Entscheidungsstichwort (Thema)
Impfschadensrecht. Impfung gegen Poliomyelitis. Impfschaden. Impfempfehlung. Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung
Leitsatz (amtlich)
Der Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung kann sich nicht nur auf eine bestimmte Infektionskrankheit, sondern auch auf die Art und Weise der Impfung (Impfstoff, Darreichungsform) beziehen (Fortführung von BSG vom 29.5.1980 - 9 RVi 3/79 = BSGE 50, 136 = SozR 3850 § 51 Nr 6 und BSG vom 20.7.2005 - B 9a/9 VJ 2/04 R = BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1).
Normenkette
IfSG § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BSeuchG § 51 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet; konkret macht der Kläger geltend, dass hinsichtlich seiner am 15.12.1998 erfolgten Impfung gegen Poliomyelitis der Rechtsschein einer öffentlichen Empfehlung durch die zuständige Landesbehörde bestanden habe.
Der im Jahre 1978 geborene Kläger wurde am 15.12.1998 von dem praktischen Arzt Dr. D mit dem oralen Impfstoff "Polio-Sabin-S" gegen Poliomyelitis (OPV-Impfung) sowie - durch Injektion - gegen Diphtherie und Tetanus (DT-Impfung) geimpft. Zu diesem Zeitpunkt war die Impfung gegen Poliomyelitis öffentlich empfohlen, allerdings nicht mehr hinsichtlich der beim Kläger durchgeführten OPV-Impfung. An deren Stelle war zum Schutz vor Poliomyelitis und für Auffrisch-Impfungen ein anderer Impfstoff und eine andere Darreichungsform, die inaktivierte Polio-Vakzine (IPV-Impfung) durch Injektion , empfohlen (Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission vom 21.1.1998 und 25.3.1998). Nach Nr 1 Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz vom 22.5.1997 (MBl RP 1997 S 282) für Rheinland-Pfalz werden die von der ständigen Impfkommission empfohlenen Schutzimpfungen für die dort genannten Personenkreise und Indikationen mit Bekanntgabe der jeweiligen Empfehlungen (hier: Epidemiologisches Bulletin Nr 4/98 S 21 und Nr 15/98 S 106) öffentlich empfohlen.
Nachdem er bereits seit 1995 wegen psychischer Auffälligkeiten auch stationär behandelt worden war, wurde der Kläger vom 5.1.1999 an zunächst von Dr. D. und danach auf dessen Veranlassung stationär wegen akuter optischer und akustischer Halluzinationen mit psychotischen Entgleisungen behandelt. Den im Februar 2000 gestellten Antrag des Klägers auf Impfschadensversorgung lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten M. nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen sowie Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit der Begründung ab, wegen des erheblichen psychischen Vorschadens sei davon auszugehen, dass die psychotische Dekompensation Anfang 1999 mit hoher Wahrscheinlichkeit Folge der sich schon ab 1995 anbahnenden, fortschreitenden psychischen Erkrankung sei (Bescheid vom 25.4.2001). Durch Bescheid vom 24.10.2001 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers nach versorgungsärztlicher Beteiligung zurück.
Nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen sowie Einholung von ärztlichen Gutachten (sowohl von Amts wegen als auch nach § 109 SGG) hat das Sozialgericht (SG) Koblenz die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.12.2005). Zur Begründung hat es ausgeführt: Ob dem Kläger ein Anspruch auf Anerkennung eines Impfschadens schon deshalb nicht zustehe, weil zum Zeitpunkt der Impfung die durchgeführte Polioschutzimpfung nicht mehr öffentlich empfohlen gewesen sei, brauche nicht entschieden zu werden. Denn es sei aus medizinischen Gründen nicht wahrscheinlich, dass der Gesundheitsschaden durch die Schutzimpfungen verursacht worden sei.
Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 15.11.2006). Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Soweit ein Ursachenzusammenhang der Leiden des Klägers mit dem bei der Dreifachimpfung verwendeten Polioimpfstoff in Betracht komme, scheitere ein Versorgungsanspruch schon aus Rechtsgründen, nämlich daran, dass die beim Kläger durchgeführte OPV-Impfung nicht mehr öffentlich empfohlen gewesen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der verwendete Impfstoff früher öffentlich empfohlen gewesen sei. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) (BSGE 50, 136 = SozR 3850 § 51 Nr 6) einen Impfschadensanspruch bejaht, wenn der Rechtsschein einer öffentlichen Empfehlung erzeugt gewesen sei. Hier sei aber nicht das "Ob" der Impfung streitig, sondern deren "Wie". Würde man den Gesichtspunkt des richtigen (weil öffentlich empfohlenen) Impfstoffs über den Rechtsscheinsgesichtspunkt unberücksichtigt lassen, verlöre die öffentliche Empfehlung ihre Bedeutung. Daher habe das BSG in seiner neuesten Rechtsprechung (SozR 4-3851 § 20 Nr 1) eine erweiternde Auslegung der einschlägigen Bestimmungen abgelehnt und betont, dass die öffentliche Empfehlung nur Schutzimpfungen mit zugelassenen Impfstoffen umfasse. Zudem scheide auch eine Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 60 Abs 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und § 89 Bundesversorgungsgesetz (BVG) aus.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Voraussetzungen der §§ 60, 61 IfSG, § 89 BVG seien erfüllt. Zwar sei die durchgeführte orale Poliolebendimpfung (OPV) im Zeitpunkt seiner Impfung nicht mehr öffentlich empfohlen gewesen. Bis zur anderslautenden Empfehlung der Ständigen Impfkommission im Januar 1998 sei dies aber 30 Jahre lang der Fall gewesen. Durch die Verwendung dieses Impfstoffs seien die Polioviren in Europa ausgerottet worden. Da der Geschädigte nicht in der Lage sei, vor der Impfung die gesetzlichen Voraussetzungen des § 60 IfSG zu überprüfen, bestehe in einem solchen Ausnahmefall der "Rechtsschein" einer öffentlichen Impfung. Im Grunde müsse das Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes hinsichtlich der Wirksamkeit der vorgenommenen Impfung und ihrer Erforderlichkeit für das Individuum und die Allgemeinheit ausreichen. Überdies habe der OPV-Impfstoff wegen der jahrzehntelangen massiven Werbung durch die Bundesregierung ("Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam") eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung gehabt. Zudem bleibe auch der OPV-Impfstoff weiterhin zugelassen, die Ständige Impfkommission empfehle allerdings öffentlich nur den IPV-Impfstoff. Es handele sich daher - qualitativ - um einen ganz anderen Fall als den, in dem ein Impfstoff noch nie zugelassen gewesen sei.
Darüber hinaus sei vorliegend die Härtefallregelung anzuwenden, da eine besondere Unbilligkeit, die der Gesetzgeber nicht habe vorhersehen können, bestehe. Ihm, dem Kläger, sei eine Mehrfachimpfung gegen Diphtherie und Tetanus (Injektion) sowie Polio (Zuckerstück) im Abstand von wenigen Sekunden verabreicht worden. Zwei der Komponenten seien zweifelsfrei öffentlich empfohlen gewesen. Da es derzeit wissenschaftlich nicht möglich sei abzuklären, welches Antigen und welcher Begleitstoff als Ursache des Impfschadens bei Mehrfachimpfungen verantwortlich sei, liege eine besondere Härte vor.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 15. November 2006 und des SG Koblenz vom 9. Dezember 2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 25. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2001 insoweit aufzuheben, als es sich um Folgen der am 15. Dezember 1998 durchgeführten Impfung gegen Poliomyelitis handelt, und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen dieser Folgen Beschädigtenrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die (teilweise) Anfechtung des ablehnenden Bescheides des Beklagten kombiniert mit dem Leistungsbegehren, ihm wegen der Folgen der Polio-Impfung Beschädigtenrente zu gewähren. Es handelt sich um eine Anfechtungs- und Leistungsklage, die zulässig ist, weil der Kläger eine genau bezeichnete Leistung beansprucht (BSG, Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .
Im Rahmen der zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) sind allein - anders als noch beim LSG - die Folgen der dem Kläger verabreichten Impfung gegen Poliomyelitis zu beurteilen, da der Kläger insoweit seine Revision beschränkt hat. Die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs richtet sich nach § 51 Abs 1 Bundesseuchengesetz (BSeuchG), der im Zeitpunkt der Impfung im Jahre 1998 und noch bis zum 31.12.2000 gegolten hat, und nach dem am 1.1.2001 in Kraft getretenen - weitgehend wortlautgleichen - § 60 Abs 1 IfSG (BSG SozR 4-3851 § 20 Nr 1 RdNr 6) .
Nach § 51 Abs 1 BSeuchG erhält, wer durch eine Impfung, die … 3. von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen … worden ist, einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. § 60 Abs 1 Nr 1 IfSG stimmt damit überein, spricht indes nicht mehr von "Impfschaden" sondern von "gesundheitlicher Schädigung", ohne dass damit indes etwas anderes gemeint ist.
Ob die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 BSeuchG/§ 60 Abs 1 IfSG hinsichtlich der hier relevanten OPV-Impfung erfüllt oder nicht erfüllt sind, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden, sodass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.
Das LSG hat offen gelassen, ob der Kläger durch die OPV-Impfung einen Impfschaden (§ 51 Abs 1 BSeuchG) bzw eine gesundheitliche Schädigung (§ 60 Abs 1 IfSG) erlitten hat. Es hat die Versagung einer Impfschadensversorgung entscheidend auf das Fehlen einer öffentlichen Impfempfehlung gestützt. Dem vermag der erkennende Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu folgen.
Allerdings ist das LSG, wie auch von der Revision eingeräumt wird, zutreffend davon ausgegangen, dass die OPV-Impfung im Dezember 1998 von der zuständigen Behörde nicht mehr öffentlich empfohlen gewesen ist. In den Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission vom 21.1.1998 (Epidemiologisches Bulletin Nr 4/98 S 21) und vom 25.3.1998 (Epidemiologisches Bulletin Nr 15/98 S 106) war zum Schutz vor Poliomyelitis und für Auffrisch-Impfungen nicht nur ein anderer Impfstoff und eine andere Darreichungsform, die inaktivierte Polio-Vakzine (IPV) mittels Injektion, empfohlen, sondern auch ausdrücklich erklärt worden, dass der Polio-Lebendimpfstoff orale Polio-Vakzine (OPV) wegen des Risikos einer paralytischen Poliomyelitis (VAPP) nicht mehr empfohlen werde. Wie das LSG festgestellt hat, regelte die Nr 1 Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz vom 22.5.1997 (Ministerialblatt der Landesregierung von Rheinland-Pfalz 1997 S 282) , dass gemäß § 14 Abs 3 BSeuchG in Rheinland-Pfalz die von der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfohlenen Schutzimpfungen für die dort genannten Personenkreise und Indikationen öffentlich empfohlen sind und dass die öffentliche Empfehlung für das Land Rheinland-Pfalz jeweils mit der Veröffentlichung der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts wirksam wird.
Obwohl das gesetzliche Merkmal der öffentlichen Empfehlung hinsichtlich der OPV-Impfung des Klägers nicht erfüllt ist, kann die Klage begründet sein. Das BSG entscheidet seit dem Urteil vom 29.5.1980 (- 9 RVi 3/79 - BSGE 50, 136, 139 = SozR 3850 § 51 Nr 6 S 32) in ständiger Rechtsprechung, dass dem Tatbestand einer öffentlichen Empfehlung einer Impfung der von der zuständigen Behörde verursachte Rechtsschein einer solchen Empfehlung gleichzusetzen sein kann, wenn das ständige und längere Zeit andauernde Verhalten der mit der Durchführung bestimmter Impfungen regelmäßig befassten Medizinalpersonen den Schluss erlaubt, diese Impfung sei öffentlich empfohlen, und die zuständige Behörde das Verhalten der Medizinalpersonen kannte oder bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und die Wirkung verhindern können (s zuletzt Urteil vom 20.7.2005 - B 9a/9 VJ 2/04 R - BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 29). Entgegen der vom LSG gegebenen rechtlichen Begründung steht der Annahme des Rechtsscheins einer öffentlichen Empfehlung der OPV-Impfung nicht entgegen, dass an deren Stelle die IPV-Impfung öffentlich empfohlen war.
Die von § 51 Abs 1 BSeuchG/§ 60 Abs 1 IfSG vorausgesetzte öffentliche Empfehlung muss sich stets auf das "Ob" und das "Wie" einer Impfung beziehen, um Versorgungsansprüche auslösen zu können. Ist die Impfung gegen eine bestimmte Erkrankung überhaupt nicht empfohlen ("ob"), scheitern Ansprüche bereits regelmäßig hier. Ist die Impfung dagegen in diesem Sinne empfohlen, ist selbstverständlich auch deren Art und Weise ("wie") insbesondere der zu verwendende Impfstoff in die Empfehlung einzubeziehen, denn der Vorgang der Immunisierung gegen eine bestimmte Infektionskrankheit kann denknotwendig nicht von dem Mittel abgekoppelt werden, das die Immunisierung erzeugen soll, nämlich dem Impfstoff (BSGE 95, 66 = SozR 4-3851 § 20 Nr 1, jeweils RdNr 12) . Zudem sollte es sich - von Ausnahmen abgesehen - ohnehin um einen arzneirechtlich zugelassenen Impfstoff handeln (BSG aaO RdNr 13 bis 15 mwN) . Auf eine entsprechende Empfehlung eines bestimmten Impfstoffes (ggf in einer bestimmten Darreichungsform) kann allerdings verzichtet werden, wenn es für eine bestimmte Impfung nur einen - zugelassenen - Impfstoff gibt. An die Stelle einer nach den medizinischen Gegebenheiten derart gefassten Impfempfehlung kann unter den genannten Voraussetzungen der Rechtsschein einer öffentlichen Empfehlung treten, sodass auch hier nach dem "Ob" der Impfung und deren "Wie" zu fragen ist. Dementsprechend kann - entgegen der Auffassung des LSG - der Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung durchaus (erst recht) auch hinsichtlich eines nicht mehr öffentlich empfohlenen Impfstoffes (ggf einschließlich einer bestimmten Darreichungsform) bestehen, wenn die Impfung als solche (mit anderem Impfstoff) weiterhin empfohlen ist.
Entsprechende Überlegungen erübrigen sich im vorliegenden Fall auch nicht aus anderen Gründen. Insbesondere war der OPV-Impfstoff entgegen den Ausführungen des LSG im Impfzeitpunkt nach wie vor arzneirechtlich zugelassen. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission vom 25.3.1998, worin für den Fall des Ausbruchs einer Polio-Epedimie die "Riegelungsimpfung mit OPV entsprechend den Anordnungen der Gesundheitsbehörden" empfohlen war (Epidemiologisches Bulletin Nr 15/98 S 109).
Angesichts der dargestellten rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme des Rechtsscheins einer öffentlichen Impfempfehlung kann allein der Umstand, dass für die OPV-Impfung in der Vergangenheit in den Medien mit einem eingängigen Slogan geworben worden ist, den Rechtsschein einer öffentlichen Impfempfehlung nicht begründen. Für die Beurteilung des Bestehens eines derartigen Rechtsscheins sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls maßgebend. In einem Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103, § 106 SGG) muss das Gericht die insoweit entscheidungserheblichen Tatsachen aufklären und feststellen. Aufgrund seiner Rechtsauffassung hat das LSG entsprechende Ermittlungen unterlassen. Da das Revisionsgericht zu derartigen einzelfallbezogenen Feststellungen nicht befugt ist (§ 163 SGG) , muss der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden.
Die Zurückverweisung erübrigt sich - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht deshalb, weil hier ohne Weiteres eine besondere Härte iS der §§ 60, 61 IfSG, § 89 BVG (s BSG, Urteile vom 17.11.1981 - 9 RVi 1/81 - SozR 3850 § 54 Nr 1 S 2 sowie vom 8.12.1982 - 9a/9 RVi 4/81 - BSGE 54, 202, 203 = SozR 3850 § 54 Nr 2 S 10) vorläge. Wie die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat, handelt es sich bei den ihm verabreichten Impfungen nicht um eine Kombinationsimpfung, bei der der OPV-Impfstoff zwangsläufig mit den öffentlich empfohlenen Impfstoffen gegen Diphtherie und Tetanus hätte aufgenommen werden müssen (vgl BSG SozR 3850 § 54 Nr 1) . Allein ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Verabreichung des Zuckerstückes (OPV-Impfung) und der Injektion des Impfstoffes gegen Diphtherie und Tetanus macht diese Impfungen nicht zu einer Kombinationsimpfung im og Sinne. Dementsprechend finden hier die vom BSG für Kombinationsimpfungen angenommenen Härtegesichtspunkte keine Anwendung.
Bei der weiteren Behandlung des Falles wird das LSG Folgendes zu berücksichtigen haben:
Für die Prüfung des Rechtsscheins einer öffentlichen Impfempfehlung besonders bedeutsam sind zunächst die Erklärungen, Erläuterungen oder Belehrungen des Impfarztes gegenüber dem Kläger vor der Impfung und/oder die vom Kläger daraufhin abgegebenen Erklärungen. Zwar hat der Kläger bisher noch nicht einmal behauptet, der Impfarzt habe ihm zu der OPV-Impfung geraten, geschweige denn mit welcher Begründung, es sind jedoch - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 20.7.2005 (aaO) entschiedenen Verfahren - keinerlei Anhaltspunkte dahin ersichtlich, dass der Impfarzt von der OPV-Impfung etwa abgeraten habe oder gar dass der Kläger diese Impfung gegen ärztlichen Rat verlangt hat.
Für den Fall, dass der Impfarzt durch sein Verhalten beim Kläger - nachvollziehbar - die Annahme hervorgerufen oder aufrechterhalten haben sollte, die OPV-Impfung sei (weiterhin) öffentlich empfohlen, wird das LSG aufzuklären und festzustellen haben, ob dieses Fehlverhalten der für die öffentliche Empfehlung von Impfungen auf Landesebene zuständigen Behörde zugerechnet werden kann. Dafür ist es bedeutsam zu ermitteln, ob und ggf in welcher Form die zuständige Landesbehörde die von OPV auf IPV geänderte Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission - über deren rechtliche Umsetzung durch die genannte Verwaltungsvorschrift hinaus - den mit Polioimpfungen befassten Medizinalpersonen und der Bevölkerung bekannt gemacht hat. Gerade im Hinblick auf die jahrzehntelange Werbung für die OPV-Impfung wird man verlangen müssen, dass die Änderung der Impfempfehlung den in Betracht kommenden Ärzten mit besonderem Nachdruck vermittelt worden ist.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
SGb 2008, 723 |
SGb 2009, 148 |