Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. freiwillige Weiterversicherung/Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. rückgeltende Verkürzung der Antragsfrist für langjährige Selbstständige. Verfassungsmäßigkeit. Zulässigkeit einer Vorlage an das BVerfG
Leitsatz (amtlich)
Die rückgeltende Verkürzung der Antragsfrist für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag in der Arbeitslosenversicherung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken in Fällen, in denen der für das Zustandekommen des Versicherungspflichtverhältnisses erforderliche Antrag erst nach Verkündung des maßgebenden Änderungsgesetzes im Bundesgesetzblatt gestellt wurde.
Orientierungssatz
Für die Vorlage an das BVerfG reicht es nicht schon aus, wenn die betroffene gesetzliche Regelung bei abstrakter Betrachtungsweise in Bezug auf bestimmte Sachverhaltskonstellationen verfassungswidrig wäre. Gegenstand der Prüfung einer Vorlage an das BVerfG ist vielmehr regelmäßig das Gesetz in seiner Auswirkung auf den individuellen Sachverhalt.
Normenkette
SGB 3 § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung: 2003-12-23, S. 2 Fassung: 2003-12-23, Abs. 2 S. 2 Fassung: 2003-12-23; SGB 3 § 434j Abs. 2 S. 2 Fassung: 2006-07-20; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 13 Nr. 11, § 80
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin auf ihren Antrag hin als selbstständig Tätige in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig ist.
Die 1957 geborene Klägerin war vom 1.6.1986 bis 31.3.1996 als Ärztin in verschiedenen Kliniken beschäftigt. Unmittelbar danach war sie - unterbrochen durch eine Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1. bis 30.4.1997 - bis 30.6.1997 als Praxisvertreterin in verschiedenen Arztpraxen bzw im Notfalldienst tätig. Seit 1.7.1997 arbeitet sie als selbstständige Kinderärztin in der eigenen Praxis. Ihren Antrag auf "freiwillige Weiterversicherung" und Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag im Recht der Arbeitsförderung vom 13.9.2006 lehnte die beklagte Bundesagentur für Arbeit ab, weil er nicht fristgerecht gestellt worden sei (Bescheid vom 4.10.2006, Widerspruchsbescheid vom 28.12.2006).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 27.4.2010, Urteil des LSG vom 8.6.2011). Das LSG hat ausgeführt, die Klägerin könne ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nicht begründen, da sie ihren Antrag nicht spätestens innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung gestellt habe (§ 28a Abs 3 S 1 SGB III). Sie könne sich auch nicht auf die Übergangsregelung in § 434j Abs 2 SGB III stützen, nachdem diese Vorschrift durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1707) rückwirkend zum 1.6.2006 neu gefasst worden sei. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Übergangsregelung bestünden jedenfalls in den Fällen, in denen der Antrag überhaupt erst nach der am 20.7.2006 erfolgten Verkündung des Gesetzes gestellt worden sei, keine durchgreifenden Bedenken.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das LSG sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, weil sie die Antragsunterlagen von der Beklagten im August 2006 erhalten habe; aus den Unterlagen sei hervorgegangen, dass der Antrag bis 20.10.2006 zurückzugeben sei. Dies habe bei ihr das Vertrauen begründet, den Antrag noch bis zu diesem Zeitpunkt stellen zu können. Ihr Vertrauen in den Bestand der Vorschrift in ihrer ursprünglichen Fassung sei schutzwürdig. Eine im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung der Rechtsänderung vorgenommene Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Antragstellung und nach der jeweiligen Sachlage im konkreten Einzelfall sei nicht zulässig.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Juni 2011 und des Sozialgerichts Mannheim vom 27. April 2010 aufzuheben sowie unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 4. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2006 festzustellen, dass sie seit 13. September 2006 als Selbstständige versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung ist;
hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 434j Abs 2 S 2 SGB III mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil des LSG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 S 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG deren Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.12.2006 erweist sich als rechtmäßig.
1. Obwohl die Klägerin in der Revisionsbegründung entgegen § 164 Abs 2 S 3 iVm § 162 SGG keine Rechtsnorm des Bundesrechts ausdrücklich bezeichnet hat, die sie durch das Urteil des LSG als verletzt ansieht, ist ihre Revision zulässig. Denn es reicht aus, wenn sich aus den Darlegungen des Revisionsführers ergibt, dass er sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinandergesetzt hat und ausführt, weshalb er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl BSG SozR 3-5555 § 15 Nr 1 S 2 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 164 RdNr 9c, 11 mwN). Das Revisionsvorbringen der Klägerin lässt hier noch hinreichend deutlich erkennen, dass sie einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot nach Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG durch die vom LSG vorgenommene Anwendung und Auslegung der ab 1.6.2006 geltenden Übergangsregelung in § 434j Abs 2 SGB III nF geltend machen will.
2. Da die Versicherungspflicht auf Antrag nach § 28a SGB III bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen kraft Gesetzes eintritt, ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig (vgl BSG Urteil vom 3.6.2009 - B 12 AL 1/08 R - Juris RdNr 9; BSG SozR 4-4300 § 28a Nr 3 RdNr 12).
3. In der Sache hat das LSG zu Recht entschieden, dass auf den Antrag der Klägerin vom 13.9.2006 kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a Abs 1 S 1 Nr 2 SGB III begründet wurde, weil er nicht innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit gestellt wurde (dazu a) und auch die übergangsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (dazu b). Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (dazu c).
a) Nach § 28a Abs 1 S 1 Nr 2 SGB III (eingefügt mit Wirkung zum 1.2.2006 durch Art 1 Nr 20, Art 124 Abs 4 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ≪ArbMDienstLG 3≫ vom 23.12.2003, BGBl I 2848) können in der Arbeitslosenversicherung Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Die Versicherungspflicht ist in § 28a Abs 1 S 2 SGB III geregelt. Darin heißt es: "Voraussetzung für die Versicherungspflicht ist, dass 1. der Antragsteller innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts des SGB III gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen hat, 2. der Antragsteller unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat und 3. Versicherungspflicht (§§ 26, 27 SGB III) anderweitig nicht besteht". Nach § 28a Abs 2 S 2 SGB III in der og Gesetzesfassung muss der Antrag spätestens innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden. Die Klägerin erfüllt die zuletzt genannte Voraussetzung nicht, was zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit ist.
b) Versicherungspflicht auf Antrag wurde auch nach dem einschlägigen Übergangsrecht nicht begründet. Flankierend zur Einfügung von § 28a SGB III wurde im Fünften Abschnitt des 13. Kapitels des SGB III unter der Überschrift "Übergangsregelungen auf Grund von Änderungsgesetzen" § 434j SGB III eingefügt. Nach § 434j Abs 2 SGB III (eingefügt mit Wirkung zum 1.1.2004 durch Art 1 Nr 249, Art 124 Abs 1 ArbMDienstLG 3 vom 23.12.2003, BGBl I 2848) galt § 28a Abs 2 SGB III zunächst mit der Maßgabe, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 (des § 28a Abs 2 SGB III) bis zum 31.12.2006 gestellt werden konnte. Die Vorschrift wurde dann allerdings durch Art 2 Nr 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) um einen Satz 2 ergänzt. Danach gilt die nunmehr zu Satz 1 gewordene Bestimmung in § 434j Abs 2 SGB III mit der Einschränkung, dass die Tätigkeit oder Beschäftigung nach dem 31.12.2003 aufgenommen worden sein muss, wenn eine Person, deren Tätigkeit oder Beschäftigung gemäß § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 oder Nr 3 SGB III zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, den Antrag nach dem 31.5.2006 stellt. Art 2 Nr 9 trat mit Wirkung vom 1.6.2006 in Kraft (Art 16 Abs 3 aaO).
Die Klägerin stellte ihren Antrag nach den Feststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, am 13.9.2006, und damit sowohl nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 434j Abs 2 S 2 SGB III am 1.6.2006 als auch nach dem Zeitpunkt der bereits erfolgten Verkündung des og Gesetzes vom 20.7.2006 und nach dessen Veröffentlichung am 25.7.2006 (vgl BGBl I Ausgabe Nr 36). Da die im Gesetz genannte Voraussetzung einer Tätigkeitsaufnahme nach dem 31.12.2003 bei der Klägerin nicht erfüllt ist, wurde auf den Antrag vom 13.9.2006 kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a Abs 1 Nr 2 SGB III begründet.
Wenn die Klägerin mit ihrer Revision geltend macht, aus den Antragsunterlagen sei hervorgegangen, dass der Antrag erst bis 20.10.2006 habe zurückgesandt werden müssen, rechtfertigt dies schon deshalb kein anderes Ergebnis, weil es sich insoweit um neuen Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren handelt, der der Entscheidung des Revisionsgerichts nicht zugrunde gelegt werden darf (vgl dazu allgemein Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 309 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 163 RdNr 5 mwN). Im Übrigen würde die Festsetzung eines Zeitpunkts der Rücksendung eines Antrags durch den Versicherungsträger lediglich die Mitwirkungspflichten des Antragstellers gemäß § 60 SGB I an dem von ihm durch seinen Antrag initiierten Verwaltungsverfahren präzisieren, nicht aber werden damit gesetzlich festgelegte und bereits abgelaufene Antragsfristen wieder eröffnet und erweitert. Der von der Klägerin behauptete Sachverhalt zur Begründung einer darüber hinausgehenden Rechtsposition - etwa im Sinne einer Zusicherung nach § 34 Abs 1 SGB X, einen (verspätetet beantragten) Verwaltungsakt bei fristgerechter Rücksendung der ausgefüllten Antragsformulare zu erlassen -, dürfte zudem der bloßen Festlegung eines Datums für die Rücksendung der Unterlagen ohnehin nicht zu entnehmen sein.
c) Das vorstehend gewonnene Ergebnis verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Eine - entgegen der Ansicht der Klägerin erforderliche - Prüfung des individuellen Sachverhalts (dazu aa) anhand der Maßstäbe des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots lässt keinen Verfassungsverstoß zu Lasten der Klägerin erkennen (dazu bb). Daher besteht für den Senat keine Veranlassung, das Revisionsverfahren gemäß Art 100 Abs 1 S 1 GG, § 13 Nr 11, §§ 80 ff BVerfGG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen.
aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin reichte es für die von ihr hilfsweise begehrte Vorlage an das BVerfG nicht schon aus, wenn die betroffene gesetzliche Regelung bei abstrakter Betrachtungsweise in Bezug auf bestimmte - hier nicht vorliegende - Sachverhaltskonstellationen verfassungswidrig wäre. Gegenstand der Prüfung einer Vorlage an das BVerfG ist vielmehr regelmäßig das Gesetz in seiner Auswirkung auf den individuellen Sachverhalt. Dies folgt bereits aus der in Art 100 Abs 1 S 1 GG ausdrücklich geforderten Entscheidungserheblichkeit des zu prüfenden Gesetzes. Ein (zulässiger) Vorlagebeschluss müsste nämlich hinreichend deutlich erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl BVerfGE 7, 171, 173 f; 107, 59, 85; stRspr).
Da die Klägerin ihren Weiterversicherungsantrag erst am 13.9.2006 gestellt hat, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob in Fällen, in denen ein Antrag im Rückgeltungszeitraum - also zwischen dem 1.6.2006 als Zeitpunkt der (rückgeltenden) Inkraftsetzung von § 434j Abs 2 S 2 SGB III und dem Zeitpunkt der Verkündung des og Gesetzes am 25.7.2006 - gestellt wurde, ein Verstoß gegen die Verfassung anzunehmen wäre (zu Fällen dieser Kategorie vgl SG Koblenz Beschluss vom 10.1.2007 - S 9 AL 302/06 - Juris; SG Nürnberg Beschluss vom 11.1.2007 - S 6 AL 554/06 - Juris; Wenner, SozSich 2009, 197, 198).
bb) Im vorliegenden Fall wurden jedenfalls durch die (rückgeltende) Inkraftsetzung von § 434j Abs 2 S 2 SGB III keine Grundrechte der Klägerin verletzt (vgl allgemein in diesem Sinne zu ähnlichen wie im Falle der Klägerin bedeutsamen zeitlichen Zusammenhängen Bieback, von Maydell/Ruland/Becker, Sozialrechtshandbuch, 5. Aufl 2012, Kap 21 RdNr 50; aA SG Dortmund Beschluss vom 10.12.2010 - S 33 AL 259/09 WA - Juris - beim BVerfG anhängig unter 1 BvL 4/11; Wenner, SozSich 2006, 200, 206, ders, - einschränkend für Fälle einer Antragstellung nach dem 25.7.2006 - SozSich 2009, 197, 198). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG begrenzen das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. Dabei findet das Rückwirkungsverbot seinen Grund im Vertrauensschutz (vgl aus jüngerer Zeit zB BVerfGE 126, 369, 393 f = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75 mwN). Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, dass der Staatsbürger vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage geschützt wird. Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen, wird durch das Grundgesetz nicht geschützt (vgl BVerfGE 128, 90, 106 = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23 RdNr 43 mwN).
Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung ist insoweit zwischen einer echten Rückwirkung und einer unechten Rückwirkung bzw tatbestandlichen Rückanknüpfung zu differenzieren. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder wenn der Beginn seiner zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung rechtlich existent, dh gültig geworden ist (BVerfGE 128, 90, 106 = SozR aaO RdNr 45 mwN). Um eine unechte Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung handelt es sich demgegenüber dann, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet oder wenn die Rechtsfolgen einer Norm zwar erst nach ihrer Verkündung eintreten, deren Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerfGE 18, 90, 107, SozR aaO RdNr 47 mwN). Während eine echte Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig ist, gelten für eine unechte Rückwirkung bzw tatbestandliche Rückanknüpfung weniger strenge Beschränkungen (vgl BVerfGE 109, 133, 181).
Hiervon ausgehend liegt im vorliegenden Fall eine verfassungswidrige Rückwirkung nicht vor: Die Klägerin hatte nämlich am 31.5./1.6.2006, dh unter Geltung alten, bestimmte Antragsteller begünstigenden Rechts, noch keine geschützte individuelle Rechtsposition inne, da sie zu diesem Zeitpunkt lediglich über die bloße Möglichkeit verfügte, einen Antrag unter Ausnutzung der Übergangsvorschrift nach § 434j Abs 2 SGB III aF zu stellen. Sie hatte damit lediglich die Chance, ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag zu begründen. Zu dessen Zustandekommen war jedoch erst noch ein eigenes Tätigwerden der Klägerin in Form einer Antragstellung erforderlich. Diesen Antrag stellte sie jedoch erst am 13.9.2006, als das alte Recht schon nicht mehr galt. Dadurch entfaltete die zeitlich rückbezogene Inkraftsetzung des § 434j Abs 2 S 2 SGB III im Fall der Klägerin keine unmittelbare Wirkung und knüpfte auch nicht an bereits ins Werk gesetzte konkrete Umstände an.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
DB 2014, 7 |
FA 2014, 128 |
Breith. 2014, 493 |