Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Studenten. Wohnsitz im Ausland. Zugehörigkeit zu einer inländischen Hochschule
Orientierungssatz
1. Bei der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl BVerfG vom 4.2.2004 - 1 BvR 1103/03 = SozR 4-2500 § 5 Nr 1 RdNr 17). Hiervon ohne Weiteres mit umfasst ist die Frage, an welche territorialen Bezüge bei Sachverhalten mit Auslandsberührung anzuknüpfen ist (hier: in Abweichung von § 3 Nr 2 SGB 4 die durch Einschreibung begründete Zugehörigkeit zu einer inländischen Hochschule § 5 Abs 1 Nr 9 SGB 5).
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 2.4.2009 - 1 BvR 2740/08).
Normenkette
GG; SGB 4 § 3 Nr. 2; SGB 5 § 5 Abs. 1 Nr. 9
Verfahrensgang
Gründe
Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren darüber, ob die Klägerin auch während ihres Aufenthalts in Kanada in der Zeit von August 2002 bis August 2003 als Studentin gesetzlich krankenversichert war.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) vom 6.2.2008 ist in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden.
Die Klägerin beruft sich allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr: BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7) . Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtslage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31) . Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hat bereits keine hinreichend konkrete Rechtsfrage formuliert. Die Frage, ob § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V "verfassungswidrig ist oder nicht" lässt insbesondere außer Acht, dass die Vorschrift eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebenssachverhalten erfasst wie zB dauerndes Studium in Deutschland und Wohnsitz im grenznahen Ausland oder nur vorübergehendes Studium in Deutschland ohne Wohnsitznahme oder dauernden Aufenthalt hier. Die Beschwerde hätte aufzeigen müssen, welche der Fallgestaltungen hier zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt werden soll. Selbst wenn man aber die Frage unter Hinzuziehung der weiteren Begründung so verstehen will, dass zu entscheiden sei, ob § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V verfassungswidrig ist, soweit er auch immatrikulierte Studenten erfasst, die sich im außereuropäischen Ausland aufhalten, fehlt es jedenfalls an den erforderlichen Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist bereits mehrfach geklärt, dass es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegt, den Mitgliederkreis der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits danach abzugrenzen, welcher Personenkreis zur Bildung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist, und andererseits danach, welche Personen deren Schutz benötigen. In diesem Zusammenhang hat das BVerfG stets betont, dass es sich bei der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang handelt (vgl die Nachweise bei BVerfG vom 4.2.2004, 1 BvR 1103/03, SozR 4-2500 § 5 Nr 1 RdNr 17) . Hiervon ohne Weiteres mit umfasst ist die Frage, an welche territorialen Bezüge bei Sachverhalten mit Auslandsberührung anzuknüpfen ist (vorliegend in Abweichung von § 3 Nr 2 SGB IV die durch Einschreibung begründete Zugehörigkeit zu einer inländischen Hochschule, § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V) . Ebenfalls geklärt ist die grundsätzlich weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Regelung sozialversicherungsrechtlicher Positionen im Leistungsrecht (vgl exemplarisch BVerfG vom 17.2.1997, 1 BvR 1903/96, SozR 3-2500 § 47 Nr 8) . Der Senat hat im Blick hierauf bereits entschieden, dass der während eines Auslandsaufenthalts weiter der inländischen Versichertengemeinschaft Zugehörige ohne verfassungsrechtliche Bedenken zur Beteiligung an deren Finanzierung verpflichtet bleibt, auch wenn er wegen eines gesetzlich angeordneten Ruhens vorübergehend nicht in den Genuss von Leistungen kommen kann (Urteile vom 23.3.1993, 12 RK 6/92, SozR 3-2500 § 243 Nr 2 und vom 23.6.1994, 12 RK 25/94, SozR 3-2500 § 16 Nr 3) .
Die Klägerin hätte sich unter diesen Umständen auch unter Berücksichtigung des Anwendungsbereichs der Norm insgesamt und des dem Gesetzgeber eingeräumten Spielraums zur Typisierung eingehend damit auseinandersetzen müssen, dass und inwiefern dennoch verfassungsrechtliche Bedenken fortbestehen bzw inwiefern erneut Klärungsbedarf etwa dadurch aufgetreten sein könnte, dass der zitierten Rechtsprechung mit gewichtigen Argumenten entgegen getreten wird. Dies gilt auch dann, wenn ihrer Ansicht nach Fälle der konkret in Frage stehenden Art noch nicht entschieden sind, dennoch aber ernsthaft in Betracht kommen kann, dass sich der Anwendungsbereich bereits vorhandener Obersätze auch hierauf erstreckt. Dem kann sie durch eine bloße Kritik an den Gründen des angegriffenen Urteils nicht genügen. Vielmehr hätte sie sich mit der vorhandenen Rechtsprechung jedenfalls insofern auseinandersetzen müssen, als diese nach Veröffentlichung ohne Weiteres zugänglich ist. Soweit sie darüber hinaus einen Verstoß gegen "das Willkürverbot aus Art 3 GG" behauptet fehlt es an jeder Auseinandersetzung mit dem einfachgesetzlichen Konzept des Gesetzes wie mit der umfangreichen Rechtsprechung des BVerfG zum Gleichheitssatz.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen