Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 19.01.1988) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht Hamburg im Urteil vom 19. Januar 1988 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision ist nicht gemäß den §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtgesetz (SGG) zuzulassen, weil die Voraussetzungen, unter denen ein – hier allein geltend gemachter – Verfahrensmangel zur Zulassung der Revision führen kann, nicht erfüllt sind. Nach § 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbs SGG kann die Rüge eines Verfahrensmangels nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Kläger räumt ein, daß er eine Verletzung des § 109 SGG im Beschwerdeverfahren nicht rügen kann, soweit das LSG dem Antrag, die Neurologin und Psychiaterin Dr. H.… zu hören, nicht gefolgt ist. Er meint aber, in dem zu Protokoll erklärten und auf § 109 SGG gestützten Antrag läge ein Beweisantrag, dem das LSG bereits in Erfüllung seiner Pflicht zur Sachaufklärung nach § 103 SGG von Amts wegen habe folgen müssen; mit der Ablehnung dieses Antrags sei also nicht nur § 109 SGG, sondern auch § 103 SGG verletzt. In einem auf § 109 SGG gestützten Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes sei notwendig ein Beweisantrag nach § 103 SGG enthalten. Dem ist nicht zu folgen.
Für seine Rechtsauffassung kann sich der Kläger zwar auf Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 3. Aufl, § 160 RdNr 18 stützen; eine Begründung fehlt hier jedoch. Auch der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom 5. April 1988 – 1 BA 255/87 – unter Hinweis auf diese Kommentarstelle ohne Begründung unterstellt, daß ein Antrag nach § 109 SGG ein Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sei; er hat aber die Beschwerde aus einem anderen Grund als unzulässig verworfen.
Stellt der Kläger einen Antrag nach § 109 SGG, so mag zwar aus seiner Sicht der Sachverhalt häufig noch nicht hinreichend aufgeklärt sein; das kann aber nicht dazu führen, in jedem Antrag nach § 109 SGG zugleich die Aufforderung an das Gericht zu erkennen, in erster Linie von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Der Antrag nach § 109 SGG wäre damit immer als sogenannter Hilfsantrag aufzufassen. So ist der Antrag nach § 109 SGG aber in der Rechtsprechung nie verstanden worden. Es ist zwar anerkannt worden, daß der Antrag als Hilfsantrag gestellt werden kann (BSG SozR SGG § 109 Nr 17). Wird der Antrag aber nicht ausdrücklich als Hilfsantrag bezeichnet, so ist er als Inanspruchnahme der Berechtigung aufzufassen, unbeschadet der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht einen Arzt des Vertrauens zu hören. Er hat eine andere Zielrichtung als die in 103 SGG erwähnten Beweisanträge.
Der Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag iS dieser Vorschrift sein (ebenso Zeihe, SGG, 5. Aufl, § 160 Anm 25e). Wenn ein solcher Antrag gestellt wird, muß zwar nicht diese Vorschrift ausdrücklich erwähnt werden; es muß jedoch unzweifelhaft erkennbar sein, daß eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der nur beschränkten Eröffnung der Revisionsinstanz bei Verfahrensfehlern. § 160 SGG in der gegenwärtigen Fassung ist durch das Gesetz vom 30. Juli 1974 (BGBl I 1625) mit der Absicht eingefügt worden, die Revisionsinstanz von den zuvor in großer Zahl anfallenden sogenannten Verfahrensrevisionen zu entlasten (vgl Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks 7/861). Gerade die häufigsten, auf die Verletzung der §§ 103, 109 und 128 SGG gestützten Verfahrensrevisionen sollten eingeschränkt werden. Während die Verletzung der §§ 109 und 128 SGG überhaupt nicht mehr zur Zulassung der Revision führen kann, ist für eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG eine Beweisantrag als erforderlich angesehen worden, der diese Rüge bereits in der Berufungsinstanz vorbereitet. Diese Regelung mag in einem nicht einem Vertretungszwang unterworfenen Verfahren systemfremd erscheinen (vgl dazu Krasney, Die Ersatzkasse 1973, 312; 1974, 330; derselbe, Der Kompaß, 1974, 303). Die Regelung läßt aber erkennen, daß auch die wegen einer Verletzung des § 103 SGG zuzulassende Revision die Ausnahme bleiben soll, sie soll sich auf Aufklärungsmängel beschränken, auf die das Gericht bereits vor der Entscheidung hingewiesen worden ist. Für diesen Hinweis verlangt das Gesetz überdies eine besondere Form, nämlich einen Beweisantrag, der grundsätzlich auch das Beweisthema und das Beweismittel enthalten muß (vgl Meyer-Ladewig aaO und BSG SozR 1500 § 160a Nr 24). Erst wenn der Tatsacheninstanz durch einen Beweisantrag vor der Entscheidung noch einmal deutlich vor Augen geführt worden ist, daß der Kläger die gerichtliche Sachaufklärungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt ansieht, soll das Übergehen eines solchen Antrages oder eine nicht hinreichend begründete Ablehnung die Revisionsinstanz und damit die weitere Sachaufklärung nach Zurückverweisung des Rechtsstreits in die Tatsacheninstanz ermöglichen. Der Beweisantrag hat somit auch Warnfunktion. Der Senat hat deshalb schon für eine schlüssige Darlegung des Verfahrensverstoßes stets verlangt, daß der Antrag in das Protokoll über die mündliche Verhandlung aufgenommen worden ist oder sich aus dem Urteilsinhalt ergibt oder schriftsätzlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung aufrechterhalten worden ist (vgl Beschluß vom 15. Februar 1988 – 9/9a BV 196/87 – zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BSG SozR 1500 § 160 Nr 12). Der Kläger hat hier seinen Antrag zwar ausdrücklich zu Protokoll erklärt; .indem er sich aber auf § 109 SGG bezog und einen bestimmten ärztlichen Sachverständigen nannte, hat er zumindest nicht hinreichend erkennbar gemacht, daß er noch eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen für erforderlich hielt, obwohl ihm das LSG zuvor mitgeteilt hatte, daß von Amts wegen keine weiteren Gutachten mehr eingeholt würden. Das LSG hat den gestellten Antrag auch nur als Ausübung des Rechts nach § 109 SGG aufgefaßt und als verspätet zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen