Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Begründung einer Revision im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
Zur Bezeichnung der "verletzten Rechtsnorm" ist nicht nur erforderlich, dass sich aus der Revisionsbegründung eindeutig ergibt, welche Norm als verletzt angesehen wird. Vielmehr muss sich der Revisionsführer - zumindest kurz - mit den Gründen der Vorinstanz rechtlich auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl BSG vom 2.1.1979 - 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 Nr 12, vom 16.12.1981 - 11 RA 86/80 = SozR 1500 § 164 Nr 20, vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R = juris RdNr 14, vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R = juris RdNr 10 sowie vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R = juris RdNr 11).
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 Sätze 1, 3; AbgG § 29; GG Art. 14
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. November 2014 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des teilweisen Ruhens der Regelaltersrente (RAr) des Klägers wegen des Bezugs einer Abgeordnetendiät und eine daraus resultierende Überzahlung der Rente.
Der Kläger war vom 27.10.2009 bis 22.10.2013 Bundestagsabgeordneter. Nachdem er in einem am 31.8.2010 gestellten Antrag auf RAr die Frage nach dem Bezug einer Abgeordnetendiät verneint hatte, bewilligte ihm die Beklagte RAr iHv monatlich 2242,19 Euro. Im November 2010 teilte der Deutsche Bundestag der Beklagten mit, dass der Kläger Abgeordnetenbezüge iHv monatlich 7646,99 Euro erhalte und die RAr nach der Anrechnungsvorschrift des § 29 Abs 2 S 2 Abgeordnetengesetz (AbgG) iHv 80 vH zu ruhen habe. Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte überzahlte Rentenleistungen für die Monate Oktober bis Dezember 2010 zurück und reduzierte den Rentenzahlbetrag ab Januar 2011 auf 449,70 Euro monatlich (Bescheid vom 10.2.2011; Widerspruchsbescheid vom 18.7.2011). Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom 25.7.2012; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 27.11.2014).
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 14 Grundgesetz (GG). Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: |
"Der Revisionskläger hat über Jahre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht, die letztendlich über Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile und somit auch durch Eigenleistung finanziert wurden. Als gesetzlich Versicherter hat er Anwartschaften gesammelt, die durch Art. 14 GG geschützt sind. Eine Kürzung um 80 %, worauf die Ruhensregelung des vormaligen § 29 Abgeordnetengesetz (AbgG) abzielt, steht nicht im Einklang mit der Verfassung. Das Übermaßverbot ist hier verletzt. |
Die vom Bayerischen Landessozialgericht zitierte und herangezogene Entscheidung aus dem Jahre 1975 (so genanntes Diätenurteil, Bundesverfassungsgericht, Entscheidung 40, 296) hat keinerlei Aussage dazu getroffen, dass ein Ruhen von 80% der gesetzlichen Rente bei Bezug von Abgeordnetendiäten zulässig sei. Vielmehr geht aus der Entscheidung allein hervor, dass auch ein Ruhen einer Abgeordnetenentschädigung bei Bezug von gesetzlichen Renten zulässig ist, ohne auf einen bestimmten Satz abzustellen. |
Insoweit liegt eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage des übermäßigen Eingriffs in die eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaftsrechte derzeit noch nicht vor." |
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Der Kläger beantragt (sinngemäß), |
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die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27.11.2014 und des Sozialgerichts München vom 25.7.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.2.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.7.2011 aufzuheben. |
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Die Beklagte beantragt, |
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die Revision als unzulässig zu verwerfen, |
hilfsweise, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Sie hält die Revision für unzulässig, weil der mit der Revisionsbegründung zu entscheidende Sachverhalt nicht mitgeteilt worden sei, und tritt hilfsweise der klägerischen Einschätzung inhaltlich entgegen, das Ruhen stelle einen Übermäßigen Eingriff in die Rentenanwartschaft dar.
