Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts. negativer Kompetenzkonflikt. Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses. notwendige Beiladung. Eingangszuständigkeit des LSG Berlin nach dem BGSVVermG. Beitragsstreitigkeit. Verweisungsbeschluß und Willkür
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt ist ein Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts unabhängig davon zulässig, ob die Sache an eines der über die Zuständigkeit streitenden Gerichte bindend verwiesen ist (Aufgabe von BSG vom 8.4.1980 - 1 S 9/79 = SozR 1500 § 98 Nr 1; Anschluß an BGH vom 8.2.1978 - IV ARZ 14/78 = LM Nr 1 zu § 642b ZPO).
2. Eine Verweisung wegen Unzuständigkeit setzt nicht voraus, daß zuvor die nach dem Verfahrensgegenstand notwendigen Beiladungen vorgenommen werden.
3. Die besondere Eingangszuständigkeit des LSG Berlin für Verfahren nach dem Gesetz zur Regelung von Vermögensfragen der Sozialversicherung im Beitrittsgebiet gilt nicht für Prozesse um den Einzug von Sozialversicherungsbeiträgen.
4. Zur Frage, wann ein Verweisungsbeschluß willkürlich und daher für das angesprochene Gericht unverbindlich ist.
Orientierungssatz
1. Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG setzt nicht voraus, daß die wechselseitigen Verweisungsbeschlüsse für das jeweils andere Gericht im Ergebnis unverbindlich sind. Die Unverbindlichkeit ist jedenfalls dann keine Zulässigkeitsvoraussetzung, wenn der Konflikt sich gerade an dieser Frage entzündet.
2. Ein Verweisungsbeschluß wegen sachlicher Unzuständigkeit ist grundsätzlich auch dann verbindlich, wenn die Verweisung prozessuale oder materielle Vorschriften verletzt. Willkürliche oder unter Mißachtung elementarer Verfahrensgrundsätze zustande gekommene Verweisungsbeschlüsse dürfen allerdings übergangen werden und hindern eine Rückverweisung nicht.
3. Die besonderen Zuständigkeitsnormen des Gesetzes zur Regelung von Vermögensfragen der Sozialversicherung im Beitrittsgebiet vom 20.12.1991 (BGSVVermG) erfassen nicht Streitigkeiten, in denen es um die Nachforderung von Beiträgen für beschäftigte Arbeitnehmer geht. Es war weder die gesetzgeberische Absicht, noch bestand ein erkennbares Bedürfnis dafür, daß Verwaltungsverfahren oder den Instanzenzug für den Beitragseinzug, der sich auf das Beitrittsgebiet und auf die Zeit vor dem 1.1.1991 bezieht, abweichend von den allgemeinen Beitragseinzugsvorschriften zu regeln.
4. Ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit ist nicht verpflichtet, vor der Entscheidung über die Verweisung eines Rechtsstreits an ein anderes Gericht die vom Beitragseinzug begünstigten Versicherungsträger beizuladen und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren. Eine solche Verweisungsentscheidung greift nicht in die Rechte der angeblichen Beitragsgläubiger ein. Über das Bestehen der Beitragsforderung wird durch den Verweisungsbeschluß noch nicht entschieden.
Normenkette
SGG § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 75 Abs. 2, § 98; GVG § 17a Abs. 2 S. 3; ZPO § 36 Nr. 6; VwGO § 53 Abs. 1 Nr. 4; FGO 1965-10-06 § 70 Abs. 2 S. 2 Fassung:
Verfahrensgang
SG Berlin (Beschluss vom 27.11.1997; Aktenzeichen S 72 Kr 302/96) |
LSG Berlin (Beschluss vom 07.10.1998; Aktenzeichen L 9 Z 1/98) |
Gründe
Das Sozialgericht Berlin (SG) und das Landessozialgericht Berlin (LSG) streiten um die Zuständigkeit für einen Prozeß, der durch eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen ausgelöst wurde, die sich auf das Beitrittsgebiet und auf die Zeit beziehen, als der "gemeinsame Träger" die Sozialversicherung der DDR durchführte.
