Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Divergenz. Voraussetzungen
Orientierungssatz
Die Voraussetzungen für eine Divergenz sind nur erfüllt, wenn die angefochtene Entscheidung und die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergenzfähige Entscheidung zu denselben Rechtsnormen ergangen sind (vgl BVerwG vom 30.6.2008 - 5 B 49/08 - juris RdNr 4).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.01.2010; Aktenzeichen L 2 R 4245/07) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 07.04.2003; Aktenzeichen S 8 R 1052/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Januar 2010 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzu-lassung der Revision im vorbezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt K. beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 27.1.2010 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Anerkennung seiner in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Beschäftigungszeiten vom 5.3.1957 bis 10.12.1993 als Beitrags- oder Beschäftigungszeiten in der deutschen Rentenversicherung abgelehnt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Er beruft sich auf Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG und Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. beantragt.
Die Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht formgerecht begründet ist.
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Die Revision ist nur zuzulassen, wenn |
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), |
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das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder |
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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3). |
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Mit der erhobenen Divergenzrüge macht der Kläger eine Abweichung des angefochtenen Urteils von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 20.1.1966 - VIII C 51.64 -, vom "10.10.1962 - BVerwG V C 96.61" - und vom 21.10.1959 (BVerwGE 9, 231) geltend. Mit diesem Vorbringen ist keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dargetan. Das Aufzeigen einer Divergenz iS dieser Vorschrift erfordert ausweislich des Wortlauts der Norm die Darlegung, dass das Berufungsurteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht.
Der Kläger hat mit seinem Vorbringen zum Vorliegen einer Divergenz auch nicht schlüssig dargetan, dass die Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG habe.
Soll die grundsätzliche Bedeutung mit einer Abweichung von einer Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts begründet werden, so erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung, dass zunächst die behauptete Abweichung schlüssig dargestellt wird. An die schlüssige Darstellung der Abweichung von einer Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts sind sinngemäß dieselben Anforderungen zu stellen wie an die schlüssige Darstellung einer Abweichung von einer Entscheidung des BSG iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Außerdem muss dargetan werden, dass durch die Abweichung von der Entscheidung des anderen obersten Bundesgerichts eine im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufgeworfen wird (vgl BFHE 161, 418 f). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger versäumt es bereits, eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG sinngemäß aufzuzeigen. Die Voraussetzungen für eine Divergenz sind nur erfüllt, wenn die angefochtene Entscheidung und die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergenzfähige Entscheidung zu denselben Rechtsnormen ergangen sind (vgl BVerwG, Beschluss vom 30.6.2008 - 5 B 49/08 - Juris RdNr 4; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 383). Der Kläger hat nichts dazu ausgeführt, auf welche Rechtsnormen sich die von ihm genannten Entscheidungen des BVerwG beziehen.
Soweit der Kläger eine Abweichung des Berufungsurteils von der Entscheidung des BSG vom 17.10.2006 (B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3) geltend macht, ist eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ebenfalls nicht ordnungsgemäß bezeichnet.
Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger hat bereits keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG widersprochen habe. Er macht geltend, das Berufungsgericht habe nur auf den Vertreibungstatbestand nach § 1 Abs 2 Nr 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) abgestellt. Damit sei es von dem genannten Urteil des BSG abgewichen, nach dem Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) nicht festzustellen seien, wenn die in Rede stehenden Versicherungszeiten im Herkunftsgebiet nach dem jeweils maßgeblichen Vertreibungsvorgang zurückgelegt worden seien. Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Der Kläger rügt in zweifacher Hinsicht eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG).
Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 8a, 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger sieht eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zum einen in folgendem Sachverhalt: Er habe vor dem LSG die Auffassung vertreten, Vertriebener iS von § 1 Abs 1 BVFG zu sein. Hierzu habe er vorgetragen, dass er seinen Wohnsitz in Polen durch Einwirkungen des Krieges, also durch kriegsbedingte Maßnahmen verloren habe. Nach der Umsiedlung aus der Ukraine habe er gemeinsam mit seiner Mutter und den Geschwistern Wohnsitz im sogenannten "Warthegau" genommen und sei im Bereich Litzmannstadt eingebürgert worden. Aus dem "Warthegau" sei er mit seiner Mutter bereits auf der Flucht gewesen, als er von der russischen Armee eingeholt und verschleppt worden sei, was das Berufungsgericht nicht berücksichtigt habe. Mit diesem Vorbringen hat der Kläger keine Verletzungshandlung des LSG aufgezeigt.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Damit ein Verstoß gegen § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG festgestellt werden kann, müssen deshalb im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies darauf schließen, es habe den Vortrag nicht berücksichtigt, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich ist (vgl ua BVerfG NJW 1994, 2683 mwN). Nach Maßgabe dieser Vorgaben ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht aufgezeigt. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass der oben genannte Vortrag des Beschwerdeführers nach dem Rechtsstandpunkt des LSG unerheblich ist. Der Kläger selbst weist darauf hin, dass das Berufungsgericht die Rechtsauffassung vertreten habe, es könne offen bleiben, ob er Vertriebener iS des § 1 Abs 1 BVFG sei. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht musste das Berufungsgericht aber nicht auf den Vortrag eingehen, der aus Sicht des Klägers seine Vertriebeneneigenschaft iS von § 1 Abs 1 BVFG begründet.
Der Kläger sieht einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs des Weiteren darin, dass das LSG sich mit den Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 9.11.2009, die streitigen Zeiten seien zumindest als Ersatzzeiten anzuerkennen, nicht auseinandergesetzt habe. Mit diesem Vorbringen ist ebenfalls keine Verletzungshandlung des Berufungsgerichts aufgezeigt. Denn der Kläger hat nicht dargetan, diesen Vortrag bis zuletzt aufrechterhalten und insbesondere beantragt zu haben, die streitigen Zeiten hilfsweise als Ersatzzeiten festzustellen.
Der Kläger rügt ferner eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG.
Ein Urteil ist ua dann nicht mit Gründen im Sinne der Norm versehen, wenn diese so mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion - Unterrichtung der Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, Grundlage der Nachprüfung des Rechtsmittelgerichts - nicht erfüllen können (BVerwG NJW 1998, 3290).
Der Kläger macht geltend, die Begründung des Urteils sei unverständlich bzw verstoße gegen Denkgesetze und zitiert hierzu drei Passagen aus dem angefochtenen Urteil. Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG schon deswegen nicht dargetan, weil die vom Kläger wiedergegebenen Ausführungen aus ihrem Kontext gerissen sind und zudem nur einen kleinen Auszug aus den umfangreichen Entscheidungsgründen darstellen. Dass diese vollständig unbrauchbar sind, lässt sich einem derart eingeschränkten Vorbringen nicht entnehmen.
Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).
Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann dem Kläger für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. nicht gewährt werden (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen