Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Höhe des Regelbedarfs. volljähriger erwerbsfähiger Hilfebedürftiger vor Vollendung des 25. Lebensjahrs. Zusammenleben mit nicht erwerbsfähigem Elternteil. Regelbedarf für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft. Bemessung des Mehrbedarfs für werdende Mütter nach dem maßgebenden Regelbedarf. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Berechnung des Mehrbedarfs für werdende Mütter ausgehend von dem für die Schwangere persönlich maßgebenden Regelbedarf ist verfassungsgemäß.
Orientierungssatz
Da der Gesetzgeber die Bedarfsgemeinschaft im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 7 Abs 3 Nr 2 und 4 SGB 2 auf volljährige Kinder erweitert hat, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, muss dies systemgerecht auch für die Alleinerziehung iS des § 20 Abs 2 S 1 SGB 2 gelten mit der Folge, dass die unter 25-jährigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gem § 20 Abs 2 S 2 Nr 2 SGB 2 nur den reduzierten Regelbedarf erhalten.
Normenkette
SGB 2 § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nrn. 1-2, § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 2 S. 1 Fassung: 2011-05-13, S. 2 Nr. 2 Fassung: 2011-05-13, § 21 Abs. 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2014 geändert und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31. Januar 2013 insgesamt zurückgewiesen.
Kosten sind für alle Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist die Höhe des der Klägerin zustehenden Regelbedarfs und ihres Mehrbedarfs für werdende Mütter noch für Juni 2011.
Die am 1986 geborene Klägerin lebte in einem Haushalt mit ihrem Vater, der erwerbsgemindert war. Die beklagte Stadt bewilligte der Klägerin und ihrem Vater Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wobei der Vater als Sozialgeld den vollen Regelbedarf, der sich ab Januar 2011 auf 364 Euro belief, und die Klägerin einen Regelbedarf als sonstige erwerbsfähige volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft von zuletzt 291 Euro sowie einen Mehrbedarf wegen ihrer ab dem 1.1.2011 in der 13. Woche bestehenden Schwangerschaft im Hinblick auf diesen Regelbedarf in Höhe von 49 Euro erhielt (Bescheide vom 29.3.2011 in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheids vom 5.7.2011). Ausgehend von dem errechneten voraussichtlichen Entbindungstermin am 29.6.2011 wurde der Klägerin für den Monat Juni 2011 hinsichtlich des Mehrbedarfs nur ein entsprechender Teilbetrag bewilligt. Der Sohn der Klägerin wurde am 2011 geboren, der zusätzliche Mehrbedarf bis zum 30.6.2011 wurde in einem weiteren Bewilligungsbescheid vom 19.7.2011 berücksichtigt. Ab der Vollendung des 25. Lebensjahres am 5.7.2011 erhielt die Klägerin den begehrten vollen Regelbedarf.
Die auf Zahlung des vollen Regelbedarfs von 364 Euro und eines daraus abgeleiteten Schwangerschaftsmehrbedarfs von 62 Euro gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 31.1.2013). Das LSG hat nach Zulassung der Berufung das Urteil des SG geändert (Urteil vom 18.12.2014). Hinsichtlich eines höheren Regelbedarfs hat es die Berufung unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 19.10.2010 zurückgewiesen (B 14 AS 51/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 23). Hinsichtlich der Höhe des Schwangerschaftsmehrbedarfs hat es die Beklagte verurteilt, der Klägerin 62 Euro pro Monat zu zahlen. Ein aus dem jeweiligen Regelbedarf der Schwangeren abgeleiteter, unterschiedlich hoher Mehrbedarf verstoße gegen den Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 GG.
Klägerin und Beklagte haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Die Klägerin rügt eine Verletzung von § 134 Abs 2 Satz 1, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG. Das Urteil des LSG sei nicht mit Gründen versehen, auch wenn die Fünf-Monats-Frist gerade noch gewahrt worden sei, weil sich in der Akte keine Notiz über das Ergebnis der Beratungen finde und das Urteil unüblich aufgebaut sei. In der Sache rügt die Klägerin eine Verletzung des § 20 Abs 2 SGB II. Weil sie volljährig und erwerbsfähig gewesen sei, habe ihr der volle Regelbedarf von 364 Euro zugestanden. Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 21 Abs 2 SGB II, das LSG habe mit der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nicht aus dem der Klägerin zustehenden Regelbedarf, sondern aus dem vollen Regelbedarf die Grenzen einer zulässigen Auslegung überschritten.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten sich durch einen Vergleich für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.5.2011 der Entscheidung des Senats für den Juni 2011 unterworfen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2014 zu ändern, das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 19. Juli 2011 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld II - ohne Leistungen für die Unterkunft und Heizung - unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs in Höhe von 364 Euro und eines Mehrbedarfs für werdende Mütter in Höhe von 62 Euro für den Juni 2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2014 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31. Januar 2013 insgesamt zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG), denn weder liegt der von ihr gerügte Verfahrensmangel vor, noch hat sie Anspruch auf einen höheren als den ihr von der Beklagten gewährten Regelbedarf von 291 Euro. Auf die zulässige Revision der Beklagten hingegen ist das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insgesamt zurückzuweisen, soweit sie einen höheren als den bewilligten Mehrbedarf für werdende Mütter von 49 Euro begehrt hat (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
1. Gegenstand der Revisionsbegehren sind die Urteile der Vorinstanzen sowie (nur noch) der Bescheid der Beklagten vom 19.7.2011, mit dem sie der Klägerin Alg II unter Zugrundelegung des Regelbedarfs für eine sonstige erwerbsfähige, volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft sowie einen Mehrbedarf für werdende Mütter für den gesamten Monat Juni 2011 gewährt hat. Die zuvor ergangenen Bescheide für Juni 2011 haben sich durch diesen letzten umfassenden Bewilligungsbescheid erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Die Klägerin hat ihr Begehren in zulässiger Weise auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne solche für die Unterkunft und Heizung beschränkt (vgl nur BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 ff) und verfolgt es zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).
2. Die Stadt R., die den angefochtenen Bewilligungsbescheid erlassen hat, ist die richtige Beklagte, denn der Kreis S. als zugelassener kommunaler Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat ihr nach § 6a SGB II die Durchführung der ihm obliegenden Aufgaben bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen (Wahrnehmungszuständigkeit, siehe BSG Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R - BSGE 117, 186 = SozR 4-4200 § 7 Nr 39, RdNr 9). Demgemäß war der Kreis S. nicht notwendig beizuladen.
3. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung von § 134 Abs 2 Satz 1, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG wegen eines nicht mit Gründen versehenen Urteils iS eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 Satz 1 iVm § 547 Nr 6 ZPO ist nicht gegeben. Bei § 134 Abs 2 Satz 1 SGG, der eine Frist von einem Monat für die schriftliche Abfassung eines Urteils vorsieht, handelt es sich um eine Soll- und Ordnungsvorschrift, deren Verletzung keinen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel darstellt (siehe nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 134 RdNr 3 f). Eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG scheidet bereits deshalb aus, da die von der Klägerin vorgebrachte Beanstandung der verspäteten Absetzung des Urteils des LSG nach ihrem eigenen Vortrag nicht gegeben ist, weil von der Verkündung bis zur endgültigen Abfassung des Urteils des LSG lediglich viereinhalb Monate vergangen waren und damit die äußerste Grenze für die vollständige Absetzung einer Entscheidung von fünf Monaten, nach deren Ablauf erst die Gefahr eines Auseinanderfallens zwischen Beratungsergebnis und Entscheidungsgründen gesehen wird, nicht überschritten worden ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 26.3.2001 - 1 BvR 383/00 - NJW 2001, 2161). Die weiteren Überlegungen der Klägerin darüber, wie das LSG bei der schriftlichen Ausarbeitung der Urteilsgründe vorgegangen sein mag und ob dieses Vorgehen "üblich" ist, können ebenfalls keinen Verfahrensfehler begründen.
4. In der Sache hat die Klägerin keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung im Juni 2011. Ein höherer als der durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 19.7.2011 zuerkannte Regelbedarf für sonstige erwerbsfähige, volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft steht ihr ebenso wenig zu wie ein höherer Mehrbedarf.
a) Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrten höheren Leistungen ist § 19 iVm §§ 7, 9 und 20 f SGB II in der hier anwendbaren Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 13.5.2011 (BGBl I 850). Die Klägerin erfüllte nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, denn sie ist am 1986 geboren, erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; ein Ausschlusstatbestand nach § 7 SGB II lag nicht vor.
b) Aufgrund der nicht gerügten Feststellungen des LSG bestand eine Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit ihrem Vater, mit dem sie zusammen in einem Haushalt lebte. Sie bildete als erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach § 7 Abs 3 Nr 1 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater als Person nach § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II, der ua die Einbeziehung von Eltern, Elternteilen und Elternteilpartnern durch das unverheiratete erwerbsfähige, unter 25jährige Kind in eine Bedarfsgemeinschaft regelt (siehe BSG Urteil vom 17.7.2014 - B 14 AS 54/13 R - BSGE 116, 200 = SozR 4-4200 § 7 Nr 37, RdNr 21 "Drei-Generationen-Bedarfsgemeinschaft"). Anhaltspunkte, die einer Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Vater entgegenstehen (vgl BSG Urteil vom 14.3.2012 - B 14 AS 17/11 R - BSGE 110, 204 = SozR 4-4200 § 9 Nr 10, RdNr 29, 26), sind weder den Feststellungen des LSG noch dem Revisionsvorbringen der Beteiligten zu entnehmen.
c) Ausgehend von der bestehenden Bedarfsgemeinschaft der damals unter 25jährigen Klägerin mit ihrem Vater steht ihr (nur) der Regelbedarf für sonstige erwerbsfähige, volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft nach § 20 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB II in Höhe von 291 Euro zu. Zwar ist die Klägerin die die Bedarfsgemeinschaft auslösende Person und nicht ihr nicht erwerbsfähiger, Sozialgeld beziehender Vater. Dieser wird jedoch für den Zweck der Zuweisung des Regelbedarfs als alleinerziehend behandelt, weil er mit einem unter 25jährigen Kind zusammenlebt. In dieser Konstellation gilt ein Elternteil weiterhin als alleinerziehend iS von § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II und erhält den vollen Regelbedarf. Dies folgt aus der historischen Entwicklung der Vorschrift, denn die Person des alleinerziehenden Elternteils als "Hauptleistungsberechtigter" war von Anfang an in der gesetzlichen Konzeption vorgesehen, lediglich waren die zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kinder auf Minderjährige beschränkt. Da der Gesetzgeber die Bedarfsgemeinschaft im Grundsicherungsrecht nach § 7 Abs 3 Nr 2, 4 SGB II auf volljährige Kinder erweitert hat, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, muss dies systemgerecht auch für die Alleinerziehung iS des § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II gelten mit der Folge, dass die unter 25jährigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gemäß § 20 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB II hier nur den reduzierten Regelbedarf von 291 Euro erhalten.
d) Verfassungsrecht steht dem nicht entgegen. Dass diese gesetzliche Konstruktion einer Bedarfsgemeinschaft mit Verfassungsrecht vereinbar ist, hat das BVerfG ausgeführt (Beschluss vom 27.7.2016 - 1 BvR 371/11 - juris). Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Bedarfsgemeinschaft im Grundsicherungsrecht nach § 7 Abs 3 Nr 2, 4 SGB II auf erwachsene (volljährige) Kinder zu erweitern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist sowohl mit Art 1 Abs 1 iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG als auch mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Dies gilt jedenfalls bei einer aus zwei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft für die Bestimmung existenzsichernder Leistungen auch dann, wenn bei dem erwachsenen Kind ein Regelbedarf von 80 % des vollen Regelbedarfs angesetzt und elterliches Einkommen und Vermögen berücksichtigt wird, auch wenn damit kein Unterhaltsanspruch korrespondiert (vgl BVerfG, aaO, RdNr 32). Die pauschale Bestimmung existenzsichernder Leistungen nach § 20 SGB II in Bedarfsgemeinschaften mit einem Elternteil und einem volljährigen, unter 25jährigen Kind mit insgesamt 180 % des entsprechenden Bedarfs zweier Alleinstehender und der Verteilung von 100 % auf den Elternteil und 80 % auf das Kind sind mit Blick auf das gemeinsame Wirtschaften "aus einem Topf" und den daraus resultierenden Einsparungen nicht zu beanstanden. Eine solche Bemessung des Regelbedarfs aufgrund des gemeinsamen Wirtschaftens in häuslicher Gemeinschaft ist als Orientierung von Sozialleistungen an der Bedürftigkeit im Sinne des sozialen Rechtsstaats gerechtfertigt. Auch ist der für die Klägerin anerkannte Regelbedarf für sonstige erwerbsfähige volljährige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft (80 % des vollen Regelbedarfs) nicht evident unzureichend (BVerfG, aaO, RdNr 41 ff mit Bezug auf BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 ≪244 ff, 255 f≫ = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 und 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34).
5. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf für werdende Mütter über den von der Beklagten bewilligten Mehrbedarf von 49 Euro monatlich hinaus.
a) Die Klägerin erfüllt die Voraussetzung des § 21 Abs 2 SGB II für einen Mehrbedarf dem Grunde nach, denn nach den Feststellungen des LSG hatte ausweislich einer vorgelegten fachärztlichen Bescheinigung die 13. Schwangerschaftswoche der Klägerin spätestens am 1.1.2011 begonnen. Nach der gesetzlichen Grundlage beträgt der Mehrbedarf 17 % des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Ausgehend von dem der Klägerin im Juni 2011 zustehenden Regelbedarf für eine sonstige erwerbsfähige, volljährige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 291 Euro hat die Beklagte ihren Mehrbedarf zutreffend bestimmt, weil der errechnete Betrag von 49,47 Euro abzurunden ist (§ 77 Abs 5 SGB II).
b) Der Sinngehalt der im Gesetzestext des § 21 Abs 2 SGB II verwendeten Wendung "des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs" ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der historischen Auslegung und der Systematik der Norm.
Der Wortlaut selbst ist eindeutig und bezieht sich auf den je nach der Lebenssituation der werdenden Mutter in § 20 Abs 2 bis 4 SGB II jeweils konkret bestimmten Regelbedarf (siehe nur S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 Nr 27; O. Loose in GK-SGB II, Stand Juli 2015, § 21 RdNr 8).
Dies entspricht auch dem Verständnis der Vorläufervorschriften. Die Bemessung des Mehrbedarfs nach dem jeweils maßgeblichen Regelbedarf ist seit Einführung des Mehrbedarfs für werdende Mütter in § 23 Abs 1 Nr 3 BSHG vom 30.6.1961 (BGBl I 815), mit dem erstmals ein Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf für werdende Mütter (damals 20 vH des maßgebenden Regelsatzes) geschaffen wurde, einheitlich im genannten Sinne ausgelegt worden. Dass der maßgebende Regelsatz je nach Lebenssituation unterschiedlich sein konnte, entsprach der allgemein geübten Praxis (vgl nur Hofmann in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 23 RdNr 21: Differenzierung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigem, ggf Verwendung eines Mischregelsatzes).
Diese Auslegung des Gesetzestextes entspricht auch der Systematik innerhalb des § 21 SGB II, denn dort wird - in unterschiedlicher Form - jeweils auf den nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarf Bezug genommen. Während diese maßgebliche Größe sich im Falle des § 21 Abs 2 SGB II wegen des Verweises insgesamt auf § 20 SGB II in dessen Abs 2, 3 oder 4 finden kann (siehe S. Knickrehm/Hahn, aaO, § 21 RdNr 26 f und RdNr 35), wird in § 21 Abs 3 SGB II konkret nur auf § 20 Abs 2 bzw in § 21 Abs 7 SGB II auf § 20 Abs 2 bis 4 sowie § 23 Nr 1 SGB II Bezug genommen. Im Gesamtgefüge ergibt sich daraus, dass aus der Nichterwähnung eines bestimmten Absatzes des § 20 SGB II in § 21 Abs 2 SGB II gefolgert werden muss, dass einerseits alle Absätze des § 20 SGB II gemeint sind und andererseits allen Mehrbedarfsregelungen gemeinsam ist, dass sie im Ansatz bei den prozentual abgeleiteten Mehrbedarfsleistungen auf unterschiedlich hohe Leistungen je nach Zugrundelegung des maßgebenden persönlichen Regelbedarfs angelegt sind. Eine solche Differenzierung ist dem SGB II auch im Übrigen nicht fremd (siehe insbesondere BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R - BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5, RdNr 24 f zu den in der Regelleistung enthaltenen Warmwasserkosten je nach Höhe der Regelleistung).
6. Die Regelung des § 21 Abs 2 SGB II, die zu unterschiedlich hohen Mehrbedarfen für werdende Mütter führt, verstößt entgegen der Ansicht des LSG nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
a) Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, verwehrt dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind; ein solches Merkmal ist das Lebensalter. Umgekehrt erweitern sich mit abnehmender Prüfungsstrenge die Gestaltungs- und Bewertungsspielräume des Gesetzgebers bei steigender "Typisierungstoleranz". Diese ist im Bereich der leistenden Massenverwaltung besonders groß (vgl zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG Beschluss vom 27.7.2016 - 1 BvR 371/11 - juris RdNr 69).
b) Von einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot in diesem Sinne konnte sich der Senat nicht überzeugen. Zu einem möglichen Mehrbedarf für werdende Mütter zählen Bedarfe in ganz unterschiedlichen Bereichen wie Ernährung, Körperpflege, Wäschereinigung und Fahrtkosten, aber auch Hilfeleistungen sowie ggf Informationsmaterial und dergleichen (vgl nur Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand September 2013, § 21 SGB II RdNr 16). Die Tatsache, dass diese Bedarfe nicht bei jeder werdenden Mutter gleichmäßig anfallen und nach Art und Umfang nicht genau bestimmt werden können, steht einer Typisierung grundsätzlich nicht entgegen. Eine Schwangerschaft ist eine vorübergehende besondere Lebenslage und die Wertung, dass in dieser Lebenslage zwar unterschiedliche, aber letztlich jeweils zusätzliche Bedarfe anfallen, die durch den Regelbedarf nicht gedeckt sind, knüpft an einen objektiven Tatbestand an. Diesem wird der Gesetzgeber gerecht, indem er iS des Art 3 Abs 1 GG einen Mehrbedarf allen schwangeren Frauen ab der 13. Schwangerschaftswoche zugesteht. Dass diese aber nicht alle unterschiedslos einen Mehrbedarf in derselben Höhe erhalten, sondern die den Frauen zustehenden 17 % von dem jeweils nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarf abgeleitet werden und damit unterschiedlich hoch ausfallen, im Ergebnis also die jeweilige konkrete Lebenssituation der werdenden Mutter berücksichtigen, bewegt sich noch im Rahmen einer zulässigen Typisierung.
Das gilt auch für die Unterscheidung hinsichtlich des Mehrbedarfs zwischen werdenden Müttern, die alleinlebend sind, und solchen, die mit einem Partner oder - wie die Klägerin - mit einem Elternteil zusammenleben. Der Gesetzgeber darf typisierend davon ausgehen, dass alleinstehende Schwangere einen höheren Mehrbedarf benötigen als werdende Mütter, die nicht allein leben. Dies bedeutet zwar nicht, dass andere Leistungsberechtigte im Familienverband verpflichtet wären, von ihrem eigenen Regelbedarf für die Schwangere etwas "abzuzweigen", vielmehr ist der Mehrbedarf für werdende Mütter ausdrücklich als zusätzlicher Bedarf ausgestaltet. Ein Unterschied schlägt sich aber insbesondere im Bedarf an Dienst- und Hilfeleistungen nieder. Während Handreichungen und Unterstützung in einer Familie selbstverständlich sind und, sollte dies nicht der Fall sein, eine Schwangerschaft auch zur Auflösung der Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern und Gründung eines eigenen Haushalts berechtigen kann (siehe Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand V/2011, § 21 RdNr 29), muss eine alleinstehende Schwangere für Dienst- und Hilfeleistungen Dritte in Anspruch nehmen, was einen zusätzlichen Geldbedarf begründen kann.
c) Es bestehen auch im Lichte des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Norm im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG; BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Im SGB II selbst ist ein breites Instrumentarium zur Verfügung gestellt, um einer möglichen Unterdeckung des Bedarfs während einer Schwangerschaft zu begegnen.
So wird in § 9 Abs 3 SGB II zum Schutze des ungeborenen Lebens (siehe BT-Drucks 15/1516, S 53) und zur Vermeidung von Zwangssituationen für Schwangere und Mütter mit Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres darauf verzichtet, Einkommen und Vermögen der Eltern in der Bedarfsgemeinschaft, wie es § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II vorschreibt, bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen. Die Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt, insbesondere auch die Beschaffung von Schwangerschaftskleidung, werden von der Regelung des § 24 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB II umfasst, sodass dieser Bedarf zusätzlich zum Mehrbedarf abgedeckt ist. Weiterhin steht für außergewöhnliche Fälle, die einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf entstehen lassen, nach § 21 Abs 6 SGB II der Härtefallmehrbedarf zur Verfügung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin in dem Rechtsstreit insgesamt unterlegen ist.
Fundstellen