Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 31.08.2017; Aktenzeichen L 10 SB 55/14) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 07.05.2014; Aktenzeichen S 23 SB 170/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. August 2017 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 31.8.2017 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 3.1.2012 anstelle eines zuerkannten GdB von 30 verneint, weil die Teil-GdB-Werte von 20 für das Funktionssystem "Rumpf" mit Einbeziehung der Bewegungsstörungen der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule und im Bereich des Schultergürtels sowie der Schwerhörigkeit mit einem Teil-GdB von 20 nebst den Ohrgeräuschen keinen höheren Gesamt-GdB bedingten. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Revision sei gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zuzulassen, weil das LSG die mit Schriftsatz vom 24.11.2014 beantragte Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens übergangen habe, die Feststellungen des Sachverständigen B. seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt und demgegenüber die "Stellungnahme von Dr. L. vom 23.10.2015" zu Unrecht berücksichtigt habe. Das Urteil sei deshalb unter Verletzung von § 103 SGG zustandegekommen und stelle eine Überraschungsentscheidung dar.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Soweit - wie vorliegend - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hat bereits nicht aufgezeigt, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt habe. Auch ein schriftsätzlich gestellter Beweisantrag muss bis zur letzten mündlichen Verhandlung (hier der 31.8.2017) aufrechterhalten und zu Protokoll gestellt werden. Soweit die Klägerin eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügt, hat sie nicht einmal behauptet, einen entsprechenden berücksichtigungsfähigen Beweisantrag bis zuletzt aufrechterhalten und in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gestellt zu haben (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). Darüber hinaus muss im Rahmen der Darlegung eines prozessordnungsmäßigen Beweisantrags aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Auch diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Soweit die Klägerin mit ihrer Beschwerde kritisiert, dass das LSG zu Unrecht die zutreffenden Feststellungen des Sachverständigen B. in seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt habe im Gegensatz zur Stellungnahme von Dr. L., legt sie überdies nicht dar, weshalb sich das LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung zu einer weiteren Beweisaufnahme hätte gedrängt fühlen müssen. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 5) ist das Gericht nur dann gemäß § 103 SGG zu weiteren Ermittlungen verpflichtet, wenn die vorliegenden Beweismittel, wie zB vorliegende Urkunden über Zeugenvernehmungen, nicht ausreichen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen. Demgegenüber kritisiert die Klägerin lediglich die Wertungen des LSG. Bloße Angriffe auf die Beweiswürdigung des LSG können jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen, auch wenn sie in die Gestalt einer Sachaufklärungsrüge gekleidet sind. Tatsächlich hat die Klägerin keine entscheidungserheblichen Tatsachen unter Beweis gestellt und somit auch keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag aufgezeigt. Die Würdigung unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen über ein nach dem Gesetz festzustellendes Geschehen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Diese Beweiswürdigung des Berufungsgerichts entzieht § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG allerdings der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (vgl Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
2. Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) durch das LSG darin sieht, dass dieses seine Entscheidung nicht auf die Feststellungen des Sachverständigen B. gestützt habe, sodass eine Überraschungsentscheidung vorliege, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dieses aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE, aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).
Die Klägerin hat es in ihrer Beschwerdebegründung versäumt darzulegen, welcher sachgerechte Vortrag zum Prozessstoff keine Beachtung gefunden haben soll. Voraussetzung für den Erfolg einer Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist es, dass die Klägerin darlegt, ihrerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Hieran fehlt es ebenfalls. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht (BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 = NJW 2000, 3590, 3591; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3). Die Klägerin musste bereits nach der Entscheidung des SG davon ausgehen, dass der von ihr begehrte Anspruch vor dem Hintergrund der vorliegenden Ermittlungen und teilweise widersprechenden Beweisergebnisse erfolglos bleiben könnte.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11449887 |