I 453).
Die Klägerin bezog vor dem 1.1.2005 zunächst Alg nach dem SGB II und anschließend Alhi. Der Beklagte bewilligte Alg II unter Berücksichtigung eines befristeten Zuschlags nach Bezug von Alg, dessen Höhe 7 Euro monatlich betrug (Bescheid vom 7.12.2004). Im Widerspruchs- und Klageverfahren konnte sich die Klägerin mit ihrem Begehren auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht durchsetzen (Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 und Urteil des SG Berlin vom 4.2.2010). Das LSG hat das Urteil des SG und die Bescheide geändert sowie den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis Mai 2005 einen befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II aF in Höhe von weiteren 17 Euro monatlich zu gewähren (Urteil vom 13.1.2011). Zur Berechnung des Zuschlags ist es der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG (Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1) gefolgt, indem es zur Ermittlung der Höhe des Zuschlags das von der Klägerin zuletzt bezogene Alg ins Verhältnis zum Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft (hier Klägerin und ihr Ehemann) gesetzt hat. Verfassungsrechtliche Bedenken vermochte das LSG nicht zu erkennen. Es hat auch die Revision im Hinblick auf die höchstrichterliche Entscheidung vom 31.10.2007 nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Es stelle sich (sinngemäß) die Rechtsfrage, ob die unterschiedlichen Berechnungen der Höhe des Zuschlags für ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einerseits und für einen Mitbewohner einer Wohngemeinschaft andererseits mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Trotz der Entscheidung des BSG vom 31.10.2007 und des Auslaufens der Regelung des § 24 SGB II aF am 31.12.2010 sei diese Frage klärungsbedürftig. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage sei vom BSG bereits bejaht worden, denn es habe der Entscheidung vom 31.10.2007 eine aus diesem Grunde zugelassene Sprungrevision zugrunde gelegen. Klärungsbedarf bestehe zudem immer dann, wenn die Verfassungsmäßigkeit einer Norm oder deren Auslegung geltend gemacht werde. Die Beantwortung der Frage habe auch Breitenwirkung, denn es lägen bereits zahlreiche Entscheidungen zu der Frage vor und es gehe um die gesellschaftliche Grundsatzfrage, wie Familien und insbesondere Eheleute im Vergleich zu Alleinstehenden sozialrechtlich zu behandeln seien. Die grundsätzliche Bedeutung habe sich trotz des Auslaufens der Regelung auch nicht erledigt, denn es sei immer noch ein nicht überschaubarer Personenkreis von der Leistungsgewährung und damit auch der fehlerhaften Berechnungsweise betroffen. Zudem liege eine große Zahl von Altfällen vor und die alte Regelung habe erhebliche indirekte Wirkungen für die Zukunft. Die Entscheidung des BSG sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet.
Die Klägerin hat dargelegt, dass es nach ihrer Auffassung Gründe gibt, die durch die Entscheidung des BSG vom 31.10.2007 (B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1) bereits grundsätzlich geklärte Rechtsfrage der Berechnung des befristeten Zuschlags nach § 24 Abs 2 SGB II aF bei Partnern einer Bedarfsgemeinschaft, nochmals einer höchstrichterlichen Überprüfung zu unterziehen. Da die Klägerin insoweit ihrer Darlegungslast genügt hat, setzt sich der Senat über seine Bedenken hinweg, ob tatsächlich noch eine relevante Zahl von Fällen zur Entscheidung anstehen, obwohl sich die Rechtslage durch das Entfallen des § 24 SGB II zum 1.1.2011 geändert hat. Auslaufendes oder ausgelaufenes Recht kann in aller Regel keine grundsätzlichen Rechtsfragen mehr aufwerfen (BSG Beschluss vom 26.4.2007 - B 12 R 15/06 B). Dass noch mehrere gleichartige Streitfälle anhängig sind bzw die zu klärenden Fragen nachwirken und deshalb ausnahmsweise weiterhin Klärungsbedürftigkeit besteht, hat die Klägerin jedoch behauptet.
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berechnung der Höhe des befristeten Zuschlags, indem das vom einzelnen Leistungsberechtigten zuletzt bezogene Alg (§ 24 Abs 2 Nr 1 SGB II aF) den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der gesamten Bedarfsgemeinschaft (§ 24 Abs 2 Nr 2 SGB II aF) gegenüber gestellt wird. Der erkennende Senat folgt insoweit dem 14. Senat des BSG, der diese Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 31.10.2007 (B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1) ausführlich dargelegt hat (vgl dazu auch Urteile des 14. Senats des BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R - und 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R). Die Beschwerdebegründung enthält keine Argumente, die die zuvor benannte Entscheidung des BSG wieder in Zweifel ziehen könnten.
Die Reglung des § 24 Abs 2 Nr 1 und 2 SGB II aF verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 GG wegen einer Benachteiligung von Eheleuten gegenüber Alleinstehenden oder Bewohnern einer Wohngemeinschaft.
Wie der 14. Senat bereits ausgeführt hat, werden Eheleute und Alleinstehende durch die Berechnungsweise, wie sie § 24 Abs 2 SGB II vorsieht, nicht unmittelbar ungleich behandelt. Zum anderen bestehen derartige Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen, dass die mittelbar unterschiedliche Behandlung sich geradezu zwingend ergibt. Bereits die Ausgangslage ist eine unterschiedliche. Das Alg eines Leistungsbeziehers mit Kindern ist höher als das eines Alleinstehenden. Zudem hat - anders als die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - das Alg die Funktion des Lohnersatzes. Wenn also kein weiteres Einkommen in der Familie vorhanden ist, so muss die gesamte Familie von dieser das ausgefallene Einkommen ersetzenden Leistung leben - sie selbst ist nicht um die tatsächlichen Bedarfe der Familie zu erhöhen. Nur falls das Existenzminimum gefährdet ist, kann ergänzend Sozialhilfe beansprucht werden. Damit war, wie der 14. Senat festgestellt hat, die finanzielle Ausgangslage des Leistungsberechtigten mit Kindern auch vor dem Alg II-Bezug von einem wirtschaftlichen Verfügungsrahmen geprägt, der sich deutlich von dem des Alleinstehenden unterschied. Der Senat folgt dem 14. Senat auch, wenn es in der Entscheidung vom 31.10.2007 heißt, sei ein weiterer Partner mit Einkommen - beispielsweise Alg - in der Bedarfsgemeinschaft vorhanden, beeinflusse das zweite Einkommen ebenfalls die Höhe des Zuschlags. Es werde mithin sowohl beim Alleinstehenden, als auch beim Leistungsberechtigten mit Kindern und/oder Partner bei der Berechnung des Zuschlags die individuelle "Haushaltslage" berücksichtigt. Soweit sich hieraus unterschiedliche Leistungsansprüche der Höhe nach ergeben würden, sei dieses im Hinblick auf das Konzept einer steuerfinanzierten Fürsorgeleistung, die auf den individuellen Bedarf abstelle, folgerichtig. Dahinter steht die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Vorstellung, dass je höher der Bedarf an steuerfinanzierten Transferleistungen ist, desto niedriger die Zuschlagsleistung sein soll, weil anzunehmen ist, dass dieses auch die Ausgangslage vor dem SGB II-Leistungsbezug widerspiegelt, denn deutlich höheres vormals bezogenes Alg ließ auch die Zuschlagsleistung steigen.
Im Gegensatz zur Beschwerdeführerin gelangt auch der erkennende Senat zu dem Ergebnis, dass der Schutzbereich des Art 6 Abs 1 GG durch die Regelung zur Zuschlagsberechnung nicht berührt ist. Die Klägerin übersieht, dass die Belastungen des zweiten Partners der Bedarfsgemeinschaft durch die Berechnungsweise des befristeten Zuschlags alle Hilfebedürftigen betreffen, die mit einem weiteren erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben und nicht nur Ehepaare. Letztlich argumentiert die Klägerin hier auch nicht mit dem Schutzbereich von Art 6 GG, sondern versucht lediglich den oben bereits abgehandelten Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 GG wegen der unterschiedlichen Behandlung von Bewohnern einer Wohngemeinschaft - Alleinstehende iS des SGB II - und Ehepaaren in Bedarfsgemeinschaft auf eine andere Begründungsebene zu bringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen