Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. unverzügliche Verzögerungsrüge in Altfällen. Dreimonatsfrist. Entschädigungsklage. Nichteinhaltung der sechsmonatigen Wartefrist. keine Heilung. Unschädlichkeit der Nichteinhaltung der Wartefrist bis zum 31.12.2014. unangemessene Verfahrensdauer. Bedeutung des Verfahrens für den Kläger. nicht existenzsichernde Leistung. fehlende Erfolgsaussicht. Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts. Zwölfmonatsregel. Prozessverhalten des Klägers. nicht sachdienliches Vorbringen. unstrukturierte und umfangreiche Schriftsätze. Prozesszinsen. sozialgerichtliches Verfahren. uneingeschränkt ausgesprochene Revisionszulassung. Beschränkung der Revision auf Geldentschädigung. Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nichteinhaltung der Wartefrist vor Erhebung der Entschädigungsklage ist nicht heilbar (Anschluss an BGH Urteil vom 21.5.2014 - III ZR 355/13 = NJW 2014, 2443; BGH vom 17.7.2014 - III ZR 228/13 = NJW 2014, 2588; BFH vom 12.3.2013 - X S 12/13 (PKH) = BFH/NV 2013, 961).
2. Die Nichteinhaltung der Wartefrist ist im sozialgerichtlichen Entschädigungsverfahren während einer Übergangszeit bis zum 31.12.2014 unschädlich.
3. Die Verzögerungsrüge ist unverzüglich erhoben, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG (juris: ÜberlVfRSchG) beim Ausgangsgericht eingegangen ist (Fortsetzung von BSG vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B = SozR 4-1710 Art 23 Nr 1; Anschluss an BGH vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 = NJW 2014, 1967; BGH vom 17.7.2014 - III ZR 228/13 = NJW 2014, 2588; BFH vom 7.11.2013 - X K 13/12 = BFHE 243, 126).
4. Eine Entschädigungsregelung ist ab Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Orientierungssatz
1. Aus dem Umstand, dass eine Leistung nicht existenzsichernd ist, lässt sich keineswegs per se auf ihre untergeordnete Bedeutung schließen.
2. Die Bedeutung des Verfahrensausgangs für den Entschädigungskläger lässt sich auch nicht mit Blick auf die fehlenden Erfolgsaussichten verneinen. Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit soll ua gerade eine lange Unsicherheit des Entschädigungsklägers über seine Ansprüche und die damit verbundenen seelischen Folgen vermeiden.
3. Der Kläger darf keinen entschädigungsrechtlichen Vorteil daraus ziehen, dass er unstrukturierte umfangreiche Schriftsätze und Stellungnahmen bei Gericht einreicht oder Anträge stellt, denen das Gericht nachgehen muss, auch wenn diese letztlich nicht zur Kenntniserlangung oder Verfahrensförderung beitragen oder sich in der Wiederholung immer gleichen Vorbringens erschöpfen.
4. Hat das LSG im Ausspruch zur Zulassung der Revision keine einschränkende Formulierung verwendet (etwa "soweit ..."), die den Schluss zuließe, dass die Revision auf einen abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt worden sei, spricht dies für eine uneingeschränkt ausgesprochene Revisionszulassung.
5. Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Entschädigungsgerichts kann die gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer ausklammern und sich auf andere Formen der Wiedergutmachung beschränken, etwa die Entschädigung in Geld.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Sätze 1-4, Abs. 3 Sätze 1, 3-4, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 Sätze 1-2; ÜberlVfRSchG Art 23 Sätze 1-2; SGG § 88 S. 1, § 141 Abs. 1 Nr. 1, § 160 Abs. 1, § 170 Abs. 2 S. 2; BGB §§ 121, 288 Abs. 1, § 291 S. 1; EMRK Art 6 Abs. 1 S. 1; GG Art 19 Abs. 4; GG Art 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. Oktober 2013 abgeändert und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Entschädigungszahlung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4700 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Entschädigung von Nachteilen infolge einer überlangen Verfahrensdauer des Gerichtsverfahrens S 2 KA 3195/08 (vormals S 7 KA 3195/08) vor dem SG Gotha.
Die Klägerin nimmt als niedergelassene Ärztin an der vertragsärztlichen Versorgung in Thüringen teil. Die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) lehnte einen Antrag der Klägerin auf Fördermaßnahmen in unterversorgten Gebieten ab (Bescheid vom 16.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 27.6.2008).
Hiergegen erhob die Klägerin am 7.7.2008 Klage. Nach Aufforderung des Vorsitzenden gingen die Akten der KVT am 18.8.2008 und die Klageerwiderung am 5.2.2009 bei Gericht ein. Der Vorsitzende leitete die Klageerwiderung zur etwaigen Stellungnahme an die Klägerin weiter und verfügte Wiedervorlage auf den 1.6.2009 (Verfügung vom 18.2.2009). Auf die Klageerwiderung antwortete die Klägerin mit Schriftsatz vom 28.2.2009, den der Vorsitzende nach Eingang taggleich an die KVT zur Kenntnis unter Beibehaltung des Wiedervorlagetermins übermittelte (Verfügung vom 4.3.2009). Am 18.8.2009 setzte der Vorsitzende Termin zur Wiedervorlage auf den 1.11.2009. Nach zwischenzeitlichem Befangenheitsgesuch der Klägerin vom 11.10.2009, ablehnender Entscheidung des LSG (Beschluss vom 7.1.2010 - L 11 SF 47/09) und Aktenrücklauf im Februar 2010 verfügte der Vorsitzende Wiedervorlage auf den 1.4.2010 und schrieb die Sache danach zur Sitzung. Zum 1.1.2012 erfolgte geschäftsverteilungsplanmäßig ein Wechsel im Kammervorsitz. Unter dem 4.1.2012 zeigte der Prozessbevollmächtigte seine Bevollmächtigung an. Die beantragte Akteneinsicht gewährte der Vorsitzende mit Wiedervorlage zum 18.4.2012 (Verfügung vom 9.1.2012).
Am 15.2.2012 erhob die Klägerin eine von ihr selbst verfasste Verzögerungsrüge, die zu einer Terminierung auf den 18.4.2012 (Verfügung vom 21.2.2012), mit Bezug auf eine mündliche Verhandlung der Beteiligten in anderen Rechtsstreitigkeiten zu einem ausführlichen Hinweis und einer Anfrage bei der Klägerin wegen einer Entschädigungsklage führte (Verfügung vom 28.3.2012). Auf weitere Anfrage vom 3.4.2012 erteilte die KVT unter dem 4.4.2012 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, während die Klägerin dies ablehnte und erfolgreich Terminsaufhebung beantragte (Schreiben vom 12.4.2012; Verfügung vom 16.4.2012). Nach Ruhensanregung durch die Klägerin und erbetener Fristverlängerung bis 30.5.2012 wegen einer Entschädigungsklage (Schriftsatz vom 2.5.2012) beraumte der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 19.9.2012 an (Verfügung vom 21.5.2012). Am 30.5.2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf "ausgiebige" Fristverlängerung. Der Vorsitzende erinnerte den Prozessbevollmächtigten an die Stellungnahme zu dem Schreiben vom 28.3.2012 und setzte Wiedervorlage auf den 16.7.2012 (Verfügung vom 1.6.2012). Wegen von ihr verfasster und übermittelter Abschriften von Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer teilte der Vorsitzende der Klägerin mit, dass von seiner Seite wegen der Entschädigungsklagen nichts weiter veranlasst würde (Schreiben vom 12.7.2012). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte sodann Fristverlängerung zur Stellungnahme bis 30.7.2012 und teilte an diesem Tag mit, dass sein Mandat nicht die Verzögerungsrüge und das Erheben einer Entschädigungsklage umfasse. Den anberaumten Termin verlegte der Vorsitzende auf Antrag der KVT auf den 25.9.2012 und auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf den 2.10.2012 (Verfügung vom 6. und 7.9.2012). In diesem Termin, in dem auch andere Rechtsstreite der Beteiligten erörtert wurden, beantragte die Klägerin Schriftsatznachlass innerhalb einer Frist von 5 Wochen. Außerdem erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Das SG wies daraufhin die Klage ohne mündliche Verhandlung ab (Urteil vom 12.12.2012, den Beteiligten am 26.4.2013 zugestellt).
Am 11.7.2012 hat die Klägerin gegen den beklagten Freistaat Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 4700 Euro erhoben, klargestellt, dass sie in diesem Verfahren keine Amtshaftungsansprüche verfolge und beantragt, den Rechtsstreit im Hinblick auf weitere beim BSG anhängige Revisionen auszusetzen. Das LSG hat festgestellt, dass das Verfahren vor dem SG unangemessen lang gedauert habe und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Der Mangel der vorfristigen Klageerhebung sei inzwischen geheilt, die Entschädigungsklage aber mangels unverzüglicher Verzögerungsrüge unbegründet. Die unangemessene Verfahrensdauer sei indessen festzustellen. Die Umstände des Einzelfalls seien nicht imstande, die Länge des Verfahrens von über viereinhalb Jahren zu erklären. Das Ausgangsverfahren sei von durchschnittlicher Schwierigkeit gewesen und habe für die Klägerin eher unterdurchschnittliche Bedeutung gehabt, weil Leistungen zur Förderung unterversorgter Gebiete keinen existenzsichernden Charakter hätten. Die Feststellung des exakten Zeitraums der Unangemessenheit könne dahinstehen, da eine Entschädigung nicht in Betracht komme (Urteil vom 30.10.2013).
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 198 GVG, Art 23 Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl I 2302) und des Art 3 Abs 1 GG. Insbesondere habe das LSG bei der Ermittlung der unangemessenen Verfahrensdauer die überdurchschnittliche Bedeutung des Verfahrens für sie als auch den eher leichten Schwierigkeitsgrad verkannt. Eine Versagung der Entschädigung erscheine unbillig. Auch sei die fehlende Kostenfreiheit in Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. Oktober 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen der unangemessenen Dauer des Verfahrens gegen die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen vor dem Sozialgericht Gotha (S 2 KA 3195/08 = S 7 KA 3195/08) eine Entschädigung in Höhe von 4700 Euro nebst Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hält das LSG-Urteil im Ergebnis für zutreffend und beantragt,
die Revision zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG ). Die Revision ist zulässig. Das LSG hat die Revision unbeschränkt zugelassen und die Klägerin sie wegen des klageabweisenden Teils wirksam eingelegt (dazu 1.). Die Entschädigungsklage ist trotz der Klageerhebung vor Ablauf der Wartefrist zulässig (dazu 2.). Ob ein Entschädigungsanspruch der Klägerin besteht, lässt sich durch das Revisionsgericht aber nicht abschließend beantworten (dazu 3.). Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a) und die nötige Verzögerungsrüge rechtzeitig erhoben (dazu b). Es fehlen jedoch Feststellungen und eine umfassende Gesamtabwägung des LSG zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer (dazu c). Hiervon ausgehend wird das LSG ggf die weiteren Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen haben (dazu d und e).
1. Die Revision der Klägerin ist unbeschränkt zulässig. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat das LSG die Revision nicht allein zugunsten des Beklagten wegen der Frage der Heilung der Wartefrist (dazu 2.), sondern unbeschränkt zugelassen (§ 160 Abs 1 SGG). Das LSG hat die Revision im Tenor unbeschränkt zugelassen und in den Entscheidungsgründen hierzu ausgeführt, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die hier zugrunde liegende Rechtsfrage zur Heilung der Wartefrist sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. In diesen Ausführungen des LSG liegt weder personell noch sachlich eine wirksame Beschränkung der Revision. Zur Auslegung einer im Urteilstenor (uneingeschränkt) ausgesprochenen Revisionszulassung sind zwar auch die Entscheidungsgründe und der sonstige Urteilsinhalt heranzuziehen (vgl BSG SozR 3-2600 § 315a Nr 1 RdNr 17 mwN). Das LSG hat aber im Ausspruch keine einschränkende Formulierung verwendet (etwa "soweit ..."), die den Schluss zuließe, die Revision sei auf einen abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt worden (zur Teilbarkeit des Streitgegenstandes etwa BSG SozR 4-3100 § 1 Nr 3 RdNr 12, 17; zur Teilzulassung der Revision ua: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 28a mwN). Soweit das LSG deshalb am Ende der Entscheidungsgründe zur Zulassung der Revision nähere Ausführungen gemacht hat, hat es lediglich den für die Zulassung maßgebenden Grund genannt (vgl BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R, RdNr 19). Die unbeschränkte Zulassung ist für den Senat bindend (§ 160 Abs 3 SGG).
Die im Übrigen form- und fristgerechte (§ 164 SGG) Revision der Klägerin beschränkt sich auf den die Klage abweisenden Teil der vorinstanzlichen Entscheidung und das Begehren auf Entschädigung in Geld. Soweit die Entscheidung des LSG die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens feststellt, ist der Klägerin Wiedergutmachung zuteil geworden. Der Genugtuungseffekt ist selbst dann erreicht, wenn - wie hier - der Ausspruch über die Unangemessenheit der Verfahrensdauer den Zeitraum und die Zeitdauer der Überlänge nicht genau beziffert (dazu Urteil des erkennenden Senats vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R, RdNr 56, 57; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Aufl 2012, GVG, § 198 RdNr 262 mwN). Eine Beschwer im Rechtsmittelverfahren liegt insoweit nicht vor. Die Begrenzung auf das Entschädigungsbegehren begegnet jedenfalls in dieser Verfahrenskonstellation keinen prozessrechtlichen Bedenken, auch wenn eine isolierte Klage auf Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer unzulässig ist und eine Entschädigungsklage deshalb zunächst die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer mit umfasst (vgl BGH Urteil vom 23.1.2014 - III ZR 37/13 = NJW 2014, 939; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Aufl 2012, GVG, § 198 RdNr 262 mwN). Ein Rechtsmittel kann auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen. Dass die Art und Weise der Wiedergutmachung keinen unteilbaren Streitgegenstand betrifft, folgt aus § 198 Abs 4 S 1 bis 3 GVG, der Wiedergutmachung auf andere Weise und insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts ermöglicht, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, diese Feststellung auch ohne Antrag und in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung zulässt oder in Fällen, in denen die Voraussetzungen einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs 3 GVG nicht gegeben sind. Hieraus folgt zugleich, dass die Feststellung der Unangemessenheit isoliert und abgrenzbar gegenüber anderen Wiedergutmachungsbegehren ausgesprochen werden kann (BT-Drucks 17/3802 S 21, 22). Folgerichtig kann ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Entschädigungsgerichts diesen Ausspruch ausklammern und sich auf andere Formen der Wiedergutmachung beschränken, etwa die Entschädigung in Geld. Davon zu trennen ist allerdings die Frage nach den (weiteren) materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Entschädigungsanspruch (vgl zur Beschränkung des Entschädigungsanspruchs auf einen Verfahrenszug BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D = BVerwGE 147, 146 RdNr 60 f; BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D, RdNr 11 mwN).
2. Die auf § 198 GVG gestützte Entschädigungsklage ist zulässig.
a) Der Senat hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an §§ 198 ff GVG zu messen, obwohl diese Vorschriften während des hier von der Klägerin als überlang gerügten Verfahrens in Kraft getreten sind (zeitlicher Anwendungsbereich des § 198 GVG). Die Vorschriften des ÜGG und damit auch die §§ 198 ff GVG finden aufgrund der Übergangsregelung des Art 23 S 1 ÜGG auch auf Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 (vgl Art 24 S 1 ÜGG) anhängig waren.
Dies ist hier der Fall. Das als überlang gerügte Verfahren war seit 2008 bis zu seiner Beendigung im Jahr 2013 anhängig.
b) Das LSG war für die Entscheidung funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl § 51 SGG) ist gemäß § 201 S 1 GVG iVm § 202 S 2 SGG für Klagen auf Entschädigung nach § 198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige LSG zuständig.
c) Der beklagte Freistaat ist im Verfahren wirksam durch das Thüringer Justizministerium vertreten worden (vgl Zuständigkeit der einzelnen Ministerien nach Art 76 Abs 2 S 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen, Beschluss der Thüringer Landesregierung vom 15.3.2010 ≪Verf Art 76 Abs 2 ZustBes≫, GVBl 2010, 67).
d) Die Entschädigungsklage vom 11.7.2012 ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 SGG; hierzu BSG Urteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 14 f; BGH Urteil vom 23.1.2014 - III ZR 37/13 = NJW 2014, 939). Sie ist unter Beachtung der für Prozesshandlungen geltenden Auslegungsmaßstäbe (BSGE 89, 199 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21, Juris, RdNr 12) unbedingt sowie formgerecht unter Einhaltung der Klagefrist des § 198 Abs 5 S 2 GVG innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der am 26.4.2012 zugestellten Entscheidung des SG erhoben worden.
e) Der Entschädigungsklage konnte während einer noch bis 31.12.2014 dauernden Übergangszeit nicht entgegengehalten werden, sie sei nach Erhebung der Verzögerungsrüge verfrüht erhoben worden. Der Mangel der Nichteinhaltung der Wartefrist des § 198 Abs 5 GVG (dazu aa) ist zwar auch im sozialgerichtlichen Verfahren nicht heilbar (dazu bb) für eine - hier einzuräumende - Übergangszeit bis 31.12.2014 aber ausnahmsweise unbeachtlich (dazu cc).
aa) Zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs 1 GVG kann eine Klage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden (§ 198 Abs 5 S 1 GVG). Dies gilt auch für Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 bereits anhängig waren (Art 23 S 1 GVG). Bei Erhebung der Entschädigungsklage am 11.7.2012 war die Sechsmonatsfrist des § 198 Abs 5 GVG bezogen auf die am 15.2.1012 angebrachte Verzögerungsrüge noch nicht abgelaufen und die Klage damit an sich verfrüht erhoben worden. Der Sinn der Wartefrist besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden. Zugleich sollen die Entschädigungsgerichte vor verfrühten Entschädigungsklagen geschützt werden. Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird deshalb nach Ablauf der Frist nicht zulässig (vgl auch zu den Ausnahmen BGH Urteil vom 21.5.2014 - III ZR 355/13 mwN; BGH Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13, RdNr 17 f; im Rahmen von PKH auch BFH Beschluss vom 12.3.2013 - X S 12/13 ≪PKH≫).
bb) Auch für das sozialgerichtliche Verfahren beansprucht dieser Grundsatz entgegen der Auffassung der Vorinstanz Geltung. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BGH (vgl Urteil vom 21.5.2014 - III ZR 355/13 mwN; BGH Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13; im Rahmen von PKH auch BFH Beschluss vom 12.3.2013 - X S 12/13 ≪PKH≫) an. In der Rechtsprechung des BSG ist zwar anerkannt, dass die Nichteinhaltung ausdrücklich normierter oder sich aus der Natur der Sache ergebender Wartefristen die Instanzgerichte in bestimmten Fällen nicht allein aus diesem Grund zu einem Prozessurteil berechtigt mit der Folge einer erneuten Klage nach Ablauf der Wartefrist. So hat es das BSG für die Untätigkeitsklage nach § 88 SGG, die nach seinem S 1 nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig ist, aus Gründen der Prozessökonomie zugelassen, dass eine vor Fristablauf erhobene Klage im Laufe des Klageverfahrens zulässig werden kann (BSGE 75, 56, 58 = SozR 3-1500 § 88 Nr 2, Juris, RdNr 19). Ebenso sind die Instanzgerichte gehalten, in Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind (§ 78 Abs 1 S 1 SGG) bei fehlendem Vorverfahren durch Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens Gelegenheit zur Nachholung des gebotenen Vorverfahrens zu geben (vgl BSG SozR 1500 § 78 Nr 8 mwN; BSG SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1; BSG SozR 3-5868 § 85 Nr 8 S 41; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 78 RdNr 3 a mwN und Keller, aaO, § 114 RdNr 5; zur entsprechenden Verpflichtung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vgl Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl 2014, § 68 RdNr 3 ff). Der erkennende Senat sieht sich jedoch beim formal und inhaltlich anders gelagerten Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren mit Blick auf die für alle Verfahrensordnungen einheitliche Regelung gehindert, das für das sozialgerichtliche Verfahren beschriebene Prinzip der Heilung durch Zeitablauf bzw Nachholung des bisher unterbliebenen Verwaltungshandelns auf die Verfahren wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens zu übertragen. § 198 Abs 5 S 1 GVG ist keine auf das sozialgerichtliche Verfahren besonders abgestimmte Prozessnorm, selbst wenn der Warn- und Beschleunigungsfunktion der Verzögerungsrüge auch dadurch Rechnung getragen werden könnte, dass das Entschädigungsgericht dem mit dem Ausgangsfall befassten Gericht Gelegenheit gibt, das Ausgangsverfahren abzuschließen (vgl Loytved SGb 2014, 293, 295).
cc) Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf Entschädigungsklägern die unheilbare Nichteinhaltung der Wartefrist erst nach Ablauf einer am 31.12.2014 endenden Übergangszeit entgegenhalten werden.
Der Senat räumt Klägern insoweit richterrechtlich eine Übergangsfrist ein. Grund dafür ist, dass es in der Sozialgerichtsbarkeit durchaus Fälle gibt, in denen verfrüht erhobene Klagen durch Zeitablauf oder Nachholung von Handlungen (siehe oben unter bb) zulässig werden können. Vor Bekanntwerden der Entscheidung des Senats in der vorliegenden Sache (Urteilsverkündung am 3.9.2014) war es daher nicht ganz abwegig, den darin liegenden Rechtsgedanken auch auf verfrüht erhobene Entschädigungsklagen anzuwenden; für die Zeit ab 1.1.2015 ist dies nicht mehr möglich. Der Senat kann sich hierfür auf Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren stützen, die anklingen lassen, dass zu früh erhobene Klagen durch Zeitablauf geheilt werden könnten (vgl Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks 17/3802 S 41; zur Einräumung einer Übergangszeit durch die Rechtsprechung bei besonderen verfahrensrechtlichen Problemen in der Folge neuen Rechts, vgl auch BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 11; BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 4/06 R, RdNr 9). Für die Zeit ab dem 1.1.2015 ist dies nicht mehr möglich.
3. Ob ein Entschädigungsanspruch der Klägerin besteht, lässt sich im Revisionsverfahren nicht abschließend beantworten. Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a) und die nötige Verzögerungsrüge rechtzeitig erhoben (dazu b), jedoch fehlen Feststellungen und eine umfassende Gesamtabwägung des LSG zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer (dazu c). Hiervon ausgehend wird das LSG ggf die weiteren Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen haben (dazu d und e).
a) Der beklagte Freistaat ist für die Entschädigungsklagen nach § 200 S 1 GVG passiv legitimiert, weil er danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche Nachteile macht die Klägerin aufgrund ihres bei dem SG Gotha geführten Verfahrens geltend.
b) Die am 15.2.2012 vor dem SG Gotha angebrachte Verzögerungsrüge war entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten rechtzeitig. Für die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge in bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängigen Verfahren (Art 23 S 2 ÜGG) ist es ausreichend, wenn die Rüge, wie im Fall der Klägerin geschehen, spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG erfolgt.
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs 3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge, zur Eigenschaft als materiell-rechtliche Voraussetzung BSG Beschluss vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr 1 RdNr 27; BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 = BFHE 243, 126, Juris, RdNr 24; BGH Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13, RdNr 14 mwN). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs 3 S 1 und 2 GVG). Für anhängige Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG am 3.12.2011 schon verzögert waren, gilt dies mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art 23 S 2 ÜGG).
Der erkennende Senat hat zur Frage der Unverzüglichkeit einer Verzögerungsrüge bislang nur darauf hingewiesen, "unverzüglich" bedeute nach der im bürgerlichen Recht geltenden Legaldefinition des § 121 Abs 1 S 1 BGB "ohne schuldhaftes Zögern". Die Gesetzesbegründung zum ÜGG lege es nahe, diese allgemeine Bestimmung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen (vgl BT-Drucks 17/3802 S 31). Damit gehöre zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trage. Demnach sei "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr sei dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren müsse (BSG Beschluss vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr 1 RdNr 29). Der Senat konkretisiert diesen Ansatz auch für den Fall anwaltlicher Vertretung im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 = NJW 2014, 1967, Juris, RdNr 25; Urteil vom 17.7.2014 - III ZR 228/13, RdNr 22) und des BFH (Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 = BFHE 243, 126, Juris, RdNr 39 ff) nunmehr dahin, dass eine Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG beim Ausgangsgericht einging. Hierbei ist insbesondere der Zweck des Gesetzes ausschlaggebend, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art 19 Abs 4, Art 20 Abs 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art 6 Abs 1, Art 13 EMRK) nach effektivem Rechtsschutz gerecht wird (BGH Urteil vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 = NJW 2014, 1967 mwN, Juris, RdNr 25). Da die neue Entschädigungsregelung am 3.12.2011 in Kraft getreten ist, lag die Verzögerungsrüge noch innerhalb der der Klägerin eingeräumten Zeitspanne.
Die Klägerin hat die Verzögerungsrüge auch formgerecht erhoben. Die Dauer des Verfahrens muss bei dem mit der Sache befassten Gericht gerügt werden (§ 198 Abs 3 S 1 GVG). Der Senat kann offen lassen, ob das Gesetz mit dieser Formulierung zugleich die Schriftform verbindet (vgl Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, GVG, § 198 RdNr 111; Loytved SGb 2014, 293, 295 mwN). Denn das LSG hat noch hinreichend deutlich und unangegriffen (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin selbst beim Ausgangsgericht eine schriftliche Verzögerungsrüge angebracht hat (zu den Anforderungen an die Schriftform der Klage in der Sozialgerichtsbarkeit vgl § 92 Abs 1 S 2 SGG), welche vom Mandat ihres Prozessbevollmächtigten nicht umfasst war und mangels Anwaltszwang im Ausgangsverfahren auch nicht umfasst sein musste (§ 73 Abs 6 SGG iVm § 83 Abs 2 ZPO).
c) Die pauschale Feststellung der unangemessenen Überlänge des Verfahrens durch das LSG genügt nicht den Anforderungen an die für den Entschädigungsanspruch erforderliche Unangemessenheit der Verfahrensdauer (§ 198 Abs 1 S 1 GVG). Für den allein noch streitbefangenen Zahlungsanspruch ist die konkrete Festlegung unentbehrlich, weil die Höhe der Entschädigung von der Dauer der Überlänge abhängt (vgl § 198 Abs 2 S 3 GVG). Unerheblich ist deshalb auch, dass der die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer betreffende Teil der Entscheidung des LSG Rechtskraft erlangt (§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG) hat, weil hiergegen von keinem der Beteiligten Revision bzw Anschlussrevision (§ 202 SGG iVm § 554 ZPO) eingelegt wurde (vgl zur Unzulässigkeit der Konkretisierung im Übrigen Urteil des erkennenden Senats vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R, RdNr 56, 57).
aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 S 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer bildet die Verletzung des in Art 19 Abs 4 und Art 20 Abs 3 GG sowie Art 6 Abs 1 EMRK verankerten Rechts der Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit. Der unbestimmte Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der EGMR zu Art 6 Abs 1 S 1 EMRK und das BVerfG zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) entwickelt haben (vgl Urteil des Senats vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 25). Denn das ÜGG geht maßgeblich auf die Forderung des EGMR zurück, die Mitgliedstaaten des Europarates sollten zur Entlastung des Gerichtshofs ein solches Rechtsinstitut schaffen (vgl ua EGMR Individualbeschwerde Nr 75529/01 Sürmeli/Deutschland).
Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die in § 198 Abs 6 Nr 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat (hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R, RdNr 24). Das Verfahren vor dem SG hatte nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG am 7.7.2008 begonnen und war am 26.4.2013 beendet. Dies entspricht einer Verfahrensdauer von gut 57 Monaten.
In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind (bb bis ff).
Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob das Entschädigungsgericht den Bedeutungsgehalt der unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 198 Abs 1 S 2 GVG und damit den rechtlichen Rahmen zutreffend erkannt und ihn ausfüllend alle erforderlichen Tatsachen festgestellt und angemessen berücksichtigt hat, ohne Denkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze zu verletzen (vgl BGH Urteil vom 5.12.2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190 RdNr 47 mwN) oder gegen seine Amtsermittlungspflicht zu verstoßen. Maßgeblich ist, wie das Gericht die Lage aus seiner ex-ante-Sicht einschätzen durfte (BGH Urteil vom 13.2.2014 - III ZR 311/13 - NJW 2014, 1183, Juris RdNr 47; BVerwG Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 23/12 D - BVerwGE 147, 146 RdNr 41).
Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 26; BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 31). Dabei geht der Senat davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (gg).
Den danach zu berücksichtigenden Grundsätzen wird die Entscheidung des Entschädigungsgerichts, das zur Aussetzung des Entschädigungsverfahrens aufgrund des ihm eingeräumten Ermessens nicht verpflichtet war (vgl §§ 114, 114a SGG , § 201 Abs 3 GVG, BSG Beschluss vom 5.8.2013 - B 10 ÜG 32/13 B mwN), nicht in allen Punkten gerecht.
bb) Nicht zu beanstanden ist, dass das Entschädigungsgericht dem Ausgangsverfahren mit Blick auf das Fehlen besonderer Probleme im Tatsächlichen und eine überschaubare Rechtslage hinsichtlich der beantragten Fördermaßnahmen in unterversorgten Gebieten einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad beigemessen hat. Entgegen der Revisionsbegründung (Umdruck S 18) lassen allein die behaupteten eindeutigen Vorgaben des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Unterversorgung (vgl § 100 Abs 3 SGB V) die Schwierigkeit des Verfahrens noch nicht unterdurchschnittlich erscheinen.
cc) Nicht nachzuvollziehen sind demgegenüber die Feststellungen des LSG zur Unterdurchschnittlichkeit der Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin.
Die von § 198 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Der EGMR hat deshalb eine besondere Bedeutung von Verfahren ua dann angenommen, wenn es um die finanzielle Versorgung in Renten- oder Arbeitssachen sowie um andere Verfahren wegen sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche ging (vgl EGMR Urteil vom 8.6.2006 - Individualbeschwerde Nr 75529/01 Sürmeli/Deutschland, RdNr 133, NJW 2006, 2389; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl 2009, Art 6, RdNr 262; BVerwGE 147, 146). Zur Bedeutung der Sache iS von § 198 Abs 1 S 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei (Priebe in: Festschrift für Werner von Simson, ≪1983≫ S 301 f). Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (vgl Magnus, ZZP 2012, 75, 76).
Zu Recht verweist die Revisionsbegründung (Umdruck S 15) darauf, dass sich das Entschädigungsgericht an dieser Stelle nicht stets auf das konkrete Verfahren beschränken darf, sondern auch berücksichtigen muss, ob dem als Folge des dezentralen und gegliederten Rechtsschutzsystems geführten Einzelverfahren als Teil eines übergeordneten Rechtsschutzbegehrens ein höherer Stellenwert für den Kläger beizumessen ist. Die Erkenntnis, dass Einzelumständen in ihrer Kumulation eine andere Gewichtung zukommen kann als bei isolierter Betrachtung, ist der Rechtsordnung auch in anderen Zusammenhängen nicht unbekannt (zur grundsätzlichen Möglichkeit des additiven Grundrechtseingriffs vgl etwa BVerfGE 112, 304, 319 f; 114, 196, 247 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9; BVerfGE 123, 186 = SozR 4-2500 § 6 Nr 8 RdNr 239 - PKV-Basistarif - Gesundheitsreform 2007). Feststellungen dazu, ob und inwieweit dem Ausgangsverfahren in Anbetracht der geltend gemachten Unterversorgung und den daraus resultierenden sowie sonstigen Streitigkeiten mit der KVT ein höheres Gewicht beizumessen ist, hat das LSG nicht getroffen. Die getroffene Schlussfolgerung, mangels existenzsichernden Charakters habe die Angelegenheit für die Klägerin nur unterdurchschnittliche Bedeutung ist darüber hinaus jedenfalls aus rechtlichen Erwägungen nicht haltbar. Zutreffend ist allerdings, dass die Rechtsprechung des BSG existenzsichernden Leistungen regelmäßig überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beimisst (vgl zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bei der Bestimmung der anwaltlichen Rahmengebühr BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, RdNr 37 mwN; BSG SozR 4-1935 § 15 Nr 1 RdNr 20). Aus dem Umstand, dass eine Leistung nicht existenzsichernd ist, lässt sich indessen in Umkehrung keineswegs per se auf ihre untergeordnete Bedeutung schließen.
dd) Das LSG hat im Ansatz zutreffend eine auch dem Verhalten der Klägerin zurechenbare Verlängerung des Ausgangsverfahrens feststellen können. Bei der jetzt anstehenden Konkretisierung darf das LSG insbesondere berücksichtigen, dass die Klägerin keinen entschädigungsrechtlichen Vorteil daraus ziehen darf, dass sie unstrukturierte umfangreiche Schriftsätze und Stellungnahmen bei Gericht einreicht (vgl BVerfG Beschluss vom 7.6.2011 - 1 BvR 194/11) oder Anträge (zu Befangenheitsanträgen zB BVerfG Beschluss vom 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06; zu Fristverlängerungsanträgen auch EGMR Urteil vom 29.5.1986 - 9/1984/81/128), denen das Gericht nachgehen muss, auch wenn dies letztlich nicht zur Kenntniserlangung oder Verfahrensförderung beiträgt oder sich in der Wiederholung immer gleichen Vorbringens erschöpft (vgl auch Überblick bei Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, GVG, § 198 RdNr 113).
ee) Das Entschädigungsgericht (LSG) hat schließlich im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Erwägungen einbezogen.
§ 198 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob ihm zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Bei seiner Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht (LSG) zu beachten, dass das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz eröffnet, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Daher hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art 6 Abs 1 EGMR bzw des Grundrechtes Art 19 Abs 4 GG in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (vgl im einzelnen Urteil des erkennenden Senats vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R, RdNr 34-38).
ff) Ausgehend von diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen des LSG nicht in vollem Umfang seinen Schluss, die Dauer des Verfahrens sei unangemessen gewesen. Das LSG wird deshalb nunmehr unter Beachtung der vorstehend genannten Vorgaben den Zeitraum der Unangemessenheit des Verfahrens vor dem SG konkret festzustellen und hierbei auch zu beachten haben, ob die hierfür relevanten Umstände über die Verzögerungsrüge rechtzeitig in das Ausgangsverfahren eingeführt waren oder ggf die Präklusionswirkung des § 198 Abs 3 S 3 und 4 GVG eingetreten ist (vgl hierzu Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, GVG, § 198 RdNr 117, 118).
gg) Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Entschädigungsgericht wird dieses Folgendes berücksichtigen müssen: Die Bestimmung der maximal zulässigen, noch angemessenen Verfahrenslaufzeit kann jeweils nur aufgrund einer abschließenden Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls insbesondere mit Blick auf die von § 198 Abs 1 S 2 GVG benannten Kriterien erfolgen (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 28; BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D - Juris RdNr 28). Die Feststellung längerer Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten führt noch nicht zwangsläufig zu einer unangemessenen Verfahrensdauer. Handelt es sich bei den genannten Zeiten bereits um Verzögerungen im Sinne des GVG, weil sie in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen, so können sie in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden (vgl BGH Urteil vom 13.3.2014, aaO, Juris RdNr 33 mwN; BGH Urteil vom 13.2.2014, aaO, Juris RdNr 28 mwN; BVerwG, aaO, Juris RdNr 12; EGMR, Individualbeschwerde Nr 36853/05 - Metzele/Deutschland, amtlicher Umdruck S 7).
Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art 20 Abs 3 GG bzw Art 6 Abs 1 S 1 EMRK nicht verlangt (vgl BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt.
Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs 1 S 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (vgl BT-Drucks 17/3802 S 18; Senatsurteile vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1 und B 10 ÜG 2/12 KL - jeweils zu RdNr 25 ff mwN), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind (vgl dazu BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, Juris RdNr 64). Der Senat geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren derzeit von folgenden Grundsätzen aus: Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc) so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten.
Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht ua die Regelung des § 198 Abs 5 S 1 GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus Abs 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der EGMR, dessen Rechtsprechung maßgeblich dem ÜGG zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als 2 Jahre und insgesamt nicht länger als 5 Jahre dauern (vgl F. Calvez, Length of court proceedings in the member States of the Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights, 2. Aufl 2012, S 66 mwN; vgl Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art 6 RdNr 249 mwN; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 6 RdNr 199). Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer nicht als überlang erachtet werden kann (vgl ua EGMR, Individualbeschwerde Nr 32842/96 Nuutinen/Finnland, RdNr 110; Individualbeschwerde Nr 7759/77 Buchholz/Deutschland, RdNr 63).
Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (zB Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog Schiebeverfügungen beschränkt.
Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von § 198 Abs 1 S 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung, sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen.
Daher wird das LSG nach Zurückverweisung noch zu berücksichtigen haben, dass den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten zuzugestehen ist, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt. Bei der noch ausstehenden abschließenden Gesamtabwägung darf das LSG dem Ausgangsgericht deshalb eine ausreichende Vorbereitungs- und Bedenkzeit einräumen, die nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden muss. Das LSG wird allerdings zu erwägen haben, ob insoweit die vom Senat regelmäßig akzeptierte Zeitspanne von zwölf Monaten noch angemessen ist, oder ob nach den besonderen Umständen dieses Einzelfalls, insbesondere wegen der bereits verstrichenen Dauer des Verfahrens und der daraus resultierenden Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin nicht ausnahmsweise eine kürzere oder gar keine Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzusetzen ist.
d) Sollte das LSG nach diesen Grundsätzen zu dem Schluss einer unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens kommen, so wird es zusätzlich die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, ob die Klägerin deswegen einen Nachteil iS von § 198 Abs 1 S 1 GVG erlitten hat und dafür eine angemessene Entschädigung verlangen kann. Nachteil iS des Abs 1 sind dabei ua sämtliche immateriellen Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach der Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 S 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hier wird das LSG gegebenenfalls prüfen müssen, ob Umstände vorliegen, die - anders als nach seinen Feststellungen im Fall des überlangen Verfahrens wegen Rentenantragstellung - geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs 2 S 1 GVG (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1; SozR 4-1500 § 202 Nr 1) zu widerlegen.
Weitere Voraussetzung für den von der Klägerin verfolgten Entschädigungsanspruch ist es nach § 198 Abs 2 S 2 GVG, dass eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Abs 4 dieser Vorschrift nicht ausreichend ist, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs 4 S 1 GVG durch Feststellung des Entschädigungsgerichts, die Verfahrensdauer sei unangemessen lang gewesen. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1; SozR 4-1500 § 202 Nr 1 mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens aber nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. Insoweit weist der Senat angesichts des Beklagtenvortrags im Revisionsverfahren vorsorglich auf Folgendes hin: Die Bedeutung des Verfahrensausgangs für den Entschädigungskläger lässt sich jedenfalls nicht mit Blick auf die fehlenden Erfolgsaussichten verneinen. Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit soll ua gerade eine lange Unsicherheit des Entschädigungsklägers über seine Ansprüche und die damit verbundenen seelischen Folgen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19) vermeiden.
Schließlich wird das Entschädigungsgericht gegebenenfalls zu entscheiden haben, ob der von § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgesehene Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung nach den vom LSG festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls gemäß § 198 Abs 2 S 4 GVG unbillig ist. Allerdings eröffnet S 4 nur für Ausnahmefälle die Möglichkeit, von der 1200 Euro-Pauschale nach oben oder nach unten abzuweichen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 20; vgl Marx/Roderfeld, aaO, § 198 GVG RdNr 82, der von atypischen Sonderfällen spricht).
4. Für den Fall einer Entschädigung in Geld wird das Entschädigungsgericht zudem in entsprechender Anwendung der §§ 288 Abs 1, 291 S 1 BGB über die beantragten Prozesszinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz) ab Rechtshängigkeit (Klageerhebung, vgl § 94 SGG) zu entscheiden haben. Auch wenn es sich der Art nach um einen pauschalierten Verzugsschadensersatz handelt und deshalb ein konkreter Zusammenhang mit dem begehrten immateriellen Schadensersatz fraglich sein könnte (vgl Thüringer LSG Urteil vom 26.11.2013 - L 3 SF 913/12 EK, RdNr 79, Revision anhängig unter B 10 ÜG 4/14 R), ändert dies nichts an der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften im Rahmen von Entschädigungsklagen in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, weil Spezialregelungen, die den allgemeinen Anspruch auf Prozesszinsen verdrängen könnten, nicht bestehen (vgl BFH Urteil vom 19.3.2014 - X K 8/13 = BFHE 244, 521, Juris RdNr 40). Entschädigungsansprüche nach § 198 GVG stehen außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des § 44 SGB I grundsätzlich nicht beansprucht werden können (hierzu BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4, RdNr 27 ff). § 201 Abs 2 S 1 GVG iVm § 202 SGG verweisen zwar auf das SGG, nicht hingegen auf das SGB. Die Annäherung des sozialgerichtlichen Kostenrechts an dasjenige der VwGO hat die Rechtsprechung des BSG bereits in der Vergangenheit veranlasst, auch hinsichtlich der Prozesszinsen in besonderen Teilbereichen auf die Rechtsprechung des BVerwG Bezug zu nehmen (für den Bereich des Vertragsarztrechts ausdrücklich BSGE 95, 141 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2, RdNr 38 ff). Für den Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer ist insoweit entsprechend zu verfahren (vgl zu den Prozesszinsen BVerwG Urteil vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D = DVBl 2014, 861, Juris RdNr 46).
5. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten. Durchgreifende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit (Art 3 Abs 1 GG) der zugrunde liegenden Vorschriften der § 183 S 6, § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO einschließlich der Sondervorschrift des § 201 Abs 4 GVG hat die Klägerin mit ihrem Hinweis auf die gänzlich abweichende Situation im Strafverfahren nicht aufgezeigt und sind für den erkennenden Senat auch nicht ersichtlich. Der Vorwurf der gleichheitswidrigen Systemwidrigkeit (vgl Söhngen NZS 2012, 493, 498 mwN) entbehrt von vornherein der Grundlage, wenn - wie hier - bereits das Ausgangsverfahren als streitwertgebührenpflichtiges Verfahren konzipiert ist, weil die Klägerin als Vertragsärztin nicht zum privilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört.
6. Die auch im Fall der Zurückverweisung vorzunehmende Streitwertfestsetzung (vgl BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 10 KR 1/05 R, BSGE 98, 283 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4) beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 47, § 52 Abs 1 und 3, § 63 Abs 2 S 1 GKG. Dem Anliegen der Klägerin nach einer Festsetzung stets des Auffangstreitwerts (eigenhändiger Schriftsatz vom 2.8.2014) kann von Gesetzes wegen nicht Rechnung getragen werden (vgl BSG Beschluss vom 5.8.2014 - B 10 ÜG 32/13 B), entspräche hier aber auch nicht ihrem Ansinnen nach einer Minimierung der Kosten.
Fundstellen
SGb 2014, 628 |
GesR 2015, 533 |