Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kosten für Krankenhauspflege
Beteiligte
Stadt Zweibrücken - Rechtsamt -, Zweibrücken, Herzogstraße 1, Klägerin und Revisionsbeklagte |
Allgemeine Ortskrankenkasse Westpfalz, Pirmasens, Bahnhofstraße 28 - 30 |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse (AOK) der klagenden Stadt Kosten für die Krankenhauspflege der inzwischen verstorbenen Beigeladenen zu erstatten hat.
Die im März 1939 geborene und am 19. Dezember 1990 verstorbene Beigeladene (künftig: Frau H) war seit 1968 bei der Beklagten als Rentnerin krankenversichert. Seit 1973 hielt sie sich ununterbrochen in der Nervenklinik K (jetzt: Pfalzklinik L ) auf. Vom 17. Februar 1980 bis zum 31. Mai 1983 wurde sie dort wegen einer schweren extrapyramidalen Symptomatik mit erheblicher körperlicher Behinderung in der psychiatrischen Abteilung behandelt. Für diesen Zeitraum berechnete die Pfalzklinik L Kosten in Höhe von 149.345,69 DM, die das Landesamt für Jugend und Soziales (künftig: LA) als überörtlicher Träger der Sozialhilfe im Wege der Sozialhilfe zahlte. Der Betrag umfaßte auch die Kosten für eine im Krankenhaus Bad B durchgeführte ambulante Behandlung in Höhe von 171,75 DM.
Mit den Schreiben vom 16. und 22. Juni 1983 machte die Klägerin (örtlicher Träger der Sozialhilfe) einen Erstattungsanspruch von 149.345,69 DM bei der Beklagten geltend und führte dazu aus, die Kosten seien irrtümlich vom LA übernommen worden. Die Beklagte lehnte die Erstattung der Kosten ab und wies darauf hin, daß der Klägerin bereits aus früheren Vorgängen die Krankenversicherung von Frau H bekannt gewesen sei.
Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Speyer vom 28. April 1986). Mit Urteil vom 19. März 1987 hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz die Entscheidung des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin lediglich 113.856,54 DM zu zahlen, weil der Erstattungsanspruch bis zum 31. Dezember 1980 verjährt sei. Mit Urteil vom 9. Dezember 1987 hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen,
weil Frau H notwendig zum Verfahren hätte beigeladen werden müssen. Nach deren Beiladung hat das LSG mit Urteil vom 9. Juni 1989 seine Entscheidung vom 19. März 1987 wiederholt. Das BSG hat das Urteil des LSG abermals insoweit aufgehoben, als der Klage stattgegeben worden war, und hat wegen fehlender Feststellungen zur Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Auch im Urteil des LSG vom 4. Juli 1991 wurden die Vorentscheidungen bestätigt: Frau H habe für den Zeitraum vom 17. Februar 1980 bis zum 31. Mai 1983 einen Anspruch auf stationäre Krankenhauspflege nach § 184 Reichsversicherungsordnung (RVO) gehabt. Aufgrund des psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. D , Leitender Oberarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie der psychiatrischen Klinik und Poliklinik der R -K -Universität H , stehe fest, daß die Behandlung nur stationär in einem Krankenhaus mit ständiger ärztlicher Präsenz möglich gewesen sei. Zwar habe durch diese stationäre Behandlung keine nachhaltige Besserung erzielt werden können. Aus dem Gutachten des Sachverständigen ergebe sich aber, daß die Krankheit dadurch vorübergehend gebessert, jedenfalls zeitweise eine Verschlimmerung habe verhütet werden können. Dies wäre bei einer ambulanten Behandlung oder bei einem Aufenthalt in einem Pflegeheim unter gelegentlicher Hinzuziehung eines Notarztes nicht möglich gewesen. Der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei auch nicht durch Ablauf der Ausschlußfristen gemäß § 111 SGB X bzw § 1539 RVO aF erloschen. Da die Erstattungsvorschriften des SGB X erst am 1. Juli 1983 in Kraft getreten seien, habe auch die Ausschlußfrist des § 111 SGB X frühestens ab diesem Zeitpunkt beginnen können. Der Erstattungsanspruch sei aber bereits im Juni 1983 dem Grunde und der Höhe nach geltend gemacht worden. Auch die Frist der bis zum 30. Juni 1983 gültig gewesenen Vorschrift des § 1539 RVO aF habe nicht beginnen können, solange Frau H noch unterstützt worden sei. Da die Unterstützung erst mit der Entlassung von Frau H aus der stationären Behandlung, dh zum 31. Mai 1983, geendet habe, sei die Anmeldung des Erstattungsanspruchs im Juni 1983 fristgerecht gewesen.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision macht die Beklagte geltend, für den Begriff "Ablauf der Unterstützung" iS von § 1539 RVO aF komme es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht auf den Tag der Entlassung aus einer stationären Behandlung, sondern jeweils auf den Tag der Bezahlung der Teilkosten an. Daher hätte das LSG Feststellungen darüber treffen müssen, für welche Zeiträume und in welcher Höhe Abschlagszahlungen erfolgt seien. Bezüglich der möglicherweise noch nicht erloschenen Teilerstattungsansprüche stehe ihr, der Beklagten, nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ein Leistungsverweigerungsrecht zu: Nach der Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 17. Juli 1985 (BSGE 58, 263 ff) sei ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der erstattungsberechtigte Leistungsträger vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Rechtsnormen oder schutzwürdige Interessen anderer verstoßen habe. Da der Klägerin die Kassenmitgliedschaft von Frau H seit langem bekannt gewesen sei und sie sich nahezu dreieinhalb Jahre nicht um die Feststellung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers bemüht habe, liege ein Verstoß gegen die Pflicht der Leistungsträger zur engen Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) vor. Dadurch habe sie, die Beklagte, nicht auf die Leistungsgewährung Einfluß nehmen können.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Juli 1991 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28. April 1986 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, |
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hilfsweise, |
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unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. |
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht angenommen, daß die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, der Klägerin den streitigen Betrag zu erstatten.
Für den streitigen Erstattungsanspruch sind die §§ 102 ff SGB X maßgeblich. Gemäß Art II § 21 des SGB X vom 4. November 1982 (BGBl I S 1450) sind bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften des SGB X zu Ende zu führen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gilt dies für vor dem 1. Juli 1983 erhobene Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander, die - wie hier - noch nach dem 30. Juni 1983 Gegenstand eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens sind (so zB: BSGE 56, 69 ff; 57, 218, 219; 58, 119, 120; 58, 263 ff; 65, 31 ff; BSG SozR 1300 § 104 Nr 11; BSG SozR 1300 § 111 Nr 2).
Der Erstattungsanspruch des klagenden Sozialhilfeträgers hat seine Rechtsgrundlage in § 104 SGB X. In § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X sind die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs eines nachrangig verpflichteten Leistungsträgers, der Leistungen erbracht hat, gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger normiert. Krankenhilfe in der Form der Krankenhauspflege gehört sowohl zum originären Aufgabenbereich der Sozialhilfe (§§ 1, 37 Bundessozialhilfegesetz [BSHG]) als auch zu dem der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 182, 184 RVO, jetzt: §§ 27 S 1 Nr 5, 39 SGB V). Es handelt sich dabei um (nahezu) identische (nicht: zweckidentische) Leistungen, wobei sich der Nachrang der Sozialhilfe gegenüber den Leistungen der Krankenversicherung aus dem in § 2 Abs 2 BSHG niedergelegten Grundsatz der Systemsubsidiarität ergibt (BSG SozR 1300 § 104 Nrn 6, 7; zur Abgrenzung gegenüber § 102 SGB X: BSG SozR 1300 § 102 Nr 1; BSG SozR 2200 § 182b Nr 32; gegenüber § 103 SGB X: BSGE 57, 146, 148; gegenüber § 105 SGB X: BSG SozR 1300 § 105 SGB X Nr 1).
