Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Honoraranspruch. Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung
Orientierungssatz
Für nicht persönlich erbrachte Leistungen steht dem Vertragsarzt ein Honoraranspruch nicht zu (st Rspr, vgl zB BSG vom 18.12.1996 - 6 RKa 66/95 = BSGE 80, 1 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2; BSG vom 13.5.2015 - B 6 KA 27/14 R = SozR 4-5540 § 25 Nr 1 RdNr 18 mwN).
Normenkette
SGB V § 15 Abs. 1 S. 1; Ärzte-ZV § 32 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 57 158 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger, der als hausärztlich tätiger Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung wegen nicht persönlich erbrachter Leistungen und eine daraus resultierende Rückforderung der beklagten KÄV in Höhe von ca 57 157 Euro für die Quartale I/2007 bis II/2008.
Der Kläger war im hier maßgebenden Zeitraum in der Form einer Praxisgemeinschaft mit der Gemeinschaftspraxis Dr. P. und Dr. S. verbunden. Er nutzte - zusammen mit der Gemeinschaftspraxis - die einige hundert Meter von seinem Praxissitz entfernten ehemaligen Praxisräume des Dr. M., der seine Tätigkeit als Vertragsarzt aufgegeben hatte, als (genehmigte) Zweigpraxis.
Aufgrund von auffälligen Abrechnungsdaten (Behandlungsleistungen mit Prüfzeiten von täglich mehr als 12 Stunden) führte die Beklagte eine Plausibilitätsprüfung durch. Nach Durchführung weiterer Ermittlungen einschließlich der Auswertung von Rezepten, die nicht vom Kläger, sondern von Dr. M. oder auch anderen Personen unterschrieben worden waren, berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnung des Klägers für die Quartale I/2007 bis II/2008 im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Kläger einen Teil der abgerechneten Leistungen nicht persönlich erbracht habe. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II. Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.4.2005 - B 9a/9 VG 15/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG Beschluss vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG Beschluss vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG Beschluss vom 30.3.2000 - B 12 KR 2/00 B - SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG ff ≪Kammer≫ Beschluss vom 15.2.2006 - 1 BvR 2597/05 - SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff).
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Der Kläger fragt: |
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"Ergibt sich für die Prüfung fehlerhaft ausgestellter Arzneimittelverordnungen wegen Verstößen gegen die persönliche Leistungserbringungspflicht eine sachliche Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung gemäß § 106a SGB V (alt) i.V.m. § 45 Abs. 4 BMV-Ä oder ist hierfür die Gemeinsame Prüfeinrichtung nach § 106 SGB V (alt) i.V.m. § 48 BMV-Ä zuständig?" |
Auf die formulierte Rechtsfrage kommt es für die Entscheidung in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht an. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist kein Arzneimittelregress wegen fehlerhafter Verordnung von Arzneimitteln, sondern eine Honorarrückforderung wegen nicht persönlicher Erbringung von Leistungen, die der Kläger als eigene gegenüber der KÄV abgerechnet hat. Der Umstand, dass nicht der Kläger, sondern Dr. M. und andere Ärzte Arzneimittelverordnungen auf dem Rezeptblock des Klägers unterschrieben haben, ist im vorliegenden Verfahren nicht unmittelbar Grund für die Rückforderung, sondern eines von mehreren Indizien, die dafür sprechen, dass der Kläger auch Behandlungen, die er gegenüber der Beklagten abgerechnet hat, nicht selbst erbracht und damit gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung (§ 15 Abs 1 Satz 1 SGB V, § 32 Abs 1 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, § 15 Abs 1 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte) verstoßen hat. Für nicht persönlich erbrachte Leistungen steht dem Kläger ein Honoraranspruch nicht zu (stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 18.12.1996 - 6 RKa 66/95 - BSGE 80, 1 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2; BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 27/14 R - SozR 4-5540 § 25 Nr 1 RdNr 18 mwN). Dass für die Entscheidung über daraus folgende Honorarberichtigungen die KÄVen und nicht die Prüfgremien zuständig sind, ergibt sich eindeutig aus § 106a Abs 2 SGB V in der hier noch maßgebenden Fassung der Jahre 2007 und 2008.
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Soweit der Kläger fragt: |
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"Ist eine Kassenärztliche Vereinigung befugt, im Rahmen ihres Schätzungsermessens bei der Schadensermittlung für das Vertragsarzthonorar von fehlerhaft ausgestellten Arzneiverordnungen (Rezepte) auf ärztliche Leistungen hochzurechnen?", |
ist die Beschwerde - soweit sie zulässig ist - jedenfalls nicht begründet. Wenn die Frage des Klägers dahin zu verstehen sein sollte, dass er für klärungsbedürftig hält, ob generell allein aus fehlerhaft ausgestellten Arzneiverordnungen auf unrichtig abgerechnete Leistungen geschlossen werden kann, so käme es darauf für die Entscheidung nicht an, weil es sich hier bei den nicht vom Kläger persönlich unterschriebenen Verordnungen keineswegs um den einzigen Gesichtspunkt handelt, den das LSG bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigt hat: So hat das LSG die Angabe des Klägers, es sei ihm nicht bekannt, welchem Arzt die mit "G" unterschriebenen Rezepte zuzurechnen seien, nicht als glaubwürdig bewertet. Auch die Angaben des Klägers, dass Dr. M. ohne vorangegangene persönliche Untersuchung lediglich Folgeverordnungen unterschrieben habe, waren - unabhängig davon, ob eine solche Vorgehensweise zulässig gewesen wäre - nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen ersichtlich unzutreffend, weil Dr. M. zB auch eine Erstverordnungen von Antibiotika unterschrieben hat. Die Darstellung des Klägers, nach der ärztliche Untersuchungen und Behandlungen durch ihn selbst durchgeführt worden seien und dass die Patienten sodann allein für die Abholung des Rezepts an die Zweigpraxis verwiesen worden seien, wo Dr. M. das Rezept unterschrieben habe, hat das LSG - aus Sicht des Senats in jeder Hinsicht nachvollziehbar - nicht als glaubhaft bewertet. Dabei hat das LSG ua den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumten Umstand berücksichtigt, dass eine Datenverbindung zwischen der Praxis des Klägers und der Zweigpraxis nicht bestand, sodass nicht zu klären war, wie die zum Ausdruck der Verordnung notwendigen Daten in die Zweigpraxis gelangen konnten. |
Soweit die formulierte Rechtsfrage jedoch dahin zu verstehen sein sollte, dass das LSG hier auf der Grundlage der durchgeführten Ermittlungen nicht zu der Beurteilung hätte gelangen dürfen, dass der Kläger die Leistungen in einem Umfang nicht persönlich erbracht hat, der dem Anteil der von anderen Ärzten unterschriebenen Rezepte entspricht, fehlt es an der erforderlichen Klärungsbedürftigkeit über den Einzelfall hinaus. Insoweit rügt er die hier vorgenommene Beweiswürdigung durch das LSG. In Betracht käme insoweit allenfalls ein Verfahrensmangel, der jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) gestützt werden kann (vgl BSG Beschluss vom 27.10.2006 - B 6 KA 38/06 B - Juris). Die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht wäre nach § 103 SGG nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezöge, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen entsprechenden Verfahrensmangel hat der Kläger nicht geltend gemacht. Im Übrigen hat das LSG bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der KÄV in Fällen wie dem Vorliegenden, in dem - auch nach Auffassung des Senats - eine zumindest grob fahrlässige Falschabrechnungen außer Frage steht, ein weites Schätzungsermessen bei der Ermittlung der Höhe des Regresses zukommt (grundlegend: BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5550 § 35 Nr 1 S 1, 6, 9; ebenso für den Fall einer nur pro forma bestehenden Gemeinschaftspraxis: BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 69).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11022581 |