Die Klägerin hat bestimmte Betriebe des volkseigenen Einzelhandels der DDR übernommen. Eine bereits 1991 in diesen Betrieben durchgeführte Betriebsprüfung führte zum angefochtenen Beitragsbescheid der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle, mit dem für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1990 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von knapp 130.000 DM nachgefordert wurden. Die Klägerin bestreitet die Zuständigkeit der Beklagten zur Betriebsprüfung und zum Beitragseinzug, die Zulässigkeit einer pauschalierten Beitragsberechnung durch "Summenbescheid" und die Beitragspflicht für bereits im Juni 1990 erarbeitete, aber erst im Juli 1990 ausbezahlte "Prämienlöhne". Die Beklagte leitet ihre Zuständigkeit aus den Bestimmungen des Einigungsvertrags und aus § 8 Abs 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung von Vermögensfragen der Sozialversicherung im Beitrittsgebiet vom 20. Dezember 1991 (BGSVVermG, BGBl I 2313) ab. Die Rechtmäßigkeit eines Summenbescheids ergebe sich aus § 28f Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) und der Verletzung von Aufzeichnungspflichten, die auch nach dem damaligen Recht der DDR bestanden hätten. Die Berücksichtigung der im Juni 1990 verdienten Prämienlöhne entspreche der damaligen Abrechnungspraxis.
Auf die im Mai 1996 erhobene Klage hat das SG sich mit Beschluß vom 27. November 1997 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LSG verwiesen. Die Beklagte stütze ihre Beitragsforderung auf § 8 Abs 2 BGSVVermG. Nach § 8 Abs 6, § 2 Abs 7 BGSVVermG entscheide das LSG über Streitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergäben. Mit Beschluß vom 7. Oktober 1998 hat sich das LSG ebenfalls für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG zurückverwiesen; gleichzeitig hat es die Sache dem Bundessozialgericht (BSG) zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Der Beschluß des SG sei unbeachtlich, da er ohne die notwendige Beiladung der zuständigen Versicherungsträger ergangen sei, so daß sich diese zur Verweisung nicht hätten äußern können. Darüber hinaus beruhe der Beschluß auf nicht vertretbaren rechtlichen Erwägungen und sei daher willkürlich. Das SG habe nicht beachtet, daß die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids von den Vorschriften des SGB IV abhänge, wobei § 8 Abs 2 BGSVVermG allenfalls eine Vorfrage betreffe. Die Zuständigkeit des LSG nach § 8 Abs 6 BGSVVermG könne nur auf einen Streit verschiedener Sozialversicherungsträger um Rechte und Forderungen aus dem Gesamthandsvermögen gemäß § 1 BGSVVermG bezogen werden. Andernfalls hätte das LSG Berlin erstinstanzlich über sämtliche Beitragsstreitigkeiten aus der Zeit vor dem Jahre 1991 im Beitrittsgebiet zu entscheiden. Angesichts der im BGSVVermG geregelten Materie und der vom Gesetzgeber verfolgten Absichten sei diese Rechtsauffassung abwegig. Sie führe überdies dazu, daß den Beteiligten eine Tatsacheninstanz abgeschnitten werde.
Die Anrufung des BSG zur Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts ist zulässig.
Nach § 58 Abs 1 Nr 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Das BSG ist das gemeinsam nächsthöhere Gericht iS dieser Vorschrift. Das SG als das Gericht des ersten Rechtszugs für die allgemeinen Angelegenheiten der Sozialversicherung (hier: des Beitragseinzugs und der Beitragshöhe) streitet mit dem LSG als dem Gericht des ersten Rechtszugs für die besonderen sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten des § 2 Abs 7 BGSVVermG um die Zuständigkeit für das durch den Beitragsbescheid der Beklagten ausgelöste Verfahren. Gemeinsames übergeordnetes Gericht ist sowohl nach dem allgemeinen Gerichtsaufbau als auch nach der generellen Rechtsmittelzuständigkeit in Streitverfahren der hier betroffenen Art das BSG, so daß es auf die insoweit zum entsprechenden § 36 Nr 6 Zivilprozeßordnung (ZPO) von den Zivilgerichten entwickelte Abgrenzung nicht ankommt (vgl BGH LM Nr 17 zu § 36 Ziff 6 ZPO = FamRZ 1979, 911 = NJW 1979, 2249). Daß das LSG in allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten und nach dem allgemeinen Gerichtsaufbau das dem SG übergeordnete (Berufungs-)Gericht ist, steht der Zuständigkeitsbestimmung durch das BSG nicht entgegen, denn die in § 58 Abs 1 SGG angesprochene Instanz muß im Verhältnis zu beiden streitenden Gerichten die höhere sein (im Ergebnis ebenso beim Zuständigkeitskonflikt zwischen dem Amtsgericht als Familiengericht und dem Familiensenat des zuständigen Oberlandesgerichts: BayObLG FamRZ 1979, 1042).