Hinsichtlich der in § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X geforderten - und während des Verfahrens durch die Beklagten in Zweifel gezogenen - Gleichartigkeit der Leistungen ergeben sich keine Bedenken. Zwar ist den Feststellungen des angefochtenen LSG-Urteils nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Leistungsart nach dem BSHG das LA die Kosten für die Krankenhauspflege getragen hat (Eingliederungshilfe gemäß § 40 BSHG oder Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG). Darauf kommt es jedoch nicht an. Ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X wird bereits dann ausgelöst, wenn der erstleistende Träger eine Verpflichtung des in Anspruch genommenen zweiten Trägers erfüllt hat (vgl BSGE 57, 218, 219 mwN). Dazu reicht es aus, wenn die krankenversicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen auf Krankenhauspflege (§ 184 RVO) erfüllt sind (vgl BSG SozR 2200 § 182b Nr 32 RVO; BSGE 48, 253 ff bzw § 103 SGB X; Schellhorn in v. Maydell/Schellhorn GK-SGB X § 104 Rz 31). Dies war der Fall: Nach der hier noch maßgeblichen Vorschrift des § 184 Abs 1 Satz 1 RVO ist Krankenhauspflege dann zu gewähren, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, um die Krankheit zu erkennen, zu behandeln oder die Krankheitsbeschwerden zu lindern. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift muß die Krankenhauspflege nicht unbedingt zur Heilung der Krankheit führen. Es genügt, wenn eine Verschlimmerung verhütet und die Krankheitsbeschwerden gelindert werden konnten (BSGE 28, 199, 201; 47, 83 ff; BSG USK 84 53; BSG USK 80 211; BSG USK 85 141). Diese Voraussetzung ist nach den Feststellungen des LSG erfüllt und auch zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig.
Die Krankheit der verstorbenen Beigeladenen konnte auch nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses behandelt werden. Denn es war nicht möglich, sich auf eine ambulante Behandlung unter gelegentlicher Hinzuziehung eines Notarztes zu beschränken. Vielmehr wurde nach den unangefochtenen Tatsachenfeststellungen des LSG ein jederzeit rufbereiter Arzt bei der laufenden Behandlung benötigt (vgl BSGE 59, 116 ff; BSG USK 85 141 mwN). Die neben dem schizophrenen Defektzustand auftretenden psychotischen Exazerbationen - mit verstärkter Wahnproduktivität und fremdaggressiven Verhaltensweisen - machten eine ständige - nur durch einen Arzt vorzunehmende - Anpassung der medikamentösen Behandlung erforderlich. Als besonderes Problem erwiesen sich dabei die nicht kalkulierbaren Nebenwirkungen der Medikamente, die ebenfalls eine ständige ärztliche Überwachung erforderten.
Der Anspruch gemäß § 184 RVO scheitert schließlich nicht daran, daß Frau H vor und nach der Krankenhauspflege in der Pfalzklinik L als Pflegebedürftige untergebracht war. Wenn die Krankheit einer Behandlung mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses bedarf, wird der Anspruch auf Krankenhauspflege nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Versicherte zugleich aus anderen Gründen (zB zur Pflege) untergebracht war (BSG USK 85 141).
Der Erstattungsanspruch ist weder nach § 111 SGB X noch nach § 1539 RVO aF ausgeschlossen. Für noch nicht erloschene Erstattungsansprüche begann die Ausschlußfrist des § 111 SGB X frühestens mit dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Juli 1983 (st Rspr, zB: BSG SozR 1300 § 111 Nr 1, 2; BSG USK 86 128). Die Klägerin hat jedoch ihren Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten bereits im Juni 1983 geltend gemacht. Auch nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 1539 RVO aF (vgl BSG Urteil vom 28. November 1990 - 5 RJ 50/89 -) war der Erstattungsanspruch für den streitigen Zeitraum nicht ausgeschlossen. Danach erlischt der Erstattungsanspruch, wenn er nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Unterstützung geltend gemacht wird. Die Unterstützung idS endete jedoch nicht, wie das LSG meint, bereits mit der Entlassung aus der stationären Behandlung, sondern erst mit der Bezahlung der Kosten (BSG SozR 1300 § 111 Nrn 1, 3; BSG SozR Nr 3 zu § 1539 RVO). Dies gilt sogar dann, wenn der Hilfeempfänger bereits verstorben ist und die Krankenhauskosten erst nachträglich bezahlt worden sind (BSG SozR Nr 19 zu § 1531 RVO).
Dabei ist allerdings nicht, wie die Revision meint, auf die jeweiligen Teilzahlungen an das Krankenhaus, sondern auf den Zeitpunkt der Schlußzahlung abzustellen. Denn der Begriff der Unterstützung iS von § 1539 RVO aF umfaßt alle laufenden Zahlungen einer Dauerleistung (BSG SozR 1300 § 111 Nr 3 S 12; vgl Jung Verjährung, Ausschluß und Verwirkung von sozialrechtlichen Ansprüchen, ZfSH 1988, 16, 19, mwN; WzS 1961, 373 [Rechtsauskünfte aus der Sozialversicherung]). Zwar hat das BSG bei der Anwendung des § 1539 RVO aF ein Interesse der Krankenkassen anerkannt, nicht noch nach Ablauf von Jahren der Geltendmachung von Ersatzansprüchen ausgesetzt zu sein. Diesem steht aber das gleichrangige Interesse der ersatzberechtigten Sozialhilfeträger an einer ausreichenden Sicherung ihrer Ersatzansprüche gegenüber (BSGE SozR Nr 3 zu § 1539 RVO). Auch in einer Entscheidung zum Kindergeldrecht wurde das Ende der Unterstützung erst mit der letzten Zahlung angenommen, obwohl sich seit der ersten Zahlung die Zuständigkeit des Sozialleistungsträgers und sogar die Leistungsart geändert hatten. Zwar habe - wie es in dieser BSG-Entscheidung heißt - § 1539 RVO aF (iVm § 1541a RVO aF) den Zweck, dem leistungspflichtigen Träger innerhalb einer angemessenen Frist Kenntnis von denjenigen Fällen zu geben, in denen der Fürsorgeträger als subsidiär Leistungspflichtiger Versicherte unterstützt hat. Eine solche Kenntnis sei jedoch nicht auch schon für Teilabschnitte einer fortlaufenden Unterstützung notwendig (BSG Urteil vom 15. Juli 1969 - 1/12 RK 454/67 -).
Auch eine Auslegung nach den Grundsätzen der authentischen Interpretation des Gesetzgebers im Hinblick auf den durch § 111 SGB X neu normierten Fristbeginn führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist es möglich, aus einer späteren Maßnahme des Gesetzgebers Rückschlüsse für die Gesetzesauslegung zu ziehen, etwa wenn durch die spätere Regelung deutlich wird, was der Gesetzgeber mit einer älteren Einzelregelung beabsichtigt hatte (BSGE 58, 243, 248 mwN). Dagegen sind Rückschlüsse vom neuen auf das alte Recht dann ausgeschlossen, wenn der Gesetzgeber einen an sich schon bekannten Sachverhalt neu bewertet und dementsprechend gegenüber dem alten Recht eine abweichende Grenze zieht (BSGE 68, 228, 233). So liegt es hier. Nach § 111 SGB X beginnt die Ausschlußfrist nach Ablauf des Tages, für den die Leistung erbracht wurde. Dabei handelt es sich um eine bewußt von § 1539 RVO aF abweichende Regelung (vgl BSGE 65, 27, 30), mit der der Gesetzgeber rasch klare Verhältnisse über das Bestehen einer Erstattungspflicht schaffen wollte. Dabei ging er davon aus, daß bis zur Einführung des § 111 SGB X aufgrund von § 1539 RVO aF mit der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs unbegrenzte Zeit gewartet werden durfte (BT/Drucks 9/95, S 26 zu § 117 SGB X des Gesetzentwurfs). Auch in diesem Zusammenhang kommt der rückwirkenden Einführung des Systems der §§ 102 ff durch Art II § 21 SGB X keine Bedeutung zu, da der Gesetzgeber hiervon die Frist des § 111 SGB X ausdrücklich ausgenommen hat (BSG USK 86 128).
Dem Leistungsbegehren der Klägerin stehen schließlich auch nicht die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen. Insbesondere ist der Anspruch nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist grundsätzlich auch im Verhältnis von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern nicht ausgeschlossen (BSG SozR 2200 § 165 Nr 66 S 94; BSG SozR KVdR Art 2 § 6 Nrn 3, 4 mwN). Danach entfällt eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (BSGE 35, 91, 95; 47, 194 ff; BSG USK 89 64). Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, daß dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, daß das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), daß ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSGE 47, 194; BVerwGE 44, 339, 343 f).
Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem Verwirkungsverhalten. Denn bloße Untätigkeit reicht regelmäßig nicht aus (BSGE 7, 199, 200). Vielmehr ist ein konkretes Verhalten des Gläubigers erforderlich, aus dem geschlossen werden kann, daß von dem Recht kein Gebrauch mehr gemacht werden wird (BSGE 47, 194, 197; 50, 227, 230). Ein solcher Schluß ist aber nicht schon gerechtfertigt, wenn eine Erstattung bislang nur deshalb nicht verlangt wurde, weil den Beteiligten - wie hier - die wahre Rechtslage nicht bekannt war (BSG SozR 2200 § 165 Nr 66). Das LA hat niemals - auch nicht andeutungsweise - zu erkennen gegeben, daß es von der Anmeldung eines Erstattungsanspruchs absehen würde.
Daß der zuständige Sachbearbeiter die Mitgliedschaft von Frau H bei der Beklagten übersehen hat, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die Verwirkung kann dem Gläubiger nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen und bei einem besonders schweren Pflichtenverstoß entgegengehalten werden (Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch [BGB], 50. Aufl, § 242 Rz 46). Dies gilt in besonderem Maße für das Erstattungsverfahren zwischen zwei Sozialleistungsträgern, da es für die Entstehung und das Erlöschen eines Erstattungsanspruchs grundsätzlich nicht auf Verschulden ankommt. Daher ist es für den Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ohne Bedeutung, ob der nachrangig verpflichtete Leistungsträger sein Eintreten deshalb nicht vermieden hat, weil er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Erfüllung des Leistungsanspruchs durch den vorrangigen Leistungsträger bemüht hat (BSG SozR 1300 § 111 Nr 1 S 2).
Zwar hat der erkennende Senat im Rahmen des § 105 SGB X einen Verstoß gegen Treu und Glauben im Einzelfall angenommen, wenn der erstattungbegehrende Leistungsträger sich bei der Gewährung der Leistungen an den Berechtigten bewußt über seine Zuständigkeit hinweggesetzt und seine Leistung offensichtlich entgegen der Sach- und Rechtslage erbracht oder in sonstiger Weise vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Rechtsnormen oder schutzwürdige Interessen anderer verstoßen hat (BSGE 58, 263, 274 f). Wollte man jedoch bereits bei jedem Irrtum über die Zuständigkeit den Erstattungsanspruch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ausschließen, wäre für die Anwendung des § 105 SGB X kein Raum mehr. Daher kann die Verwirkung eines Erstattungsanspruchs nur bei einem außergewöhnlich schweren Fehlverhalten des Leistungsträgers, der die Erstattung verlangt, in Betracht kommen. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Dafür,
daß die Klägerin sich bewußt über die gesetzliche Zuständigkeitsordnung hinweggesetzt hätte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Sie hat aber auch nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen schutzwürdige Interessen der Beklagten verstoßen. Insbesondere läßt sich dies nicht daraus ableiten, daß dem LA die Rentnerkrankenversicherung (KVdR) von Frau H aus anderen Vorgängen hätte bekannt sein können. Selbst wenn sich das LA die Kenntnis des örtlichen Trägers von der KVdR der Frau H zurechnen lassen müßte, konnte das LA nach der seinerzeit bestehenden Rechtslage und Auslegungspraxis zu § 1539 RVO aF davon ausgehen, daß - jedenfalls bis zum Ablauf der Unterstützung - ein möglicherweise bestehender Erstattungsanspruch nicht erlöschen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen