Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
1) Beklagte und Revisionsbeklagte, 2) Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der Klägerin sind seit Januar 1973 als Sozialhilfeträgerin Kosten entstanden, die sie gegenüber der im Jahre 1929 geborenen, am 8. Juli 1981 verstorbenen Frau Erna B…, der früheren Beigeladenen zu 1) - Frau B. - im Rahmen der gewährten Krankenhilfe aufgewendet hat. Streitig ist, ob ihr die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse -AOK- (Beklagte zu 2) oder die beklagte Betriebskrankenkasse -BKK- (Beklagte zu 1) diese Kosten nach § 1531 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu erstatten hat.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zu 1) antragsgemäß mit der Begründung verurteilt, daß diese als letzter Versicherungsträger, nachdem Frau B. vom 10. bis 13. August 1970 als Röhrenlegerin bei der Firma S. in M. versicherungspflichtig gearbeitet habe und seit Mai 1972 eine im April 1972 beantragte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beziehe, für die Durchführung der Rentnerkrankenversicherung (nach den §§ 315a, 165 Abs. 1 Nr. 3, 257a Abs. 1 RVO) zuständig sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und anstelle der Beklagten zu 1) -BKK- die Beklagte zu 2) -AOK-, bei der Frau B. während ihrer Tätigkeit vom 8. bis 31. Juli 1970 als Toilettenfrau pflichtversichert war, zum Kostenersatz verurteilt. Das LSG hat das Urteil damit begründet, daß entgegen der Ansicht des SG es sich bei der Tätigkeit vom 10. bis 13. August 1970 um einen mißglückten Arbeitsversuch gehandelt habe und demnach kein Pflichtversicherungsverhältnis entstanden sei. Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Beklagte zu 2) die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie hält die Geltendmachung eines mißglückten Arbeitsversuches, nachdem seit der Arbeitsleistung (August 1970) über 21 Monate vergangen seien, für unzulässig. Indem das LSG dem Gutachten des Prof. Dr. H. D. gefolgt sei und angenommen habe, daß Frau B. wegen fehlender sozialer Anpassungsfähigkeit und Ausdauer und wegen Ungeschicklichkeit arbeitsunfähig gewesen sei, habe es auch die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Das LSG habe Prof. Dr. D. auch nicht zum Sachverständigen ernennen dürfen, nachdem er schon vor dem Klageverfahren als Gutachter gehört worden sei und eine Arbeitsunfähigkeit angenommen habe.
Die Beklagte zu 2) beantragt,das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. November 1979 - L 4 Kr 71/77 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zu 1) zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 1) beantragt,die Revision der Beklagten zu 2) zurückzuweisen.
Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend. Für die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen. Der Beigeladene (…) hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet.
Die Verfahrensrügen der Beklagten zu 2) greifen nicht durch. Soweit sie die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, nämlich die Würdigung des Sachverständigengutachtens angreift, hat sie nicht hinreichend begründet, inwiefern das LSG die Grenzen der freien richterlichen Überzeugung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) überschritten haben soll. Soweit sie darüber hinaus die Ernennung des Prof. Dr. D. zum Sachverständigen rügt, hat sie ebenfalls nicht dargetan, welche Rechtsnorm dadurch verletzt worden sein soll (§§ 162, 164 Abs. 2 Satz 1, § 550 Zivilprozeßordnung -ZPO-), ganz abgesehen davon, daß sich die Beklagte zu 2) im Berufungsverfahren rügelos auf die Ernennung des Sachverständigen und auf sein Gutachten eingelassen und damit das Rügerecht insoweit verloren hat (§ 202 SGG, §§ 558, 295 ZPO; vgl. BSGE 4, 60, 64; SozR 2000 § 368 n RVO Nr. 3). Eine weitere Begründung erscheint insoweit nicht erforderlich (vgl. § 170 Abs. 3 Satz 1 SGG). Der Senat hat daher in vollem Umfang von den durch das Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen auszugehen (§ 163 SGG).
Das regelmäßig mit Beginn der Beschäftigung entstehende Versicherungsverhältnis, das der Krankenhilfeanspruch nach § 182 RVO zur Voraussetzung hat, kommt dann nicht zur Entstehung, wenn der Arbeitnehmer eine Beschäftigung aufnimmt, zu deren Ausübung er wegen seines bereits bei der Arbeitsaufnahme bestehenden schlechten Gesundheitszustandes nicht fähig war und die endet, bevor es zu einer Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert kam (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl. Januar 1981, Anm. 5.1 zu § 165 RVO m.w.N.). Diese Voraussetzungen lagen, wie sich aus den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG ergibt, bei Frau B. hinsichtlich ihrer vom 10. bis 13., August 1970 bei der Beklagten zu 1) ausgeübten Tätigkeit vor.
Frau B. hat daher einen Krankenhilfeanspruch, da ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gar nicht entstanden ist, jedenfalls nicht durch diese als solche erworben.
Der Tatbestand der Verwirkung liegt hier nicht vor. Zwar sind die im Privatrecht entwickelten Grundsätze der Verwirkung auch im öffentlichen Recht anwendbar (BSGE 47, 194, 196 m.w.N.). Die Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung unterscheidet sich vom Ausschluß von Rechten durch bloßen Zeitablauf wegen Verjährung oder Versäumnis von Ausschlußfristen dadurch, daß es sich bei ihr in erster Linie um Fälle einer illoyalen Verspätung der Geltendmachung des Rechts handelt (BSG a.a.O.); die Verwirkung setzt daher begrifflich einen Anspruch voraus, der nicht mehr durchsetzbar ist, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (BSGE 50, 227, 230 m.w.N.). Auch in den Fällen, wo eine Verwirkung ohne Relevanz des Zeitmoments allein wegen pflicht- oder ehrwidrigen Verhaltens eintritt, handelt es sich um den Verlust eines Rechts i.S. eines Anspruchs. Im vorliegenden Fall macht die Beklagte zu 1) aber keinen Anspruch bzw. kein Gestaltungsrecht geltend; mit ihrer Einwendung des mißglückten Arbeitsversuchs hat sie vielmehr lediglich Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, die Entstehung des Versicherungsverhältnisses und damit auch des Krankenhilfeanspruchs zu hindern.
Es kann daher hier nur um die Frage gehen, ob der Frau B. durch eine rechtserzeugende Erwirkung - dem Gegenstück zur rechtsbeschränkenden Verwirkung - ein Anspruch zugewachsen ist. Ein Anspruch kann dann erwirkt werden, wenn eine Leistung längere Zeit erbracht wurde und besondere Umstände vorliegen, die das Vertrauen auf die Fortsetzung der Leistung als schutzwürdig erscheinen lassen (vgl. dazu Palandt, a.a.O., Anm. 3 e zu § 116; Schwankhart, Der Vertrauensschutz und seine Rechtsgrundlage in der Leistungsverwaltung, BArbBl. 1965, 287 ff.; BAGE 5, 45, 46). Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht erfüllt, da die Beklagte zu 1) keine Versicherungsleistungen für Frau B. erbracht hat. Nachdem Frau B. nur vier Tage bei der Beklagten zu 1) beschäftigt war, kommt auch nicht der Vertrauenstatbestand des § 213 RVO in Betracht, wonach (erst) bei dreimonatiger unbeanstandeter Inanspruchnahme der Beiträge die satzungsmäßigen Leistungen trotz Fehlens der Versicherungspflicht und der Versicherungsberechtigung zu gewähren sind. Da die Beklagte zu 1) den Einwand des mißglückten Arbeitsversuchs unstreitig innerhalb kurzer Zeit nach dem ersten Leistungsbegehren der Frau B. (Mai 1972) erhoben hat, kann ein Vertrauensschutz auch nicht auf diesen Zeitablauf gestützt werden.
Fraglich bleibt daher nur, ob bei Frau B. ein Versicherungsverhältnis allein dadurch entstanden ist, weil die Beklagte zu 1) zwischen dem Ende der Beschäftigung (13. August 1970) und dem ersten Leistungsantrag der Frau B. (Mai 1972) insoweit untätig geblieben ist, als sie die Frau B. nicht darüber informierte, daß sie deren Tätigkeit als mißglückten Arbeitsversuch ansehe und entsprechende Versicherungsleistungen ablehnen werde. Die Beklagte zu 1), die nach den Feststellungen des LSG keinerlei Anschein für das Bestehen eines Krankenversicherungsschutzes der Frau B. gesetzt hatte, war als Versicherungsträger hierzu aber nicht verpflichtet. Sie mußte, mit anderen Worten, die Kürze der Tätigkeit der Frau B. nicht zum Anlaß nahmen, Untersuchungen über das Vorliegen eines mißglückten Arbeitsversuches anzustellen und eine entsprechende Feststellung mitzuteilen. Eine solche Rechtspflicht ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinne des Gesetzes. Frühere Ausführungen des Senats dahin, daß Feststellungen darüber, ob die Arbeitsunfähigkeit von Anfang an bestanden habe, noch Innerhalb angemessener Zeit im Nachhinein getroffen werden könnten (vgl. die Urteile des Bundessozialgerichts -BSG-: vom 16. Oktober 1968 - 3 RK 8/65 - SozR Nr. 61 zu § 165 RVO; vom 10. November 1970 - 3 RK 94/67 - SozR Nr. 63 zu § 165 RVO; vom 4. Oktober 1973 - 3 RK 34/72 - SozR Nr. 75; vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 82/76 - SozR 2200 Nr. 33 zu § 165 RVO) stehen dem nicht entgegen; sie enthalten keinen Hinweis auf eine entsprechende rechtliche Verpflichtung. Eine rechtserzeugende Wirkung kann nur, wie ausgeführt, bei Tatbeständen einsetzen, die den Schutz des von der Gegenseite veranlaßten Vertrauens rechtfertigen. Durch bloßen Zeitablauf kann ein solcher Vertrauenstatbestand aber nicht entstehen. Das Vertrauen des Beschäftigten wird gerade dadurch geschützt, daß selbst beim Vorliegen einer von Anfang an bestehenden Arbeitsunfähigkeit ein Versicherungsverhältnis dann entsteht, wenn Arbeit innerhalb eines wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeitraums erbracht wurde (vgl. BSG, Urteil vom 22. Februar 1974 - 3 RK 30/73 - SozR 2000 Nr. 2 zu § 165: "die Versicherung wird jedoch wirksam, wenn der Beschäftigte eine wirtschaftlich ins Gewicht fallende Zeit gearbeitet hat und deshalb nach den Umständen des Falles darauf vertrauen darf, daß er durch seine Beschäftigung einen Versicherungsschutz erworben hat"). Ist ein solcher Vertrauensschutz aber deshalb zu verneinen, weil die geringe Beschäftigungsdauer kein entsprechendes Vertrauen schuf, dann kann durch bloßen Zeitablauf, also ohne ein Verhalten der Kasse, bei dem auf ein bestehendes Versicherungsverhältnis vertraut werden durfte, jenes Fehlen eines Vertrauens-Grundtatbestandes nicht wieder zu einem Ausgleich gebracht werden.
Das LSG ist daher zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß Frau B. nicht bei der Beklagten zu 1), sondern bei der Beklagten zu 2), der Trägerin der Rentnerkrankenversicherung aufgrund der Beschäftigung der Frau B. im Juli 1970, versichert war und daher nicht die Beklagte zu 1), sondern die Beklagte zu 2) zur Kostenerstattung nach § 1531 RVO gegenüber der Klägerin verpflichtet ist; das LSG hat bindend festgestellt, daß die tatsächlichen Voraussetzungen eines Versicherungsverhältnisses hier vorgelegen haben.
Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben; sie war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518322 |
BSGE, 257 |
Breith. 1983, 657 |