Sowohl das SG als auch das LSG haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, wie es § 58 Abs 1 Nr 4 SGG verlangt. Beschlüsse, mit denen sich ein Gericht sachlich oder örtlich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das nach seiner Meinung zuständige Gericht verweist, sind nach § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar. Beide hier ergangenen Beschlüsse enthalten eine Verweisung an das jeweils andere Gericht, so daß es nicht darauf ankommt, ob ohne einen solchen Ausspruch eine Zuständigkeitsbestimmung unzulässig wäre (vgl BVerwG Buchholz 300 § 17a GVG Nr 13 = DVBl 1995, 572 mwN). Der Konflikt betrifft auch die sachliche Zuständigkeit. Er beruht - wie bereits erwähnt - auf der sachlichen Zuordnung des anhängigen Verfahrens zu einem bestimmten Rechtsgebiet. Gehört der Streitgegenstand zu den im BGSVVermG eigens geregelten Angelegenheiten, wird dadurch die Zuständigkeit des LSG als Eingangsgericht begründet; andernfalls ist der Streit von der Sache her dem allgemeinen Sozialversicherungsrecht zuzuordnen, so daß erstinstanzlich das SG über ihn entscheiden muß. Inwiefern § 98 Satz 2, § 58 Abs 1 Nr 4 SGG bei Konflikten über die instanzielle oder funktionelle Zuständigkeit entsprechend heranzuziehen sind, kann infolgedessen offenbleiben (zur entsprechenden Frage im Zivilprozeß: BGH LM Nr 33 zu § 36 Ziff 6 ZPO = FamRZ 1994, 1097 = NJW 1994, 2956 mwN; BGHZ 71, 264 = FamRZ 1978, 582 = NJW 1978, 1531).
Eine Zuständigkeitsbestimmung setzt daneben nicht voraus, daß die wechselseitigen Verweisungsbeschlüsse für das jeweils andere Gericht im Ergebnis unverbindlich sind. Die Unverbindlichkeit ist jedenfalls dann keine Zulässigkeitsvoraussetzung, wenn der Konflikt - wie hier - sich gerade an dieser Frage entzündet (so im Ergebnis auch BVerwG Buchholz 310 § 53 VwGO Nr 21 = NJW 1993, 3087). In diesem Punkt hält der Senat an der im Beschluß vom 8. April 1980 (BSG SozR 1500 § 98 Nr 1) vertretenen Rechtsauffassung nicht fest. Denn eine wesentliche Funktion des Verfahrens nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG besteht in der Entscheidung, welcher von (zumeist) mehreren Verweisungsbeschlüssen als bindend zu behandeln ist und daher die Zuständigkeit des damit angesprochenen Gerichts begründet. Wird die Bindungswirkung der vorangegangenen Verweisungen als Frage der Zulässigkeit behandelt, kommt es letztlich dennoch zu einer sachlichen Entscheidung über die Zuständigkeit durch das übergeordnete Gericht - allerdings nicht auf dem Wege der rechtlichen Zuordnung des Streitgegenstands, sondern auf dem Umweg über die Bejahung der Bindungswirkung in einem angeblich unzulässigen Anrufungsverfahren. Dieser Unterschied in der Entscheidungsgrundlage rechtfertigt jedoch nicht die Unterscheidung zwischen Sachentscheidung und Prozeßentscheidung, die im Hauptsacheverfahren eine ganz andere Bedeutung hat. Im Zivilprozeß hat sich demgemäß schon früh die Auffassung durchgesetzt, daß eine bindende Verweisung kein Prozeßhindernis für eine Zuständigkeitsbestimmung darstellt (BGH LM Nr 1 zu § 642b ZPO = FamRZ 1978, 232 mwN; ständige Praxis, vgl etwa BGH LM Nr 24 zu § 281 = FamRZ 1991, 928; BGHZ 102, 338 = LM Nr 18 zu § 281 ZPO = NJW 1988, 1794; vgl auch BVerwG Buchholz 310 § 53 VwGO Nr 10 mwN). Trotz großzügiger Zulassung des Verfahrens der Zuständigkeitsbestimmung (vgl etwa BGH LM Nr 6 zu § 36 Ziff 6 ZPO = FamRZ 1971, 637 = NJW 1972, 111 und LM Nr 25 zu § 36 Ziff 6 ZPO = NJW 1984, 740) hat der BGH allerdings dafür keine Notwendigkeit anerkannt, wenn die untergeordnete Instanz eine Zurückverweisung wegen Verfahrensfehlers durch das Beschwerdegericht nicht hinnehmen will (BGH LM Nr 33 zu § 36 Ziff 6 ZPO = FamRZ 1994, 1097 = NJW 1994, 2956). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Das LSG ist für das Verfahren zuständig, denn es hat zu Unrecht angenommen, es sei an die Verweisung durch das SG nicht gebunden. Das Gesetz schreibt in § 98 SGG iVm § 17a Abs 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vor, daß eine Verweisung wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend ist. Dem kann im vorliegenden Fall die möglicherweise nur eingeschränkte Verbindlichkeit von Beschlüssen über die instanzielle oder funktionelle Zuständigkeit nicht entgegengehalten werden (vgl BayObLG FamRZ 1979, 1042; BGHZ 71, 264 = FamRZ 1978, 582 = NJW 1978, 1531; aM BVerwG Buchholz 310 § 83 VwGO Nr 3). Es wurde bereits ausgeführt, daß der gegenwärtige Streit nicht die Zuständigkeit des LSG als Rechtsmittelgericht oder eine gesetzlich besonders geregelte geschäftliche Zuständigkeit betrifft. Der Fall ist daher nicht anders zu behandeln, als wenn sich gleichgeordnete Gerichte in der Beurteilung ihrer jeweiligen Eingangszuständigkeit widersprechen.
Ein Verweisungsbeschluß wegen sachlicher Unzuständigkeit ist grundsätzlich auch dann verbindlich, wenn die Verweisung prozessuale oder materielle Vorschriften verletzt, denn die Bindungswirkung soll eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Verweisungsbeschlüssen im Interesse einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung gerade ausschließen. Eine Ausnahme kommt im Hinblick auf die dargestellte Zielsetzung nur unter ganz besonderen Voraussetzungen in Betracht, die hier entgegen der Auffassung des LSG nicht erfüllt sind.
Der Senat ist allerdings mit dem LSG der Auffassung, daß die besonderen Zuständigkeitsnormen des BGSVVermG Beitragsstreitigkeiten der hier in Rede stehenden Art nicht erfassen. Denn § 8 Abs 6 BGSVVermG verweist nicht nur auf die Vorschrift des § 2 Abs 7 BGSVVermG über die Zuständigkeit für das Streitverfahren vor Gericht, sondern auch auf die in § 2 Abs 6 BGSVVermG enthaltene Regelung des Verwaltungsverfahrensrechts. Aus dem Gesamtzusammenhang, zu dem wegen der Verweisung in § 2 Abs 6 Satz 1 BGSVVermG auch das Vermögenszuordnungsgesetz gehört, hat der Senat geschlossen, daß die nach § 8 Abs 1 und § 9 BGSVVermG erforderlichen "Feststellungen im Streitverfahren" vom Präsidenten des Bundesversicherungsamtes als Rechtsnachfolger des Geschäftsführers der Überleitungsanstalt durch Verwaltungsakt zu treffen sind (BSG SozR 3-8260 § 8 Nr 1 S 5 f). Die dort für dessen Zuständigkeit und Verwaltungsaktbefugnis angeführten Gesichtspunkte gelten sinngemäß auch für die Durchführung des BGSVVermG im übrigen - zumindest soweit es durch Entscheidungen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts umzusetzen ist. Im Lichte dieser Rechtsprechung stellt sich § 8 Abs 2 Satz 1 BGSVVermG als ausdrückliche Ausnahmeregelung zur allgemeinen Zuständigkeit des Präsidenten des Bundesversicherungsamtes und infolgedessen auch als Ausnahmeregelung zu § 8 Abs 6, § 2 Abs 6 BGSVVermG dar. Eines zusätzlichen Hinweises auf das für das Beitragsrecht allgemein anzuwendende Verwaltungsverfahrensrecht bedurfte es neben der Erwähnung der zuständigen "Einzugsstelle" nicht. § 2 Abs 7 BGSVVermG erfaßt keine anderen Streitigkeiten als diejenigen um die Befugnisse des Präsidenten des Bundesversicherungsamtes nach § 2 Abs 6 BGSVVermG. Es ist auch weder die gesetzgeberische Absicht noch ein Bedürfnis erkennbar, das Verwaltungsverfahren oder den Instanzenzug für den Beitragseinzug, der sich auf das Beitrittsgebiet und auf die Zeit vor dem 1. Januar 1991 bezieht, abweichend von den allgemeinen Beitragseinzugsvorschriften zu regeln. Für die Heranziehung von § 8 Abs 6 BGSVVermG ist insofern kein Raum.
Auch wenn sich der Verweisungsbeschluß des SG aufgrund dieser Erwägungen als rechtswidrig darstellt, ist er nach § 98 Satz 2 SGG, § 17a Abs 2 Satz 3 GVG zu beachten. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, daß willkürliche oder unter Mißachtung elementarer Verfahrensgrundsätze zustande gekommene Verweisungsbeschlüsse übergangen werden dürfen und eine Rückverweisung nicht hindern. Beides scheidet hier jedoch aus.
Ein wesentlicher Verfahrensfehler, der zur Unbeachtlichkeit eines Verweisungsbeschlusses führt, ist vor allem dann angenommen worden, wenn die Prozeßbeteiligten von der beabsichtigten Verweisung nicht in Kenntnis gesetzt wurden, so daß der in Art 103 Abs 1 Grundgesetz verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt war (BAG AP Nr 9 zu § 36 ZPO; BGHZ 71, 69 = FamRZ 1978, 402 = NJW 1978, 1163; BGH LM Nr 2 zu § 642b ZPO = FamRZ 1978, 499; einschränkend BVerwG Buchholz 310 § 53 VwGO Nr 10). Dieser Grund kann entgegen der Auffassung des LSG im vorliegenden Fall die Rückverweisung nicht rechtfertigen. Das SG war weder einfachrechtlich noch verfassungsrechtlich gehalten, vor der Entscheidung über seine Zuständigkeit die vom Beitragseinzug begünstigten Versicherungsträger beizuladen und ihnen rechtliches Gehör zu gewähren. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann zwar auch einem am Verfahren nicht förmlich Beteiligten zustehen, wenn er unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist (BVerfGE 89, 381, 390 mwN). Die Verweisung eines Rechtsstreits um Sozialversicherungsbeiträge an ein anderes Gericht greift aber nicht in die Rechte der angeblichen Beitragsgläubiger ein, denn über das Bestehen der Beitragsforderung wird damit nicht entschieden. Deshalb haben insoweit nur die förmlich Beteiligten Anspruch auf rechtliches Gehör. Daß nur die Sachentscheidung den Beizuladenden in seinen Rechten betrifft, wird dadurch unterstrichen, daß er - auch wenn er beigeladen ist - die Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Rücknahme oder Anerkenntnis nicht hindern kann (vgl BSG SozR 1500 § 101 Nr 5; Meyer-Ladewig, SGG 6. Aufl, § 75 RdNr 17d mwN). Schließlich wäre die Annahme, daß auch Zwischenentscheidungen die Beteiligung der notwendig Beizuladenden voraussetzen, mit der Möglichkeit nicht zu vereinbaren, die notwendige Beiladung im Berufungsverfahren und unter Umständen auch im Revisionsverfahren (§ 168 Satz 2 SGG) nachzuholen.
Der Beschluß des SG ist nicht als willkürlich anzusehen, denn er entbehrt nicht jeglicher Rechtsgrundlage. Bei diesem Merkmal ist die Rechtsprechung zurückhaltend: Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses ist nur in extremen Ausnahmefällen verneint worden. Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Buchholz 407.3 VerkPBG Nr 3 = NVwZ 1993, 770 = DÖV 1993, 388 mit Hinweis auf BVerwGE 46, 83, 86 und BVerwGE 2, 43, 47; BVerwG Buchholz 310, Vorbem III zu § 42 Ziff 1 Nr 1 = DÖV 1954, 181) betreffen keine Zuständigkeitsbestimmungen durch das nächsthöhere Gericht, sondern Verweisungen von Verwaltungsgerichten an das BVerwG unter Berufung auf dessen (Sonder-)Zuständigkeit für bestimmte Klageverfahren. In diesem Zusammenhang hat das BVerwG auf § 70 Abs 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) in der bis 31. Dezember 1990 geltenden Fassung hingewiesen, mit dem Verweisungsbeschlüsse wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit an den Bundesfinanzhof (BFH) von der Bindungswirkung ausdrücklich ausgenommen waren (BVerwGE 46, 83, 86). Auch wenn das BVerwG im neuesten Beschluß nicht darauf eingeht, daß § 70 FGO inzwischen keinen Vorbehalt für Verweisungen an den BFH mehr enthält, belegt dieser Hinweis doch die besondere Situation der rechtswidrigen Verweisung des Instanzgerichts an das im selben Rechtszug übergeordnete Revisionsgericht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und der BFH hatten Rechtswegverweisungen zu beurteilen. Das BAG hielt das verweisende Gericht nicht für befugt, im Nachverfahren zu einem Urkundenprozeß die eigene Zuständigkeit anders zu beurteilen als im zunächst erlassenen Vorbehaltsurteil (BAG AP Nr 12 zu § 36 ZPO = NJW 1972, 1216). Der BFH begründete die Rückverweisung eines Gebührenstreits zwischen Steuerberater und Auftraggeber vom Finanzgericht an das Landgericht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen: Da beim Finanzgericht ausschließlich der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle für die Festsetzung des streitigen Gebührenanspruchs zuständig gewesen wäre, hätte eine verbindliche Verweisung die erhobene Gebührenklage einer richterlichen Entscheidung ganz entzogen (BFH Rpfleger 1992, 82 = BFH/NV 1991, 619).
Die vom BAG und vom BFH zu beurteilenden verfahrensrechtlichen Situationen sind mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar; allenfalls könnten die Erwägungen des BVerwG die vom LSG ausgesprochene Rückverweisung rechtfertigen. Neben der bereits aufgezeigten Sonderstellung des Revisionsgerichts bestehen jedoch weitere gewichtige Unterschiede, die einer Entscheidung im gleichen Sinne entgegenstehen. Der Fehler des SG besteht darin, § 8 Abs 6 und § 2 Abs 7 BGSVVermG der Entscheidung zugrunde gelegt zu haben, ohne die systematischen Zusammenhänge bzw das Urteil des Senats vom 16. Juli 1996 (BSG SozR 3-8260 § 8 Nr 1) zu berücksichtigen. Dabei ist einzuräumen, daß eine unkritische Betrachtungsweise des Gesetzeswortlauts die Verweisung an das LSG zu stützen vermag und übergreifende verfahrensrechtliche Grundsätze nicht verletzt sind. Anders als das BVerwG in den geschilderten Fällen kann das LSG ohne weitere Voraussetzungen mit dem hier anhängigen Beitragseinzugsverfahren als Berufungsgericht befaßt werden und hätte dann den Prozeßstoff im gleichen Umfang und nach denselben Vorschriften zu prüfen wie aufgrund der rechtswidrigen Verweisung. Der Verlust einer Tatsacheninstanz ist in diesem Zusammenhang kein Argument, da er in den wirklichen Verfahren nach § 8 Abs 6 BGSVVermG ebenso wie in anderen Konstellationen (etwa aufgrund von § 96 SGG) immer wieder eintritt; obwohl in den dargestellten verwaltungsgerichtlichen Fällen unter Umständen sogar zwei Instanzen verloren gehen konnten, hat auch das BVerwG diesen Gesichtspunkt durch den Hinweis abgeschwächt, es würden keine funktionswidrigen Folgen eintreten, wenn es über die Klage sachlich zu entscheiden hätte (BVerwG Buchholz 407.3 VerkPBG Nr 3 = NVwZ 1993, 770 = DÖV 1993, 388). Schließlich hatten die Verwaltungsgerichte allgemeine Verfahrensgrundsätze mißachtet, die der Anwendung der erst kurz vor dem jeweiligen Verweisungsbeschluß in Kraft getretenen Zuständigkeitsvorschriften auf das noch nach vorherigem Recht begonnene Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren entgegenstanden. Bei den Beschlüssen des BVerwG aus den Jahren 1953 und 1955 (BVerwG Buchholz 310, Vorbem III zu § 42 Ziff 1 Nr 1 = DÖV 1954, 181; BVerwGE 2, 43 = NJW 1955, 1245 = DÖV 1956, 125) ist außerdem zu beachten, daß es die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) noch nicht gab und die Bindungswirkung nur mit einer entsprechenden Anwendung des damaligen § 276 ZPO begründet werden konnte. Das BVerwG hat in einem späteren Urteil ausdrücklich offengelassen, ob es diesen Entscheidungen unter Geltung der VwGO weiterhin folgen würde (BVerwGE 48, 201 = Buchholz 310 § 153 VwGO Nr 15).
Unter Berücksichtigung der hierfür von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien kann der Senat den Beschluß des SG nicht als willkürliche Verweisung ansehen. Aufgrund der dadurch bewirkten Bindung nach § 98 SGG ist das LSG Berlin das für den Rechtsstreit zuständige Gericht.
Fundstellen
FA 1999, 276 |
NZS 2000, 268 |
SGb 2000, 141 |
www.judicialis.de 1999 |