Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsentziehung wegen Verfehlungen außerhalb der eigentlichen vertragsärztlichen Tätigkeit
Orientierungssatz
Auch Verfehlungen außerhalb der eigentlichen vertragsärztlichen Tätigkeit können eine Zulassungsentziehung rechtfertigen (vgl BSG vom 19.6.1996 - B 6 KA 52/95 = MedR 2005, 311 und BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 67/03 R = BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9).
Normenkette
SGB 5 § 95 Abs. 6
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08.09.2005; Aktenzeichen L 5 KA 17/05) |
SG Mainz (Urteil vom 26.01.2005; Aktenzeichen S 6 KA 515/04) |
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung.
Der 58 Jahre alte Kläger, seit 1980 zur kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, ist seit 1990 zusammen mit seiner Ehefrau in einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis mit zytologischem Einsendelabor tätig. Er war von 1989 bis 1992 als Beisitzer Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Pfalz, die zum 1. Januar 2005 in der zu 1. beigeladenen KÄV Rheinland-Pfalz aufging. Der Kläger, der infolge missglückter kreditfinanzierter Anlagegeschäfte Bankverbindlichkeiten von mehr als zwei Millionen DM abzuzahlen hatte, plante seit Juli 1998, in der hierfür als günstig angesehenen Weihnachtszeit einen größeren Geldbetrag von Konten der KÄV Pfalz abzuzweigen. Hierzu gewann er als Mittäter einen bei ihm im Haushalt beschäftigten Rentner, der unter dem Namen seines intellektuell minderbegabten Schwiegersohnes ein Konto bei einer Luxemburger Bank eröffnete. Im Dezember 1998 fertigte der Kläger unter Ausnutzung seiner Kenntnisse der Verwaltungsabläufe in der KÄV Pfalz zwei Schreiben, in denen die beiden Hausbanken der KÄV zu Überweisungen von insgesamt 646.000 DM auf jenes Luxemburger Konto angewiesen wurden. Die hierzu verwendeten offiziellen Briefbögen der KÄV Pfalz standen dem Kläger noch aus seiner Zeit als Vorstandsmitglied zur Verfügung; die Unterschriften des Vorstandsvorsitzenden und des Geschäftsführers der KÄV ließ er von seinem Mittäter nach Vorlagen auf KÄV-Rundschreiben nachahmen. Der Kläger warf diese Schreiben in die Postkästen der beiden Banken ein, nachdem er zuvor mit Hilfe eines Scanners den Freistempelabdruck einer Sendung der KÄV Pfalz vom 18. Dezember 1998 auf die Briefumschläge aufgebracht hatte. Die KÄV bemerkte die von den Banken durchgeführten Überweisungen sofort und informierte noch am 23. Dezember 1998 die Luxemburger Empfängerbank, bei der sich auch der Kläger an jenem Tag telefonisch über den Eingang der Gelder erkundigte. Dieser entschloss sich nach eigenen Angaben am 26. Dezember 1998, von einer Abhebung der Geldbeträge Abstand zu nehmen. Die KÄV erhielt nach langwierigen Bemühungen erst im April 2000 die unberechtigt abgebuchten Beträge von dem Luxemburger Konto zurücküberwiesen.
Der Kläger geriet im Verlauf umfangreicher Ermittlungen ab Frühjahr 2000 unter Tatverdacht. Obgleich er sich zur Sache zunächst nicht äußerte, verurteilte ihn das Amtsgericht Neustadt an der Weinstraße auf Grund verschiedenster Indizien am 10. März 2003 wegen gemeinschaftlich begangenen Betrugs und Urkundenfälschung zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe. In dem - auf das Strafmaß beschränkten - Berufungsverfahren ließ der Kläger am 26. Juni 2003 ein schriftliches Geständnis vortragen. Daraufhin reduzierte das Landgericht Frankenthal mit Urteil vom 7. Juli 2003 die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe um neun Monate und setzte sie zur Bewährung aus, da der Kläger ohnehin als Folge seiner Tat mit erheblichen berufsrechtlichen Konsequenzen - Entziehung der Kassenzulassung - rechnen müsse.
Auf Antrag der KÄV Pfalz entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger wegen dieser Vorgänge mit Beschluss vom 17. März 2004 die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Sein Widerspruch hatte keinen Erfolg; zudem ordnete der beklagte Berufungsausschuss den Sofortvollzug der Zulassungsentziehung an ( Beschluss vom 25. August 2004 ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die aufschiebende Wirkung der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage wiederhergestellt, weil das erforderliche besondere Vollzugsinteresse fehle ( Beschluss vom 3. Dezember 2004 - L 5 ER 112/04 KA ). Hingegen sind Klage und Berufung in der Hauptsache ohne Erfolg geblieben ( Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Mainz vom 26. Januar 2005 und des LSG Rheinland-Pfalz vom 8. September 2005 ). Im Berufungsurteil ist - teils unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG - ausgeführt, der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt, da er durch Verwendung von Kenntnissen und Materialien aus der Zeit seiner Vorstandstätigkeit bei der KÄV Pfalz zu einer Straftat seine Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Organen der Selbstverwaltung grob missachtet habe. Das notwendige Vertrauensverhältnis sei durch die Tat des Klägers so stark zerstört, dass eine Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zumutbar sei. Selbst wenn die Straftat nicht die eigentliche ärztliche Behandlungstätigkeit und deren Abrechnung betreffe, sei sie doch wesentlich stärker als etwa ständige unsachliche Angriffe gegen Mitarbeiter der KÄV geeignet, das notwendige Vertrauensverhältnis zu den Organen der Selbstverwaltung zu untergraben. Auch der Gesichtspunkt eines Wohlverhaltens stehe der Zulassungsentziehung nicht entgegen. Einem Wohlverhalten während eines laufenden Strafverfahrens komme kein besonderer Wert zu; außerdem habe der Kläger nach seiner Tat nichts Erkennbares unternommen, um der KÄV die ihr entzogene Geldsumme schnellstmöglich wieder zuzuführen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Außerdem rügt er eine Abweichung des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie einen Verfahrensmangel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 2 bzw Nr 3 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.
Für die Geltendmachung grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist ( vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff und Nr 7 RdNr 4 ff, mwN ). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich ( s zB BVerfG ≪ Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14) .
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Das Vorbringen des Klägers erfüllt diese Anforderungen nicht. Er hat insbesondere die Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Fragen der Zulassungsentziehung nicht hinreichend dargelegt. Hierzu hätte er ausführen müssen, dass die von ihm aufgeworfene Frage, |
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ob auch Vermögensdelikte - Betrug und Urkundenfälschung zu Lasten der Konten der KÄV -, die mit der eigentlichen vertragsärztlichen Tätigkeit nichts zu tun haben, aber bei Gelegenheit einer Tätigkeit als Vertragsarzt begangen wurden, eine die Zulassungsentziehung rechtfertigende gröbliche Pflichtverletzung beinhalten können, |
anhand der bisher ergangenen bundesgerichtlichen Entscheidungen noch nicht zuverlässig beantwortet werden kann ( vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kapitel IX RdNr 183, mwN ). Das ist nicht in der erforderlichen Weise geschehen. Der Kläger hat zwar fünf Entscheidungen des BSG zur Zulassungsentziehung ( einschließlich des Beschlusses vom 19. Juni 1996, MedR 1997, 86, und des Urteils vom 20. Oktober 2004, BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9 = MedR 2005, 311; die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 1991, 2359 befasst sich hingegen mit der Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz und nicht mit einer Zulassungsentziehung ) aufgeführt und erklärt, sie beträfen alle ein Fehlverhalten bei der unmittelbaren ärztlichen Tätigkeit am Patienten oder deren Abrechnung, aber keine - hier in Rede stehende - Pflichtverletzung außerhalb dieses Bereichs. Er hat aber unerwähnt gelassen, dass der Senat bereits im Beschluss vom 19. Juni 1996 ( 6 BKa 52/95 - juris ) eine Zulassungsentziehung wegen versuchter Vergewaltigung einer Praxishelferin gebilligt hat und dass im Urteil vom 20. Oktober 2004 nicht nur routinemäßig erfolgende fachfremde Behandlungen ( aaO RdNr 11 ), sondern vor allem auch fortgesetzte grob beleidigende und diffamierende Äußerungen gegenüber Mitarbeitern und Funktionsträgern der KÄV ( aaO RdNr 20 ff ) als Pflichtverletzungen, die eine Zulassungsentziehung grundsätzlich rechtfertigen können, benannt sind. Gerade diese vom Kläger nicht angeführten Entscheidungen des BSG verdeutlichen, dass auch Verfehlungen außerhalb der eigentlichen vertragsärztlichen Tätigkeit eine Zulassungsentziehung rechtfertigen können und somit die von ihm aufgeworfene Frage bereits klar bejaht ist. |
Auch soweit der Kläger eine Abweichung des LSG vom Urteil des Senats vom 20. Oktober 2004 rügt, hat er dies nicht ausreichend dargetan. Zur Geltendmachung einer Rechtsprechungsabweichung ist es erforderlich, in der Beschwerdebegründung entscheidungstragende Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung einander gegenüberzustellen und darzulegen, weshalb sie nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf dieser Abweichung beruht. Dem wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht. Er stellt schon keine - widersprechenden - Rechtssätze dar, die im Urteil des LSG bzw in der von ihm benannten Entscheidung des BSG ( BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 ) tatsächlich enthalten sind. Im Urteil des SG, auf das die Entscheidung des LSG insoweit Bezug nimmt, ist ausgeführt, "dem hier in Betracht kommenden Wohlverhalten des Klägers während des laufenden Strafverfahrens kommt nach Ansicht der Kammer kein besonderer Wert zu. Nach der Tat kann des weiteren nicht von einem Wohlverhalten des Klägers gesprochen werden, da er nichts erkennbares unternommen hat, der Beigeladenen zu 1. das entzogene Geld schnellstmöglich wieder zuzuführen." Diesen Darlegungen kann der vom Kläger behauptete Rechtssatz, Wohlverhalten könne erst ab dem Zeitpunkt einer strafgerichtlichen Verurteilung Berücksichtigung finden, nicht entnommen werden. Auch die genannte Entscheidung des Senats ( aaO, S 243 bzw S 19 ) enthält keinerlei Anhaltspunkte für den vom Kläger postulierten Rechtssatz, dass Wohlverhalten stets ab dem Zeitpunkt der Verfehlung zu berücksichtigen sei. Vielmehr wird dort lediglich ein Wohlverhalten des Arztes während des Verlaufs des Rechtsstreits über die Zulassungsentziehung thematisiert ( vgl hierzu auch BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 15 aE ).
Schließlich ist auch nicht hinreichend dargetan, dem Berufungsgericht sei ein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhe. Der Kläger rügt mit seinem Vorbringen, das LSG sei seiner Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts nicht in der erforderlichen Weise nachgekommen, einen Verstoß gegen § 103 SGG. Es fehlen allerdings Ausführungen dazu, welche Beweisanträge er gestellt hat, denen das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist ( § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, vgl dazu BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 ). Aus den Akten ergibt sich zudem, dass der in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger dort keinen Beweisantrag gestellt oder aufrechterhalten hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels ( § 154 Abs 2 VwGO ). Er hat gemäß § 162 Abs 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und zu 2. zu tragen, da diese sich auf Veranlassung des BSG hin zur Frage der Zulassung der Revision eingehend geäußert haben ( vgl BVerwG, Beschluss vom 31. Oktober 2000, NVwZ-RR 2001, 276 = Buchholz 310 § 162 VwGO Nr 36, mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl 2005, § 162 RdNr 23 ). Die Festsetzung des Streitwerts bleibt wegen der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zum Umfang des wirtschaftlichen Interesses einem gesonderten Beschluss vorbehalten.
Fundstellen