II. Die Revision des Klägers ist unzulässig (§ 169 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Begründung vom 22.6.2015 entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
1. Gemäß § 164 Abs 2 S 3 SGG muss die Begründung nicht nur einen bestimmten Antrag enthalten, sondern die "verletzte Rechtsnorm" bezeichnen. Hierzu ist nicht nur erforderlich, dass sich aus dem Vorbringen des Klägers eindeutig ergibt, welche Norm er als verletzt ansieht. Vielmehr muss sich der Revisionsführer - zumindest kurz - mit den Gründen der Vorinstanz rechtlich auseinandersetzen sowie erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; BSG Urteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 14; BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 und BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 11).
Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer bzw sein Prozessbevollmächtigter das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (vgl BSG Urteile vom 3.7.2002 - B 5 RJ 30/01 R - Juris RdNr 10 und vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10; Beschluss vom 13.5.2011 - B 13 R 30/10 R - RdNr 13 jeweils mwN). Damit soll die Begründungspflicht des § 164 Abs 2 S 1 SGG eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleisten (vgl ua BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, 20, 25; SozR 3-1500 § 164 Nr 9; SozR 3-2500 § 106 Nr 12; SozR 3-5555 § 15 Nr 1; BSGE 70, 186, 187 ff = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17 f, jeweils mwN; BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17).
Der Senat lässt offen, ob - wovon die Beklagte ausgeht - die Revision grundsätzlich bereits dann unzulässig ist, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht geschildert wird (so zuletzt der 5. Senat des BSG im Beschluss vom 22.7.2015 - B 5 R 16/15 R - JurionRS 2015, 22280 RdNr 8 f). Denn jedenfalls leidet die Revisionsbegründung an einem anderen Mangel. Mit § 29 AbgG bzw dessen vermeintlichen Verstoß gegen "Art 14" GG (gemeint offenbar: Art 14 Abs 1 S 1 Alt 1, S 2 GG) nennt der Kläger zwar eine - angeblich - verletzte Rechtsnorm. Er versäumt es jedoch, sich mit der von ihm angefochtenen Entscheidung des LSG auseinanderzusetzen.
Eine "Auseinandersetzung" erfordert, auf den Gedankengang des Berufungsgerichts einzugehen (vgl ua BSG SozR 1500 § 164 Nr 20; BSG Beschlüsse vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 11). Hierzu reicht es nicht aus, die eigene Meinung des Kläger (hier: zum Übermaßverbot) wiederzugeben. Vielmehr muss die Revisionsbegründung erläutern, dass und warum das LSG die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht richtig angewandt hat (vgl BSG Vorlagebeschluss vom 16.5.2006 - B 4 RA 5/05 R - Juris RdNr 21). Sich auf den Hinweis zu beschränken, das LSG habe das sog Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG Urteil vom 5.11.1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296) "zitiert und herangezogen", erfüllt die Anforderungen an eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem LSG-Urteil in keiner Weise. Auf den Gedankengang des LSG geht er nicht ein; die vom LSG für seine Ansicht herangezogene weitere Entscheidung des BVerfG vom 30.9.1987 (Beschluss vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256) reflektiert er nicht. Das Argument des LSG, der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet gewesen, den auf die Beitragsleistung entfallenden Teil der gesetzlichen Rente zu beziffern und die Ruhensquote entsprechend anzusetzen, greift er nicht auf.
2. Soweit der Kläger Verfahrensmängel rügt, hat er diese nicht ausreichend bezeichnet. Soweit er meint, bei "ordentlicher Beweiswürdigung" hätte "herauskommen" müssen, dass ihm nicht mehr zuzumuten sei als anzugeben, dass er Bundestagsabgeordneter sei, ist bereits nicht nachvollziehbar bezeichnet, dass das LSG diese Tatsache nicht erkannt und gewürdigt hätte. Zudem verkennt der Kläger, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nur gewährleistet, dass er gehört, nicht jedoch erhört wird (vgl zB Senatsbeschlüsse vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - und 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - jeweils veröffentlicht bei Juris). Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497).
3. Die unzulässige Revision ist ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 169 S 2 und 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen